Abstracts

ERÖFFNUNGSVORTRAG

Die Dekonstruktion des Imperiums in der öffentlichen Kunstintervention, Teresa Pinheiro
Abstract: Während im Jahr 2020 überall auf der Welt Kolumbus-Statuen enthauptet und zerstört wurden, erlitt der Stein, in dem die Erinnerung an das Kolonialreich eingraviert ist, in Portugal lediglich Risse. In einem Land, das sein nationales Narrativ auf einem fast religiösen Konzept des Kolonialismus aufbaute – dessen Hauptpfeiler die koloniale Mystik und der Lusotropismus waren -, hätte der Ikonoklasmus die erwartete Reaktion auf die überwältigende und unbestrittene Präsenz von Denkmälern sein können, die die koloniale Vergangenheit im öffentlichen Raum preisen. Doch der Ikonoklasmus blieb aus. Statt einer Entfernung oder Zerstörung versuchen zeitgenössische künstlerische Interventionen, den imperialen Mythos durch eine kritische Aneignung von Denkmälern zu dekonstruieren. Anhand empirischer Beispiele portugiesischer Städte wird der Beitrag die anhaltende Kontinuität des von der Propaganda des Estado Novo geerbten kolonialen Monolithen im postkolonialen Portugal erörtern und die Art und Weise, wie der Monolith in den letzten Jahrzehnten durch Interventionen der öffentlichen Kunst in Frage gestellt wurde. Ich werde argumentieren, dass Strategien der Gegenmonumentalisierung der Denkmäler und der Durchdringung mit alternativen Erinnerungen bei der Bewältigung einer beunruhigenden Vergangenheit wirksamer sein können als ihre Entfernung aus dem städtischen Raum.
Teresa Pinheiro: Professorin für Iberische Studien am Institut für Europäische Studien und Geschichtswissenschaften, Universität Chemnitz.

PANEL 1 – POSTKOLONIALE KONTINUITÄTEN IM ZENTRUM UND PHERIPHERIE A.

Koloniale Kontinuitäten und postkolonialer Diskurs in Portugal, Viktoria Hohlfeld and Mathilde Honecker
Abstract: Das Kolonialreich ist auch nach der formalen Dekolonisation in den 1970er Jahren und der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien ein wichtiger Bezugspunkt für die portugiesische Identität. Die Mystifizierung des portugiesischen Kolonialismus prägt nachhaltig das Erinnern an das „goldene Zeitalter der Entdeckungen“. Seit der Jahrtausendwende wird dieses Narrativ zwar zunehmend in Frage gestellt, dennoch wirkt die koloniale Herrschaft bis heute nach. Die Reproduktion von kolonialen Verhältnissen wird anhand von zwei Beispielen erläutert.
1.Die Darstellung der Kolonialherrschaft im portugiesischen Schulunterricht.
2.Die wirtschaftlichen Beziehungen in der „Gemeinschaft der portugiesischsprachigen Länder“ (Comunidade dos Países de Língua Portuguesa, CPLP).
In Denkmälern zu Ehren von Personen, die die Kolonisierung aktiv vorangetrieben oder von ihr profitiert haben, manifestiert sich die hegemoniale Geschichtsschreibung im öffentlichen Raum. Aber auch dann, wenn sich koloniale Kontinuitäten auf subtile Weise äußern, wenn sie überschrieben und vergessen wurden, ist ihre Aufdeckung und Skandalisierung unerlässlich. Kritische Interventionen stören das dominante Narrativ und ermöglichen die Präsenz marginalisierter Perspektiven auf die gemeinsame Geschichte. Mit dem Ziel der Dekolonisierung des Raumes und der Gesellschaft geht für die Akteur:innen die Reflexion über die eigene Kolonialität einher. Wie äußern sich dekoloniale Bestrebungen in der portugiesischen Gesellschaft, welche Entwicklung hat der (Post)Kolonialismusdiskurs seit der Nelkenrevolution genommen?
Viktoria HohlfeldMathilde Honecker: Bachelor Studierende der Europa Studien, Universität Chemnitz.

Postkoloniales Aufbrausen in Lissabon: Brasilianische Migration und gelebte Urbanität, Simone Frangella
Abstract: Die brasilianische Migration nach Portugal ist ein Phänomen, das seit den späten 1980er Jahren in ständiger Bewegung ist. Im Laufe der Zeit hat sich dieser Migrationsstrom hinsichtlich der Migrationszwecke, des Niveaus der Arbeitsqualifikation, des Geschlechts, der Dokumentationslage, aber auch hinsichtlich der gelebten Erfahrungen in den portugiesischen Städten diversifiziert. Anhand von Lissabon als Ort der ethnografischen Forschung wird in diesem Vortrag zum einen untersucht, wie Diskurse und Praktiken, die mit dem postkolonialen Kontext in Verbindung gebracht werden, von diesen verschiedenen Strömen brasilianischer Migrant:innen wahrgenommen und erlebt werden, und zum anderen, wie Fragen der Erinnerung und der kolonialen Vergangenheit von diesen artikuliert werden, um bereits etablierte Vorstellungen in Frage zu stellen oder mit ihnen zu interagieren, um einen eigenen Ort zu konstruieren.
Simone Frangella: Forscherin am Institut für Sozialwissenschaften, Universität Lissabon.

Das Verhandeln des kolonialen Erbes in Lissabons Straßennamen nach der Revolution von 1974, Joe Green
Abstract: In diesem Vortrag wird untersucht, wie sich die Straßennamen von Lissabon, der ehemaligen Hauptstadt des portugiesischen Reiches, veränderten, nachdem sie diese Funktion nicht mehr erfüllte. Die Diktatur des Estado Novo warb unter anderem mit Straßennamen für ihre Ideale, so dass ganze Stadtteile nach so genannten Entdeckern, Portugals Kolonien und Kämpfern im Kolonialkrieg benannt wurden. Der Vortrag zeigt auf, wie dieses Erbe nach dem Sturz der Diktatur verhandelt wurde und inwieweit der Prozess der Entkolonialisierung – ein zentrales Anliegen der Revolution – dargestellt wurde. Da die Kommission für Toponymie in Lissabon dazu tendiert, bestehende Namen beizubehalten, sind viele Straßennamen des Estado Novo erhalten geblieben. Welche Erinnerungen werden also weiterhin durch die Straßennamen in Lissabon projiziert, und wie haben die offiziellen Stellen auf die Forderungen nach Veränderungen reagiert, von der Zeit der Demokratisierung Portugals bis heute?
Joe Green: Doktorand am Institut für Europäische Studien und Geschichtswissenschaften, Universität Chemnitz.

Panel 2 – POSTKOLONIALE KONTINUITÄTEN IM ZENTRUM UND PHERIPHERIE B.

Forderungen der Mapuche-Gemeinschaft in der Estallido Social-Bewegung in Chile – 2019, Gabriela Miranda
Abstract: „Dieser Traum ist ein Traum unserer Vorfahren, dieser Traum wird wahr, es ist möglich (…) dieses Chile neu zu gründen und eine neue Beziehung zwischen dem Volk der Mapuche, den ursprünglichen Völkern und allen Völkern, die dieses Land ausmachen, herzustellen“ (Elisa Loncón). Dies waren die Worte der Präsidentin der Verfassungsgebenden Versammlung: Elisa Loncón, bei der feierlichen Amtseinführung von Präsident Gabriel Boric. Loncón ist eine Schlüsselfigur bei der Verteidigung der Rechte der Mapuche. Ihr Aktivismus und andere Bewegungen wie die Studenten- und die Frauenbewegung führten zwischen Oktober 2019 und März 2020 zu massiven Demonstrationen, die als „Estallido social“ bezeichnet wurden. Die Forderungen der Demonstranten waren vielfältig und reichten von der Anerkennung der Rechte der indigenen Völker über einen besseren Zugang zu Bildung bis hin zur Kürzung der Rentenfonds (AFP). Zu diesem Zeitpunkt legten die Mapuche-Gemeinschaften der chilenischen Regierung ihre Vorschläge und Forderungen vor, und ihre Beteiligung fand breite Unterstützung in der Bevölkerung. Zwei Jahre nach dem sozialen Ausbruch sieht sich die Gemeinschaft neuen Regierungsbehörden gegenüber und befindet sich inmitten einer neuen verfassungsgebenden Versammlung. Hier stellt sich die Frage: Wie kann die neue politische Verfassung die Menschen- und Landrechte garantieren, die die indigenen Gemeinschaften verdienen und fordern?
Gabriela Miranda: Masterstudentin der Latino-Amerikastudien, Universität Jena.

Der soziale Ausbruch des Volksaufstandes: der antikoloniale Kampf der Ausgeschlossenen für „Demokratie“, Felipe Castro
Abstract: Mein Beitrag besteht darin, den Fall des sozialen Ausbruchs in Kolumbien zu skizzieren, der Ende 2019 begann und trotz der Unterbrechungen durch die Pandemie bis 2021 andauerte. Diese Mobilisierungen sind gekennzeichnet durch Ablehnung andauernder staatlicher Gewalt, soziale Unzufriedenheit mit den neoliberalen Wirtschaftsmaßnahmen der scheidenden Regierung und verschiedene soziale Forderungen nach Gerechtigkeit und Anerkennung ausgegrenzter Gruppen durch das kolumbianische politische System. Der Schwerpunkt liegt dabei auf zwei wichtigen sozialen Bewegungen, die sich in den Protesten vereinen, weil sie einen gemeinsamen Ursprung in der Region Cauca im Südwesten Kolumbiens haben: Einerseits der Widerstand der afro-indigenen Gruppen des kolumbianischen Pazifiks und andererseits die indigene Minga, die verschiedene indigene Gruppen mit weitreichenden ökologischen und politischen Forderungen zusammenbringt. Ich bin der Meinung, dass dieser Prozess einen wichtigen Beitrag zur Artikulation eines antirassistischen und antikolonialen Kampfes im aktuellen Kontext leisten kann, nicht nur wegen der Aktionen, die sie während der Proteste unternommen haben (koordinierte kollektive Interventionen, Umstürzen von Statuen, unterschiedliche Sozialisationsräume usw.), sondern auch, weil sie in den letzten Jahrzehnten aufgrund ihrer Slogans, Forderungen und ihres politischen Horizonts zu zwei politischen Kräften geworden sind, die eine große Anziehungskraft auf die Zivilbevölkerung ausüben.
Felipe Castro: Doktorand am Institut für Romanistik, Universität Jena.

Ästhetischer Aktivismus in der zeitgenössischen Kichwa-Literatur Ecuadors, Jordy Pacheco
Abstract: Mitte der 1970er Jahre entstand in Ecuador eine bedeutende kulturelle Bewegung der Kichwa, die zum Teil auf ein von Rassismus geprägtes Gewaltsystem zurückzuführen ist. Fast fünfzig Jahre später, im Oktober 2019 und im Juni 2022, führte die indigene Bewegung Ecuadors 11 bzw. 18 Tage lang intensive Proteste gegen die jeweils amtierenden Regierungen. Beide Mobilisierungen waren das Ergebnis unhaltbarer sozialer Ungerechtigkeit und wurden ebenfalls von Rassismus und Kolonialismus geprägt. Wie die anderen Künste kann auch die Literatur als Kraft für den sozialen Wandel dienen. Ohne die Pluralität der Stimmen und Themen in der zeitgenössischen Kichwa-Literatur Ecuadors zu ignorieren, konzentriert sich diese Untersuchung auf die aufständische und anklagende Dimension der Literatur. Anhand ausgewählter Gedichte und Auszüge aus halbstrukturierten Interviews, die mit Kichwa-Schriftstellern in den Jahren 2021 und 2022 geführt wurden, werden der ästhetische Aktivismus dieser Literatur und ihr Engagement für die Muttersprache, die Kichwa-Kultur und die Prozesse des Widerstands der indigenen Völker dargestellt.  Es wird auch auf die Gefahr(en) eingegangen, solche Prozesse automatisch in den Diskurs der Dekolonialität zu verorten.
Jordy Pacheco: Doktorand am Institut für Romanistik, Universität Jena.

PANEL 3 – MIGRANTISCHE ERINNERUNGEN UND TEILHABE: KUNST UND DEKOLONISIERUNG

Die Geste und der Stein, Leonor Rosas
Abstract: In diesem Beitrag soll über die Möglichkeiten nachgedacht werden, eine antirassistische und dekoloniale Gegenerzählung in den öffentlichen Raum und die Gedenklandschaft von Lissabon einzuschreiben. Dazu müssen einige Fragen gestellt werden: Wer wird im Raum dieser Stadt repräsentiert? Und wer wird von den vorherrschenden Erzählungen in diesem Raum zum Schweigen gebracht? Padrão dos Descobrimentos, Praça do Império, Mosteiro dos Jerónimos oder Bairro das Colónias sind einige der Spuren der imperialen Vergangenheit, die in Lissabon lebendig bleiben. Der öffentliche Raum – Denkmäler, Statuen, Gedenkstätten und Museen – ist immer noch weiß, männlich und imperial. Was soll man damit machen? Statuen abreißen, Straßennamen ändern oder kontextualisieren? Wie kann die Entkolonialisierung unserer Städte erreicht werden? Welche Wege wurden bereits beschritten?
Leonor Rosas: Anthropologin und Mitglied des Stadtrats, Lissabon.

Erarbeitung von künstlerischen und kollaborativen Methoden für ein erweitertes Feld des Denkmals, Márcio Carvalho
Abstract: Meine Präsentation zielt darauf ab, ein erweitertes Feld für das Denkmal zu entwerfen, das durch künstlerische und kollaborative Methoden mit folgenden Zielen gestaltet wird: Durchbrechen der zugrundeliegenden Hierarchie, in der die Besucher des Denkmals gezwungen sind, die Rolle eines ehrfürchtigen Zuschauers vor der zu vermittelnden Botschaft des Denkmals zu spielen; Verleihung des Status einer sozialen, diskursiven und kulturellen Praxis, in der die öffentliche Beteiligung garantieren kann, dass Erinnerung und Geschichte ein kreativer, flüchtiger, kontinuierlicher und unvollendeter Prozess bleiben.
Márcio Carvalho: Künstler, arbeitet an partizipativen Projekten in verschiedenen Ländern.

Koexistierende kulturelle Identitäten, Perspektiven und ihre Repräsentationen, Dzifa Peters
Abstract: In meinem Vortrag werde ich interkulturelle Visualitäten sowie die zugrundeliegenden Bedingungen innerhalb soziokultureller Systeme untersuchen und dabei Projektionen des Exotischen, kollektive Vorurteile, aber auch hybride Identitäten im Alltag und innerhalb der Manierismen von Globalisierung, Migration und post- und dekolonialen Diskursen ansprechen. Ich plädiere für einen dekolonialen Ansatz, indem ich kollektive Imaginäre und Tropen identifiziere und enträtsle.
Dzifa Peters: Deutsch-ghanaische bildende Künstlerin und Doktorandin der Kulturwissenschaften, Katholische Universität von Lissabon.

PANEL 4 – MIGRANTISCHE ERINNERUNG UND TEILHABE: LOKALER AKTIVISMUS 

Chemnitz Postkolonial: Wie kann man eine Stadt ohne (post-)koloniales Gedächtnis dekolonisieren?!, Stephan Schurig
Abstract: Im Promotionsprojekt Chemnitz postkolonial – Fragmente nicht erzählter Geschichte(n) werden sowohl die historischen kolonialen Verknüpfungen der Stadt bzw. Region um Chemnitz als auch die postkolonialen Kontinuitäten untersucht. Die lokalen und regionalen Spezifika im (post-)kolonialen Sachsen werden ausgehend von konkreten historischen Phänomenen wie dem Kolonialwaren(-handel), den Kolonialbewegungen in Form von Vereinen oder sog. Menschenzoos (Kolonialität vor Ort), aber auch anhand von symbolischen Repräsentationen und Diskursen durch Exotisierung, Primitivisierung, Othering und Rassifizierung globalhistorisch eingeordnet. Mithilfe einer postkolonial informierten Perspektive stehen Analysen kolonial(rassistisch)er Kontinuitäten bzw. antikolonialer/antirassistischer Widerständigkeiten gegenwärtiger sozio-kultureller Phänomene, wie z.B. die Konstruktion des ‚Eigenen‘ und des ‚Fremden‘ oder stadt- und erinnerungspolitische sowie emanzipatorische Bestrebungen, im Vordergrund des Projekt. Da es der lokalhistorischen Forschung bisher an einer systematischen Auseinandersetzung der Chemnitzer Stadtgeschichte mit den Verflechtungen deutscher bzw. globaler Kolonialgeschichte mangelt, versucht das Promotionsvorhaben mithilfe von explorativen Methoden (z.B.  Auswertung von Dokumenten und Archivalien aus Archiven, Kartographierungen) eine Grundlage für die Aufarbeitung dieses Forschungsdesiderats zu schaffen und damit auch einen Theorie-Praxis-Transfer für zivilgesellschaftliche Erinnerungsarbeit zu leisten.
Stephan Schurig: Doktorand am Institut für Europäische Studien und Geschichtswissenschaften, Universität Chemnitz.

Red de Migración, Género y Desarrollo: Dekoloniale Perspektiven auf feministischen Aktivismus, Leonie Papritz
Abstract: Feminismus ist und war schon immer eine vielschichtige Bewegung, die sich weigerte, sich unter einem Dach zu vereinen. Soziale Hierarchien und die ungleiche Verteilung von Macht und Ressourcen innerhalb der Bewegung haben zu unterschiedlichen feministischen Gruppierungen geführt. Frauen im und aus dem Globalen Süden müssen lange darum kämpfen, dass ihre Realitäten und besonderen Herausforderungen Gehör finden. Daher befindet sich der de- oder postkoloniale Feminismus an der Schnittstelle von Kolonialität und Geschlecht und kritisiert sowohl die feministische als auch die postkoloniale Mainstream-Theorie. Red de Migración, Género y Desarrollo (Barcelona) ist ein Kollektiv, das mit dem postkolonialen feministischen Ansatz arbeitet und sich für migrantische und dekoloniale Perspektiven auf gemeinsame feministische Themen einsetzt. Anhand der Webpräsenz und der veröffentlichten Arbeiten von Red MGD möchte ich die Merkmale des dekolonialen Feminismus genauer herausarbeiten: Was macht dekolonialen Feminismus aus und was macht diese Gruppe zu einer dekolonialen Gruppe?
Leoni Papritz hat einen Bachelor-Abschluss in Europastudien der Universität Chemnitz.

PODIUMSDISKUSSION: ANLAUFENDE DEKOLONIALE PRAXEN IM IBERISCHEN RAUM UND DEUTSCHLAND A

Leipzig Postkolonial: Kolonialhistorisch aufgearbeitete Stadtführungen, Manwinder Dhanjal
Abstract: Postkolonial Leipzig existiert seit bereits über einem Jahrzehnt, ursprünglich gegründet von Studierenden der Afrikanistik zur historischen Aufarbeitung kolonialer Strukturen in der Stadt Leipzig. Schnell entwickelte sich aus dem studentischen Programm eine wichtige lokale Organisation mit 10-15 ständigen Mitgliedern, die sich mittlerweile nicht nur mit der akademisch-historischen Aufarbeitung des Kolonialismus in Leipzig auseinandersetzt, sondern auch aktivistisch tätig ist und unter anderem dem Grassi Museum, dem Migrantenbeirat, der Universität, der Stadt Leipzig und anderen Gremien beratend zur Seite steht. Außerdem unterstützt Postkolonial Leipzig auch Selbstorganisationen von Bi_PoC und anderen rassifizierten Personen.
Eine der wichtigsten Arbeiten liegt dabei in der Aufklärung von Menschen in und um Leipzig. Als Medium hierfür nutzt die Gruppe sogenannte kolonial-historisch aufgearbeitete Stadtrundgänge. Diese werden auf Anfrage mit Gruppen verschiedenster Hintergründe (Schulen, NGOs, Parteien, Seniorengruppen etc.) durchgeführt und vermitteln anhand ausgewählter Stationen die rassistisch-koloniale Tragweite der Stadt Leipzig. Dabei werden nicht nur historische Bezüge hergestellt, sondern auch aktuell rassistisch-rechte Motive aufgedeckt und beleuchtet.
Ein weiteres Projekt der Gruppe ist die kolonial-rassistische Aufarbeitung des Leipziger Zoos, der nach wie vor das kolonial-rassistische Gedankengut des Menschenhändlers und Veranstalters von Menschenschauen, Ernst Pinkert, reproduziert.
Und zu guter Letzt arbeitet die Gruppe am STIGA Projekt (Sächsisch Thüringische Industrie und Gewerbeausstellung 1897) mit und widmet sich dort der kolonialen Geschichte der Ausstellung, die im Jahr 2022 125 jähriges Jubiläum feiert.
Manwinder/Monty Dhanjal (they): Aktivist:in in Leipzig Postkolonial und Empowerment Trainer:in, Leipzig.

Die Gedenkstätte für die Versklavten in Lissabon, Beatriz Gomes Dias
Abstract: In ihrem Vortrag wird Beatriz Gomes Dias auf den Vorschlag eingehen, ein Denkmal für die versklavten Menschen zu errichten, und auf die drei konzeptionellen Säulen, auf denen es beruht, nämlich (i) die Anerkennung der Sklaverei als zentrales Element des Unternehmens der Unterwerfung und der Schlüsselrolle, die Portugal dabei spielte; ii) der Widerstand der versklavten Menschen, insbesondere der Afrikaner:innen, gegen diese Unterdrückung in seinen verschiedenen Ausprägungen und damit die Anerkennung ihrer Handlungsfähigkeit und Subjektivität; iii) die historischen Hinterlassenschaften und Kontinuitäten dieser Zeit, vom kulturellen Erbe bis hin zu zeitgenössischen Formen von Rassismus und Diskriminierung, wodurch die Vergangenheit mit der Gegenwart verbunden ist.
Beatriz Gomes Dias: Mitglied des Stadtrats und Mitgründerin von Djass – Verband mit Migrationshintergrund aus Afrika, Lissabon.

Dekoloniale Kulturpolitik, Jonas Prinzleve
Abstract: Dieser Beitrag stellt die jüngsten dekolonialen Politikinstrumente vor, die die Stadt Hamburg gemeinsam mit betroffenen Gemeinschaften entwickelt hat. Dabei geht es um die folgenden Hauptfragen: Welche unterschiedlichen Zeitebenen zeigen sich beim Vergleich postkolonialer Erinnerungspolitik in Deutschland und in Portugal? Lässt sich eine ähnliche dekoloniale Kulturpolitik in verschiedenen europäischen Städten identifizieren und welche Zukunftspotenziale verbergen sich hinter dekolonialen Erinnerungsmodi?
Jonas Prinzleve: Co-Autor des digitalen Projekts ReMapping Memories Lisboa – Hamburg und Doktorand in vergleichenden Studien, Universität Lissabon.

ROUND TABLE: ONGOING DECOLONIAL PRACTICES IN THE IBERIAN SPACE AND IN GERMANY B

Dekoloniale Forschung in Universitätsseminaren:
Ausgangspunkt 2020: Dekoloniale und antirassistische Kämpfe in Iberoamerika, Ina-Sophie Deckert
Zwischen Baumwolle, Kolonialwaren und Menschenzoo – Glokale koloniale Verflechtungen der Stadt Chemnitz aus postkolonialer Perspektive, Luca Hirsekorn and Johanna Preißler
Abstract: Die koloniale Geschichte ist unweigerlich mit den Orten verbunden, von denen aus die Politik und die Logik des Kolonialismus organisiert und verhandelt wurden. Die Spuren des kolonialen Erbes unter postkolonialen Bedingungen sind allgegenwärtig und doch meist unsichtbar. Eine kritische Auseinandersetzung hat bisher vor allem in den Großstädten stattgefunden, da sich dort die Begegnung zwischen Gegenwart und Vergangenheit in vielfältigeren Dimensionen abspielt. Aber auch in „kleineren“ Städten des ehemaligen Koloniallandes wurden Kolonialwaren gehandelt und verarbeitet, weiße kolonialrassistische Phantasien vom Exotischen und Primitiven werden noch heute rezipiert, ebenso wie koloniale Raubkunst oder Denkmäler. Studierende verschiedener Fachrichtungen aus Jena und Chemnitz präsentieren und diskutieren die Ergebnisse ihrer Projekte, in denen sie Kolonialismus im Rahmen der historischen Kolonialforschung, der postkolonialen Theorie und Stadtforschung sowie post- und dekolonialer Praktiken erforscht haben.
Ina-Sophie Deckert studiert Englisch und Spanisch auf Lehramt, Universität Jena.
Johanna Preißler: Masterstudentin in Pädagogik, Universität Chemnitz.
Luca Hirsekorn: Bachelorstudent der Europa Studien, Universität Chemnitz.