„Ich möchte gerne irgendwo in einer öffentlichen Institution arbeiten, damit die nicht denken, dass alle, die ein Kopftuch tragen, nur Kinderwagen schieben oder Kinder haben können. Sondern wir zahlen genauso Steuern, wir arbeiten genauso wie alle anderen.“
Perspektive einer geflüchteten MutterFactsheet #3 | 2025
Beim Arbeitsmarkzugang von Geflüchteten zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Im Jahr 2024 sind 75 % der männlichen Geflüchteten, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, erwerbstätig, bei den Frauen sind es 31 % (Brücker et al. 2024).
Im Folgenden werden drei Argumente aufgezeigt, wie geringere Erwerbstätigkeit von Frauen in unserer Forschung begründet wird und Ansätze vorgestellt, die den bestehenden Blick weiten.
Perspektiven
In unserer Forschung zeigen sich drei große Erklärungsmuster, wie die Arbeitsmarkt-
integration von geflüchteten Frauen diskutiert wird. Dabei schließen sich die Argumentationen nicht gegenseitig aus, sondern werden auch parallel genutzt. Das Factsheet möchte Bewusstsein für diese Muster schaffen und dazu anregen, Stereotype zu hinterfragen.
„Geflüchtete Frauen sind eine unausgeschöpfte Ressource für den Arbeitsmarkt.“
Aus dieser Perspektive wird argumentiert, dass geflüchtete Frauen einen wichtigen Beitrag zum Arbeitsmarkt in Deutschland leisten könnten und aufgrund des Fachkräftemangels gebraucht werden. Allerdings müssten dafür besondere Voraussetzungen geschaffen werden. Die größten Barrieren werden hier in der Verbindung von Familie und Lohnarbeit gesehen, etwa was die Kinderbetreuung, die Arbeit im Haushalt und die familiäre Akzeptanz einer Arbeitsaufnahme betrifft.
„Die Arbeitsintegration entwickelt sich wirklich langsam. Die Kita-Platz-Situation ist hier auch nicht so toll. Dadurch ist es schwierig.“ Mitarbeiterin eines Jobcenters
„Geflüchtete Frauen wollen/dürfen nicht arbeiten.“
Diese Argumentation fokussiert den kulturellen Hintergrund und bezieht sich insbesondere auf Frauen mit (vermutetem) muslimischem Glauben. Es wird angenommen, dass es den Frauen aus der Erfahrung in ihren Herkunftsländern fremd ist, außerhalb der Familie zu arbeiten und sie sich nicht am Arbeitsmarkt beteiligen wollen oder dürfen. Hier werden Ukrainerinnen häufig als positives Gegenbeispiel angebracht.
„Bei den Frauen spielt der kulturelle Hintergrund oft eine Rolle. Ich habe Frauen in der Beratung, die sehr intelligent sind, aber die sind dann natürlich auf die Rolle als Mutter und Ehefrau fixiert.“ Leitung einer Arbeitsagentur
„Geflüchtete Frauen können nur bestimmte Berufe ausüben.“
Wenn von der Einbindung geflüchteter Frauen in den Arbeitsmarkt gesprochen wird, werden die immer gleichen möglichen Berufe als Beispiele genannt. Bei guten Deutschkenntnissen liegen diese im sozialen Bereich wie Sozialassistentin oder Altenpflegehelferin, bei weniger guten Deutschkenntnissen in der Reinigungsbranche. Selten werden geflüchtete Mütter dazu ermutigt, eine Stelle anzunehmen, die ihrem ehemaligen Qualifikationslevel entspricht. Die Herabstufung von Fähigkeiten und die Empfehlung von geschlechtsspezifischen Berufen sind Effekte dieses Narrativs.
„Was wir von den Frauen wissen ist, dass sie Kinder in Größenordnungen betreuen können und eine gewisse Leidenschaft dafür da ist, sich auch um andere Kinder zu kümmern.“ Leitung einer Arbeitsagentur
Handlungsimpulse
Außerhalb des Familienkontextes beraten
In Beratungsgesprächen der Jobcenter wird eine Bedarfsgemeinschaft, also eine Familie, gemeinsam beraten. Insbesondere wenn die Sprachkenntnisse der Frauen geringer sind als die der Familienväter, gehen ihre Vorstellungen und Ziele unter.
Eine junge Frau mit Fluchthintergrund beschreibt es so: „Natürlich, so eine Familie ist eine Gemeinschaft, die haben schon gemeinsame Ziele, aber jede Person hat auch eigene Ziele. Auch die Frau darf Zukunftsvorstellungen haben, trotz ihrer Rolle als Mutter.“ Beratungsformate, die dafür sensibel sind und mit Frauen allein sprechen, können an die Lebenswelt der einzelnen Frau angepasst beraten.
Mehrfachdiskriminierung sehen
Geflüchtete Frauen sind mit verschiedenen Hürden konfrontiert, die sich nicht allein mit dem Geschlecht, der Religion, der Mutterschaft oder der Herkunft erklären lassen. Vielmehr entstehen sie aus der Überschneidung verschiedener Stereotype, die es zu Frauen, Musliminnen, Müttern und Menschen aus bestimmten Weltregionen gibt.
In Diskriminierungssituationen sollte hinterfragt werden, woher ein bestimmtes Stereotyp kommt und gezielt dagegen argumentiert werden.
Nicht jede Frau ist eine Mutter
Häufig werden geflüchtete Frauen automatisch als Mütter adressiert: Die Mehrzahl von Unterstützungsangeboten sprechen Frauen mit Kindern an. Es gibt aber auch Frauen, die ohne Familie gekommen sind. Gerade im mittleren Erwachsenenalter sind Frauen ohne Familie von Einsamkeit und fehlenden Perspektiven betroffen. Diese Gruppe und ihre Bedarfe sollte stärker in den Blick genommen werden. Arbeit kann hier ein zentraler Schlüssel für die soziale Einbindung und den Spracherwerb sein.
Veränderung in der Aufnahmegesellschaft
Wenn geflüchtete Frauen in den Arbeitsmarkt eingebunden werden sollen, erfordert das nicht nur Anstrengungen der Frauen, sondern auch Engagement der Arbeitsmarktakteure. Die Akzeptanz von Frauen mit Kopftuch als gleichwertige Mitarbeiterinnen, die Bereitschaft sich mit unbekannten Formen der Familienorganisation auseinander zu setzen und die Offenheit für einen Start in den Job mit mittelmäßigen Sprachkenntnissen sind beispielhaft für Bereiche, in denen sich die Aufnahmegesellschaft weiterentwickeln muss. Die Sichtbarkeit von bestehenden positiven Beispielen kann dabei helfen, die notwendigen Veränderungen als machbar zu begreifen.
Einblicke in den Ankommensprozess einer jungen Frau:

Link zum Videoportrait „Inside the Journey of Migrant Integration in Lüchow “ (Auf Deutsch)
Das Factsheet ‚Arbeitsmarktzugang von geflüchteten Frauen‘ von Friederike Enßle-Reinhardt ist in der Reihe Forschung:Praktisch der Professur für Humangeographie mit dem Schwerpunkt Europäische Migrationsforschung der TU Chemnitz unter der offenen Lizenz CC BY-ND 4.0 veröffentlicht.
Das kostenlose PDF kann hier heruntergeladen werden:#3 Forschungpraktisch-Arbeitsmarkt geflüchtete Frauen
Die Forschung hinter den Empfehlungen
Seit 2016 arbeitet das Team um Prof. Dr. Birgit Glorius zu Ankunftsprozessen von Geflüchteten, insbesondere abseits der Großstädte.
In dieser Factsheet-Reihe führen wir Erkenntnisse, die wir in verschiedenen Forschungsprojekten zu den Themen Flucht& Ankommen gesammelt haben in übersichtlicher Weise zusammen. Die Ergebnisse sind handlungsorientiert zusammengefasst und bieten vielfältige Anknüpfungspunkte für Praktiker:innen, etwa Personen aus der (Lokal)Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft.
Unsere Forschungsmethoden umfassen qualitative Methoden wie Interviews, Beobachtungen, Fokusgruppendiskussionen und Mappings, sowie quantitative Umfragen.
Detaillierte Informationen über die einzelnen Forschungsprojekte und Forschungsmethoden finden Sie hier auf der Website unserer Professur.
Literatur: Brücker, H., M. Ehab, P. Jaschke & Y. Kosyakova (2024): Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten: Verbesserte institutionelle Rahmenbedingungen fördern die Erwerbstätigkeit. (IAB-Kurzbericht 10/2024 ), Nürnberg.
Impressum: Technische Universität Chemnitz, Professur für Humangeographie mit dem Schwerpunkt europäische Migrationsforschung
Autorin: Friederike Enßle-Reinhardt
Chemnitz, Januar 2025.
Zitiervorschlag: Enßle-Reinhardt, Friederike (Januar 2025): Arbeitsmarktzugang von geflüchteten Frauen. Fact Sheet-Reihe Forschung:Praktisch 3|2025. Technische Universität Chemnitz, Chemnitz. https://doi.org/10.59350/gbx4t-hwn97