Factsheet #1 | 2025
Die eigene Wohnung ist ein zentraler Rückzugsort für alle Menschen.
Wie und wo gewohnt wird, hat daher auch erheblichen Einfluss auf das Wohlbefinden von Geflüchteten, etwa durch die soziale Einbindung in die Nachbarschaft. Gleichzeitig ist das Thema Wohnen eine der größten praktischen und gesellschaftlichen Herausforderungen für Kommunen. Wohnungsknappheit ist nicht nur in Großstädten ein Problem, sondern auch in Klein– und Mittelstädten eine immer drängendere Frage.
Handlungsimpulse
Dezentrale Unterbringung
Viele Kommunen setzen auf eine dezentrale Unterbringung von Anfang an. Für Geflüchtete bietet dies den Vorteil, von Beginn an nachbarschaftliche Strukturen und Wissen über Wohnen in Deutschland aufzubauen. Für alle Bewohner:innen enstehen mehr Anknüpfungsmöglichkeiten für erste zwanglose Kontakte. Wichtige Partner in der dezentralen Unterbringung sind kommunale Wohnungsgesellschaften, privatwirtschaftliche Unternehmen und private Vermieter:innen.
Gezielte Ansprache von Vermieter:innen
In kleinen Gemeinden mit wenig kommunalem Wohnungsbestand ist Wohneigentum oft unter vielen Privatpersonen verteilt. Private Vermieter:innen lassen sich durchaus für die Unterbringung von Geflüchteten gewinnen, allerdings sind hier besondere Strategien gefragt, etwa eine persönliche Ansprache. Die Zusammenarbeit der Kommune mit Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe und die Nutzung ihrer sozialen Netzwerke kann hier einen besonderen Beitrag leisten.
Begleitung des Einzugs
Ein begleiteter Einzug hat sich in einigen Kommunen als hilfreich erwiesen. Sozialarbeitende informieren die ansässigen Mieter:innen über den Einzug, begleiten Geflüchtete im Ankommensprozess und können im Vorfeld auf Fragen und Vorbehalte reagieren. Es gibt eine konkrete Ansprechperson, die Missverständnisse ausräumen und vermitteln kann. In best-practice Beispielen wird dies von kommunalen Wohnungsunternehmen, der Gemeinde oder dem Land finanziert.
Migrantische Nachbar:innen als Ressource
Wenn viele Migrant:innen in einer Nachbarschaft wohnen wird das oft kritisch gesehen. Allerdings sind länger ansässige Menschen mit Migrationshintergrund eine wesentliche Ressource im Quartier, die für Geflüchtete Anknüpfungspunkte an die lokale Gemeinschaft bieten. Diese Ressource anzuerkennen und zu unterstützen, kann die Ankunftssituation und das soziale Zusammenleben langfristig verbessern.
Hintergrund
Passfähigkeit als Herausforderung
Für Geflüchtete mit geringem Einkommen, beschränkten sozialen Netzwerken vor Ort und wenig Deutschkenntnissen sind angespannte Wohnungsmärkte eine besondere Herausforderung. In Kommunen mit verfügbarem Wohnraum liegt das Problem in der Passfähigkeit von Wohnungsgröße und dem Bedarf, etwa von großen Familien aber auch von Alleinstehenden oder Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen.
Diskriminierung bei der Wohnungssuche
Bei Diskriminierungen spielen aufenthaltsrechtliche Sachverhalte wie Aufenthaltstitel für ein Jahr oder wenige Monate eine wichtige Rolle. Für einen Mietvertrag wird das von Vermietenden, auch von kommunalen Wohnungsunternehmen, als zu kurz und unsicher eingestuft.
Zudem ist die Ablehnung von Personen mit sichtbarem Migrationshintergrund ein Problem. Gründe dafür liegen in Unsicherheit gegenüber „Fremden“, Sorge vor Sprachbarrieren, aber auch rassistischen Einstellungen.
Kulturalisierung von Nachbarschaftskonflikten
Sind Geflüchtete involviert, werden Nachbarschaftskonflikte schnell zu kulturellen Konflikten erklärt. Insbesondere in alternden und schrumpfenden Gemeinden liegen die Hintergründe von Streit über Lärm oder Nutzungskonflikte (bspw. Mittagsruhe versus Kinderspiel im Hof) häufig an unterschiedlichen Bedürfnissen von Altersgruppen und verschiedenen Lebensrealitäten. In Kommunen mit Leerständen ist es auch die ungewohnte Präsenz von Mieter:innen in zuvor leeren Wohnungen, die als störend erlebt wird.
Zur Abbildung: Die Wohnsituation von Geflüchteten ist maßgeblich von den rechtlichen Rahmenbedingungen im Asylverfahren geprägt. Die Abbildung oben stellt den Verlauf im Asylverfahren mit positivem Bescheid und Anerkennung des Schutzstatus vereinfacht dar.
Für Menschen in Duldung und Aufenthaltsgestattung sind die Aufenthaltsdauer in Gemeinschaftsunterkünften sowie die Mobilitätseinschränkung aufgrund von Residenzpflicht und Wohnsitzauflage deutlich größer.
Das Factsheet ‚Zugang zum Wohnungsmarkt‘ von Friederike Enßle-Reinhardt ist in der Reihe Forschung:Praktisch der Professur für Humangeographie mit dem Schwerpunkt Europäische Migrationsforschung der TU Chemnitz unter der offenen Lizenz CC BY-ND 4.0 veröffentlicht.
Das kostenlose PDF kann hier heruntergeladen werden: #1 Forschungpraktisch-Wohnen
Die Forschung hinter den Empfehlungen
Seit 2016 arbeitet das Team um Prof. Dr. Birgit Glorius zu Ankunftsprozessen von Geflüchteten, insbesondere abseits der Großstädte.
In dieser Factsheet-Reihe führen wir Erkenntnisse, die wir in verschiedenen Forschungsprojekten zu den Themen Flucht& Ankommen gesammelt haben in übersichtlicher Weise zusammen. Die Ergebnisse sind handlungsorientiert zusammengefasst und bieten vielfältige Anknüpfungspunkte für Praktiker:innen, etwa Personen aus der (Lokal)Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft.
Unsere Forschungsmethoden umfassen qualitative Methoden wie Interviews, Beobachtungen, Fokusgruppendiskussionen und Mappings, sowie quantitative Umfragen.
Detaillierte Informationen über die einzelnen Forschungsprojekte und Forschungsmethoden finden Sie hier auf der Website unserer Professur.
Impressum: Technische Universität Chemnitz, Professur für Humangeographie mit dem Schwerpunkt europäische Migrationsforschung
Autorin: Friederike Enßle-Reinhardt
Chemnitz, Januar 2025.
Zitiervorschlag: Enßle-Reinhardt, Friederike (Januar 2025): Zugang zum Wohnungsmarkt. Fact Sheet-Reihe Forschung:Praktisch 1|2025. Technische Universität Chemnitz, Chemnitz. https://doi.org/10.59350/bjb9r-rdb45
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