Im Sommersemester 2023 erprobten Dr. Albrecht Kurze (Professur Medieninformatik) und Karola Köpferl (Jun.-Professur Soziologie mit Schwerpunkt Technik) an der TU Chemnitz gemeinsam ein interdisziplinäres, projektbasiertes und kompetenzorientiertes Lehr-Lernszenario in der Informatik, was in dieser Form seines Gleichen sucht. Aus der erfolgreichen Umsetzung dieses Pilotvorhabens ergeben sich vielfältige Anknüpfungspunkte für innovative MINT-Lehrveranstaltungen. Das Lehrkonzept und die Erfahrungen der beiden Lehrenden wollen wir daher an dieser Stelle mit Ihnen teilen. In einem Workshop der Hochschuldidaktik Sachsen für Lehrende in ganz Sachsen stellten die beiden das Konzept bereits umfangreich vor.
Zum Hintergrund
Im Rahmen der wiederkehrenden Förderlinie „Freiraum“ der Stiftung Innovation in der Hochschullehre (FKZ: FRFMM-211/20229) wurde an der Fakultät für Informatik der TU Chemnitz in der Projektförderung Freiraum 2022 mit dem innovativem Lehrprojekt „Daten-Interaktion interdisziplinär erleben – Data-I“ ein alternatives Lehrangebot für das Modul „Mensch-Computer Interaktion II“ entwickelt und erprobt. Im regulären Lehralltag beinhaltet dieses Modul ein semesterlanges studentisches Projekt eines menschenzentrierten Gestaltungsprozesses (HCD). Dabei wird in studentischen Teams ein Prototyp für die Benutzungsschnittstelle einer App oder Web-Anwendung konzipiert, entwickelt und evaluiert. Im Fokus des Moduls steht die Auseinandersetzung mit der Gestaltung interaktiver und intelligenter Systeme mit Einbezug von Sensordaten, wie sie beispielsweise in smarten, interaktiven Produkten (Smart Home Produkte) zu finden sind. Für die erfolgreiche Entwicklung solcher Anwendungen spielen das Alltagsverhalten von Nutzer:innen, Nutzungskontexte und die optimale Erfassung von geeigneten Sensordaten (v.a. Daten einfacher Sensoren: z.B. Bewegung, Licht, Temperatur, Luftfeuchte, etc.) eine zentrale Rolle
Was sind besondere Kennzeichen des innovativen Lehrprojektes?
Interdisziplinarität: interdisziplinäre Perspektiven durch Team-Teaching (Informatik und Sozialwissenschaften) und gemischte Studierenden-Teams
Praxisorientierung: Nutzung des Sensorkits im Unterricht und Zuhause, Freiheit bei der Entwicklung von Mess-Szenarien (Bsp. Monitoring Herd, Monitoring Badezimmer, Management Pflanzenmikroklima, Unterstützung bei Wäschetrocknung im Freien)
Projektbasiertheit: Durchlaufen eines realitätsnahen und vollständigen Projekts eines Entwickler-Teams für ein smartes interaktives System
Kompetenzorientierung: Aktive Reflexion zu Datenkompetenz (Rolle und Nutzung von Daten, Datenverarbeitung, Datensicherheit und potentieller Gefahren für Nutzer:innen und die Gesellschaft)
Was war besonders wichtig, um die neu eingeführten die Elemente wirklich erfolgreich zu implementieren?
Interdisziplinär:
- Die hohe Flexibilität, Aufmerksamkeit, Engagement und Adaptivität der Lehrenden ermöglichte es individuell auf die jeweiligen Prüfungsanforderungen der teilnehmenden Studierenden einzugehen und jeweils passende Prüfungsleistungen anzubieten.
- Eine geduldige Begleitung und vor allem Offenheit, um individuell passende Unterstützung anzubieten. Da Studierende verschiedener Fachrichtungen Hilfestellungen unterschiedlicher Art und zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Prozess benötigen.
- Eine engmaschige Moderation zwischen Studierenden verschiedener Fachdisziplinen war hilfreich. Studierende verschiedener Fachrichtungen setzen Ihren Fokus auf verschiedene Aspekte, verwenden verschiedene Fachsprachen und bringen fachspezifische Arbeitsweisen ein. Dies benötigt teilweise Moderation, um ein effektives Zusammenarbeiten in einem zeitlich eng begrenzten Semester-Projekt sicherzustellen.
Praxisorientiert:
- Das speziell zusammengestellte und vorbereitete Sensorkit und die dazugehörige digitale Datenverarbeitung erlaubte es, Studierenden mit verschiedenen Vorwissensstand und verschiedener Fachdisziplinen ohne intensive Schulung schnell ins aktive Arbeiten zu kommen.
Projektbasiert:
- Die Orientierung an den Methoden eines menschzentrierten Entwicklungsprozesses in einem semesterlangem Gruppenprojekt von der Entwicklung einer Idee – ausgehend von Autoethnografien und Interviews – über Formalisierung in Personas und Use Cases, Papier- und Digital Prototypen – bis zur Evaluation von Usability und Alltagsrelevanz in einer Feldstudie mit Analyse der Tagebücher der Nutzenden.
Kompetenzorientiert:
- Die integrierte Ausbildung zu Methoden im menschzentrierten Gestaltungsprozess, Datenkompetenz und zur Verbindung von beidem, verschiedene Reflexionsübungen dazu als wiederkehrendes Element und jeweils bezogen auf den selbst entwickelten Anwendungsfall der Studierenden.
Mal nachgefragt bei den beiden…
Was war euch, lieber Albrecht und liebe Karola, für eure Lehre und die Projektarbeit besonders wichtig?
Studierende sollten den Wert von Interdisziplinarität erfahren. Uns war wichtig, den Studierenden die Möglichkeit zu geben, die unterschiedlichen Methoden unserer jeweiligen disziplinären Perspektive als Lehrende kennenzulernen, auszuprobieren und diese in den Prozess einfließen lassen zu können.
Wir brachten zudem Studierende mit unterschiedlichem fachlichem Hintergrund in gemischten Projektgruppen zusammen. Dabei sind gewisse Reibungen durchaus gewollt. Die Bearbeitung selbst gewählter Problemstellungen in diesen Teams warf ganz bewusst immer wieder Fragen auf, die nicht bzw. nur vermeintlich von einer einzelnen Disziplin zu beantworten sind.
Für die Praxisorientierung und den Hands-on-Ansatz war die Nutzung unseres Sensorkits besonders wichtig. Erst aus der Kombination aus eigenem Erleben des Sammelns und Auswertens von Sensordaten, zunächst in der eigenen Wohnung, konnten die Studierenden dabei relevante Fragestellungen von technisch Machbarem, nutzerseitig Gewünschten und ethisch Vertretbarem umfassend angehen und nachfolgend in den Projekten ausgewogen berücksichtigen.
Insgesamt war uns ein Methodenmix aus Impulsen, Einzel- und Gruppenarbeiten mit praktischem eigenem Tun und Praxisorientierung wichtig.
Was war schwierig?
Interdisziplinarität ist kein Selbstläufer, sowohl auf Seite der Lehrenden als auch auf Seite der Lernenden in den Projektteams. Es bedarf dafür Offenheit, ein sich darauf Einlassen, Verständigung und gegenseitiges Verstehen (inklusive Fachsprache und Fachbegriffe), Abstimmung und Aufeinanderzugehen und auch zusätzliche Zeit.
Die Vielfalt an Disziplinen bietet eine Vielfalt an Perspektiven. Sie impliziert aber auch eine Vielfalt an Prüfungsordnungen, auf die in der Übung einzugehen ist.
Der Aufwand für Vorbereitung und Wartung der Technik sowie für Einweisungen und Anleitung ist nicht zu unterschätzen. Studierende aus nicht-technischen Fächern brauchen in der Übung eine konsequente Unterstützung im Umgang mit dem Sensorkit und bei der Bearbeitung der technischen Aufgaben.
Die Durchführung des Projektes bedurfte einer guten Struktur, Step-by-Step-Vorgehen mit dem Aufbau von Kompetenzen und Zwischenergebnisse von einer Einheit zur nächsten sowie kontinuierlichem individuellen Feedback an die Studierenden.
Wesentliches zur Lehrveranstaltung
Sonderübungsgruppe “Data-I” zum Modul Mensch-Computer Interaktion II, Sommersemester 2023, Dr.-Ing. Albrecht Kurze (Übung), Prof. Dr. Maximilian Eibl (Vorlesung), verortet an der Fakultät für Informatik, geöffnet für 29 Studiengänge, Zahl der teilnehmenden Studierenden: ca. 110 im gesamten Modul, 13 in der Sonderübungsgruppe Data-I.
Kontakt zu den Lehrenden finden Sie unter folgenden Links:
Förderlinie der Stiftung Innovation in der Hochschullehre
Projekt „Data-I“ war Teil der „Freiraum 2022“ Förderung durch die Stiftung Innovation in der Hochschullehre. (FKZ: FRFMM-211/2022)
Mehr Informationen zur Stiftung Innovation in der Hochschullehre können Sie hier finden.
Bildgenehmigung: Dr. Sven Lange und Dr. Stefan Schwanitz
Bilder: Karola Köpferl, Andy Börner
Verfasst von: Susann Akbulak-Vogel
Veröffentlicht durch: Greta Barthelmes, Studentische Hilfskraft an der Hochschuldidaktik der TU Chemnitz
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