von Juliane Weidenhagen unter Mithilfe unserer Schülerpraktikantin Lilly
In den letzten Jahren hat sich eine neue Perspektive auf unser Essen entwickelt, bei der Insekten als nachhaltige Proteinquelle in den Fokus gerückt sind. Sind Insekten das Essen der Zukunft – und ist es eine gute Alternative, geröstete Wespen statt Würstchen oder Würmer-Burger statt Rindfleisch-Patties zu konsumieren? In vielen Teilen der Welt standen Insekten in der Vergangenheit auf dem Speiseplan, auch in Europa wie beispielsweise im antiken Rom, und sie kommen teilweise noch immer auf unseren Teller (Olivadese und Dindo 2023). Jedoch erlebt die Anthropo-Entomophagie (d.h. der Verzehr von Insekten durch Menschen) in einigen jener Kulturkreise derzeit einen Abwärtstrend (Verbeke 2015). Laut Wissenschaftler*innen hängt dies unter anderem mit dem Trend zu billigeren importierten verarbeiteten Nahrungsmitteln der wachsenden städtischen Bevölkerung zusammen (Sneyd 2013) und auch mit dem Chemikalieneinsatz in der Landwirtschaft (Looy et al. 2014).
Bei uns ist die gegrillte Heuschrecke auf dem Street-Food Festival schon ein echter Hingucker, doch noch längst keine Mainstream Bewegung. Immer noch sind viele Menschen abgeneigt oder auch abgeschreckt, ein Insekt zu essen – und weit davon entfernt, ihr Schweine-, Rind- oder Hühnerfleisch mit Insekten zu substituieren (Verbeke 2015). Lebensmittel- und Lebensmitteltechnologieneophobie (Neophobie bedeutet Angst vor Neuem) zählen unter anderem zu den Hauptbarrieren von Entomophagie (Verbeke 2015; Hartmann et al. 2015), wobei bspw. auch …
- die Insektenart und deren Entwicklungsstadium (Schäufele et al. 2019),
- der Grad der Verarbeitung (Schäufele et al. 2019; Hartmann et al. 2015),
- die Vertrautheit mit der Idee von Entomophagie (Verbeke 2015),
- Vorerfahrung (Hartmann et al. 2015; Hartmann und Siegrist 2016),
- erwartete soziale Akzeptanz (Schäufele et al. 2019; Hartmann et al. 2015),
- die Erwartungshaltung an den Geschmack (Hartmann et al. 2015) sowie
- Umweltaspekte (Verbeke 2015)
für die Akzeptanz und Probierbereitschaft eine Rolle spielen.
Berger et al. fanden heraus, das sich hedonistische Versprechungen, wie guter Geschmack, positiv auf die Probierbreitschaft von Insektenprodukten auswirken – im Gegensatz zu Nutzbringenden Versprechen, wie das Versprechen eines positiven Effektes auf die Gesundheit (2018).
Doch unabhängig der Akzeptanz – wie steht es um die Nachhaltigkeit? Der essbare Anteil von Insekten ist deutlich höher als bei Wirbeltieren. Der Mehlwurm gilt zu 100 % als essbar (Oonincx und Boer 2012) und auch Grillen werden teilweise zu 100 % verspeist (Halloran et al. 2017). Essbare Insekten liefern außerdem viel Energie, da sie viel Protein- und Fett enthalten (Rumpold und Schlüter 2013). Die konkreten Umweltauswirkungen von der Insektenmast variieren mit der Insektenart, Futtermittel und Produktionssystem (z. B. van Huis und Oonincx 2017; Oonincx et al. 2010; Smetana et al. 2021). Mehlwürmer haben beispielsweise einen geringeren CO2 eq. Ausstoß pro kg Massezunahme als Schweine oder Rinder (Oonincx et al. 2010) beziehungsweise pro kg essbaren Protein (Oonincx und Boer 2012). Zudem kann die Flächennutzung von Mehlwürmern pro kg essbaren Proteins geringer sein, als jene von Hühnern, Schweinen oder Rindern (Oonincx und Boer 2012), da sie in übereinander angeordneten Boxen gehalten werden können (Dreyer et al. 2021). Insekten sind wechselwarm, was heißt, dass die Insektenproduktion mit einem vergleichsweise hohen Energieverbrauch einhergeht, um eine entsprechende Umgebungstemperatur sicherzustellen (van Huis und Oonincx 2017). Der Energieverbrauch von beispielsweise Mehlwürmern ist pro kg essbaren Protein höher als jener von Milch oder Hühnerfleisch, jedoch vergleichbar zu dem von Schweinefleisch und niedriger als der von Rindfleisch (Oonincx und Boer 2012). Ein möglicher Synergieeffekt für die Insektenhaltung würde sich durch die Kopplung mit Biogasanlagen ergeben, deren Abwärme für den Aufrechterhalt die nötige Haltungstemperatur genutzt werden kann (Wilken und Hülsemann 2021). Insgesamt ist erwartbar, dass die Umweltauswirkungen der Insektenmast mit entsprechender Automatisierung und Optimierung, sowie Züchtungsfortschritten weiter gesenkt werden können (Oonincx und Boer 2012).
Doch es stellen sich auch ethische Fragen: Ist es vertretbar hunderte Insekten zu töten, um einem Wirbeltier dieses Schicksal zu ersparen (z. B. Klobučar und Fisher 2023; Scherer et al. 2018)? Wie muss welches Insekt getötet werden um dem Tier unnötiges Leid zu ersparen (z. B. Klobučar und Fisher 2023; van Huis 2013; Barrett et al. 2023)? Scherer et al. haben in ihrer Studie das beigefügte Tierleid verschiedener Nutztiere verglichen, wobei Insekten, aufgrund der hohen benötigten Anzahl, an erster Stelle, vor Hühner, Rindern und Schweinen, landeten (2018).
Abschließend lässt sich sagen, dass trotz des großen Potenzials von Insekten zur Eindämmung von Ressourcenknappheit, Klimawandel und Ernährungsunsicherheit, noch viel Forschungsbedarf besteht.
Literaturverzeichnis
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Wilken, Verena; Hülsemann, Benedikt (2021): Exposé zukunftsweisender Einkommensoptionen für Biogasanlagenbetreiber. Kopplung von Biogas- und Insektenproduktion. KTBL; Landwirtschaftskammer Niedersachsen; Universität Hohenheim. Online verfügbar unter https://zukunftbiogas.ktbl.de/fileadmin/user_upload/Zukunftbiogas/4_Praxisempfehlungen/Exposes/ProBiogas-Expose_Insektenproduktion_Okt21.pdf, zuletzt geprüft am 11.07.2023.