TUCdigital

Digitale Hochschulbildung an der TU Chemnitz

Studieren in Zeiten von Corona oder Was bedeutet lernförderliche Lehre für Studierende?

Was nunmehr fünf Semester Online-Lehre für Studierende bedeutet? Zu den zweiten Tagen der digitalen Hochschulbildung an der TU Chemnitz geben Studierende am 06.05. 2022 einen Einblick. Die Moderatorin Greti Kneita, gewählte studentische Vertretung des StuRa, fasst die Perspektiven aus der Session StudierendenSICHT zusammen.

Im Wintersemester 2020/2021 waren in Deutschland insgesamt rund 2,94 Millionen Studierende immatrikuliert, davon 9670 an der TU Chemnitz. [1] [2] Für sie alle war es das zweite „Corona-Semester“; es sollten noch drei weitere folgen und mittlerweile sind wir im fünften angekommen. Vieles ist seitdem passiert; große, oft schwere Entscheidungen wurden getroffen, Entwicklungen angestoßen und besonders in der Lehre an unserer Universität ist ein Stein ins Rollen gekommen, der viele Jahre eher gemächlich vor sich hin kullerte – die Digitalisierung der Lehre.

Dieser Stein ist binnen kürzester Zeit vom Kieselsteinchen zum rollenden Felsbrocken geworden und nicht wenige Studierende (und Lehrende) zu Indiana Jones. Digitale Lehre und Prüfungen stellen die Universität in ihrer Gesamtheit vor neue und spannende Herausforderungen, allen voran das Universitätsrechenzentrum, das technische Umsetzungen zur Verfügung stellt, aber auch die Lehrenden, die ihre Vorlesungen und Seminare umstellen mussten, die Verwaltung, auf deren Schultern die Organisation lastet, das Rektorat, das seine Entscheidungen nach außen und innen kommunizieren muss und – neben vielen anderen – auch die Studierenden.

Online-Lehre, was bedeutet das eigentlich für junge Menschen, die gerade vom Abi aus in einen neuen Lebensabschnitt starten? Primär nichts anderes als Verunsicherung. Das Studium mit seinem individuellen Aufbau, den vielen Wahlmöglichkeiten, Entfaltungsräumen innerhalb und außerhalb des Hörsaals ist Fluch und Segen zugleich. Zwar ist die dezentrale Lehrorganisation eine elementare akademische Grundlage, führt aber auch dazu, dass die Studierenden die Verantwortung für ihr Studium allein tragen. Gerade in den ersten Semestern ist es eine Herausforderung, sein eigenes Tempo zu finden, Ziele zu definieren aber auch Wege zu gehen, die sich als Holzwege herausstellen, Fehler zu machen und die eigenen Pläne über den Haufen zu werfen. Die erste eigene Wohnung, ein Job neben dem Studium und neue Freunde kommen neben der Uni noch dazu und machen das Studium zu dieser viel beschworenen „besten Zeit des Lebens“. Wo bleibt das alles, wenn eine globale Pandemie tobt? Viele Studierende sind nach dem Abi nicht ausgezogen, wohnen noch bei ihren Eltern. Wozu auch in eine leere Stadt ziehen, wenn die Unis alle auf Online-Lehre umgestellt haben? Der Campus ist verwaist, alle Aktivitäten außerhalb des Hörsaals wurden mit in den Lockdown geschickt. Da waren keine Partys, Podiumsdiskussionen, wissenschaftlichen Vorträge, Arthouse-Filmabende, Sportveranstaltungen, Demos, etc., sondern oft nur ein Bildschirm im Kinderzimmer.

Natürlich sind die „Corona-Semester“ auch an den alten Hasen nicht spurlos vorbeigegangen. Viele der Herausforderungen eines Studiums wurden durch die Pandemie noch weiter verschärft. Selbstorganisation, finanzielle Nöte und die Einsamkeit in kleinen Wohnheimzimmern und WGs sind nur einige davon. Es ist schwer, neue Freunde zu finden und alte Kontakte zu pflegen, wenn man seine Kommilitonen nur über den Bildschirm kennt und oft genug in den Seminaren und Vorlesungen in ein schwarzes Nichts schaut. Gruppenarbeiten, schon unter normalen Umständen eine Herausforderung, mit gänzlich unbekannten Personen über den Bildschirm zu realisieren, ist eine Erfahrung, auf die sicher viele gern verzichtet hätten. Grundsätzlich sind Online-Seminare und ‑Vorlesungen wohl für beide Seiten des Bildschirms schwierig, der schwarze Bildschirm wird zur Black Box: Mit wem bin ich eigentlich im Raum? Was machen die anderen? Hört mir überhaupt jemand zu? Haben es die anderen auch nicht verstanden? Die Dynamik einer Seminargruppe fehlt wohl allen schmerzlich, die das Glück hatten, sie zu erleben. Es fehlt das Voneinander lernen, durch Fragen der Kommilitonen, Anregungen und Widerspruch und auch das Miteinander lernen in der Bibliothek oder auf der Campuswiese.

Sollten wir diesen großen schweren Stein namens Online-Lehre da nicht lieber über die nächste Felskante rollen lassen und uns beglückwünschen, diese Zeit ohne größere Langzeitfolgen überstanden zu haben? Keinesfalls! Nicht nur, weil zu viel Arbeit und Herzblut in all die Neuerungen und Entwicklungen geflossen ist, sondern, weil gerade die Digitalisierung der Lehre ein facettenreiches und nahezu grenzenloses Potential mit sich bringt. Aus Studierendensicht sticht hier besonders die Flexibilität heraus. Eine Vorlesung zu jedem beliebigen Zeitpunkt (erneut) anhören zu können, ist ein Wunsch, den schon vor der Pandemie viele Studierende geäußert haben. Die Gründe hierfür sind sehr individuell, sie reichen von beruflichen und familiären Verpflichtungen, parallel stattfindenden Lehrformaten bis hin zum Krankheitsfall. Für die Prüfungsvorbereitungen sind aufgezeichnete Vorlesungen ein wahr gewordener Traum. Einfach die Stellen heraussuchen, die Probleme bereiten, und den Professor diesen Abschnitt dann endlos wiederholen lassen, bis es endlich „Klick“ macht.

Auch die Prüfungen selbst haben sich in den „Corona-Semestern“ grundlegend gewandelt. Aus Papier und Stift wurden Bildschirm und Maus, aus Bulimie-Lernen Open-Book-Klausuren und aus mancher Not heraus kreative und innovative Prüfungsformen. Hinzu kommt die vom Senat der TUC beschlossene Möglichkeit, Prüfungsergebnisse annullieren zu lassen.[3] Diese Regelung gilt seit dem Sommersemester 2020 und ist auch für dieses Semester wieder beschlossen worden. Die Regelung wurde von acht sächsischen Hochschulen in ähnlichen Ausführungen getroffen und bietet aufgrund abweichender Prüfungs- und/oder Lehrformen Rechtssicherheit. Es war außerdem zu befürchten, dass in der unsicheren Lage innerhalb und außerhalb der Universitäten viele Studierende ihr Studium und besonders das Ablegen von Prüfungen unterbrechen. Die Regelung führte aufseiten der Lehrenden und der Verwaltung zu viel Verunsicherung und Sorge, unter anderem vor Mehraufwand und dem Umstand, Studierende könnten diese Freiversuchsreglung ausnutzen. Dank der Konferenz Sächsischer Studierendenschaften konnten die Auswirkungen für die Semester WiSe 20/21 und SoSe 21 mit verlässlichen Zahlen überprüft werden.[4] Die Beantwortung der kleinen Anfrage der Landtagsabgeordneten Anna Gorskih (Drucksache Nr. 7/8128) „Freiversuche an sächsischen Hochschulen“ wurde von der KSS für alle sächsischen Hochschulen ausgewertet. Für die TU Chemnitz ergibt sich dabei folgendes Bild: Insgesamt wurden 3.867 Prüfungen annulliert. Das sind gerade einmal knapp 5% aller Prüfungen. Auch die Befürchtung, eine Vielzahl bestandener Prüfungen könnten annulliert werden, um im nächsten Versuch ein besseres Ergebnis zu erzielen, hat sich mit einer absoluten Anzahl von 600 Prüfungen nicht bewahrheitet. Ein positiver Effekt der Regelung schlägt sich in der Anzahl der unternommenen Prüfungsversuche nieder, die im WiSe 20/21 und SoSe 21 beinahe „Vor-Corona-Niveau“ erreicht haben. Mit dem Wegfall der Einschränkungen und der sukzessiven Rückkehr zur Präsenz wird auch die Freiversuchsregelung bald der „Corona-Historie“ angehören. Dennoch wäre es ein Fehler, die Erfahrungen und Wirkungen in der Mottenkiste verschwinden zu lassen, stellt sich doch schon seit einigen Jahren immer wieder die Frage, ob es nicht höchste Zeit für eine Neubewertung der sächsischen „Drei Versuche und dann Ex“-Regelung ist.

Wie sind die Kritikpunkte einerseits und all die Vorteile andererseits miteinander zu befrieden? Die Antwort liegt in der hybriden Lehre: Klassische Lern- und Lehrformate unterstützt und bereichert durch die Möglichkeiten der Digitalisierung, Studierende im Seminarraum und der Dozent live aus einem Forschungsstandort, digitale Sprechstunden und Fragerunden zur Prüfungsvorbereitung, Kooperation mit anderen Universitäten, miteinander lernen über Landesgrenzen hinweg. Das alles ist schon heute möglich dank der Digitalisierung der Lehre an der TUC. Um noch einmal das Bild unseres Indiana-Jones-Felsens zu bemühen: Zerschlagen in viele kleine, handelbare Teile kann er ein großartiger Gewinn für die Zukunft der Lehre an der TU Chemnitz werden.

 

– Greti Kneita –

_____________

[1] Rudnicka, J.: „Studierende in Deutschland nach Hochschulart 2020/2021“ vom 24.01.2022, unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1264/umfrage/anzahl-der-studenten-nach-hochschulart/#:~:text=Im%20Wintersemester%202020%2F2021%20waren,eine%20akademische%20Ausbildung%20absolviert. (abgerufen am 18.05.2022).

[2] Fakten und Zahlen unter https://www.tu-chemnitz.de/tu/fakten.php (abgerufen am 18.05.2022).

[3] Vgl.: Corona FAQ der TU Chemnitz: „Welche Rahmenbedingungen gelten für Prüfungen?“ (letzte Aktualisierung: 2. Mai 2022), unter: https://www.tu-chemnitz.de/tu/bfau/faq-corona.php#studierende (abgerufen am 18.05.2022).

[4] Vgl.: Giese, Sabine und Senf, Paul: AUSWERTUNG KLEINE ANFRAGE. Kleine Anfrage 7/8128, unter https://cloud.kss-sachsen.de/s/BCtRyrD4mxV794l#pdfviewer (abgerufen am 18.05.2022).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert