Bei der Betrachtung von Migration, Ankommen und Integration spricht man oft von Strukturen. Blickt man auf diese Prozesse vor Ort und wie sie sich gestalten, so fällt auf, dass einzelne Personen viel bewegen können. Strukturen, besonders in ländlichen Gebieten, sind oftmals Netzwerke aus besonders motivierten Personen, die sich dafür einsetzen, dass Ankommen und Integration vor Ort funktionieren. Dabei kann man von Champions der Integration sprechen, wobei der Begriff weniger auf den „Sieg“ über das Thema, sondern mehr die Vorzeigewirkung abzielt.
Handlungsimpulse
Integrationschampions als Netzwerker*innen
Die Wirkung von Einzelnen in der lokalen Arbeit ist nicht zu unterschätzen. Ob aus der Verwaltung oder aus dem Ehrenamt, Einzelpersonen können helfen, strukturelle Kooperationshürden/-hemmnisse abzubauen und weitreichende Zusammenarbeit anzustoßen. Dabei kommt Ihnen oft eine Vernetzungs- bzw. Koordinationsfunktion zu. Außerdem wirken sie als Vorbild- und Orientierungsfigur für andere. An sie kann man sich wenden und ihnen wird Gehör geschenkt. Zwar kann lokale Arbeit nicht nur durch Einzelpersonen gestemmt werden, doch über sie wird es möglich, eine Vielzahl von Akteuren an einen Tisch zu bringen.
„Netzwerken ist Arbeit. Wir suchen ständig den Austausch, um Probleme identifizieren und evtl. direkt lösen zu können. […] Dabei kommt es stark auf die zeitlichen Ressourcen von allen Beteiligten an. Dennoch suchen wir den Austausch mit Organisationen und Engagierten, um auch Parallelstrukturen zu vermeiden.“
Verwaltung, Halle (Saale)
Integrationschampions im Kontext sehen
Integrationschampions sind allerdings keine Einzelkämper*innen. Man muss einzelne Engagierte — Haupt-und Ehrenamtliche — immer im lokale Akteursnetzwerk sehen. Gibt es relativ schwach ausgeprägte Verwaltungsstrukturen, die sich Neuankommenden annehmen, können Ehrenamtliche diese Lücke füllen. Die entstehenden Strukturen sind oftmals informell und fußen auf weitreichendem Engagement. Das kann man bei Sprachcafés sehen, die zum großen Teil ehrenamtlich organsiert sind. Über solche Aktivitäten, die oft auf direkte Hilfe abzielen, entstehen informelle Netzwerke. Ältere Engagierte, oft Renter*innen, sind häufig die treibende Kraft hinter solchen Angeboten. Dabei sind solche Strukturen äußerst prekär. Hören zentrale Figuren in informellen Netzwerken auf, droht oft der Zusammenbruch der Zusammenarbeit. Das sieht man am Beispiel der Corona-Pandemie. Hier zogen sich viele Ehrenamtliche zurück bzw. wurden an ihrem Engagement gehindert. Damit brachen in den Jahren der Pandemie viele Netzwerke zusammen und wurden in der Zeit danach nicht oder nur mit enormem Aufwand wiederbelebt. Denselben Effekt hat ein scharf geführter, politischer Diskurs. Dadurch wird das Engagement im Bereich Migration an den Pranger gestellt. Viele Ehrenamtliche ziehen sich dann zurück, da sie sich im privaten Umfeld Kritik ausgesetzt sehen.
„Corona hat viele Netzwerke einschlafen lassen, die wir jetzt mühsam wieder aufbauen müssen.“
Verwaltung, Ingelheim am Rhein
Die Grenzen von individuellem Engagement
Vor diesem Hintergrund kann man festhalten, dass das Engagement Einzelner nur zu einem gewissen Grad Kooperation vorantreiben kann. Zweifelsohne braucht es Personen, bei denen die Fäden zusammenlaufen, doch fallen sie aus, kommt oft auch die Kooperation zum Erliegen. Es stellt sich damit die Frage, ob man die Funktion von Champions verankern und sie mit Ressourcen ausstatten kann. Außerdem ist zu klären, inwiefern lokale Vernetzung resilienter gegenüber Stellenwechseln oder dem Wegfallen von Ehrenamtlichen sein können, indem man bspw. Austauschtreffen anstößt und diese dann selbstständig weiterführen lässt.
Hintergrund
Integrationschampions kommen aus dem Haupt– und und aus dem Ehrenamt
Bei der Frage, wer als Integrationschampion gelten kann, schlagen wir vor, sie als herausgehobene Personen vor Ort zu begreifen, die Prozesse anstoßen und Orientierung bieten. In der Verwaltung ist es oftmals die*der Integrationsbeauftragte. Dieser Position kommt eine Vernetzungsfunktion zu. Champions müssen aber nicht zwangsläufig aus der Verwaltung kommen. Gerade in kleineren Gemeinden und in ländlichen Gebieten erfüllt das Ehrenamt eine wichtige Rolle im Ankommensprozess. Engagierte suchen oft untereinander den Austausch und vernetzen sich somit im Zuge ihres Engagements automatisch, nicht selten auch mit der Verwaltung. Personen, die diese Vernetzung vorantreiben, werden ihrerseits dann oft zu Anlaufstellen. Das betrifft langjährige Engagierte, oder Freiwillige, die im engen Austausch mit Neuankommenden sind und dann durch Mundpropaganda unter diesen zur Anlaufstelle werden.
Wissen als Ressource und als soziales Kapital
Im Austausch mit anderen Akteuren fördern Integrationschampions Kooperation, es wird aber auch wertvolles Wissen über die Situation und mögliche Ressourcen geteilt, die wichtig für das Ankommen vor Ort sind. Im Grunde ballt sich bei diesen Champions das Wissen — von bürokratischen Vorgängen bis hin zu Kontakten zu Communities. Es geht hierbei um den Wert von Wissen und die Verteilung der Informationen unter den beteiligten Akteuren im Ankommensprozess. Das gilt nicht nur für kleinere Kommunen. In größeren Städten sieht man solche Dynamiken im Stadtteil oder im Kiez.

Abbildung 1: Ergebnisse eines Vernetzungstreffen von Migrantenselbstorganisationen im Landkreis Bautzen
Champions und ihre Wirkung
Über die Wissensvermittlung hinaus bieten Integrationschampions Orientierung. Das gilt im Stadtteil und im Alltag für ganz praktische Dinge wie den Weg zur passenden Praxis oder der Anlaufstelle beim Amt. In der Verwaltung selbst äußert sich diese Orientierung oft als Rückenwind oder „Ausstrahlung“. Gerade wenn eine Amtsleitung durch ihre Haltung und Kommunikation eine bestimmte Linie bestärkt, fühlen sich Mitarbeitende mitunter bestätigt in ihrer Arbeit. Das kann für weiterführende Maßnahmen motivieren, den offenen Umgang mit Vielfalt in der Verwaltung stärken und gegen Widrigkeiten resilient machen.
Dabei kann man aber schwer verallgemeinern. Die Wirkung, die Einzelne entfalten können, ist immer spezifisch für den einzelnen Ort. So kann es sein, dass die örtliche Verwaltung gut vernetzt ist und viel Koordination von Aktivitäten übernimmt. Verwaltungsintern kann man hierzu feststellen, dass die Position der Integrationsabteilung in der Verwaltungshierarchie eine Rolle spielt. So ist die Integration als Unterabteilung für Diversität oder Chancengleichheit womöglich weniger sichtbar als eine Stabstelle Integration und Vielfalt, die direkt dem*der jeweiligen Oberbürgermeister*in unterstellt ist. Deshalb muss man bei der Beurteilung der Wirkung von Einzelnen immer auch das lokale Akteursnetzwerk bzw. Verwaltungsgefüge mit einbeziehen.
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