Vasco Araújo (Coimbra, Portugal)

Portugal dos Pequenitos – Parque Temático

Autorschaft: Anna-Lena Stolpe und Yolanda Schlichter
Aktivistische Gruppe: Künstler Vasco Araújo
Statue / Monument: Portugal os Pequenitos
Ort (Stadt, Land): Coimbra, Portugal

Der Portugal dos Pequenitos in Coimbra wurde als Miniatur-/ Themenpark für Kinder von dem Politiker und Medizinprofessor Fernando Bissaia Barreto konzipiert und von dem Architekten Cassiano Viriato Branco errichtet. Eröffnet wurde der Park am 8. Juni 1940, also zu Zeiten der diktatorischen Herrschaft Salazars im Estado Novo in Portugal. Der Park soll einer pädagogischen Absicht folgen, Erwachsene und vor allem Kinder über die Architektur Portugals und seiner Kolonien bilden.
Thematisch lässt sich der Park in drei Zonen teilen: der vordere Teil, entstanden in den 50er Jahren und somit der jüngste Teil, ist den portugiesischen Kolonien gewidmet. In Pavillons werden dort Artefakte und ethnologische Exponate aus Kolonien in Afrika, Osttimor, Brasilien, Indien und Macau ausgestellt. Im mittleren Teil befinden sich ausgewählte Denkmäler und Gebäude aus Regionen wie zum Beispiel Douro, Minho und Algarve (unbekannt). Im hinteren Teil, welcher 1938-1940 errichtet wurde, lassen sich Nachbildungen typischer Häuser der verschiedenen Regionen Portugals finden. Überall im Miniaturpark stehen überdimensionale Statuen, welche den „schwarzen Mann“ idealisiert als Arbeitskraft und Adonis repräsentieren. Die Pavillons stellen Nachbildungen typischer Häuser der jeweiligen Kolonie dar und um sie herum befinden sich Totems, Statuen schwarzer Frauen und tropische Vegetation. In den Pavillons wird den Besucher*innen die Kolonie durch einen kurzen, in eine Steinplatte eingravierten Text vorgestellt. Diese Texte wurden nach dem Zerfall des Estado Novo nicht geändert oder kritisiert, sodass darauf weiterhin die portugiesischen Entdeckungen verherrlicht werden. Ein Beispiel dafür ist die Steintafel des indischen Pavillons:

„Die Entdeckung des Seewegs nach Indien, durch ’nie zuvor befahrene Meere‘, machte aus Manuel I. den Herrscher über die Handelsschifffahrt am Indischen Ozean. 1498 versuchte Vasco da Gama mit den indischen Völkern friedlich um die so geschätzten Spezereien zu handeln. Doch die Intrigen der maurischen Händler zwangen uns dazu, die Herrschaft über die Meere mit Gewalt zu erhalten. Die portugiesischen Schiffe besiegten die Türken, die Ägypter und die Inder, und unser Imperium in Indien festigte sich durch zahlreiche Festungen, die wir dort erbauten. Bis heute sind uns noch Goa, Damão und Diu erhalten geblieben.“

Der Text stammt aus den 50er Jahren, wurde seitdem nicht mehr verändert und stellt das portugiesische Monopol über den Gewürzhandel im indischen Ozean als vollkommen legitim dar. Dabei findet weder die Perspektive der fremden Völker Beachtung noch werden die kolonialen Unternehmungen in irgendeiner Weise infrage gestellt. Außerdem wird durch die Nutzung der Pronomen „wir“ und „uns“ eine Verbundenheit zwischen Autor und Lesendem hergestellt, was dazu führt, dass beim Lesenden Sympathie mit der vereinfachten Darstellung der Geschehnisse durch den Autor aufkommt (Pinheiro, Teresa; Jahr unbekannt).
Alles in allem ist der Park ein Erinnerungsort an das portugiesische Kolonialimperium aus dem Estado Novo, welcher Kinder mit veralteten Vorstellungen beeinflusst und die „Größe und Vielfalt“ des portugiesischen Reiches verherrlicht wird.
Dieser existierte lange kritiklos und unkommentiert weiter, bis ein portugiesischer Künstler sich der Aufgabe der Kritik annahm.

Vasco Araújo

Vasco Araújo ist ein in Lissabon geborener Künstler mit Abschlüssen in Kunstwissenschaften und bildender Kunst. Seit 2000 brachte er diverse Bücher und Publikationen raus und war der Hauptkünstler vieler Ausstellungen (Vasco Araújo, Website des Künstlers; Jahr unbekannt). Laut eigenen Aussagen beschäftigt sich Vasco Araújo in seiner Kunst häufig nicht nur mit dem Kolonialismus an sich, sondern ebenfalls mit der Reflexion der heutigen postkolonialen Gesellschaft, auf die er in seinen Werken das Hauptaugenmerk legt (Lusa, 24.02.2017, Website Publico).
Unter dem Titel „DEMASIADO POUCO, DEMASIADO TARDE“ veröffentlichte Araújo eine Reihe von Werken, die sich mit Fragen aus einem kritischen postkolonialen Kontext befassen. In den verschiedenen Räumen der Ausstellung im internationalen Kunstzentrum José de Guimarães in Guimarães geht es unter anderem um die westliche Geschichte und politische Position zur Kolonialzeit und Dekolonisierung. Man könne die Sklaverei als eine der frühsten Formen des Kapitalismus sehen, nämlich in Bezug auf Macht und Reichtum. Dies wird vor allem im ersten Teil der Ausstellung deutlich. Indem der Künstler sich selbst als schwarze Frau oder schwarzer Mann ausgibt und sich an einer Fotobox hängend fotografieren lässt, legitimiert er sein Werk und seine Position, indem er die Rolle institutioneller Mächte im Westen und deren Positionen in der Gegenwart hinterfragt. Araújo möchte nicht wie viele andere Museen von einem westlich-historischen Standpunkt ausgehen, sondern mit seiner zeitgenössischen Kunst diese Standpunkte erweitern, um damit mehrere Stimmen abzubilden. Diese Art von Arbeit intendiert nicht jedem zu gefallen, die Absicht liegt vielmehr darin, dass das „Wissen durch seine Unvollkommenheiten und Ungenauigkeiten zu einer Möglichkeit wird, Realitäten zu diskutieren und zu verhandeln, die oft zerstreut und widersprüchlich sind.“ (Hugo Dinis, 05.07.2015, Website Arte)
Im letzten Raum der Ausstellung findet man das Video „Retrato“ (dt. Portrait). Die Protagonisten des Videos führen Dialoge in denen die Hassliebe an eine nostalgische und verabscheuungswürdige Vergangenheit verdeutlicht wird. In diesen gegensätzlichen Gefühlen offenbart sich eine Vervielfachung emotionaler Zustände, welche sehr typisch ist für eine jüngere Geschichte und die die Reaktionen ihrer Protagonisten noch immer auf der Strecke hält. Vasco Araújo selbst empfindet die Diskussionen über seine Werke als sehr wichtig. Der Autor Hugo Dinis schrieb in seinem Bericht über die Ausstellung im portugiesischen Kunstmagazin „Capital“ davon, dass es Araújo genau um den Konflikt ginge, er sei vor allem daran interessiert durch Missverständnisse die Kommunikation und Diskussion zu fördern (Hugo Dinis, 05.07.2015, Website Arte).

Parque Temático

Den Bogen zurück zum Portugal dos Pequenitos in Coimbra zu spannen ist nicht schwierig, denn Araújos Werk mit der wohl größten Aufmerksamkeit ist eine Videoinstallation mit Aufnahmen aus genau diesem Miniaturpark. Das Videoprojekt mit dem Namen „Parque Temático“, welches seit März 2017 ausgestellt wird, ist ein achtminütiges Video, das zu Beginn kurze Textpassagen einblendet, in denen die Geschichte und Fakten des Parks genannt werden. Danach gibt es eine etwa zweiminütige Diashow, die Fotos der Gebäude und Statuen des Parks zeigen, um dem Zuschauenden einen Überblick zum Aufbau des Parks zu geben. Die Hintergrundgeräusche sind mit Vögelgezwitscher sehr natürlich gehalten, sodass beim Sehen der Bilder ein Gefühl erweckt wird, als stehe man im Park. Am Ende der Diashow wird eine bedrohlichere, lautere Musik eingespielt, die mit Aufnahmen der Statuen am Eingang des Parks enden. Die Statuen standen einst für die verschiedenen Kolonien und damit heute für die verschiedenen portugiesisch sprachigen Länder der Welt. Sie stellen stereotypische Abbildungen von Schwarzen Menschen mit prallen roten Lippen dar. Diese wurden so synchronisiert, dass in der Videoinstallation ein Gespräch zwischen ihnen stattfindet.
In diesem Gespräch drücken die Statuen ihre Perplexität darüber aus, was sie an diesem Ort und in diesem Land mit einer fremden Kultur und Religion machen. Im Laufe des Gesprächs kommt immer wieder die Frage auf, wo sie sind, warum sie hier sind und vor allem wen sie hier an diesem Ort vertreten. Denn sie repräsentieren ein Volk ohne Namen, Identität, Religion oder Kultur: „My race: the fallen race. My religion: … I can’t remember.“ (Vasco Araujo, 2016, Dialog „A“, Website des Künstlers) Sie vertreten also eher das Stereotyp eines Volkes, unter Ausschluss der kulturellen und identitätsgebenden Aspekte. Stuart Hall bezeichnet dies als Ausschließungspraxis, indem er schreibt: „Rassistische Ideologien entstehen also immer dann, wenn die Produktion von Bedeutungen mit Machtstrategien verknüpft sind und diese dazu dienen, bestimmte Gruppen vom Zugang zu kulturellen und symbolischen Ressourcen auszuschließen.“ (Hall, Stuart, 1989) Die Statuen im Film wissen nicht mehr ihren Namen und haben ihre Sprache und ihre Kultur verloren. Sie sagen, um wenigstens ein bisschen Respekt zu erhalten, müssen sie die Religion, Sprache, Kultur und Gebräuche, also praktisch die Gesamtheit aller Lebensbereiche, der anderen annehmen. Damit werden sie von ihren kulturellen Ressourcen ausgeschlossen, da diese weniger bedeutend sind. Rassismus bezeichnet also eine Machtstruktur, welche in diesem Fall auf der Ebene der Bedeutungsproduktion ausgeübt wird.
Das Werk „Parque Tematico“ verdeutlicht den rassistischen Umgang mit der kolonialen Vergangenheit Portugals. Die Statuen stellen die unterdrückten Völker dar, welche allerdings bis heute keinerlei Beachtung finden und sozusagen als Inventar der Pavillons der Kolonien einfach da sind. Der Park erzählt die Geschichte der Sieger, der Portugiesen, und lässt dabei die andere Seite, die Perspektive der fremden Völker, vollständig außen vor, da diese für sie nicht von Bedeutung ist. Dies wird im Gespräch der Statuen deutlich: „ […] they settled and naturalized themselves as the universal an unique concept to be respected…“.(Vasco Araujo, 2016, Website des Künstlers) Die Portugiesen, und damit ihre Kultur und Lebensweise, werden als die Einzigen so dargestellt, als seien sie von großer Wichtigkeit. Gleichzeitig scheint dieser Zustand nicht veränderbar, der Rassismus geht mit einer Art Naturalisierung einher. Denn auch wenn die Statuen immer wieder aufzeigen, dass sie als eigene Menschen und Individuen wahrgenommen werden wollen, ist dieses Verhältnis naturgegeben und besteht so immer weiter. Dadurch, dass die schwarzen Statuen ein Teil des Parks und der Kolonien sind, werden sie gewissermaßen auch als Teil Portugals akzeptiert, jedoch als binärer Gegensatz. Das heißt sie dienen der Identifikation der Portugiesen, indem sie zur Abgrenzung genutzt werden. Durch die Unterscheidung von den anderen sind die Portugiesen also das, was die anderen nicht sind.
Da der Park das Ziel verfolgt, Kindern Portugal und die ehemaligen Kolonien in einem lockeren Umfeld eines Freizeitparkes näherzubringen, wird der darin stattfindende Rassismus zusätzlich auf eine alltägliche Ebene gehoben.
Die Entstehung dieser kritischen künstlerischen Arbeit war jedoch weitaus schwieriger als das Video zu glauben vermag. Vasco Araújo beantragte schon im Januar 2016 eine Genehmigung zum Filmen im Portugal dos Pequenitos, welche aber schnell abgelehnt wurde. Selbst eine Intervention der Universität Coimbra verhalf nicht zum Erfolg. Der Künstler machte zunächst Aufnahmen als Besucher und benutzte diese für seine Videoinstallation. Er zensierte die Bilder jedoch bei Veröffentlichung, sodass nur noch ein schwarzer Bildschirm mit einem roten Streifen zu sehen war. Diese Art von Video bekam große Aufmerksamkeit und die Öffentlichkeit sprach von Zensur. Trotz des Aufschreis bekam der Künstler keine offizielle Filmgenehmigung und ging deshalb zum portugiesischen Kultusministerium. Er sprach dort vor, ließ sich anhören und die daraus entstandene Intervention des Ministeriums führte schlussendlich zum Erfolg, sodass er Bild- und Videomaterial des Miniaturparks verwenden durfte. Seit dem 4. März 2017 wird sein Video im Cão Solteiros in Lissabon ausgestellt. Vasco Araújo selber sah den Kampf für die Veröffentlichung der Bilder jedoch nicht als das eigentliche Problem an: „An einem bestimmten Punkt wurde mir klar, dass dieser Prozess das Stück selbst ist. Das ist das Problem. Es ist die Unfähigkeit mit diesen Darstellungen umzugehen.“ Der Künstler selbst sieht also die Diskussion, welche durch das Filmverbot ausgelöst wurde, eher als Gewinn für das Kunstwerk. Zum einen erhielt das Kunstwerk deutlich mehr Aufmerksamkeit und zum anderen setzte sich die Öffentlichkeit mit diesem problematisierten Thema mehr auseinander.

Bewertungen von Besucher*innen

Doch wie bewusst ist den Besucher*innen das Problem des Parks? Und inwiefern ist es Thema im täglichen Geschäft des Tourismus? In vielen Suchmaschinen findet man, abgesehen von Berichten zur kritischen Videoinstallation und Grundinformationen zum Park, nicht besonders viel. Die einzigen Stimmen und Kommentare von Besucher*innen des Parks findet man auf diversen Bewertungsplattformen (Google Maps, Tripadvisor etc.). Im Schnitt wird der Park auf diesen Portalen mit vier von fünf Sternen bewertet, beim Lesen findet man zwischen einfachen Kommentaren, wie „Interessanter Ort… man kann die ganze Geschichte des Portugiesen erkunden und einen schönen Tag mit Familie verbringen!“ oder „ein großer Spaß für die Kinder“, auch einige kritische Stimmen. Der TripAdvisor-Nutzer Monsieur Boulanger schrieb: „Das faschistische Disneyland? Dieser Ort ist absolut urkomisch, er wurde während des faschistischen Regimes erbaut und man kann klar erkennen, dass er extrem vernachlässigt wird, dass die Instandhaltung eine absolute Schande ist, sie haben wahrscheinlich seit dem faschistischen Regime keine mehr getan?“ Eine andere Nutzerin war derselben Meinung und äußerte sich wie folgt: „Absolut keine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Kolonisation Afrikas und Südamerika. Nach wie vor wird dies in der Ausstellung als wohltat Portugals dargestellt. Schlimm!“ Beide Kommentare vermitteln ebenfalls die Kritik, die Vasco Araújo mit seinem Video aufzeigen wollte. Diese beiden Kommentare sind eine Abbildung für einige Stimmen der Besucher*innen, die man zwischen den Bewertungen finden kann. Jedoch gilt dieses kritische Hinterfragen der im Park ausgestellten Statuen, stehenden Häusern oder hängenden Tafeln nicht als die Norm. Beim Querlesen der TripAdvisor-Seite des Portugal dos Pequenitos sind die meisten der Besucher*innen rundum zufrieden. „In Portugal dos Puequenitos sieht man nicht nur Portugal in kleinem Format, aber man sieht auch sehr viel über die Geschichte Portugals. Die Häuser sind recht gross, man kann teilweise auch hineingehen. Super schön, man kann sehr lange dort verweilen.“, schrieb sweety_67_10 im September 2015 oder Tomislav A, der im November 2016 diese Rezension verfasste: „Interessanter Ort…man kann die ganze Geschichte des Portugiesen erkunden…und einen schönen tag mit der Familie verbringen!“ Beide Nutzer*innen, die den Miniaturpark vermutlich besucht haben, fanden den Aufenthalt lehrreich und spaßig, ohne zu hinterfragen, ob die Darstellung der Kolonialzeit auf diese Weise noch zeitgemäß ist oder damit die richtigen Werte vermittelt werden. Vermutlich war ein anderer historischer Standpunkt als der westliche für diese Besucher*innen nie ein Thema. Natürlich finden sich auch weitere negative Kommentare, die jedoch nichts mit der kritischen Auseinandersetzung der Kolonialzeit zu tun haben. So kritisiert Nutzer*in planetvirtual die Preise im August 2020: „Sehr teure Tickets, 16 €. 00 pro Person.“ Julia de Almeid störte die fehlende englische Beschriftung, in ihrer Bewertung schrieb sie: „Beschreibungen meist nur auf Portugiesisch, kein Material auf Englisch erhältlich.“ Dieser Kommentar scheint zunächst einmal plausibel und nicht besonders spannend. Bedenkt man jedoch die Tafel, die im ersten Teil dieses Eintrages bereits erwähnt wurde, scheint es doch bedeutsamer. Die Informationstafeln im Park sind ganz bewusst nur auf portugiesisch, da der Park die Größe und Vielfalt des portugiesischen Reiches verherrlicht und ohne Beachtung der fremden Völker die Kolonialisierung als völlig legitim darstellt. Die Informationen über die Kolonien und die Kolonialzeit sprechen ganz direkt das portugiesische Volk an, dementsprechend gibt es keinen Grund diese auch auf englischer Sprache zur Verfügung zu stellen.
Der Fakt, dass dieser Park seit 1940 unverändert in Coimbra erhalten geblieben ist, ist nicht nur aufgrund der Baufälligkeit problematisch, sondern auch in Bezug auf die Vergangenheit Portugals. Der Park wurde zu Zeiten einer Diktatur errichtet, welche seit der Nelkenrevolution 1974 nicht mehr besteht. Seitdem hätte eine breite Auseinandersetzung darüber stattfinden müssen, welches veraltete Bild dieser Park Kindern als auch Erwachsenen vermittelt. Durch Kunstwerke wie „Parque Temático“ von Vasco Araújo bekommt die kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema endlich mehr Aufmerksamkeit.

Literaturverzeichnis

Buch

Hall, Stuart, 1989, Rassismus als ideologischer Diskurs in:
Räthzel, Nora (Hrsg.), 1. Auflage 2000. Theorien über Rassismus, Argument Verlag.

Webseiten

Pinheiro,Teresa.PortugiesischeErinnerungskulturen.PortugaldosPequenitos (Coimbra). https://www.tu-chem-nitz.de/phil/iesg/professuren/swandel/projekte/erinnerung/portugaldospequenitos.htm Letzter Zugriff am 05.07.2021

unbekannt. Sehenswürdigkeiten in Portugal. Miniaturenpark Portugal dos Pequenitos in Coimbra. https://www.portugal360.de/urlaub-reisen/sehenswuerdigkeiten/miniaturenpark-portugal-dos-pequenitos- coimbra Letzter Zugriff am 05.07.2021

Lusa, 24.02.2017, Vasco Araújo conseguiu: vamos ver o vídeo “não censurado” sobre o Portugal dos Pequenitos, https://www.publico.pt/2017/02/24/p3/noticia/vasco-araujo-conseguiu-vamos-ver-o-video-nao-censurado-sobre-o-portugal-dos-pequenitos-1827654 , Letzter Zugriff: 06.07.2021

Hugo Dinis, 05.07.2015, Vasco Araújo DEMASIADO POUCO, DEMASIADO TARDE, http://artecapital.net/exposicao-452-vasco-araujo-demasiado-pouco-demasiado-tarde Letzter Zugriff: 05.07.2021

Vasco Araújo, 2016, Parque Temático, http://vascoaraujo.org/ParqueTematico, Letzter Zugriff: 05.07.2021

Maria João Caetano, 04.03.2017, Bem-vindos ao Parque Temático de Vasco Araújo, agora sem censura, https://www.dn.pt/artes/bem-vindos-ao-parque-tematico-de-vasco-araujo-agora-sem-censura-5703285.html, Letzter Zugriff: 24.06.2021

Rezensionen Tripadvisor: https://www.tripadvisor.de/Attraction_Review-g189143-d456688-Reviews-Portugal_dos_Pequenitos-Coimbra_Coimbra_District_Central_Portugal.html , Letzter Zugriff: 04.07.2021

Terrorismo Teatral Migrante (Barcelona, Spanien) Neu

Antirassistische Bewegung anhand des Kolumbus-Denkmals in Barcelona

Autorschaft: Celine Brettschneider und Lan Vy Pham
Aktivistische Gruppe: Künstlerin Terrorismo Teatral Migrante
Statue / Monument: Kolumbus-Denkmal
Ort (Stadt, Land): Barcelona, Spanien

1. Einleitung

I. 25. Mai 2020: Tötung von George Floyd

Am 25. Mai 2020 wurde George Floyd, ein schwarzer US-Amerikaner aus Minneapolis, Minnesota, von Derek Chauvin, einem weißen Polizisten getötet. Mit einem Knie auf dem Nacken, verbrachte George Floyd 8 Minuten und 46 Sekunden mit dem Gesicht gedrückt auf dem harten Teerboden, flehend ihn doch bitte atmen zu lassen – „I can’t breath“ – bis er schlussendlich starb. Im Anbetracht dieses Ereignisses letzten Jahres, resultierend aus dem Tod des Minneapolisstämmigen George Floyd, wurde das Thema „Rassismus“ wieder verstärkter in den Medien und dem Alltag der Menschen aufgebracht und nochmal als Begriff erweitert. Menschen weltweit äußerten sich in Kondolation mit Hashtags wie #BlackLives-Matter und luden schwarze Bilder hoch. Dies war aber nicht die einzige Konsequenz aus diesem Vorfall. Massenproteste und Demonstrationen gingen durch alle Städte der USA, und erreichten schlussendlich ganze Teile der Welt. Während Rassismus als Gesellschaftskonstrukt hier thematisiert und bekämpft wird, gingen ebenfalls Menschen auf die Straßen, um Kolonialisierung und die Verherrlichung dieser Taten an den Pranger zu stellen. Denn immerhin spielt Kolonialismus einen großen Faktor im Rassismus, oder nicht?
Die Proteste hielten monatelang an und neben der „Lootings“ von Geschäften und Einzelhandel, machte ein bestimmter Akt große Schlagzeilen: der Sturz und das Vandalieren von Statuen von Kolonialisten, Sklavenhändlern und bekannten Rassisten. Dies ist der Ausgangspunkt dieses Blogartikels. Nach der Behandlung von einigen Punkten, die mit Rassismus eng verknüpft sind, und der Vorstellung der Aktivistin María Basura zusammen mit ihrem Aktivistenkollektiv Terrorismo Teatral Migrante, wird zum Schluss das Kolumbus-Denkmal in Barcelona veranschaulicht, und wie es, bereits vor der Black Lives Matter-Bewegung schon „vandaliert“ wurde.

II. Individueller Rassismus vs. Institutioneller Rassismus

Polizeigewalt wie diese waren und sind weiterhin keine Einzelfälle. Vor allem wird bei solchen polizeilichen Übergriffen Macht gegenüber sozial schwächeren Gruppen und Minderheiten ausgeübt. Mittlerweile betrachtet man den Ausdruck „Rassismus“ gar nicht mehr als Substanz der Individualität, ob ein Mensch selber rassistische Motive verfolgt oder nicht. Denn heutzutage geht man noch mehr in die Tiefe und schaut, wo die Wurzeln des Rassismus in unserem Alltag liegen. Unter dieser Betrachtungsweise des Rassismus erwähnten die Bürgerrechtsaktivisten Stokely Carmichael und Charles V. Hamilton in ihrem mitverfassten Buch „Black Power: The Politics of Liberation“ zum ersten Mal im Jahre 1967 den Begriff „Systemic Racism“ oder auch „Institutional Racism“ genannt. Dabei geht es um Gesetze und Regelungen, die vom jeweiligen Staat/Gesellschaftskonzept verabschiedet werden, um indirekt aber auch somit direkt soziale Problematiken für bestimmte Gruppen herbeizuführen, womit die Jeweiligen „legal“ diskriminiert werden können. Es sind hauptsächlich Angelegenheiten, wie höhere Kriminalitätsrate, Arbeitslosigkeit, unsichereres Wohnumfeld, mangelnde politische Macht, als auch Nachteile in Krankenversicherung wie Bildung, die unter dieser Gesellschaftsschicht häufiger zu sehen ist. Aus diesem Grund registrieren Menschen individuellen Rassismus schneller und einfacher, da bei dieser die Opposition offen kundgegeben wird, während institutionalisierter Rassismus sich hinter offiziellen gerechtfertigten Aussagen maskiert, und diese daher rein-rechtlich gesehen nicht als „rassistisch“ gelten. (wikipedia.com, „Institutional Racism“).

III. „Entdeckung Amerikas“ als Wegbereiter für den Rassismus

Durch die Suche nach den Wurzeln des Rassismus, wurden Unmengen von historisch übertragenen Büchern gewälzt, um sich den Beginn des Rassismus visuell auf einer Zeitachse vorstellen zu können. Jedoch ist klar, dass es kein bestimmtes Datum gibt, ab wann der Rassismus begonnen hat, eher war es ein rasanter Prozess, der einhergehend war mit der Kolonialisierung Amerikas durch die Europäer. Durch die „Entdeckung Amerikas“ bzw. der „Eroberung Amerikas“ unter Christopher Kolumbus war den reisenden Eroberern nach ihm sehr schnell bewusst, dass sie als die „weißen Götter“ gegenüber den Ureinwohnern ein gewisses Privileg genießen. Dieses dann zu nutzen und auszuüben legte daraufhin einen Grundstein für weitere Zivilisationsverbrechen im Laufe der Geschichte. Denn daraus resultierte der transatlantische Sklavenhandel, Kolonialismus, Rassismus und später im 20. Jhd. auch der Genozid an Millionen von europäischen Juden, laut Romain Banikina Zeba, wie sie in ihrer Arbeit „Das Erbe transatlantischer Sklaverei“ berichtet. (Zeba, 2012, 26)
Mit der „Entdeckung Amerikas“ brachten die Europäer den Ureinwohnern nicht nur „zivilisierte Werte“, technischen Fortschritt und das Christentum mit, sondern auch insbesondere Leid, Schmerz und Krankheiten, gegen welche die Ureinwohner keinerlei Abwehrkräfte besaßen. Die Anzahl der indigenen Völker verringerte sich drastisch dadurch. Im Jahre 1492 lebten noch etwa 1 Millionen Indigene auf der Karibikinsel Haiti, in nur weniger als 30 Jahren, im Jahre 1520, waren nur noch etwa 16 000 übrig. Aber dieser Rückgang der Zahlen ist nicht nur den aus Europa gebrachten Bakterien und Viren verschuldet, sondern vor allem auf die grausamen Misshandlungen, die die Ureinwohner unter der Kolonialisierung widerfahren mussten. Ganze Stämme wurden ausgerottet durch Hungersnöte, andere fanden ihren Tod durch die harten Arbeitsbedingungen, zum Teil durch Zwangsarbeiten im Bergwerk. („Information zur politischen Bildung“ Nr.226/227, 9)
Wegen der hierarchischen Überlegenheit und dem enormen Einfluss der Kolonial-Europäer gegenüber den Indigenen, stieg die Arroganz des „weißen Mannes“ im Plenum. Dieser nahm was er wollte und bestimmte Dinge, wie er sie wollte, nach seinem eigenen Augenmaß, denn wer möchte dem großen weißen Mann etwas verweigern. Alles was nicht weiß war (oder ist) wurde als „weniger“ angesehen, „weniger“ intelligent, „weniger“ stark, „weniger“ wert, etc. Diese Ansichten festigen sich über Jahrzehnte und -hunderte und sind bis zum heutigen Tage noch allgegenwärtig präsent, da daher die weiße heteronormative Gesellschaft ihren Ursprung hat.
Dieser Akt der Überheblichkeit wird nochmal gut zur Schau gestellt durch die Tötung George Floyds.

IV. Die Rolle von Sexismus in Bezug auf Rassismus

Durch den Beginn des Internetzeitalters und die große Präsenz von Social Media wie Twitter und Instagram, die die Meinung der Öffentlichkeit rasant verbreiten, war und ist auch immer noch eine große Aufruhr um das Thema Rassismus als umfassendes Stichwort, welches auch eng verwoben ist mit den Diskussionen über Sexismus. Diese beiden Phänomene, obgleich sie peripher grundsätzlich verschiedene Ansätze verfolgen, sind sie an bestimmten Schnittstellen kongruent, wie, dass beide die soziale Ungerechtigkeit gegenüber gewissen Gesellschaftsgruppen ansprechen.
Ina Kerner analysiert in „Alles intersektional? Zum Verhältnis von Rassismus und Sexismus“, Rassismus – „Rasse“ – „aus einer naturalisierungskritischen Haltung, nicht die Existenz menschlicher „Rassen“ als biologisches Faktum (…), sondern Prozesse der Konstruktion menschlicher „Rassen“ als epistemische Komponente des Rassismus.“ (Kerner, 2009, 37).
Eine Gemeinsamkeit zwischen Rassismen und Sexismus erkennt man bereits anhand der großen gesellschaftspolitischen Thematik, die beide behandeln. Es stellt ein Machtverhältnis bzw. soziale Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft dar. Da diese Weltanschauungen auf Glaubens- und Wissenslogik beruht, eben die epistemische Komponente, wie vorher erwähnt, kann Rassismus nicht durch wissenschaftlich gestützte Fakten, die einen Grund für die Degradierung von BiPoCs und nicht CisHet identifizierte Männer geben, begründet werden.
Der Ansatz, Rassismus und Sexismus auf derselben Dimension wie anderweitige politisch-ökonomische und kulturell-evaluative gesellschaftliche Probleme zu lösen, ist von vornherein schier unmöglich, da die Begründung für solche rassistische und sexistische Handlungen, aufgrund von fehlenden logischen Argumenten, nicht antastbar ist. Es basiert allein auf der Differenzzuschreibung, genauer gesagt die naturalisierte, sprich etwas von der Natur gegebene Differenzzuschreibung, die die Menschen in ihren menschenfeindlichen Auffassungen bestärken. (Kerner, 2009, 37)
In den beiden Fällen, Rassismus und Sexismus, werden Menschen kategorisiert: in Männer und Frauen, in Hetero- oder Queer, in Schwarze, Weiße oder Asiaten, in Deutsch oder in Türkisch, in Christen oder Jude oder Moslem. Sie werden in Schubladen gesteckt und im Falle der gesellschaftlich minorisierten Gruppen, werden die Vorurteile und Stereotypen mit rein verpackt. (Kerner, 2009, 39f.)
María Lugones, eine gebürtige Argentinierin und in den USA-lebende Philosophin, machte sich Gedanken darüber, ob man bei einer dekolonialen Ansicht, ebenfalls feministische Perspektiven miteinbeziehen kann. Sie ist der Meinung, dass die Klassifizierung von Macht in Verbindung mit Geschlechtern zu der aktiven Denunzierung und Dehumanisierung von bestimmten Gruppen führt und, dass diese Unterscheidung zwischen Mann und Frau, als auch die Zugehörigkeit dieser beiden Geschlechter zueinander, zu einer heteronormativen Gesellschaft geführt hat, wo der heterosexuelle weiße Cis-Mann hierarchisch höhergestellt ist. (Graneß, Kopf, Kraus, „Feministische Theorie in Lateinamerika“, 227)

„Only the civilized are men and women. Indigenous people of the Americas and enslaved Africans were classified as not human.“ (Lugones,“Toward a Decolonial Feminism“, 743)

Die Eingliederung dieser heteronormativen Vorstellungen in das System ist eng verflochten mit der „Rassialisierung und Entmenschlichung der „Anderen““ (Graneß, Kopf, Kraus, „Feministische Theorie in Lateinamerika“, 227).
Nicht allein María Lugones kritisiert die heteronormative Gesellschaft als Sündenbock für den alltäglichen Rassismus und Sexismus, der immer noch weit verbreitet ist, auch María Basura, eine chilenische Aktivistin in Barcelona hat ihre eigene Meinung und Umsetzungsart um dieses System anzugreifen, worauf wir später noch zu sprechen kommen.

V. Dekoloniales/Postkoloniales und antirassistisches Handeln

Mit der „Black Lives Matter“ Bewegung wurden die toleranten und weltoffenen Personen dazu belehrt, dass nur „nicht rassistisch“ zu sein nicht reicht, man muss direkt antirassistisch handeln. Das bedeutet Aussagen wie, „Ich bin nicht rassistisch. Ich habe einen schwarzen Freund.“ tragen nicht dazu bei, dass man kein Rassist ist. Kendi erwähnt in seinem Buch „How To Be An Antiracist“, dass die Aussage „Ich bin kein Rassist“ egoistischer Natur ist. Denn die Definition Rassist zu sein ändert sich stetig, er nahm hierbei als Beispiel: „If you’re a white nationalist who’s not violent, (…), then you might see the Ku-Klux-Klan as racist. If you’re a Democrat who thinks there’s something culturally wrong with black people, then racists to you might be people who are Republicans.“. Vor allem geht es bei dem antirassistischen Handeln darum, aktiv und direkt rassistische Konstrukte innerhalb seiner eigenen Gedanken und seines Umfelds wiederzuerkennen und gegen diese vorgehen. (www.mashable.com, „6 ways to be antiracist, because being „not racist“ isn’t enough“, 2. Juni 2020)
Nicht anders ist es beim dekolonialen (auch postkolonial genanntes) Handeln. Es sind „politische, kulturelle, aber auch intellektuelle (nicht nur akademische) Perspektiven und Bewegungen, welche das Fortbestehen dieser kolonialen Verhältnisse kritisch in den Blick nehmen und ihre Überwindung anstreben.“ (Garbe, 2020, 151). Es geht also, wie bei dem antirassistischen Grundgedanken mit dem Rassismus darum, die Kolonialisierung kritisch zu hinterfragen und ihre Schattenseiten aufzudecken. Weiterhin arbeitet man aktiv daran eine Lösung zu finden, um dieses traumatische Erbe weiterer Generationen zu mildern.
Manche Aktivist:innen gehen diese Sache meist mit Behutsamkeit an und versuchen friedlich dekolonial vorzugehen. Andere, die eher zur radikalen Form des Aktivismus greifen sind bestärkt darin sich an dem Kolonialsystem als auch an der heteronormativen Gesellschaft, die daraus resultierte, zu rächen für die Indigenen, die damals unter dieser Autorität leiden mussten. Ein Beispiel einer dekolonialen und antirassistischen Aktion wird im Laufe dieses Blogartikels nochmal genauer erläutert.

2. Kolumbus-Denkmal: Allgemeine Fakten

Zu Ehren des „Entdecker“ Amerikas und des „heldenhaften“ Seefahrers wurde 1888 anlässlich der Weltausstellung in Barcelona das Kolumbus-Denkmal errichtet und eingeweiht. Die Kolumbus-Statue, das Gesamtwerk auch Mirador de Colom genannt, steht in Barcelona auf dem Plaça del Portal de la Pau am südlichen Ende der Rambla, einer der zwei Hauptstraßen der Metropole, direkt gegenüber zum Hafen.
Das Werk selber besteht aus vier Komponenten: dem Sockel, der Säule, der Aussichtsplattform und der Statue.
Am achteckigen Sockel des Denkmals, welcher aus Stein gefertigt ist, befinden sich vier Figurengruppen, die katalanische Berühmtheiten nachempfunden sind, welche im Kontakt mit der Entdeckungsreise Kolumbus und der Eroberung Amerikas standen: Lluí de Santangel, Jaime Ferrer de Blanes, Kapitän Pere de Margarit und Pfarrer Bernat de Boïl. Neben den vier Figurengruppen stehen auf dem Sockel vier weitere Skulpturen die für eine Allegorie der Königreiche Katalonien, Aragon, Léon und Kastilien stehen. Weiterhin ist der untere Teil des Sockels geschmückt mit Reliefs, die Episoden aus Kolumbus Leben zeigen: Kolumbus, wie er dem Pfarrer Juan Pérez von seinem Vorhaben berichtet, dann ihn im Gericht der katholischen Monarchen in Córdoba, daraufhin die Könige, die Kolumbus ihre Zusage aussprechen, Kolumbus beim Aufbruch nach Indien, wie er am 12. Oktober 1492 auf der Insel Guanahani landet und schlussendlich Kolumbus, der vom spanischen König nach seiner ersten Reise empfangen wird.
Die korinthische Säule, die senkrecht an dem Sockel anknüpft und die Aussichtsplattform trägt, ist aus Eisen gegossen und in dieser befindet sich der Aufzug, der Besucher zur Aussichtsplattform hochführt. Ganz oben an der Säule stehen vier Bronzestatuen, die eine Anspielung auf die Kontinente Europa, Asien, Afrika und Amerika sind.
Die Aussichtsplattform liegt auf 60 Meter Höhe und ist direkt unterhalb der Kolumbus-Statue dem Monuments a Colom positioniert. Von oben hat man einen Überblick über viele Orte Barcelonas. Wenn man den Blick in den Norden richtet, erblickt man das Gotische Viertel mit seinen historischen Gebäuden, sowohl die Kathedrale als auch die Kirche Santa Maria del Mar, aber natürlich auch die Ramblas, an dessen Ende das Denkmal gelegen ist. Im Westen kann man in der Ferne hinter dem Modernisme-Stadtviertel Eixample und Grácia einen Blick auf die grüne Lunge der Stadt, den Montserolla-Masiv und den Tibidabo-Vergnügungspark bekommen. Nach Süden erblickt man die markanten Hügel, den Montjuïc mit dem Castell vor der Stadt. Der Blick nach Osten zeigt den alten Hafen, den „Port Vell“ und entlang der Küstenlinie entdeckt man die Strände von Barcelona. Von dieser Himmelsrichtung aus kann bis an die Stadtgrenze blicken, bis zur Fotovoltaik-Anlage.
Die eigentliche Hauptattraktion hier ist die Statue, die auf dem Gesamtwerk an der Spitze steht. Die Statue selber besteht aus Bronze und zeigt Christopher Kolumbus, in Richtung Mallorca zeigend, in welche er losgesegelt ist. Außerdem befindet sich in seiner linken Hand eine Karte, in der seine Reiseroute gekennzeichnet ist.
Noch anzumerken ist, dass sich unter dem Denkmal ein Weinkeller befindet, der Weine und Cavas zur Auswahl hat, die ausschließlich in der Weinregion D.O. Catalunya produziert wurden. (www.barcelona.de, „Kolumbus-Denkmal in Barcelona“)

3 Darstellung der Aktivist:innen

I. María Basura: Allgemeine Fakten

María Basura, mit bürgerlichen Namen Valentina Faria Panteón, geboren in Antofagasta Chile, ist neben Aktivistin auch professionelle Schauspielerin, Pole-Tänzerin, Anarchistin, Pornovandalistin, als auch Darstellerin und multidisziplinäre Performerin. Sie ist direkt an dem Projekt „Fuck the Facism“ des Kollektivs Terrorismo Teatral Migrante, bei dem sie die Leitung hat, beteiligt, als Regisseurin als auch als Recherchistin und Informationssammlerin. Sie hat einen Abschluss in Schauspiel durch ihr Theaterstudium in Chile und Argentinien absolviert. Während des Studiums fingen ihre aktivistischen Arbeiten an, indem sie an studentischen, queeren und feministischen Demonstrationen und Protestaktionen in Chile teilnahm, teilweise sogar mit provokanten Straßen-Aufführungen und Performances. Aufgrund eines Unfalls konnte sie sich für 2 Jahre nicht bewegen und verbrachte dadurch die meiste Zeit ihrer Tage mit Lesen. Dabei stieß sie auf das Buch „Zoologicos Humanos“, welches die Ereignisse und Bilder von Ureinwohnern des „Feuerlandes“ und „Mapuches“ zeigten, die im Colonial Exhibitions ausgestellt wurden. (www.filmfreway.com, „Fuck the Fascism Paris“)
Sie verbrachte zwei Jahre damit dieses Werk zu studieren, um es dann schlussendlich auf der großen Bühne zu präsentieren. Mittlerweile hat sie ihren Wohnsitz in Europa und pendelt zwischen Berlin und Barcelona.

II. Aktivismus Projekt: Fuck the Facism

María Basuras Aktivismus ist an vielen Aktionen festzumachen jedoch ihre bekannteste Arbeit und Vorführung ist und bleibt das Projekt „Fuck the Facism“ hinter welchem sie selbst als Regisseurin und Recherchesammlerin agiert. Offiziell steht das Projekt in Verbindung mit dem „contra-cultural“, also dem antikolonialistischen, antirassistischen und antifaschistischen, Kollektiv „Terrorismo Teatral Migrante“, welches von ihr und Jorge The Obscene (Jorge Benavides) geleitet wird. Außerdem ist sie das Herz und die Seele dieses Projektes, denn sie brachte jenes 2016 mit einem komplett selbst produzierten Kurzfilm zum Leben. Mittlerweile entstanden aus diesem ursprünglich einen Film ganze weitere Folgen, die ebenfalls unter dem Titel „Fuck the Facism“ publiziert wurden. Jede Episode wird in einer anderen Stadt und einem anderen Land gedreht. Schlussendlich entwickelte sich aus dem Eigenprojekt eine ganze Serie von der Porno-Doku. (www.filmfreeway.com, „Fuck the Facism: The crossroad of two worlds“).
Das Ziel dieses Filmprojektes ist die wirklichen Geschehnisse, die verschleiert hinter Statuen und Denkmälern stecken, zu demaskieren und den Blick der Öffentlichkeit auf die abgebildeten „Nationalhelden“ zu lenken. Vor allem wird die Aufmerksamkeit auf die Verherrlichung von Völkermord, Tyrannei und Sklaverei gerichtet.
Im Gegensatz zu anderen dekolonialen, antirassistischen und feministischen Aktivist:innen, zeigt María Basura ihren Aktivismus als pornographische Performance. In den Filmen sieht man wie sie, Jorge The Obscene und andere Teilnehmer, Denkmäler, Statuen als auch Gräber öffentlich anschmieren, an urinieren, missbrauchen und „vergewaltigen“.
Diese Darstellung der Obszönität sollte eine Analogie zur „non-consensual“ Sexualität darstellen. Es sollte darauf anspielen, dass Kolonialisierung zum Missbrauch, Misshandlung und menschenverachtende Behandlung der Indigenen geführt hat. Mit der öffentlichen Wiederschau einer Vergewaltigung wird gezeigt, was damals genau in dieser Grausamkeit passiert ist. Indigene wurden vergewaltigt. Das möchte María Basura nicht verstecken und offen mit Nacktheit darstellen. Denn sie ist der Auffassung, dass man der Öffentlichkeit die ungefilterte Wahrheit zeigen sollte. Nacktheit wird hier von ihr als Instrument angewandt, dass nicht nur die Kolonialisierung kritisiert, sondern auch den Sklavenhandel, der zu den Menschenzoos geführt hat, welche Menschen in der Öffentlichkeit nackt zur Schau stellten – ein Thema mit dem sie sich Jahre beschäftigte.

„Porno-Graphic because it is there, naked, exposed“ (www.thirst4revenge.noblogs.org, „Thirst for Revenge)

An Kritiker wendet sie ein, warum die Vergewaltigung an Steinen so sehr rausgestellt wird, während genau dies den lebenden Indigenen passiert ist. Die Gruppe möchte sich damit an dem Kolonialsystem rächen, indem sie die Statuen „gegen ihren Willen“ vergewaltigen.

III. „Dishonouring Statues“ – anhand des Kolumbus-Denkmals in Barcelona

Diese Aktion fand am 12. Oktober 2015 statt und Maria Basura wurde am selben Tag dafür verhaftet. Durch das Vergewaltigen der Kolumbus Statue in Barcelona möchte Maria Basura die Obszönität der Taten des Kolonialismus darstellen. In Barcelona stieg sie leicht bekleidet auf eine der Statuen des Sockels der Statue und vergewaltigte diese. In der Hand hielt sie eine bunte Flagge und auf ihrer Maske, welche aussieht wie das Symbolbild der Aktivistengruppe, ist die “Pride”-Flagge zu erkennen. Diese steht für die Hoffnung auf Akzeptanz in der LGBTQ+ Community. Hieran sieht man auch, dass sie sich für die Toleranz der nicht heterosexuellen Gemeinschaft einsetzt. Sie selbst möchte sich gegen die heteronormativen Geschlechterrollen aussprechen. Dies inszeniert sie beispielsweise durch das Umschnallen von Dildos. Sie trägt außerdem immer sehr enthüllende Kleidung und möchte somit das klassische altherkömmliche Frauenbild – die „Beauty Standards“ der Gesellschaft – brechen und von der Norm abweichende Körper durch sich selbst darstellen, da sie selbst nicht dem heutigen gesellschaftlich auferlegten Schönheitsideal entspricht. Verbunden mit der ihrem Einsatz für die Zerschlagung der heteronormativen Geschlechterrollen und für die LGBTQ+ Gemeinde, setzt sie sich bei ihren Projekten, in diesem Falle „Fuck the Facism“ auch für feministische Werte ein.
Durch die Vergewaltigung der Statuen bewirkt sie eine Entwürdigung und Sichtbarkeit der „Nationalhelden“ und bestärkt nochmal dadurch ihren dekolonialen Akt, indem sie diese Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit „dehumanisiert“ und „denunziert“, sowie sie damals bei den Ureinwohnern. Sie benutzt diese radikale Methode des Aktivismus, um Leute auf sich und die Verbrechen des Kolonialismus aufmerksam zu machen und zu ermutigen über diesen nachzudenken und sich auch aktiv dagegen einzusetzen.

4. Bibliographie

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Fuck the Fascism Paris. https://filmfreeway.com/FucktheFascismParis.
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Graneß, Anke, et al.. 2019. Feministische Theorie In Lateinamerika. facultas Verlag. 227

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Kerner, Ina. 2009. Alles intersektional? Zum Verhältnis von Rassismus und Sexismus. 37, 39-40.

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Zeba, Romain Banikina. 2012. Das Erbe transatlantischer Sklaverei. FU Berlin.

Red de Migración, Género y Desarrollo (Barcelona, Spanien) Neu

Dekoloniale Kämpfe in Barcelona: Red de Migración, Género y Desarrollo

Autorschaft: Lukas Manthey, Anna Hertzschuch, Monique Lippmann und Leoni Papritz
Aktivistische Gruppe: Red de Migración, Género y Desarrollo
Statue / Monument: Kolumbus-Denkmal
Ort (Stadt, Land): Barcelona, Spanien

Monumento a Colón

Das Monumento a Colón wurde 1888 in Barcelona errichtet und stellt den italienischen Seefahrer Christopher Kolumbus dar. Die Statue wurde anlässig der Weltausstellung in Barcelona erbaut und soll die erste Reise Kolumbus‘ nach Amerika ehren. Die 57 Meter hohe Säule ist in der heutigen Zeit starker Kritik ausgesetzt. Die linke Podemos-Partei und katalonische Separatisten setzen sich für die Entfernung dieser und anderer Statuen der spanischen Konquista ein, da die dargestellten Persönlichkeiten die Versklavung und Unterdrückung der Ureinwohner:innen Amerikas und den an ihnen begangenen Genozid förderten. Diese historischen Ereignisse dürften nicht geehrt werden. Bislang haben die politischen Bemühungen gegen diese Statuen in Spanien keine Erfolge verzeichnet. Die spanische Politikerin der Podemos-Partei, Jessica Albiach, unterstützte zuerst ebenfalls die Beseitigung des Monuments und konstatierte, dass Spanien genauso ein Rassismus Problem hätte wie die Vereinigten Staaten und dass das Einwanderungsgesetz den institutionellen Rassismus deutlich mache. Es hagelte Kritik. Sie revidierte daraufhin ihre Position und äußerte sich, man müsse die Statue behalten, aber kontextualisieren, ohne dies jedoch genauer auszuführen. Dies führte dazu, dass sich am 14. Juni 2020 250 Menschen unter anderem aus migrantischen und antirassistischen Gruppen in Barcelona zusammenfanden, um für die Beseitigung der Kolumbusstatue zu demonstrieren. Sie fügten dem Monument keinen Schaden zu, aber forderten die Auseinandersetzung Spaniens und Katalonies mit der kolonialen Vergangenheit und die Beschleunigung des Dekolonialisierungsprozess (El mundo, Podemos alienta ataques a la estatua de Colón en Barcelona, 15. Juni 2020). Am 22. Juni 2020 schrieben Unbekannte mit roter Farbe das Wort „Racista“ an die Kolumbusstatue im Hafen Barcelonas, um ihren Unmut über das Fortbestehen des Monuments auszudrücken und gegen Rassismus und Unterdrückung zu protestieren. Diese Aktionen von Demonstrant:innen gegen Monumente der spanischen Konquistadoren sind kein Einzelfall. Vor allem in den USA gab es viele Proteste, aber auch in Europa und anderen Teilen Spaniens, beispielsweise in Mallorca.
Diese Form der Kritik wird nicht von allen Seiten als unterstützenswert bewertet. Beispielsweise erklärt der Historiker Emilio Saenz Frances von der Pontificia Comillas Universität in Madrid es für unhaltbar, die Sklavenhändler des 19. Jahrhunderts mit den spanischen Konquistadoren aus dem 16. Jahrhundert gleichzusetzen, wenngleich auch die Eroberungen in Amerika mit Gewalt einhergingen. Weiterhin sagte er: „Natürlich war auch Spaniens Kolonialgeschichte von Licht und Schatten übersät. Man darf viele Dinge aber auch nicht aus dem historischen Kontext und mit der moralischen Brille von heute beurteilen.“ (OÖNachrichten. Anti-Rassismus: Übergriffe auf Kolumbus-Statuen in Spanien und USA. 25. Juni 2020. ) Rechtspopulistische Parteien versuchten, die Proteste als Vandalismus zu verunglimpfen und erklärten „die Geschichte verteidigen“ zu wollen (Crónica global, Vox y antifascistas, cara a cara en Colón, 23. Juni 2020).

Red de Migración, Género y Desarrollo

Migrantische und antirassistische Aktivist:innen und Kollektive sind die Hauptakteure in den Protestaktionen gegen koloniale Denkmäler und Rassismus. Eine aktive lokale Gruppe ist das Red de Migración, Género y Desarrollo, ein Netzwerk für Migration, Gender und Entwicklung. Es wurde im März 2011 in Barcelona gegründet und besteht aus unterschiedlichen FLINTA-Personen[1] und feministischen Organisationen, die weltweit beteiligt sind. Beispielsweise zählen zum Red MGD die ‚Vereinigung der Migrant:innen aus Subsahara-Afrika‘ (ADIS), die Vereinigung der Frauen E’Waiso Ipola‘ aus Äquatorialguinea sowie Vereinigungen aus Lateinamerika oder Pakistan. Somit stammen einige direkt aus Barcelona, andere wiederum aus anderen Ländern und Kontinenten der Welt. Alle diese unterschiedlichen Organisationen haben gemeinsam, dass sie sich für eine globale, feministische und dekoloniale Gemeinschaft einsetzen (Red de Migración, Género y Desarrollo, Historia).

Ziele und Ansichten

Was das bedeutet, welche Ziele sie anstreben und welche Ansichten sie vertreten, erläutert das Netzwerk auf ihrer Internetseite. Sie sind der Meinung, dass die Staatsbürgerschaft ein Teil des menschlichen Daseins ist und nicht von der Beschaffung von Papieren abhängig sein sollte. Außerdem sei die Mobilität der Menschen ein Ausdruck von Freiheit und Autonomie anstatt eines Verbrechens. Das Red MGD versucht außerdem, die Unterdrückungen von FLINTA-Personen auf vielen Ebenen anzuprangern, welche ihnen zum Beispiel durch Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus widerfahren. Weiterhin wollen sie die Mechanismen der Gewalt, der Unterwerfung sowie der Ungerechtigkeit gegenüber FLINTA-Personen aufzeigen, um dadurch Realitäten verändern und zu einer anderen möglichen Welt beizutragen. Ein weiteres Ziel ist es, die Präsenz von Migrant:innen in der Öffentlichkeit zu stärken und zudem grenzüberschreitende Verbindungen mit anderen Aktivist:innen und Feminist:innen in deren jeweiligen Herkunftsländern zu fördern. Ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit ist die Zusammenarbeit und der Dialog. Aus diesem Grund fördern sie sowohl digitale als auch persönliche Begegnungsräume, in denen Wissen geteilt, ungerechte und unterdrückende Mechanismen angeprangert sowie Widerstandsaktionen sichtbar gemacht werden können. Auf ihren sozialen Netzwerken, wie unter anderem YouTube und Instragram, veröffentlichen sie Teile ihrer Arbeit, um einen Einblick in ihr Wirken zu gewähren. Auf diesem Weg können sie eine hohe Reichweite generieren, ihre Veranstaltungen ankündigen und dafür werben (Red de Migración, Género y Desarrollo, Historia).
Das Netzwerk besteht, neben den vielen Organisationen, aus unterschiedlichen Mitgliedern, die eine unterstützende Position einnehmen und die Arbeit auf vielfältigen Weisen fördern. Zum einen zählt die ‚Revista Marea‘ dazu. Dies ist eine eigenständige digitale Plattform, die zur Verbreitung von Ideen, Analysen und Aktionen dient, um damit feministische und soziale Veränderungen anzutreiben. Beispielsweise veröffentlichte das Onlinemagazin Artikel über gesellschaftliche Missstände wie rassistische Vorkommnisse, erzwungene Sterilisation von Frauen in Peru oder sexualisierte Übergriffe auf junge Frauen in Kolumbien. Des Weiteren gibt es einen Treffpunkt in Barcelona, ‚Ca la Dona‘ genannt. Dort finden Begegnungen statt, damit Erfahrungen ausgetauscht werden, Aktionen und Reflexionen stattfinden können. Zu den diversen Angeboten zählt zum Beispiel ein Gemeinschaftsgarten auf dem Dach des Gebäudes. Dieser wurde geschaffen, um einen Raum als Alternative zum kapitalistischen Produktions- und Verbrauchssystems zu schaffen, an dem sich die Mitglieder einbringen können. Ein weiterer Stützpunkt ist die Gruppe InsurRECtas, die sich ebenfalls in Barcelona gegründet hat. Dies ist ein offenes Projekt mit dem Ziel, einen audiovisuellen Raum zu schaffen, in dem die Gegenwart unter feministischen und antikapitalistischen Gesichtspunkten beobachtet und kritisiert werden kann. Sie teilen ihre Ideen und Aktionen auf den sozialen Netzwerken, wie zum Beispiel Videos von Streiks oder den Debatten aus dem Ca la Dona. Ein anderes Standbein ist das ‚Instituto de Supporto al Movemiento Autónomo de Mujeres Campesinas‘ (IMAMAC). Dies ist eine Organisation in Peru, welche Frauen aus der Andenregion hilft, Ausgrenzung, Diskriminierung und andere Geschlechterungerechtigkeiten zu bekämpfen. Sie versuchen, zusätzlich zu der konkreten Arbeit vor Ort, auf den sozialen Netzwerken Wissen über die Umstände und Vorfälle zu verbreiten. (Red de Migración Género y Desarrollo, Aliadas).

Aktionen des Red de Migración, Género y Desarrollo

Das Red de Migración, Género y Desarrollo proklamiert für sich eine intersektionale und dekoloniale feministische Perspektive. Dabei geht es darum, die komplexen Lebenssituationen von Frauen in den Blick zu nehmen, die nicht nur als weiblich gelesene Personen Diskriminierung erfahren, sondern auch aufgrund von Rassifizierung, Klasse, sexueller Orientierung oder ihrer Körperlichkeit. In den heterogenen gesellschaftlichen Verhältnissen sind alle Unterdrückungsformen miteinander verknüpft und bilden die Grundlage für ein kapitalistisches und kolonialistisches System (Degele, 2018, 1-2). Nach dieser Ansicht und mit dem Ziel gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit anzukämpfen, arbeitet das Netzwerk und organisiert dementsprechende Aktionen und Veranstaltungen. Ein zentrales Anliegen feministischer Arbeit ist es, Frauen zu zeigen, dass ihren Erlebnissen Aufmerksamkeit zukommt, aktuelle Themen präsent werden und sie nicht alleine sind. Daher bietet das Ca la Dona Veranstaltungreihen an, um Diskussions- und Gesprächsrunden anzuregen, sich mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen und sie zu verarbeiten. Auf ihren sozialen Netzwerken lädt das Red de Migración, Género y Desarrollo zum offenen Dialog über verschiedene Themen ein, wie zum Beispiel über Frauen- und Menschenrechte in Peru oder Kämpfe und Widerstände afrikanischer Feminist:innen. Außerdem gibt es eine Veranstaltungsreihe namens ‚Diálogos periféricos‘, bei der es um die Kolonialgeschichte, widerständige Aktionen und Vorbilder sowie dekoloniale Feminismen geht. Die Aktionen werden von Gästen begleitet, die mit dem Thema vertraut sind (Red de Migración, Género y Desarrollo, Diálogos periféricos). Aufgrund der Einschränkungen in der Corona-Pandemie griff das Netzwerk auf digitale Formate zurück, um die Treffen abzuhalten.
Mit den Gesprächsveranstaltungen möchte das Red MGD Räume schaffen, in denen über Dekolonialismus und Feminismus gelernt, neue Perspektiven erarbeitet und über widerständige Praxen aufgeklärt wird. Es kann sich ausgetauscht und hinterfragt werden. Dabei ist das Ziel, mehr Sorgfalt und Bewusstsein für rassistische, koloniale Strukturen und deren Reproduktion im täglichen Leben zu schaffen. Das Red MGD macht deutlich, welcher Gewalt und Unterdrückung Menschen in Afrika, Lateinamerika und der Karibik durch die Kolonialherrschaft europäischer Nationen ausgesetzt waren und berichtet von Widerstandsbewegungen und kollektiven Kämpfen – Kämpfe, um die Emanzipation aus der kolonialen Unterdrückung und zur Verteidigung der Territorien Körper und Erde (Fil a l’agulla, Los saberes descoloniales, con la Red de Migración, Género y Desarrollo, 15. Juli 2019). Bis heute wirken die kolonialen Strukturen tief in die gesellschaftlichen Fugen. Dekoloniale Feminist:innen wie die Aktiven des Red MGD beschäftigen sich damit, wie eng Kolonialismus und Gender zusammenhängen, wie Rassismus und Eurozentrismus auch feministische und eigentlich emanzipatorische Räume durchdringen und wie das koloniale System, dass sich heute in das Gewand des neoliberalen Kapitalismus hüllt, transformiert werden kann (Fink/Leinius, 2014, 119). Essentiell ist die Verbindung verschiedener Kämpfe, die Einbeziehung von Wissensschatz, der nicht im europäischen Blick produziert wurde und vor allem die Anerkennung der eigenen Privilegien, um sie zur Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse zu nutzen (Graneß et.al, 2019, 236; Red de Migración, Género y Desarrollo, Somos Feministas Descoloniales).
Um die Aktionen und Standpunkte einzubetten, veröffentlichten unterschiedliche Autor:innen, die Mitglieder des Netzwerkes sind, Bücher zu kritischen gesellschaftlichen Themen. So wird Lektüre auf der Webseite bereitgestellt und Aufmerksamkeit generiert. Ein Beispiel dafür ist ‚Una apuesta local para el compromiso global’ von Sara Ramírez. Dies beinhaltet eine analytische Untersuchung, wie feministische Ansätze in der Bildung umgesetzt werden können und welche methodischen Verfahren es gibt, um eine kritische Gemeinschaft zu bilden. Zum anderen veröffentlichte das Red MGD ‚Guía sobre la trata de mujeres‘ von Helga Flamtermesky, in dem Frauen- bzw. Menschenhandel thematisiert und von Frauen berichtet wird, die diesem Handel entkommen konnten und nun versuchen, einen Wandel anzutreiben (Red de Migración, Género y Desarrollo, Publicaciones). Es ist ein wichtiger Bestandteil des Netzwerks, die internationale Arbeit zu fördern und Mitgliedsorganisationen vor Ort und in ihren Herkunftsländern zu unterstützen. Das geschieht nicht nur über Studien und Berichte, sondern auch indem das Red de Migración, Género y Desarrollo Initiativen unterstützt, die beispielsweise gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeiten vorgehen und Veränderungen bewirken wollen. Aktuelle Projekte, an denen das Netzwerk beteiligt ist, befinden sich in Senegal, wo gegen die Genitalverstümmelung an Frauen vorgegangen wird sowie die sexuelle Autonomie von Frauen und Mädchen gestärkt werden soll. Außerdem gibt es Projekte in Peru, um sich für die Gerechtigkeit von Frauen einzusetzen und Hilfen für Frauen anzubieten, die von der erzwungenen Sterilisation betroffen sind (Red de Migración, Género y Desarrollo, conexión internacional feminista). Die globale Perspektive wird dadurch erweitert, dass die Themen, Kämpfe und besonderen Situationen von Menschen einbezogen werden, die sich nicht nur in Barcelona aufhalten, sondern auf der ganzen Welt lokalen Widerstand gegen Gewalt und Diskriminierung leisten. Die Mechanismen der Unterdrückung finden sich weltweit wieder. Der Angriff auf die Integrität weiblich gelesener Körper, Verstümmelung, sexualisierte Gewalt, Entzug der Selbstbestimmungsrechte – das sind Praktiken, die den Körper als koloniales Gebiet erachten, das es zu erobern gilt. Sie sollen den Körper verstummen lassen, ihn in die häusliche Sphäre zurückdrängen. Dies sind keine Sexualstraftaten, es sind politische. Sie müssen als solche begriffen und behandelt werden, um das Ausmaß und die Wirkweise der Angriffe einordnen und bekämpfen zu können (Gago, 2018, 9). Es ist eine wichtige Arbeit, weltweit über sexualisierte Gewalt an FLINTA-Personen aufzuklären, Wissen zu teilen, das Patriarchat und den Kolonialismus als die Schuldigen zu erkennen.
Auch Streiks sind ein wichtiges Element aktivistischer Arbeit. Zum internationalen Frauentag am 8. März ruft beispielsweise das Mitglied InsurRECtas in Barcelona regelmäßig zu Demonstration auf und veröffentlicht anschließend Ausschnitte davon auf ihrem YouTube-Kanal. Ein anderes Mal war das Red MGD an einem Streik beteiligt, der sich dafür einsetzte, Schwangerschaftsabbrüche für Migrant:innen zu erleichtern. Personen ohne Krankenkarte müssen in Katalonien ihre Abtreibung selbst bezahlen, obwohl es für Schwangere mit Krankenkarte offiziell erlaubt und kostenlos ist. Die Ämter schicken sie von der einen zur anderen Einrichtung, bis das zeitliche Limit, in dem der Schwangerschaftsabbruch möglich ist, erreicht ist (El Periódico, Las inmigrantes sin tarjeta sanitaria no pueden abortar gratis en Catalunya, 12. Januar 2020). Migrantisierte Personen befinden sich in einer besonders prekären Situation. Auch diese Lage wurde durch Europa erschaffen, um sich selbst eine schützende Festung aufzubauen. Dabei gibt es eine klare Abgrenzung zwischen ‚innen‘ und ‚außen‘ – Diejenigen, die dazugehören und diejenigen, die die ‚Eindringlinge‘ sind. Auch hier greift die koloniale Logik. Es gibt die europäischen Bürger:innen als das Eine, das Wir, das Progressive und die „kolonialen Untertanen“ als das Andere, die vom Fortschritt ‚profitieren‘ wollen, die erst die Erlaubnis bekommen müssen, sich irgendwo aufzuhalten, die überwacht und ‚integriert‘ werden müssen (Mezzadra, 2015, 208-209). So geht die Differenzierung und Hierarchisierung voran, die die Gesellschaft in zwei Klassen einteilt. Vor allem FLINTA werden in diesem Vorgang nicht nur als rassifizierte und migrantisierte, sondern gleichzeitig als vergeschlechtlichte untergeordnete Andere von fundamentalen Rechten ausgeschlossen (Gutiérrez Rodríguez, 2011, 78). Dies betrifft nicht nur die politische Partizipation und den Zugang zu gesellschaftlichen Institutionen, sondern auch die Selbstbestimmungsrechte der Betroffenen. Die einfachsten, aber auch effektivsten Hürden, wie Sprachbarrieren oder finanzielle Aufwände werden erschaffen, um die Personen ausgeschlossen zu halten (El Periódico, Las inmigrantes sin tarjeta sanitaria no pueden abortar gratis en Catalunya, 12. Januar 2020). Aus dieser Notwendigkeit heraus kämpfen Migrant:innen gemeinsam mit dekolonialen Feminist:innen für ihre Rechte und ihre Würde.

Exkurs: Die Situation der Migrant:innen in Katalonien

In Katalonien ist die Anzahl der Migrant:innen, vor allem derer, die nur für einen Teil des Jahres zur Arbeit in die Region kommen, seit Jahrzehnten sehr hoch. Seit 2015 leben über eine halbe Million Muslim:innen in Katalonien. Dennoch wird der Bau großer Moscheen von der Regierung abgelehnt und Barcelona bleibt die einzige europäische Metropole, die über keine große Moschee verfügt.
Die Corona-Pandemie hat die Lage der Migrant:innen in Katalonien stark verschlechtert. Die beengten Wohnverhältnisse, in denen vor allem die zahlreichen Arbeitsmigrant:innen mit bis zu 50 Menschen in einem Schlafquartier wohnen, aber auch die großen Schlachtbetriebe trugen zur raschen Ausbreitung des Sars-CoV2-Virus bei. Auch auf den Obstplantagen, auf denen jede Saison seit rund 25 Jahren zahlreiche Tagelöhner aus afrikanischen Ländern arbeiten, breitete sich das Virus schnell aus und trug zur ohnehin schon prekären Situation der Arbeiter:innen bei (Barber Ferrán. Corona verstärkt Rassismus in Katalonien. 10.07.2020).
Im Juli 2020 beschloss der Regionalpräsident Kataloniens, dass insgesamt 39 Städte, die gleichnamige Hauptstadt der Provinz Lleida inbegriffen, im Landkreis Segriá, unweit von Barcelona abgeriegelt, werden müssen (Tagesschau, 04.07.2020). Diese Maßnahme sollte die Ausbreitung des Virus eindämmen und einen weiteren Anstieg der Fallzahlen verhindern (Die Zeit Online. 04.07.2020.). Dies beinhaltete, dass jede Person, die keinen festen Wohnsitz innerhalb der Region vorweisen konnte, die Stadt Lleida innerhalb von vier Stunden verlassen sollte. Nach Ablauf der Frist war es niemandem ohne gültige Arbeitspapiere, über die die meisten Migrant:innen Kataloniens nicht verfügen, erlaubt, die Stadt zu verlassen oder zu betreten. Dies führte dazu, dass viele Menschen, denen es nicht gelang, die Stadt innerhalb der vier Stunden zu verlassen, ohne festen Wohnsitz in der Region festsaßen. Die Behörden öffneten einige Hotels, um für die Unterbringung einiger Migrant:innen zu sorgen. Dennoch waren viele Tagelöhner und Arbeitsmigrant:innen dazu gezwungen, ohne Unterkunft auf der Straße oder in alten, unbenutzten Gebäuden auszuharren. Der Tagelöhner Muhammad Bennani aus Marokko beschreibt, er sei nach Lleida gereist, um dort Arbeit zu finden. Nach Verhängung des Lockdowns hätte er in der Stadt festgesessen und die Quarantänezeit auf der Straße verbringen müssen. Vor allem die hohe Zahl von Coronainfektionen bei den Migrant:innen trieb die Sorge der Einheimischen in die Höhe, die Krankheit könnte sich in der gesamten Gesellschaft verbreiten. Dies führte zu mehr Diskriminierung und verstärktem rassistischen Verhalten gegen die afrikanischen Tagelöhner in den Medien und der Öffentlichkeit. (Barber Ferrán. Corona verstärkt Rassismus in Katalonien. 10.07.2020)

Fazit

Die Tragweite historischer Geschehnisse und gesellschaftlicher Machtmechanismen bringt eine zunehmende kritische Bürger:innenschaft hervor, die gesellschaftliche Normen hinterfragt. Auf ganz unterschiedlichen Wegen teilen Menschen ihre Gedanken und Reflektionen zu verschiedenen Missständen, wodurch sich zahlreiche Gruppierungen und Organisationen herausbilden. Diese Entwicklung ist weltweit wahrnehmbar, vor allem über soziale Netzwerke und nimmt immer weiter an Bedeutung zu. Beständige Probleme wie Unterdrückungsverhältnisse und Ungerechtigkeiten sind nicht nur Überbleibsel aus der Vergangenheit, sondern werden durch die Globalisierung und die Heterogenisierung verstärkt und stellen die globale Gemeinschaft vor neue Herausforderungen.
Das Netzwerk Red MGD hat es sich auf der einen Seite zur Aufgabe gemacht, FLINTA-Personen weltweit dabei zu unterstützen, mit ihren vielfältigen Erfahrungen umzugehen. Auf der anderen Seite versuchen sie, mehr Menschen zum kritischen Denken anzuregen und sie zu mobilisieren. Durch solch ein Wirken kann die Welt auch für Minderheiten zukünftig ein gerechterer und siche-rer Ort werden.

[1]FLINTA = Frauen, Lesben, inter-, Non-Binäre, trans-, agender-Personen. Bei der Bezeichnung geht es darum, alle Menschen zu meinen, die sich nicht als cis männliche Personen identifizieren.

Bibiographie

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Cortina, Jordi. 12. Januar 2020. Las inmigrantes sin tarjeta sanitaria no pueden abortar gratis en Catalunya. https://www.elperiodico.com/es/sociedad/20200112/las-inmigrantes-sin-tarjeta-sanitaria-no-pueden-abortar-gratis-en-catalunya-7803924 Letzter Zugriff am 30.06.2021.

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Buchartikel

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Bücher

Graneß, Anke; Kopf, Martina; Kraus, Magdalena. 2019. Feministische Theorie aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Wien: Facultas.

Comunidad Negra y Afrodescendiente en España, (Palma de Mallorca, Spanien) Neu

Junípero Serra und das Vergehen an seinen Statuen – gerechtfertigt?

Autorschaft: Tom Schulze, Leon Scheunert und Julia Wendland
Aktivistische Gruppe: Comunidad Negra Africana y Afrodescendiente en España (CNAAE)
Statue / Monument: Junípero Serra
Ort (Stadt, Land): Palma de Mallorca, Spanien

„I have a dream that one day this nation will rise up and live out the true meaning of its creed: We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal“ (Martin Luther King, 1963, ‘I Have a Dream’ – Rede).

Martin Luther King Jr., einer der bekanntesten Bürgerrechtler der Welt, sprach diese Worte am 28. August 1963. Heute, fast 60 Jahre später, gibt es immer noch Menschen, die nicht verstehen, dass man andere nicht nach äußerlichen Merkmalen als irgendeine “Rasse” kategorisieren und beurteilen sollte. Leider gibt es zahlreiche Verbrechen, die aufgrund rassistischer Ideologie ausgeführt werden. Jemand, der unter anderem im Jahr 2020 als Teil der Black Lives Matter Bewegung Anfeindungen erfuhr und als Rassist beschimpft wurde, ist Junípero Serra.

Junípero Serra

Er war Priester und Missionar im 18. Jahrhundert. Statuen von ihm wurden von Aktivisten entwürdigt und uns stellt sich die Frage, ob diese Handlungen der Aktivisten gerechtfertigt sind. Doch zunächst zu seiner Person: Junípero Serra ist als Miquel Serra i Ferrer in Petra auf Mallorca am 24.11.1713 geboren. Er wurde in einem Franziskanerkloster im selbigen Ort unterrichtet und ist mit 16 Jahren dann auch dem Franziskanerkloster beigetreten, wobei er den Beinamen “Junípero” annahm. Er studierte in Palma und erwarb den Doktor der Theologie und war anschließend von 1744 bis 1749 Prediger sowie Dozent an der Uni in Palma. Er wurde nach seiner dortigen Zeit als Teil einer Missionierungs-Gruppe ins Vizekönigreich Neuspanien gesandt und lehrte dort circa 20 Jahre in Mexiko-Stadt und an Missionsstationen. Er wurde 1752 unter anderem zum Kommissar der Inquisition, wobei er Prozesse wegen Hexerei gegen indianische Mediziner führte. 1786 wurde er nach Niederkalifornien gesendet, um dort einige Missionsstationen anzuleiten, die zuvor von Jesuiten geleitet wurden. Dort gründete Junípero weiterhin 11 Missionsstationen – unter anderem die des heutigen San Diegos und San Franciscos, wobei er die Namen nach christlichen Heiligen wählte. Gestorben ist er dann schließlich in Carmel-by-the-Sea in Kalifornien am 28.08.1784 mit 70 Jahren (World Heritage Encyclopedia, 2021, Online im Internet).

Intervention an seiner Statue in Spanien

Einer der vielen Junípero Serra-Statuen steht in Mallorca. Genauer gesagt in Palma de Mallorca, der Hauptstadt, direkt vor der San Francisco-Kirche. Es handelt sich um eine Bronzestatue, welche von dem Künstler Horacio Eguia geschaffen wurde. Und es zeigt ihn mit einem Jungen indianischer Herkunft. Wie lange diese Statue auf dem Platz vor der Kirche schon steht, ist nicht genau bekannt.
Am Montag, dem 29. Juni im Jahr 2020 wurde ein Vergehen begangen, welches als Paradebeispiel für die Thematik dieses Artikels dient. Es ist bekannt, dass die Statue in den Morgenstunden mit “Racista” (dt.: Rassist) beschmiert wurde, doch offiziell haben sich keine Täter dazu bekannt. (o.V., 2020, Online im Internet) Aus diesem Grund arbeiten wir in unserem Artikel mit der Vermutung, dass es sich um Anhänger der Gruppe Comunidad Negra Africana y Afrodescendiente en España (abk. CNAAE) handelte, da der Täter und diese Vereinigung vieles gemeinsam haben könnten. Doch warum wir genau Anhänger dieser Gruppe vermuten und was deren Motive, Ziele und weitere mögliche Aktionen waren, die uns darauf schließen lassen, erläutern wir im Laufe des Artikels.
Das Vergehen an einer Statue von Junípero Serra war definitiv nicht das Erste, sodass wir eine interessante Zeitlinie verfolgen können. Einer der ersten Aufstände gegen Junípero Serra war im Jahr 2015, in dem er heiliggesprochen wurde. Drei Tage nach seiner Heiligsprechung im September, wurde sein Grab in Kalifornien geschändet und es wurden vermehrt Statuen von ihren Plätzen gerissen (o.V., 2015, Online im Internet). Zusätzlich hinterließen die unbekannten Täter auch Schmierereien. Doch es blieb nicht nur bei vereinzelten Aktionen. Schon 2018 entfernte die Stanford Universität, eine der angesehensten Universitäten in den gesamten vereinigten Staaten, Serras Namen von verschiedenen Gebäuden, um damit ein Zeichen zu setzen. Weiter betitelten sie ihr Vorhaben mit den Worten, einen angenehmeren Ort zu schaffen (Miranda, 2020, Online im Internet). Am 19. Juni 2020 wurde eines der übelsten Vergehen an einer Statue Serras begangen. An diesem Tag stürmten ungefähr 500 Demonstranten der Black Lives Matter Bewegung (abk: BLM) in den Golden State Park in San Francisco, zogen mehrere Statuen mit Hilfe von Seilen von ihren Plätzen und beschmierten diese daraufhin, unter anderem auch Junípero Serra. Die Black Lives Matter-Organisation existiert schon seit 2013. Das Ziel der Organisation ist es, gegen Rassismus und anti-schwarze Gewalt zu kämpfen, mit einem besonderen Augenmerk auf Polizeigewalt. Die Organisation fordert die Gleichstellung aller Menschen und das unabhängig von der Hautfarbe (Duignan, 2020, Online im Internet). Es gab vermehrt Proteste im Jahr 2020, da in diesem Jahr George Floyd, ein US Bürger mit dunkler Hautfarbe, durch ein klares Fehlverhalten eines hellhäutigen Polizisten gestorben ist. Dies entfachte mehrere Proteste rund um den Globus, so auch in Spanien. Einige Proteste wurden von der CNAAE organisiert, unter anderem auch in Palma de Mallorca (CNAAE, 2020, Online im Internet). Wir erinnern uns, dass das der Ort einer Statue von Junípero Serra war.
Am 20. Juni 2020 trafen sich 60 Aktivisten und Anhänger der Black Lives Matter-Organisation im Vater Serra Park, einem Park in Downtown Los Angeles, welcher nach Junípero Serra benannt wurde. Sie umschlangen seine Statue mit Seilen und riefen im Chor: “Take it down!” (Miranda, 2020, Online im Internet). Wir weisen auf diese ganzen Beispiele hin, weil wir zeigen wollen, dass es nicht nur ein lokales Problem betreffend Junipero Serra gibt, sondern dass dieses auch auf einer globalen Ebene existiert.

Comunidad Negra Africana y Afrodescendiente en España (CNAAE)

Um nun auf die bereits mehrfach hingewiesene Organisation Comunidad Negra Africana y Afrodescendiente en España (abk.: CNAAE) einzugehen, stellen wir diese Gruppierung vor. Die CNNAE ist eine Vereinigung, welche sich für Benachteiligte rassistischen Hintergrundes einsetzt. Sie wollen strukturellen Rassismus abbauen und dem Problem des alltäglichen Rassismus eine größere Bühne geben. Ziel ist es, den Afrikanern und afrikanisch-stämmigen Personen in Spanien zu helfen sowie allen weiteren aufgrund von Rassismus benachteiligten Personen. Diese sollen anerkannt werden, sich frei entwickeln sowie entfalten können und die Gerechtigkeit erfahren, die ihnen zum Teil noch nicht anerkannt wird, so wie es das Gesetz und ein gesunder Menschenverstand vorsieht. Diese Organisation leistet schon seit mehreren Jahren Aufklärungsarbeit und Proteste; unter anderem in den autonomen Gemeinschaften Katalonien, Madrid, den Kanaren, auf Mallorca sowie auf internationaler Ebene (CNAAE, 2020, Online im Internet).
Als ein Beispiel der Arbeit der Organisation lassen sich jüngste Proteste vom 25. Juni in Murcia (Spanien) und vom 27. Juni diesen Jahres in Cartagena (Kolumbien) einordnen. Grund für diese Proteste ist der Mord an Younes Bilal am 13. Juni 2021. Er war ein 37-jähriger marokkanischer Einwanderer, der durch den ehemaligen Militär-Offizier Carlos Patricio erschossen wurde. Patricio hatte am späten Sonntagabend Younes aus nächster Nähe erschossen, als er mit Freunden in einem Café in Mazarrón saß. „Ich will keine Moros hier“ (dt. Mauren), sagte er nach Augenzeugen in dem Café. So werden Nordafrikaner in Spanien oft abfällig genannt. Patricio verließ das Café nachdem Younes ihn gebeten hatte Respekt zu zeigen und die Kellnerin nicht so anzugehen. Patricio ging nach Hause, um sich seine Waffe zu holen und kehrte ins Café zurück. Dort schoss er einmal in die Luft und fragte Younes, ob dieser den Mut habe aufzustehen. Als Younes tatsächlich aufstand, bekam er 3 Schüsse in die Brust. Der Mord an Younes jedenfalls hat für mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Und die folgenden Proteste führten zu einer der aktuellsten Black Lives Matter-Bewegung, da die Protestanten “Wir sind alle Younes” skandierten. In den sozialen Medien wurde unter den Hashtags #TodosSomosYounes, #MoroccanLivesMatter und #JusticeForYounes diskutiert (Streck, 2021, Online im Internet). Die CNNAE organisierte weiterhin beispielsweise am 6. Juni eine Demonstration in Madrid gegen den institutionellen Rassismus. Es waren verschiedene Gruppierungen anzutreffen, die sich alle für Menschlichkeit einsetzten. Der 6. Juni war weiterhin der erste Jahrestag der Gründung der Comunidad Negra Africana y Afrodescendiente en España, was aufzeigt, wie jung diese Vereinigung noch ist und wie aktiv sie bereits arbeitet. Einer ihrer ersten Proteste war letztes Jahr 2020 in Barcelona am 7. Juni auf dem Sant Jaume Platz in Erinnerung an George Floyd, welcher am 25. Mai getötet wurde. Diese enge Verknüpfung mit den Black Lives Matter-Bewegungen führt zu einer besseren Mobilisierung der Menschen gegen den Rassismus. Das Thema wird viel aktiver diskutiert und man fordert bessere Verhältnisse der Betroffenen und klärt besser auf (t.i.c.t.a.c., 2020, Online im Internet).

Arbeit der Aktivist*innen

Die vorgestellte Aktivistengruppe arbeitet vor allem dekolonial und antirassistisch. Wie wir an ein paar Beispielen deutlich machen konnten, organisierten die Gruppe auch Demonstrationen bzw. Proteste im Namen der Black Lives Matter-Bewegung. Hierbei sprechen sie ganz klar die Klassifizierung durch körperliche Merkmale, in diesem Fall unterschiedliche Hautfarben, an und lehnen dieses Klassifikationssystem auch konsequent ab, denn auf ihrer Website schreiben sie auch, dass man sich versammeln soll, egal welche Hautfarbe man hat (ebd.). Der britische Soziologe Stuart Hall beschrieb in seinem Beitrag zu Theorien über Rassismus, dass Rassismus vor allem damit zu tun hat, dass bestimmte Gruppen, in dem Fall Menschen mit dunklerer bis hin zu dunkler Hautfarbe, von materiellen, sowie symbolischen Ressourcen ausgeschlossen werden, damit die Gruppe, die diesen Menschen gegenübersteht, einen sozialen, ökonomischen und politischen Vorteil hat (Hall, 2000, S.7). Das ist, wenn wir es aus einem historischen Blickwinkel betrachten, ganz simpel gesagt, Kolonialismus. Wie wir wissen, war Junípero Serra ein Missionar, welcher sich primär mit der Erkundung/Missionierung der Westküste beschäftigte. Er hat im Auftrag der Kirche gehandelt und wollte somit das Christentum unter den Ureinwohnern verbreiten. Man muss Junípero Serra anrechnen, dass er sich selbst gegen Versklavung eingesetzt hat und auch diese nicht selbst durchgeführt hat. Dennoch hat er eine Gruppe von Menschen mit dunkler Hautfarbe unterdrückt und Teile der vereinigten Staaten kolonialisiert, mit dem Ziel, ökonomisch und politisch das Beste für sein Land herauszubekommen und dabei seine religiöse Überzeugungen auf andere übertragen zu wollen. Er war ganz klar im Vorteil gegenüber der indigenen Bevölkerung, welche in der Unterzahl war und sich nicht wirklich wehren konnte. Die CNAAE weist das Ideologieproblem auf, welches sich über die Zeit mit solchen Taten verknüpft hatte, nämlich dass die Bedeutungsproduktion mit der Frage der Macht verknüpft ist. Um nochmal auf die Black Lives Matter Proteste im Allgemeinen zurückzukommen, sehen wir ein wirklich klares Bild davon. Ein Polizist, welcher an sich schon einen hohen Status in der Gesellschaft hat, nutzt seine Rolle im System aus und geht so weit, dass er einen dunkelhäutigen Menschen langsam und qualvoll tötet, indem der Polizist Derek Chauvin 9 Minuten und 29 Sekunden auf seinem Hals kniete (Tagesschau, 2021, Online im Internet). Dazu ist er nicht nur sinnbildlich (als Polizist) in einer Machtposition, sondern auch physisch, indem er auf der Kehle von George Floyd kniet. Und genau weil die Aktivisten von CNAAE auch Proteste im Gedenken an George Floyd oder auch Younes Bilal organisieren, können wir sagen, dass sie definitiv antirassistisch motiviert sind. Weiterhin können wir davon ausgehen, dass sie auch ein Ziel der Antikolonisation im Auge haben, weil sie, unserer Vermutung nach, die Statue von Junípero Serra in Palma de Mallorca beschmiert haben und sich somit gegen seine Taten und sein Vorgehen als Missionar aussprechen.

Reaktionen auf Proteste zu Junípero Serra

Auf die Vorfälle im Zusammenhang mit dem umstrittenen Junípero Serra und dessen Statuen reagierten Menschen aus den unterschiedlichsten Teilen der Gesellschaft. Während die Verteidigung des Heiligen durch die Angehörigen der Kirche generell verhalten ausfällt, findet Salvatore Cordileone jedoch deutliche Worte. Der Erzbischof von San Francisco meint, die “Bewegung der Versöhnung und gegen die Ungerechtigkeiten des Rassismus […] ist gekapert worden von einer Minderheit, die Gewalt, Plünderungen und Vandalismus begeht]” (Cordileone 2020). Er betont weiterhin das Engagement der durch Serra inspirierten Franziskanerorden, die den Armen und Unterdrückten dienen. Er habe tausende Ureinwohner zum Christentum bekehrt, und sie neue Technologien gelehrt, sei für sie gleichermaßen Anwalt und Verfechter der Menschenrechte gewesen. Dies werde vergessen, da Serra durch Kritiker oftmals als Symbol von europäischem Kolonialismus oder sogar selbst als Missbrauchstäter gebrandmarkt wird, so der Würdenträger. Jedoch sei der Heilige selbst mit schwerer Verletzung zum König gereist, um Befugnisse zu erhalten, das Militär, das die Indianer missbrauchte, zu disziplinieren. Cordileone schließt mit dem Eingeständnis historischen Unrechts, verweist auf eine ausreichende Erinnerungskultur, doch stellt ebenso klar, dass eine Neuschreibung der Geschichte nicht möglich ist (CNA Deutsch-Redaktion, 2020, Online im Internet).
Folgend auf die Stellungnahme des Erzbischofs meldete sich auch die Ureinwohnerin Molly McGettigan Arthur zu Wort. In einem Artikel des Marin Independent Journal übt sie schwere Kritik an demselben, wirft ihm unter anderem die selbe Sichtweise vor, die Serra und den Franziskanern in ihren Augen ihr Taten rechtfertigten. Sie stellt ein ums Andere mal klar, dass indigene Völker und ihre Spiritualität nicht dämonisch seien, und dass diese von der Kirche auch weder so benannt noch aufgefasst werden sollen. Sie fordert anschließend mehr Selbstreflektion der Kirche und die Bitte um Vergebung, allerdings nicht für sich selbst, sondern für die indigene Jugend. Arthur bekräftigt, man solle sie um Vergebung bitten und den Dialog suchen, anstatt sie zu kriminalisieren, zu bestrafen oder gar Rache zu suchen. Abschließend betont sie die Wichtigkeit der respektvollen und insbesondere wahrheitsgemäßen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, um angeschlagene Beziehungen wiederherzustellen (Arthur, 2021, Online im Internet).
Ronald Philipp Andrade (verst. 2016), ehem. Direktor der “Los Angeles City/County Native American Indian Commission” geht sogar noch weiter und sagt “Serra verdient es sogar mit Hitler verglichen zu werden, er ist verantwortlich für das Verschwinden von 90% der lokalen Bevölkerung” (Andrade 2016). Er kritisiert daraufhin auch seine Heiligsprechung, bezeichnet sie als absurd, ebenso wie die der spanischen Eroberer Hernán Cortés und Francisco Pizarro. Es wird fortwährend betont, dass die historische Debatte mit den politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart untrennbar verbunden ist (Hoyos, 2019, Online im Internet).
Doch wie schließt die historische Debatte nun in der Gegenwart an, und wie könnte in Zukunft mit dieser Thematik umgegangen werden?
Allgemein zeigt sich ein deutlicher Unterschied in Umgang zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien. Beispielsweise ist in Sacramento geplant, die gestürzte Serra-Statue im Capitol Park zu ersetzen mit einem Denkmal für die Würdigung regionaler Stämme, so der Abgeordnete des kalifornischen Unterhauses, James Ramos. Dieser sagt unter anderem, es gebe in den Schulen und in den Geschichtsbüchern nur eine unzureichende Thematisierung der Versklavung der Ureinwohner. Er fährt fort und stellt klar, “spanische Mönche und das Militär haben die Native Americans unterdrückt und versklavt” (Ramos 2021). Mit dieser Aussage setzt er ein Zeichen, das Eingeständnis und der Rückhalt auf politischer Ebene sind enorm wichtig für sämtliche Organisationen, die sich gegen Rassismus und gegen das Verschweigen einsetzen. Außerdem sichert die Politik in Kalifornien Spenden zu, beispielsweise für das California Indian Heritage Center in West Sacramento, für Projekte sowie für Parks zur Aufklärung (Bojórquez, 2021, Online im Internet).
In Spanien andererseits vertritt man eine andere Meinung, so sei es nach Emilio Sáenz-Francés, einem spanischen Historiker der Universität Madrid absurd, “amerikanische Sklavenhändler aus dem 19. Jahrhundert mit spanischen Eroberern aus dem 16. Jahrhundert in einen Sack zu packen” (Sáenz-Francés, 2020). Er besteht weiterhin darauf, dass Dinge nicht aus dem Kontext gerissen oder gar mit “der moralischen Brille von heute” (Sáenz-Francés 2020) beurteilt werden sollen. 2021 ist der 500. Jahrestag der Eroberung des Aztekenreichs, mit Blick auf diese Jährung forderte der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador von Spanien und dem Vatikan eine Entschuldigung für die Verbrechen der Eroberer. Diese Forderung jedoch wurde bereits von Pedro Sánchez abgelehnt (o.V., 2020, Online im Internet). Auch die spanische Königsfamilie besuchte noch das Geburtshaus Serras, jedoch wird dies von Organisationen und Opposition als subtile Geste der Wiedergutmachung verstanden. In Spanien setzen sich lediglich die linke Podemos, die katalonischen Separatisten sowie eine mallorquinische Lokalpartei für die Entfernung der Denkmäler ein, mit der Begründung, Genozid und Versklavung der amerikanischen Ureinwohner sei gefördert worden.

Fazit

Wir können nun auf die Frage eingehen, ob es gerechtfertigt ist, dass solche Taten an den Statuen von Junípero Serra vergangen werden und inwieweit (nach unserer persönlichen Meinung) wir mit der Organisation einhergehen können.
Zunächst ist es wichtig, die jeweiligen Gesellschaftsformationen und Verhaltensmuster aus deren zeitlichen Eigenperspektive zu betrachten, um rückschauende Anmaßung der später Lebenden zu vermeiden. Das soll heißen, dass wir heutzutage aufgeschlossener und fortgeschrittener sind, als die Menschen vor einigen Generationen. Beispielsweise wurde das Wort “Neger” im 17. Jahrhundert in den deutschen Sprachgebrauch aufgenommen und genutzt, um Schwarze zu beschreiben und bereits ab dem Ende des 18. Jahrhunderts wurde es als abwertender Begriff genutzt (Kilomba, 2009, Online im Internet). Heutzutage meidet man dieses Wort oder umschreibt es als das “N-Wort”, da vielen die rassistische Natur dieses Begriffes klar ist. Änderungen dauern manchmal an, und so braucht es auch Zeit, um zu erkennen, dass frühere Taten eventuell sogar Fehler waren. Mit Blick auf Serra jedenfalls lässt sich sagen, dass er für seine Zeit gerecht gehandelt hat. Wir können die Aussage von Emilio Sáenz-Francés unterstützen. Heutzutage wäre es ein schlimmes Verbrechen solche Sachen zu begehen. Allerdings war es nun damals leider gang und gäbe solche Strukturen zu verfolgen. Das soll natürlich nicht die Taten neutralisieren, aber es lässt diese besser nachvollziehen. Wir sind alle im Nachhinein schlauer und wissen, dass solche Vergehen keinesfalls gerechtfertigt werden sollten und es wichtig ist, auf die Missstände in der Geschichte hinzuweisen. Wir müssen jeden Tag aufs Neue beweisen, dass wir einen anderen – besseren Weg gehen und uns für unsere Mitmenschen in Not einsetzen. Eines unserer obersten Ziele sollte es sein, Rassismus abzubauen, uns zu informieren und sich seiner eigenen Lage bewusst zu sein. Zu wissen, was es heißt, privilegiert zu sein. Unsere Verantwortung zu kennen und dieser nachzukommen!

#blacklivesmatter

Literaturverzeichnis

Internetquellen

Arthur, Molly McGettigan. 2021. Marin Voice: Facing historic evil while considering charges
in Serra statue case. https://www.marinij.com/2021/05/06/marin-voice-facing-historic-evil-while-considering-charges-in-serra-statue-case/ Letzter Zugriff: 30.06.2021

Bojórquez, Kim. 2021. Out with Junípero Serra, in with Native Americans. Plan calls for replacing Capitol Park statue. https://www.sacbee.com/news/politics-government/capitol-alert/article251041039.html Letzter Zugriff: 30.06.2021

CNA Deutsch-Redaktion. 2020. Nach Sturz der Statue von St. Junipero: Erzbischof von San Franzisco verurteilt Gewaltakte.
https://de.catholicnewsagency.com/story/nach-sturz-der-statue-von-st-junipero-erzbischof-von-san-franzisco-verurteilt-gewaltakte-6455 Letzter Zugriff: 30.06.2021

Comunidad Negra Africana y Afrodescendiente en España. 2020. https://cnaae.org/#somos
Letzter Zugriff: 30.06.2021

Duignan, Brian. 2020. Black Lives Matter.
https://www.britannica.com/topic/Black-Lives-Matter Letzter Zugriff: 30.06.2021

Hoyos, Francisco Martínez. 2019. Junípero Serra, ¿ángel o demonio?
https://www.lavanguardia.com/historiayvida/edad-moderna/20190704/47311390940/junipero-serra-angel-o-demonio.htm Letzter Zugriff: 30.06.2021

Kilomba, Grada. 2009. Das N-Wort.
https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/afrikanische-diaspora/59448/das-n-wort?p=2 Letzter Zugriff: 30.06.2021

King. Jr., Martin Luther. Ausschnitt aus der ‘I Have a Dream’-Rede am 28. August 1963 in Washington D.C.

Miranda, Carolina. A. 2020. At Los Angeles toppling of Junipero Serra statue, activists want full history told.
https://www.latimes.com/entertainment-arts/story/2020-06-20/statue-junipero-serra-monument-protest-activists-take-down-los-angeles Letzter Zugriff: 30.06.2021

Streck, Ralf . 2021. Spanien: Erst rassistischer Mord, danach Messerattacke in
Hungerschlange. https://www.buchkomplizen.de/blog/auslandsbericht/spanien-erst-rassistischer-mord-danach-messerattacke-in-hungerschlange/ Letzter Zugriff: 30.06.2021

Tagesschau. 2021. Ein Jahr nach Tod: Schweigeminute für George Floyd.
https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/floyd-gedenken-101.html Letzter Zugriff: 30.06.2021

t.i.c.t.a.c. – Taller de Intervenciones Críticas Transfeministas Antirracistas Combativas. 2020.
Manifiesto de la Comunidad Negra Africana y Afrodescendiente en España. https://desde-elmargen.net/manifiesto-de-la-comunidad-negra-africana-y-afrodescendiente-en-espana/ Letzter Zugriff: 30.06.2021

World Heritage Encyclopedia. 2021. Junípero Serra.
http://self.gutenberg.org/articles/eng/Jun%C3%ADpero_Serra Letzter Zugriff: 30.06.2021

o.V. 2015. Grab von Junípero Serra in Kalifornien geschändet.
https://www.mallorcazeitung.es/lokales/2015/09/27/grab-junipero-serra-kalifornien-geschandet/38843.html Letzter Zugriff: 30.06.2021

o.V. 2020. Nun auch Proteste in Spanien gegen Statuen und Denkmäler.
https://www.derstandard.de/story/2000118303395/nun-auch-proteste-in-spanien-gegen-statuen-und-denkmaeler Letzter Zugriff: 30.06.2021

o.V. 2012. Padre Junipero Serra – Palma, Mallorca, Spain.
https://www.waymarking.com/waymarks/WMF0R6_Padre_Junipero_Serra_Palma_Mallorca_Spain Letzter Zugriff: 30.06.2021

Literaturquellen

Hall, Stuart in Rätzhel, Nora. 2000. Theorien über Rassismus. Rassismus als ideologischer Diskurs. 1. Auflage. Argument Verlag: Hamburg.

Decolonizando (Lissabon, Portugal)

Antirassistische und dekoloniale Interventionen
gegen die Statue von Pater António Vieira in Lissabon

Autorschaft: Johanna Beste und Luca Hirsekorn
Aktivistische Gruppe: Decolonizando
Statue / Monument: Statue von Pater António Vieira in Lissabon
Ort (Stadt, Land): Lissabon, Portugal

Statue António Vieiras in Lissabon

Ein Land, in dem die Kolonialgeschichte noch nicht sehr lange zurück liegt, ist Portugal. In der Diktatur des Estado Novo unter Antonio Salazar wurde stark an den Kolonien, später auch „Überseegebiete“ genannt, festgehalten. Sie wurden durch den portugiesischen Kolonialkrieg aufrechterhalten (TU Chemnitz, Portugiesische Erinnerungskulturen, 2006). Erst im Zuge der Nelkenrevolution 1974, durch die Salazars Regime gestürzt wurde, konnten Länder wie Guinea-Bissau oder Angola Mitte der 1970er Jahre die eigene Unabhängigkeit erklären, also viel später als die meisten früher kolonisierten Länder in Afrika, die diesen Status zum größten Teil in den 1960er Jahren ablegten. Durch die historische Nähe ist es besonders interessant zu untersuchen, wie in Portugal mit dem kolonialen Erbe umgegangen wird, welche Perspektiven verbreitet sind und wie dort heute Erinnerungskultur betrieben wird.
Ein Beispiel dafür ist die Statue von Padre António Vieira auf dem Platz Largo Trinidade Coelho in Lissabon. Die in der Stadt sehr zentral aufgestellte Skulptur zeigt den Jesuitenpriester in seinem Gewand, der mit ausgestrecktem Arm ein Kreuz vor sich hält. Zu seinen Füßen befinden sich drei südamerikanische, indigene Kinder; halbnackt und in traditioneller Kleidung. Sie knien und stehen vor dem Priester, als würden sie Schutz unter ihm suchen. Hier ist bereits ein Machtgefälle erkennbar, Vieira wird als Retter dargestellt. Die Inschrift auf dem Sockel der Statue besteht neben Namen, Geburts- und Todesdatum António Vieiras aus folgenden Worten: „Jesuit, Prediger, Priester, Politiker, Diplomat, Verteidiger der Indianer und Menschenrechte, Kämpfer gegen die Inquisition“ (Statues Vanderkrogt, Padre António Vieira, 2017). Die vom Künstler Marco Fidalgo gewählten Formulierungen zeichnen bereits ein klares und sehr positives Bild der Figur.

Intervention 2017

Nachdem die Statue 2017 errichtet wurde, zeigte sich, dass nicht alle mit dieser einseitigen Darstellung einverstanden sind. Die Gruppe „Descolonizando“ rief zu einer Gedenkveranstaltung am 05. Oktober 2017 auf. Sie bezeichnen sich selbst als „überparteiliche Gruppe aus mehreren Forscher:innen, Lehrer:innen und Künstler:innen verschiedener Nationalitäten“ und „dekolonisierendes Kollektiv“. Viel mehr als diese Eigenbezeichnung ist über die Gruppe nicht zu erfahren (Descolonizando, Facebook, 13.10.2017). Die Gruppe plante an der Statue Blumen niederzulegen, Kerzen anzuzünden und mit dem Rezitieren von Texten und Gedichten den Opfern von Sklaverei und Kolonialismus zu gedenken (Descolonizando, Facebook, 28.09.2017).
Als die 15 Demonstrierenden an dem Platz der Statue ankamen, fanden sie dort bereits eine größere Ansammlung von Mitgliedern der ultrarechten Gruppierung „Portugueses Primeiro“ vor, die im Voraus von der geplanten Veranstaltung erfahren hatten und zu einer Gegenveranstaltung mobilisierten. Sie hielten die Teilnehmer:innen der Aktion „Descolonizandos“ davon ab, zur Statue zu gelangen, sie schwenkten portugiesische und der eigenen Gruppe zugeordneten Flaggen und „verteidigten“ laut eigener Aussage die Statue vor „Descolonizando“, deren Ziel eine „Geschichtsverdrehung“ sei (Diarios de Noticias, Extrema-direita impede manifestação contra estátua do padre António Vieira em Lisboa, 06.10.2017). Mamadou Ba, ein Teilnehmer der Gedenkveranstaltung äußerte sich zum Verhalten der rechten Gruppe wie folgt: „Es gab keine Konfrontation, weil das keine Absicht von uns war. Wir haben alles getan, um zu verhindern, was die Absicht der Skinheads war: eine Konfrontation zu provozieren, um die Demonstration zu verhindern, aber vor allem, um eine politische Position zu manifestieren.“ (frei übersetzt aus: Diarios de Noticias, Extrema-direita impede manifestação contra estátua do padre António Vieira em Lisboa, 06.10.201). Trotz der zuvor erfolgten Anmeldung und Genehmigung der Intervention „Descolonizandos“ griff die Polizei laut Aussage der beiden aufeinandergetroffenen Gruppen nicht in die Situation ein (Descolonizando, Facebook, 13.10.2017; Jovens Portugueses Primeiro, Facebook, 05.10.2017).

Kritik der Gruppe

Eine Woche später reagierte die Gruppe „Descolonizando“ auf den Vorfall. Auf ihrem Facebook-Profil veröffentlichten sie ein Statement mit zehn Punkten, in dem sie sich erklärten (Descolonizando, Facebook, 13.10.2017). Sie gehen darin auf den Vorfall am 5. Oktober ein und übernehmen die Verantwortung für die Planung der Veranstaltung, distanzieren sich allerdings von jeglicher angeblich geplanten Gewalt gegen die Statue. Sie hätten nie die Absicht der Zerstörung der Plastik gehabt, weshalb ein „Schützen“ durch die rechte Gruppierung sinnlos gewesen sei.
Vielmehr als gegen die Statue richtet sich die Kritik der „Descolonizandos“ gegen die Darstellung des Padre Antonio Vieira in der Öffentlichkeit. Die Gruppe bezeichnet diese als „ästhetisch fragwürdig“ und dem Erbe Vieiras nicht gerecht werdend.
An dieser Stelle folgt ein kurzer Exkurs zu dessen Wirken. António Vieira, der bereits früh in seinem Leben nach Brasilien kam, wurde dort in einem Jesuitenkolleg ausgebildet und nahm dann 1635 die Missionierungsarbeit bei Stämmen der indigenen Bevölkerung im Amazonasgebiet auf. Später arbeitete er im Dienst des portugiesischen Königs Johann IV. in Europa als Diplomat und setzte sich unter anderem für die Gründung der „Allgemeinen Gesellschaft des Brasilienhandels“ ein, deren Hauptaufgabe es war, den portugiesischen Handelskonvoi zu sichern. Dieser beinhaltete zum einen die Überbringung von Sklaven aus Angola nach Brasilien, um sie dort auf den Zuckerplantagen arbeiten zu lassen und zum anderen die Überlieferung von brasilianischem Zucker über den Schiffsweg nach Portugal. Dieser war zu der Zeit um 1650 das wichtigste Mittel der Gewinnschöpfung aus den Kolonialgebieten für Portugal (Nautical Archaeology Program, Texas A&M University, A perda do galeão São Pantaleão (1651), 2003). Als Vieira später wieder nach Brasilien kam, um dort die Missionierung weiterzuführen, geriet er in Konflikt mit der Kolonialverwaltung, die auch die indigene Bevölkerung zunehmend versklaven wollte. Vieira, bzw. der Jesuitenorden, erlangte auf eine Bitte beim portugiesischen König daraufhin die Hoheit über ein von ca. 200.000 Menschen bewohntes Gebiet im Nordosten Brasiliens. Dort konnte über Vieiras Tod 1697 hinaus die Missionsarbeit weitergeführt werden. Vieira wird heute als einer der größten Literaten des portugiesischsprachigen Raums angesehen und das im Estado Novo konstruierte Bild des „guten Kolonisators“, der die Menschenrechte verteidigte und gegen die Sklaverei kämpfte, wird bis heute reproduziert (Britannica, António Vieira, 2021).
Genau an diesem Punkt setzt auch „Descolonizando“ die Kritik an. Sie sprechen sich gegen eine lusotropische Geschichtsauffassung aus, also eine mysthifiziert, konstruierte Verbindung zwischen den portugiesischsprachigen Ländern (bpb, Die Gemeinschaft Portugiesisch-sprachiger Staaten und die EU, 26.05.2002), die den portugiesischen Kolonialismus als wohlwollendes Projekt präsentiert. Mit dieser Auffassung geht laut „Descolonizando“ die Komplexität der Figur Vieiras unter. Der Priester sprach sich nicht generell gegen Sklavenhandel aus, er befürwortete die Versklavung von Menschen aus afrikanischen Kolonien und ging lediglich gegen die Versklavung der indigenen Bevölkerung in Brasilien vor, da diese nicht mit der Missionsarbeit vereinbar war. Die idealisierte Darstellung der Statue blendet also historische, koloniale Hinterlassenschaften aus und stellt sie nicht in den öffentlichen Diskurs.
Deshalb fordert die Gruppe eine kritische Auseinandersetzung mit der Person und dem Wirken Vieiras im Bildungssystem Portugals. Eine Auseinandersetzung, in der auch die massive Versklavung von Menschen aus Afrika, die von dem Priester als Lösung für das Kolonialsystem in Brasilien befürwortet wurde, aufgearbeitet wird.
Auch das Handeln des Jesuitenordens und der katholischen Kirche müssen aufgearbeitet werden, so die Gruppe in ihrem Statement. Die Missionierung, die auch unter Vieira durchgeführt wurde, beinhaltete die Enteignung der Indigenen, Zwangsumsiedlungen in christliche Siedlungen und damit einhergehend eine Christianisierung und „kulturelle Erziehung“ (Kulturas, Kulturvermittlung in Schwarz: Padre António Vieira, April 2003). Dieser sogenannten Erziehung lag das Motiv zugrunde, das Stuart Hall als „Binäre Spaltung“ bezeichnet. Durch die Aufteilung in die eigene hochentwickelte Kultur und die primitive Kultur der Anderen, findet ein „Othering“ (Diversity Arts Culture Berlin, Wörterbuch – Othering), also eine symbolische Ausschließung des „Fremden“, statt. Diese Identifikation einer Gruppe über die konstruierten, gegenteiligen Werte einer weiteren Gruppe stellt laut Hall einen Grundsatz des Rassismus dar (Hall, Stuart, 2000, S.13-15).
Zudem nimmt Vieira in der Darstellung die Position des „White Saviors“ ein, der von der Überlegenheit seiner eigenen Bildung und Weltanschauung überzeugt ist und die indigene Bevölkerung aus ihrer „Unwissenheit“ erlöst (Brückenwind Bildungsarbeit, White Savior Complex, 09.09.2020). Diese Reproduktion von kritischen Perspektiven wollen die Mitglieder von „Descolonizando“ stoppen. Sie weisen darauf hin, dass das Bild des „guten Kolonisators“ Portugals aus dem „Estado Novo“ stammt und Vieira diesem Bild nicht entspricht. Sie kritisieren auch, dass durch die späte Errichtung der Statue im Jahr 2017 keine Einordnung dieser in den historischen Kontext mehr möglich ist, sei es der Estado Novo oder die Lebenszeit des Jesuiten. Damit entzieht sich die Darstellung einer Aufarbeitung und Kontextualisierung, was sich aus Sicht der Gruppe ändern sollte. Sie räumen zwar ein, dass es jedem Land freistehe, auf die eigene Kultur stolz zu sein, fordern allerdings ein Lernen aus der Geschichte, statt einer immer fortlaufenden, nicht hinterfragten Reproduktion von Narrativen. Ihr Fokus liegt also im Speziellen weder auf der Statue des Padre António Vieira noch auf Statuen generell, sondern vielmehr darin, die eigene Geschichte Portugals kritisch zu betrachten und neue Perspektiven zu eröffnen, durch die Geschichtsschreibung passiert. Sie fordern eine Dekolonisierung.
Nach dem öffentlichen Statement zu den Geschehnissen verschwindet die Gruppe von der Bildfläche, der Facebookaccount „Descolonizando“ hat seitdem keine neueren Aktivitäten.
Trotzdem war das nicht die einzige Intervention in Bezug auf die Statue von António Vieira.

Intervention 2020

Als die globalen Black Lives Matter-Proteste 2020 auch Portugal erreichten, geriet die Statue des Padre António Vieira erneut in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Am 10.06.2020 wurde von einem:einer unbekannten Nutzer:in auf Twitter ein später wieder gelöschter Aufruf zur Zerstörung der Statue gepostet, da diese „eine Ode an den Kolonialismus“ darstelle (ZAP.aeiou, Investigado tweet que fala em destruir estátua do Padre António Vieira (Mamadou Ba nega autoria moral das pinturas), 13.06.2020).
Am darauffolgenden Tag, dem 11.06., bemalten Unbekannte die Statue mit roter Farbe und schrieben das Wort „Descoloniza“ (dt.: Dekolonisieren) auf den Sockel. Gesicht und Körper von Vieira wurden rot eingefärbt, den indigenen Kindern Herzen aufgemalt und die Inschrift auf dem Sockel unkenntlich gemacht (Expresso, Padre António Vieira. Investigado tweet que incentivou a destruição de estátua, 12.06.2021). Auch ohne ein Bekennerschreiben oder Wissen über die Urheber:innenschaft, legt die Art der Darstellung die Vermutung nahe, dass die Aktivist:innen wie auch bei dem Tweet Kritik an der kolonialen Symbolkraft der Statue übten.
Über den Vorfall berichteten einige portugiesische Zeitungen, verschiedene Politiker:innen positionierten sich dazu und in den sozialen Netzwerken wie Twitter partizipierten auch Teile der Zivilgesellschaft am Diskurs.

Politische Reaktion

Antirassismus ist nach Stuart Hall nie per se gegeben, sondern muss immer erst aktiv politisch hergestellt werden. Eine Gesellschaft ohne antirassistische Politik sei daher zwangsläufig eine rassistische Gesellschaft (Hall, 2000, 9). Vor diesem Hintergrund gelten die folgen-den politischen Reaktionen dann als antirassistisch, wenn sie den Status quo aktiv herausfordern und sich für eine dekoloniale Aufarbeitung stark machen.
Als direkte Reaktion auf die Intervention wurden von behördlicher Seite aus zunächst Untersuchungen zum Zusammenhang des Tweets mit der Bemalung der Statue und eine Fahndung nach den Urheber:innen aufgenommen (ZAP.aeiou, Investigado tweet que fala em destruir estátua do Padre António Vieira (Mamadou Ba nega autoria moral das pinturas), 13.06.2020). Die Stadt Lissabon entfernte die rote Farbe bereits am 12.06.2020, postete Bilder von der Reinigung auf Twitter und schrieb dazu, dass alle Akte von Vandalismus gegen das kollektive Erbe der Stadt unzulässig seien (Lisboa, Twitter, 12.06.2021).
Die Bezeichnung der aktivistischen Intervention als „Vandalismus“ wurde vielfach von Medien, Politiker:innen und Bürger:innen übernommen. So auch vom portugiesischen Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa in einer Presseerklärung, in der er die Aktion mit dem Akt der Bücherverbrennung verglich, António Vieira als „Visionär“ und einen der „größten portugiesischen Schriftsteller“ hervorhob und eine „grundlose Radikalisierung“ der Gesellschaft anmahnte. Zwar gäbe es auch in Portugal Rassismus, aber man müsse die Statue als Zeugnis der Geschichte annehmen, nicht zerstören (Publico, Marcelo: é “verdadeiramente imbecil” vandalização de estátua do padre António Vieira, 15.06.2020).
Die Aufgabe eines überparteilichen Repräsentanten des Staates wie Marcelo Rebelo de Sousa ist es, die gesamte Gesellschaft über Grenzen und Differenzen sozialer Gruppen hinweg anzusprechen. Eine Analyse der Presseerklärung aus rassismuskritischer Perspektive nach Stuart Hall zeigt jedoch, dass der Staatspräsident eine bereits von „Descolonizando“ 2017 kritisierte, einseitige historische Sichtweise reproduziert hat, während andere Perspektiven ausgeschlossen wurden. Nach Hall entstehen Ausschließungspraxen in Diskursen dann, „wenn die Produktion von Bedeutungen mit Machtstrategien verknüpft sind und diese dazu dienen, bestimmte Gruppen vom Zugang zu kulturellen und symbolischen Ressourcen auszuschließen“ (Hall, 2000, 7). Durch das Framing der Intervention als Zensur, radikal und zerstörerisch findet ein Prozess der Versicherheitlichung statt, indem die Aktion als Gefährdung der öffentlichen Ordnung dargestellt und ihr somit jegliche Legitimität abgesprochen wird. Gleichzeitig wird das Bild Vieiras als nationale Heldenfigur reproduziert. Eine Debatte über die Bedeutung der Bemalung, Kritik an der Statue oder eine selbstkritische Reflexion über den Stand der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit finden vor diesem Hintergrund weiterhin keinen Platz im Diskurs.
Argumentativ sind die Reaktionen innerhalb des rechten politischen Spektrums ähnlich ausgefallen. Francisco Rodrigues dos Santos, Präsident der rechtskonservativen Partei CDS, und André Ventura, Gründer der jungen rechtsextremen Partei Chega, äußerten sich unmittelbar nach dem Bekanntwerden der aktivistischen Intervention. Sie verurteilten den „Vandalismus“ und stellten die Aktion als „Angriff auf die nationale Kultur“ dar (André Ventura, Twitter, 11.06.2020; Expresso, Estátua do Padre António Vieira. Líder do CDS compara vandalismo com atos do Estado Islâmico, 11.06.2020). Der CDS-Präsident zog sogar einen Vergleich hinsichtlich der Zerstörung des Museums in Mosul und Palmira durch den sogenannten Islamischen Staat.
Die Person António Vieira wird damit als Sinnbild der Kultur und Geschichte gedeutet und die Bemalung der Statue zu einem terroristischen Angriff auf die portugiesische Nation erklärt. Wie auch bei der rechten Gruppe „Portugueses Primeiro“ 2017 lassen sich Schutz- und Verteidigungsmotive im Zusammenhang mit einem konstruierten Bedrohungsszenario erkennen. Nach Stuart Hall dreht sich die Politik des Rassismus und des Antirassismus um die Produktion und Reproduktion der gesellschaftlichen Identität (Hall, 2000, 16). In ihren Statements reproduzieren die Vertreter von CDS und Chega das Bild einer homogenen nationalen Gemeinschaft, die in der weißen, christlichen Figur des Padre António Vieira ihren Ausdruck findet – und die sich gegen ihre vermeintlichen Gegner:innen zur Wehr setzen muss. Ohne, dass explizit von einem „wir“ und einem „ihr“ die Rede ist, wird diskursiv deutlich, wer zur Gesellschaft dazugehört und wer nicht.
Die kommunistische Partei PCP veröffentlichte ebenfalls ein Statement zur Intervention auf ihrer Website, in dem sie sich gegen den „Vandalismus“ positionierte. In ihrem Statement erhob sie den Vorwurf, die Aktion würde lediglich gesellschaftliche Konflikte fördern und betonte, dass soziale Gerechtigkeit den gemeinsamen Kampf aller Arbeiter erfordere (PCP, Sobre a vandalização do monumento ao Padre António Vieira, 12.06.2020). Die Universalisierung der Arbeiter:innenschaft und die Priorisierung der ökonomischen Befreiung stellt nach Hall jedoch einen blinden Fleck innerhalb der linken Bewegung dar, da Interessen auf Grundlage der Kategorien „Klasse“ und „race“ nicht deckungsgleich seien (Hall, 2000, 9). Indem die PCP in ihrem Beitrag partikulare Interessen, abseits einer vermeintlich einheitlichen Perspektive der Arbeiter:innenschaft, als spalterisch bezeichnet, stellt auch ihre Reaktion keine antirassistische und dekoloniale Positionierung dar.
Der Blick auf die unmittelbaren Reaktionen aus der Politik zeigt, dass keine:r der Politi-ker:innen oder Parteien Bereitschaft zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit der aktivistischen Intervention signalisierte. Stattdessen wurde die Aktion als nicht hinnehmbarer „Vandalismus“ bezeichnet und zum Sicherheitsproblem erklärt. Der bereits 2017 zur Einweihung geführte Diskurs über die Bedeutung von Padre António Viera als positiv und identitätsstiftend für die portugiesische Gesellschaft wurde hiermit 2020 fortgesetzt, ohne dabei auf die Kritik an der Person und der Statue einzugehen und ohne dabei indigene Perspektiven mit einzubeziehen. Dass sich Kontinuitäten in den Argumentationsmustern zwischen 2017 und 2020 beobachten lassen, zeigt, dass der von „Descolonizando“ angestoßene Aufarbeitungsdiskurs öffentlich nicht vorangeschritten ist. Politisch wurde 2020 keine antirassistische Handlungsweise eingefordert, sondern eine weiße, christliche, eurozentrische Sichtweise reproduziert.

Zivilgesellschaftliche Reaktionen auf Twitter

In Demokratien wird zivilgesellschaftlichen Akteur:innen in öffentlichen Diskursen eine wichtige normative Rolle zugeschrieben (Ferree et al., 2002). Seit einigen Jahren hat sich das soziale Netzwerk Twitter als virtueller Austauschplatz politischer Meinungen etabliert. Jedoch wird aber auch immer wieder Kritik am Fragmentierungspotential in Teilöffentlichkeiten geübt, da Nutzer:innen vor allem Meldungen von Personen oder Organisationen rezipieren, denen sie folgen (Pariser, 2011; Taddicken/Schmidt, 2017, 12). Dennoch verschafft die Plattform Twitter einen ungefähren Eindruck davon, wie Ereignisse gesellschaftlich debattiert werden.
Die Meldung über die aktivistische Intervention 2020 hat sich online vor allem über Zeitungsmeldungen verbreitet. Für ein Stimmungsbild der zivilgesellschaftlichen Reaktionen auf Twitter bot es sich daher an, die Antworten unter den Posts der größeren portugiesischen Zeitungen, wie beispielsweise Publico und Expresso, auf argumentative Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin zu analysieren und gegebenenfalls zu kategorisieren. Allgemein ist bei der Interpretation der Ergebnisse zu beachten, dass sich soziale Netzwerke wie Twitter durch eine kurze Aufmerksamkeitsspanne für ein Thema auszeichnen, die die Reaktionen in der Regel auf einen Zeitraum von wenigen Stunden bis Tagen eingrenzt (Schmidt/Taddicken, 2017, 35).
In Bezug auf die aktivistische Intervention 2020 lassen sich die analysierten Tweets in vier Kategorien einteilen. Erstens setzten sich einige wenige Nutzer:innen reflektiert mit der Aktion auseinander, indem zum Beispiel zwischen der Person Vieira und der Statue differenziert und die koloniale Darstellung Letzterer kritisiert wurde. Zweitens wurde die Person Vieira in vielen der Tweets verteidigt und als Fürsprecher der indigenen Bevölkerung gelobt. Drittens lassen sich einige Beiträge argumentativ dem Credo „All Lives Matter“ zuordnen, unter dem Vandalismus allgemein verurteilt, die politische Linke und Rechte gleichgesetzt, sowie die Menschheit als universale Gemeinschaft mit gleichen Rechten und Interessen dargestellt wird. Viertens ließen sich auch offen nationalistische und rassistische Reaktionen erkennen, die die Intervention als Angriff auf die Identität Portugals werteten.
Während die Reaktionen der ersten Kategorie sich inhaltlich bei der Positionierung der aktivistischen Gruppe „Descolonizando“ 2017 verorten lassen, gleichen die Tweets der letzten drei Kategorien den politischen Reaktionen auf die Intervention 2020. Quantitativ dominieren Beiträge, die die positive historische Bedeutung von Padre António Vieira betonen (Kategorie zwei) und Beiträge, die die aktivistische Intervention als „Vandalismus“ verurteilen (Kategorie drei). Insgesamt gelten die ausgewerteten Reaktionen auf Twitter daher weniger als Korrektiv der politischen Akteur:innen, sondern eher als diskursiver Anknüpfungspunkt und Verteidigung des Status quo. Dekoloniale, antirassistische und indigene Stimmen lassen sich in den untersuchten Tweets dagegen kaum finden.

Fazit

Die Statue von Padre António Vieira, die aktivistischen Interventionen 2017 und 2020 sowie die politischen und gesellschaftlichen Reaktionen darauf können als Indikatoren für den aktuellen Stand der Aufarbeitung Portugals der eigenen kolonialen Geschichte gelten. Bereits zur Einweihung 2017 kritisierte die aktivistische Gruppe „Descolonizando“ die Fortsetzung kolonialer Narrative, indem symbolisch ein weißer, aktiver Beschützer vermeintlich hilflosen, passiven und indigenen Kindern gegenübergestellt wird. Anhand der Intervention im Kontext der Black Lives Matter-Proteste 2020 und der Reaktionen darauf wird deutlich, dass sich der Hauptkonflikt weiterhin um die Fragen kreist, wessen Geschichte erzählt wird, welche Erinnerungen symbolisch im öffentlichen Raum stattfinden dürfen und welche nicht. Dominante Stimmen aus Politik und Gesellschaft versuchen dabei weiterhin, eine weiße, christliche, eurozentrische Perspektive in der Geschichtserzählung und der nationalen Identitätskonstruktion aufrechtzuerhalten. Andere Sichtweisen werden aus den Erinnerungsdiskursen ausgeschlossen oder weitgehend unsichtbar gemacht. Für die Veränderung des Status quo bleibt demnach die Notwendigkeit einer aktiv antirassistischen Politik und Zivilgesellschaft.

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Café Libertad Kollektiv/Zapatistas (Mexiko)

Zapatistische Bewegung

Autorschaft: Elena Rudolph, Karola Timm und Luisa Meyer
Aktivistische Gruppe: Café Libertad Kollektiv (Zapatistas)
Statue / Monument: Emiliano Zapata
Ort (Stadt, Land): Mexiko

Vom Bauernführer zur Legende

Sie möchten einen wahrhaft fairen Kaffee kaufen? Dann probieren Sie doch mal den Kaffee des Café Libertad Kollektiv. Dieser solidarisch gehandelte Kaffee wird in Mexiko von den Zapatist*innen der revolutionären zapatistischen Bewegung angebaut, geerntet und direkt nach Deutschland importiert. Das Kollektiv gründete sich in Hamburg. „Ziel war, neben gewerkschaftlicher Unterstützungsarbeit auch den Aufstand der indigenen Bewegung der Zapatistas in Chiapas zu fördern und daraus zu einem späteren Zeitpunkt auch kollektive Arbeitsplätze zu schaffen“ (cafe-libertad.de, Die Geschichte von Café Libertad, o.A.). Der Name „Zapatistas“ stützt sich auf den Kriegshelden Emiliano Zapata, der von 1879 bis 1919 lebte. Ihm zu Ehren wurden in verschiedenen Städten in Mexiko Statuen von ihm errichtet, die ihn stehend oder auf einem Pferd sitzend zeigen. Zapata wurde im Bundesstaat Morelos, im südlichen Mexiko, als Kind mit spanischen Vorfahren geboren. Zu dieser Zeit wurde Mexiko von der oligarchisch-elitären Diktatur von Don Porfirio Díaz geprägt. Díaz widmete seine Aufmerksamkeit der Wirtschaft und der oberen Klassengesellschaft. Unter diesem sogenannten „Porfiriat“ litt besonders die indigene Bevölkerung, meist bestehend aus Landarbeiter*innen. Unter dem Befehl Díaz wurde den indigenen Kommunen willkürlich Land enteignet, sobald sie keinen Besitztitel nachweisen konnten (Kampkötter 2003: 17). Dieses Land wurde meist an US-Amerikanischen Großgrundbesitzern und ansonsten als Staatseigentum neu verteilt, um in Mexiko einen wirtschaftlichen Aufschwung zu generieren, vor allem mit ausländischem Kapital. Die neuen Landbesitzer gründeten Plantagen, die mit dem wirtschaftlichen Aufschwung expandierten — wieder auf Kosten der indigenen Landbevölkerung. Dadurch entstanden in der mexikanischen Gesellschaft zu dieser Zeit feudale Verhältnisse, in denen die Großgrundbesitzer mit Gewalt und Versklavung die indigenen Landarbeiter*innen, die ein Drittel der mexikanischen Bevölkerung ausmachten, unterdrückten. Diese Verhältnisse bekam Emiliano Zapata früh mit. Aufgrund seiner schulischen Ausbildung, der familiären politischen Karriere und seines festen Willens, den Landarbeiter*innen ihr Land zurück zu erobern, gewann er früh, aber kurz, an politischer Verantwortung in seinem Dorf (Kampkötter 2003: 27). Sowohl Männer als auch Frauen schenkten ihm sein Vertrauen und schlossen sich hinter ihm zu einer bewaffneten Widerstandsbewegung zusammen. Durch einige erfolgreiche Rückeroberungen von dem einst geraubten Land, gründete sich eine Guerrilla-Armee im Süden Mexikos — die zapatistische Bewegung. Mit dieser „Movimiento Revolucionario del Sur“ schloss sich Emiliano Zapata im Jahr 1910 der nördlichen revolutionären Bewegung Francisco Maderos an. 1911 gelang ihnen gemeinsam der Sturz von Don Porfirio Díaz. Jetzt kleidete Madero das Präsidentenamt, was nicht lange anhielt. Zapata hatte bemerkt, dass sein Verbündeter Madero wenig Interesse an der sofortigen Rückgabe des Landes an die indigene Bevölkerung hatte. So wurden er und die Zapatist*innen Gegner der maderistischen Regierung und wuchsen durch mehr und mehr Sympathisant*innen. Die zapatischen Guerrilleros*as waren somit überall verstreut in Mexiko aufzufinden und folgten einem Plan — dem Plan von Ayala. Zapata selbst und Otilio Montaño schrieben dieses politische Programm, was zugleich das heiligste Papier der Zapatistas werden sollte. Dort verlangte Zapata auch den Rücktritt Maderos, sobald sich die Unruhen der Revolution legten. 1913, drei Tage nach einem Putsch gegen Madero, den Decena trágica wurde dieser ermordet (Kampkötter 2003: 32). Nun wechselte das Präsidentenamt von Putschist zu Putschist fast jährlich. Die zapatistische Bewegung blieb dennoch weiterhin bestehen und kämpfte in kleinen Kriegen für “¡Tierra y Libertad!”. Der letzte Präsidentschaftsanwärter und Gegner Emiliano Zapatas war Venustiano Carranza. Carranza kleidete 1917 das mexikanische Präsidentenamt und hatte das Ziel die zapatistische Bewegung zu zersplittern und, ohne Unruhen, eine konstitutionelle Ordnung einzuführen (Kampkötter 2003: 118) Durch einen Trick wurde Emiliano Zapata 1919 unter Befehl von Präsident Carranza, von dem damaligen Kavallerie-Oberst Jesús Guajardo in den Hinterhalt gelockt (Guajardon meinte er wolle den Zapatistas beitreten) und ermordet. Viele Zapatist*innen nahmen an, dass ihr Jefe Supremo diesem Hinterhalt vorbeugte und nicht er selbst zu dem geplanten Treffen ging, sondern einen Doppelgänger schickte (Kampkötter 2003: 132). Es entwickelten sich verschiedenste Theorien über den ermordeten Revolutionisten. Dies sollte auch nicht das Ende der mexikanischen Widerstandsbewegung sein. Überall auf der Welt fanden die Zapatist*innen solidarischen Anhang und Verbündete. Denn eines war klar: Emiliano Zapata wurde vom Bauernführer zur Legende.

Zapatistischer Kaffeeanbau

Das Café Libertad Kollektiv bezieht seinen Kaffee unter anderem von zwei zapatistischen Kooperativen: Der Kooperative Yachil Xojobal Chulchan und der Kooperative Yochin Tayel Kinal, die jeweils aus mehreren hundert Familien bestehen. Beide Kooperativen bauen biozertifizierten Hochland-Arabica-Kaffee an. Wie sie auf ihrer offiziellen Webseite schreiben, arbeiten sie nur mit Kleinbäuer*innen zusammen, die sich in Kooperativen zusammenschließen und kollektiv die Produktion und den Export organisieren. Grundlegend für die kollektive Zusammenarbeit der Kooperativen sei das zapatistische Politikverständnis. Dies bedeute, dass Entscheidungen möglichst basisdemokratisch getroffen würden und man die Vorstände rotierend besetze. Die Idee dieser Rotation sei, dass hierdurch ein Austausch von Knowhow stattfinde und sich viele Kooperativmitglieder mit Verwaltungsaufgaben auskennen. Weiterhin solle mittels regelmäßigen Austausches des Vorstands Korruption und Vetternwirtschaft entgegengetreten werden. Durch die Aufteilung des Erlöses aus dem Kaffeeverkauf auf die Bäuer*innen, die Kooperative und an die zapatistische Bewegung als Ganzes könnten alle profitieren. Dies ermöglichte für die Kooperativen gemeinsame Anschaffungen und Bauarbeiten, wie beispielsweise Lagerhallen, in denen der Kaffee gesammelt, maschinell überprüft und gewogen wird. Ebenso würden durch die finanziellen Zuschüsse seitens der Kooperativen die caracoles unterstützt, so dass auch jene Zapatistas profitierten, die nicht direkt im Kaffeehandel involviert seien. Dies bewirkte einen Aufschwung der Region und diente als Vorbild für die Gründung weiterer Kooperativen, unter anderem im Handwerk. Darüber hinaus ist für die zapatistischen Kaffee-Kooperativen der biologische Landbau als Element ihres Selbstverständnisses zentral. So würden bei der Feldarbeit keine Pestizide und Kunstdünger eingesetzt. Wegen des traditionell überlieferten, ausgeprägten Verständnisses für Umwelt und Natur setze man sich durch den nachhaltigen Anbau bewusst von regierungsfreundlichen Bäuer*innen ab (Cafe Libertad Kollektiv, Zapatistischer Kaffeeanbau, o.A.)

Chiapas-Konflikt

Als sogenannter Chiapas-Konflikt wird im engeren Sinne der 12-tägige bewaffnete Aufstand der zapatistischen Bewegung im Januar 1994 bezeichnet, in dem maskierte Kämpfer mehrere Bezirkshauptstädte in Chiapas besetzten, der mexikanischen Regierung den Krieg erklärten und den Willen, diese zu stürzen. Das Ziel, eine landesweite Revolution auszulösen wurde jedoch verfehlt. Im weiteren Sinne ist der Begriff eine Bezeichnung für die seit 1994 immer wieder entfachenden und bis heute andauernden Kämpfe im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas. Die Ursachen dieser sind vielfältig. Nachdem Ende der 1980er Jahre der Kaffeepreis sank, verschlimmerte sich die Lage der Bevölkerung weiter. Wiedermal war vor allem die indigene Bevölkerung betroffen. Aber die Veränderung, die die zapatistische Bewegung mit ihrem damaligen Aufstand brachte, wird sichtbar. Seit 1994 wurden erfolgreich autonome Strukturen aufgebaut und verteidigt, vor allem in den Bereichen der Gesundheit, Bildung, Frauenrechte, Umweltschutz sowie eine Verbesserung der Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerung (Neus Deutschland, Zapatistas gehen auf Welttournee, 12.10.20).

Kampf der Zapatistas gegen Orcao und Regierung

Bis 1994 habt die EZLN mit der Organisation Orcao zusammengearbeitet, die aus Kaffeebauer *innen der mexikanischen Stadt Orcosingo besteht. Im Jahr 2001 akzeptierten die Orcao jedoch die Regierungsprogramme zur Privatisierung der Landwirtschaft, während sich die EZLN für eine kollektive Landwirtschaft einsetzen. Seitdem kämpfen sie auf gegnerischen Seiten. Erst im August 2020 wurden zwei Gebäude von Mitgliedern der Orcao ausgeraubt und angezündet, die von der EZLN als Hauptlagerplätze genutzt wurden. Nahegelegene Dörfer und autonome Gemeinden werden ebenfalls immer wieder angegriffen. Als Vorwand dafür werden Grenzstreitigkeiten genutzt und von der Regierung initiiert. (Amerika 21, Nachrichten und Analysen aus Lateinamerika, Mexiko: Lagerhallen der EZLN in Chiapas geplündert und in Brand gesteckt, 29.08.2020)
Im November 2020 wurde ein Mitglied der EZLN durch die Orcao entführt, im Januar 2021 wurde die Gemeinde Moisés Gandhi mit Groß- und Kleinkalibrigen Waffen beschossen. In Statements auf der Seite „Enlace Zapatistas“ beschreiben die EZLN, wie die Orcaos beispielsweise Stromleitungen durchtrennen, sich selbst zum Opfer erklären um so ihre Handlungen zu rechtfertigen. Die EZLN zeigen nicht nur die Organisation der Orcao, sondern auch die Beteiligung der Regierung offiziell an. (Enlace Zapatistas, Die Zapatistas zeigen die Entführung eines Comañeros ihrer Unterstützungsbasis durch Paramilitärs der Orcao an, 11.11.2020; YA BASTA NETZ, Paramilitärische Angriffe auf die zapatistische Gemeinde Moíses Gandhi, 22.01.2021)

Zapatistas gehen auf Welttournee

Im April 2021 schickte die Zapatistische Befreiungsarmee (EZLN) eine Delegation, hauptsächlich bestehend aus Frauen und „anderen Geschlechtern“ (Neues Deutschland, Zapatistische Befreiungsarmee: Zapatistas gehen auf Welttournee, 12.10.20), aus Mexiko in die restliche Welt. Im Rahmen dieser Rundreise werden im weiteren Verlauf des Jahres per Schiff zunächst mehrere europäische Länder bereist, um symbolisch die „vermeintliche Eroberung“ (ebd.) Lateinamerikas anti-kolonial zu kontern. Im „Auftrag des zapatistischen Volkes“ sollen ihre Gedanken in die ganze Welt getragen werden (Enlace Zapatista, Reise nach Europa, 10.04.20). Während der Reise durch Europa werden die Delegierten den Einladungen aus den europäischen Ländern folgen, um mit ihnen über die „gemeinsame Geschichte, Schmerz, Wut, Erfolge und Misserfolge zu diskutieren“ (ebd.). Laut EZLN-Sprecher Subcomandante Moisés sei der Beschluss, dass man „nach dem Bereisen verschiedener Winkel Europas […] am 13. August 2021 in Madrid“ ankommen werde, „500 Jahre nach der angeblichen Eroberung dessen, was heute Mexiko ist“ und man „gleich danach den Weg fortsetzen“ werde (Neues Deutschland, Zapatistas gehen auf Welttournee, 12.10.20). Ebenso soll eine Gruppe des linksgerichteten, parteiunabhängigen Nationalen Indigenen Kongresses (span. CNI) an ihrer Weltreise teilnehmen, um Widerstand gegen “neoliberale Entwicklungsprojekte” (ebd.), wie den “Maya-Zug” zu leisten, der “Reisenden die kulturellen Stätten der Maya auf komfortable Weise erschließen” soll (Tren Maya, Auf den Spuren der Sagenhaften Maya Kultur, o.A.) um damit den Weg für Luxustourismus und Plünderung der natürlichen Ressourcen zu ebnen.
Die große Bedeutung der Kämpfe der Frauen in Mexiko wird durch die hohe Anzahl von Teilnehmerinnen bei von Zapatistinnen organisierten Treffen deutlich. Seit Jahren gibt es viele Morde und Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen, aber auch viel selbstorganisierten Widerstand dagegen. Diese Weltreise ist die erste dieser Art seit dem Aufstand der EZLN am 1. Januar 1994, die sich aus Anlass des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA, das am selben Tag in Kraft trat, im Mexikanischen Bundesstaat Chiapas gegen Ausbeutung und Unterdrückung erhoben. Durch das Inkrafttreten von NAFTA wurden die Zölle für fast alle landwirtschaftlichen Produkte aufgehoben, wodurch Mexiko seitdem von billig hergestellten Massenprodukten aus den USA überschwemmt wird und den Kleinbäuer*innen die Existenzgrundlage fehlt: “Mit der NAFTA töten sie uns ohne Kugeln” (Subcomandante Marcos in: Marta Durán de Huerta 1994/2001: 94)

Warum Statuen interveniert werden

„Jede Statue eines Politikers, eines Philosophen, eines Kriegsherren sagt: Schau auf zu diesem Menschen“ (Frankfurter Allgemeine, Über die da oben darf gestritten werden, 21.06.2020). Nach Haupt haben Statuen eine Symbolkraft, eine Bedeutung die bis heute auf eine Gesellschaft und deren Politik einwirkt. Es werden Menschen abgebildet, die schon lange nicht mehr am Leben sind, aber auf die aktuelle Gesellschaft einwirken. Man muss sich also fragen, inwiefern sich die Gesellschaften voneinander unterscheiden: die Gesellschaft der Zeit, in der die Person lebte, die, in der die Statue aufgestellt wurde und die heutige. Stimmen die Gesellschaftsbilder und Werte noch überein, die repräsentiert und angestrebt werden sollen? Finden die Statuen noch ihre „Berechtigung“, oder hat sich deren Symbolik durch den Gesellschaftswandel so verändert, dass sie für völlig konträre Werte stehen? Durch ein Bewusstsein für eben diese Veränderungen kommt es immer wieder zu Interventionen von Statuen. Im Falle von Emiliano Zapata kam es zwar nicht zur Intervention einer seiner Statuen, dafür hat ein Gemälde für rege Auseinandersetzungen gesorgt.
Im Jahr 2019 gab es zu Gedenken an Emiliano Zapatas 100. Todestag eine Ausstellung in Mexico City, bei der dieses Gemälde zu Auseinandersetzungen zwischen Landarbeiter*innen aus Zapatas Heimatstadt und den Mitgliedern der LGBTQIA+ Gemeinschaft geführt hat.
Außerdem haben die Nachfahren dem Künstler mit einer Klage gedroht, da sie diese Darstellung Zapatas nicht akzeptieren konnten. (Monopol-Magazin, Lösung im Streit um Gemälde von nacktem Zapata in Mexiko gefunden, 12.12.2019)
Doch was ist der Hintergrund zu diesem Gemälde?
Nach außen hin verkörperte Zapata die Ideale des Machismo und soll sich auch homophob geäußert haben. Dennoch war er befreundet mit offen homosexuellen Personen, und es gibt Gerüchte darüber, ob Zapata selbst auch mit Männern zusammen war, wie beispielsweise mit Ignacio de la Torre y Mier, dessen Trauzeuge er war. Dem Tagebuch seiner Ehefrau nach hat sie die beiden zusammen gesehen und soll von Ignacio für Zapata verschmäht worden sein.
Selbst wenn Zapata dem Anschein nach den Machismo verkörperte, hatten auch Frauen unter ihm Führungspositionen inne. (Bi.org., Emiliano Zapata, o.A.)
Das Gemälde und vor allem die Auseinandersetzungen zu denen es geführt hat, zeigen einerseits, dass unsere Gesellschaft sich heute für Vielfalt einsetzt, andererseits wie extrem andere Teile der selben Gesellschaft sich dem gesellschaftlichen Prozess dagegen stellen. Dabei geben es hier verschiedene Interpretationsansätze: da er nichts als seine Heimat Flagge trägt, kann es auch für Patriotismus stehen; durch das erigierte Pferd kann man zum einen die Frage nach Sodomie stellen, zum anderen kann es eine Metapher für Homosexualität sein. Bei genauer Betrachtung erkennt man, dass er zwar aller Waffen entledigt ist, der Absatz des Highheels – ein Symbol für das Weibliche – aber eine Waffe ist. Männliche Stereotype werden aufgebrochen, und man kommt wieder auf das Thema Feminismus und den Kampf für die Gleichstellung der Geschlechter zu sprechen. Es ist ein aktueller Kampf, der schon lange ausgetragen wird und wohl noch lange dauern wird, wenn man die Missstände in den Gesellschaften sieht.

“Para todos todo”

Die zapatistische Bewegung steht lange nicht mehr ausschließlich für “¡Tierra y Libertad!”, sondern setzt sich auch gegen diese gesellschaftlichen Missstände ein. Genau deshalb sind die steigende Solidarität und Verbundenheit unter den Kollektiven die treibende Kraft auf dem Weg zur Emanzipation. Das Konzept ist antihierarchisch und antistaatlich. Das Ziel ist “Radikale soziale Gleichheit. Privilegien im Zugang auf Ressourcen werden zurückgewiesen – in der Konsequenz auch für sich selbst. Es wird nicht für einzelne identitäre Gruppen gekämpft, sondern für alle.” Dies schreibt das Café Libertad Kollektiv auf der eigenen Webseite (Zapatismus und die aufständischen Gemeinden, online unter: < https://www.cafe-libertad.de/zapatismus>, o.A.). Deshalb sind sie gewillt weitere kommunale und internationale Kollektive mit Geldern transparent und direkt zu fördern:
“Wir unterstützen unsere Partnerkooperativen, die zapatistischen Gemeinden in Chiapas/Mexiko oder die Frauenkooperative Aprolma in Honduras, lieber direkt mit Fördergeldern.” (Grundsätze des solidarischen Handelns, online unter: <https://www.cafe-libertad.de/solidarischer-handel-2>, o.A.). Somit vergrößert sich nicht nur die Vernetzung der Widerstandskämpfer*innen, sondern auch der Verbündeten und Unterstützer*innen.

„Para todos todo. Para nosotros el dolor y la angustia, para nosotros la alegre rebeldía, para nosotros el futuro negado, para nosotros la dignidad insurrecta. Para nosotros nada“

(Subcomandante Marcos in: Das Kollektiv online unter < https://www.cafe-libertad.de/das-kollektiv > o.A.)

Quellenverzeichnis

De Huerta, M. D., 1994/2001, Yo Marcos. Gespräche über die zapatistische Bewegung, Hamburg, Edition Nautilus GmbH, 2001.

Gerber, P. (29.08.2020), Amerika 21, Nachrichten und Analysen aus Latienamerika: Mexiko: Lagerhallen der EZLN in Chiapas geplündert und in Brand gesteckt, online unter: https://amerika21.de/2020/08/242964/mexiko-chiapas-zapatisten-kaffee-brand, zuletzt auf-gerufen am 01.07.2021

Haupt, F. (21.06.2020), Frankfurter Allgemeine: Über die da oben darf gestritten werden, onlline unter: https://www.faz.net/aktuell/politik/warum-es-wichtig-ist-ueber-statuen-zu-streiten-16824724.html, zuletzt aufgerufen am 30.06.2021

Kampkötter, Markus. Emiliano Zapata. 2. Auflage. Münster: UNRAST-Verlag. 2003.

Kerkeling, L. 2021. Zapatistische Befreiungsarmee: Zapatistas gehen auf Welttournee, Neues Deutschland, online unter: <Zapatistische Befreiungsarmee: Zapatistas gehen auf Welttournee (nd aktuell) (nd-aktuell.de)>. zuletzt aufgerufen am 01.07.2021

Núñez, E. (11.12.2019), Animal MX: “¿POR QUÉ EL ZAPATA, DE FABIÁN CHAIREZ, NO DEBE SER RETIRADO DE BELLAS ARTES?”, online unter: <https://animal.mx/2019/12/emiliano-zapata-pintura-bellas-arte-no-debe-ser-retirada/ >, zuletzt aufgerufen am: 01.07.2021

O.A. 2021. Reise nach Europa. Enlace Zapatistas. Journey to Europe… « Enlace Zapatista (ezln.org.mx) zuletzt aufgerufen am 01.07.2021

O.A. (11.11.2020), Enlace Zapatistas: online unter: <http://enlacezapatista.ezln.org.mx/2020/11/11/die-zapatistas-zeigen-die-entfuhrung-eines-companeros-ihrer-unterstutzungsbasis-durch-paramilitars-der-orcao-an0/>, zuletzt aufgerufen am 01.07.2021

O.A. (22.01.2021): Paramilitärische Angriffe auf die zapatistische Gemeinde Moíses Gandhi, online unter: <https://www.ya-basta-netz.org/angriffe-moises-gandhi21/>, zuletzt aufgerufen am 01.07.2021

O.A., dpa, 12.12.2019, online unter: <https://www.monopol-magazin.de/loesung-im-streit-um-gemaelde-von-nacktem-zapata-mexiko-gefunden?slide=1%20 >, zuletzt aufgerufen am 01.07.2021

O.A.,bi.org, o.A., online unter:< https://bi.org/en/famous/emiliano-zapata >, zuletzt aufgerufen am 01.07.2021

O.A., o.A., online unter: < https://www.cafe-libertad.de/historie>, zuletzt aufgerufen am 02.07.2021

O.A., o.A. Tren Maya- der Mega Zug entlang der sagenhaften Maya Tempel, online unter: <https://www.train-maya.de/>, zuletzt aufgerufen am 03.07.2021

O.A., Grundsätze des solidarischen Handelns, online unter: <https://www.cafe-libertad.de/solidarischer-handel-2 >, zuletzt aufgerufen am 03.07.2021

Grupo de Ação (São Paulo, Brasilien)

Bericht zum Monumento às Bandeiras – Grupo de Ação

Autorschaft: Julius Dorn, Sophie Griesbach, Lana Hellendahl, Maxie Leistner und Anna-Lea Namyslik
Aktivistische Gruppe: Grupo de Ação
Statue / Monument: Monumento às Bandeiras
Ort (Stadt, Land): São Paulo, Brasilien

1. Beschreibung der Monumente und historischer Hintergrund

1.1. El Monumento às Bandeiras

El monumento às Bandeiras befindet sich im Ibirapuera-Park São Paulos in Brasilien und wurde im Jahr 1953 inauguriert. Dieses stellt 32 Figuren dar, darunter Portugiesen, Indigene, Schwarze Menschen und Mamelucken (Receio, Monumento às Bandeiras, 2021). Zwei portugiesische Bandeirantes auf Pferden führen eine Gruppe an, die ein Kanu zieht bzw. schiebt (Taylor&Francis Online, What to do with the bandeirantes, 14.07.2020).
Die Bandeirantes, was so viel wie “Fahnenträger” / ”Bannerträger” bedeutet, waren Sklavenhändler, Entdecker und Goldsucher im frühen kolonialen Brasilien, die unter anderem durch Flussexpeditionen mittels Kanus das Innere Brasiliens entdeckten und ausbeuteten. Auch Pferde galten als wichtiges Fortbewegungsmittel durch das dichtbewaldete Brasilien. São Paulo als Stützpunkt nutzend, trugen sie dazu bei, die Macht Portugals auszuweiten zu erweitern. Zu ihren Tätigkeiten gehörten auch die Gefangennahme, Versklavung und Ermordung einheimischer Bevölkerungsgruppen, bei denen sie Methoden wie die Zerstörung ganzer Dörfer und die Täuschung der Einheimischen einsetzten. (Wikipedia, Bandeirantes, 07.05.2021) Ihnen zu Ehren wurde das Monument unter anderem mit der Inschrift “Ruhm den Helden […] ohne sie wäre Brasilien nicht so großartig, wie es ist” erschaffen (Palácio das Artes 50, O que fazer com as estátuas de Bandeirantes?, 2020, übersetzt von AutorInnen: “Glória aos Heróis que traçaram […] Sem eles o Brasil não seria grande como é”).
Das Monument wurde 1921 in Auftrag gegeben und 1953 zum 400-jährigen Bestehen São Paulos eingeweiht. Erschaffen hat es der italienisch-brasilianische Bildhauer Victor Brecheret. Für dieses Monument bediente er sich verschiedener Elemente der europäischen, modernistischen Bildhauerei, aber auch menschlicher Formen und visueller Motive der brasilianischen Volkskunst. (Equestrian Statues, Monumento Bandeirantes, N.D.)
Insgesamt setzt sich das Monument aus 240 Granitblöcken zusammen und umfasst 12 Meter Höhe, 50 Meter Länge und 15 Meter Breite (Taylor&Francis Online, What to do with the bandeirantes, 2020). Das Monument soll Kühnheit, Fortschritt und Reichtum signalisieren, aber auch der territorialen Integration und der nationalen Einheit einen Sinn geben, was durch die gemeinsame Darstellung verschiedener Bevölkerungsgruppen und Ethnien demonstriert werden soll (Palácio das Artes 50, O que fazer com as estátuas de Bandeirantes?, 2020).

1.2. As estátuas de Manuel Borba Gato e Bartolomeu Bueno da Silva

Zwei bekannte Vertreter der Bandeirantes waren Manuel Borba Gato und Bartolomeu Bueno da Silva, zu dessen Ehren auch jeweils eine Statue in Sao Paulo errichtet wurde. Manuel Borba Gato lebte von 1649 bis 1718; seine Statue wurde 1963 eingeweiht und steht bis heute im Stadtteil Santo Amaro. (Conhecimiento Científico, Borba Gato, quem foi? História, Guerra dos Emboabas e bandeirisimo, 17.08.2020) Der Künstler ist Julius War und hat diese Statue aus farbigen Basalt- und Marmorsteinen geschaffen. Er hat Manuel Borba Gato in den typischen Roben eines portugiesischen Entdeckers dargestellt und lässt ihn zusätzlich noch eine Schusswaffe in der linken Hand halten. Manuel Borba Gato gehörte zusammen mit seinem Vater und seinem Schwiegervater den Bandeirantes an. Gemeinsam haben sie unter anderem die Wälder von Sao Paulo und Mato Grosso bereist, später fand er Gold im Rio des Velhas. (Wikipedia, Estátua do Borba Gato, 22.04.2021). Bis heute wird er als Nationalheld gesehen, unter anderem ist eine U-Bahnstation nach ihm benannt. (Forum, Estátua de Borba Gato agora tem segurança 24h da GCM, 2020)
Bartolomeu Bueno da Silva lebte von 1672 bis 1740. Seine Statue findet man im Stadtteil Goiás, die von Amando Zago errichtet und 1942 eingeweiht wurde. Auch er begleitete seinen Vater auf die Erkundungstouren in Richtung des heutigen Goiás, da es viele Gerüchte um Edelsteinvorkommen gab. Anstelle von Schätzen kamen sie jedoch mit gefangenen Einheimischen zurück, die sie später als Sklaven verkauften, um der Familie ein gesichertes Einkommen zu verschaffen. Später stellte da Silva sich auch einen eigenen Verbund von Bandeirantes zusammen. Außerdem fand er 1725 Gold im Rio Vermelho. (Wikipedia, Bartolomeu Bueno da Silva, 12.02.2021)

2. Problematik und Kritik

2.1. Problematik der Verherrlichung der Bandeirantes und des Rassismus in Brasilien

Während die Statuen der Bandeirantes die Idee eines Heldentums verkörpern und sie als solche verehrt werden, entgeht dem Großteil der Bevölkerung die eigentliche Problematik, die sich hinter dem Monument und den Statuen verbirgt.
Dahinter steht nämlich eine totale Verherrlichung der Taten der Bandeirantes während der Kolonisierung Brasiliens, indem die Vergehen, die sie neben ihren „Heldentaten“ noch verübten, gänzlich außer Acht gelassen werden.
In Anbetracht des Monumentes wird es ebenfalls so dargestellt, als hätten bei diesen Expeditionen alle zusammengearbeitet, was in Teilen vermutlich stimmt. Jedoch sei zum einen zu hinterfragen, ob die Sklaven, Afrikaner und Indigenen diese Arbeiten wirklich freiwillig verrichtet haben, und zum anderen kritisch zu betrachten, dass das Image von Pfadfindern und nationaler Integration noch immer über das Leid und das Vergessen von indigenen Minderheiten gestellt wird. (Palácio das Artes 50, O que fazer com as estátuas de Bandeirantes?, 2020)
Auch bei aktuellen Recherchen im Internet stößt man weiterhin auf verherrlichende Aussagen in Bezug auf das Monument, wie das folgende Beispiel verdeutlichen soll (Equestrian Statues, Monumento Bandeirantes, K.A.).

„The monument pays tribute to the bandeirantes and reflects the diversity for which Brazil is so well known, depicting Portuguese settlers alongside black and indigenous men and women, working together to pull the canoe, a familiar scene in their ubiquitous river expeditions“. (ebd.)

Der identitätsstiftende Mythos und die „Heldentaten“ sind immer noch sehr präsent, die negativen Aspekte finden keine Erwähnung. Auch zukünftig wird vermutlich, dank der Politik des rechtsgerichteten Präsidenten Brasiliens, keine Aufklärung diesbezüglich gefördert. Jener äußerte sich einmal wie folgt:

„Wir sind ein gemischtes Volk, das ist die Essenz des Brasilianers, die uns die Sympathie der Welt eingebracht hat. Einige wollen sie aber zerstören und an ihre Stelle den Konflikt, die Ablehnung, den Hass und die Spaltung zwischen den Rassen setzen, immer getarnt als Kampf für Gleichheit oder soziale Gerechtigkeit“. (ZEIT Online, Jair Bolsonaro warnt vor Spaltung durch Antirassismusdemos, 21.11.2020).

Diese Aussage wurde nicht konkret in Zusammenhang mit den Monumenten getätigt. Dennoch kann man daraus entnehmen, dass er die Position vertritt, es gäbe keinen Rassismus in Brasilien, keine Ungleichheit oder unterschiedliche Behandlung. Dies ist einerseits nicht korrekt, andererseits unterstützt er mit dieser Position die dem Monument zugeschriebene Bedeutung des friedlichen Zusammenlebens und Arbeitens von Völkern. Und das obwohl es indigenen und Schwarzen Bevölkerungsgruppen bewiesenermaßen in Brasilien schlechter geht als Weißen. (DW, Brasiliens ganz eigener Rassismus, 11.12.2019)
Kritik kommt aus vielen Richtungen, weshalb die aufgeführten Monumente und Statuen mehrfach Teil diverser Protestaktionen waren.

2.2. Intervention im Jahr 2013

Am 9. Februar 2013 kam es erstmals zur Besprühung des Monumento às Bandeiras durch Demonstranten, welche an dem Protestzug der indigenen Bevölkerung teilnahmen. An verschiedenen Stellen war in roter Farbe der Schriftzug „Bandeirantes assasinos“ zu lesen, wobei „assasinos“ für Mörder steht. (G1.globo, Manifestantes jogam tinta e picham o Monumento às Bandeiras, 02.10.2013)
Die Demonstrationen und Proteste der indigenen Bevölkerung richteten sich gegen die Verfassungsänderung PEC 215, die sowohl von indigenen Völkern als auch von Nichtregierungsorganisationen kritisiert wird. Diese nimmt der Bundesregierung die Autonomie, Gebiete für Indigene, unter anderem Quilombolas, und Umweltschutzzonen auszuweisen.
Mehrmals wurde gegen die PEC protestiert (sogar von Umweltorganisationen): Dabei wurden unter anderem Straßen blockiert oder es fanden Proteste vor der Abgeordnetenkammer statt. Am 27.10.15 haben 21 Abgeordnete eines Ausschusses des brasilianischen Unterhauses den Verfassungsänderungsvorschlag einstimmig angenommen. (blog.wwf, PEC 215: Schwarzer Tag für die Indigenen — und die Natur Brasiliens, 28.10.2015)

2.3. Intervention im Jahr 2016

Des Weiteren wurden am 30.09.2016 das Monumento às Bandeiras und die Statue von Borba Gato (in Santo Amaro) in verschiedenen bunten Farben besprüht. Außerdem lagen Eierschalen mit Farbresten um die Statue Borba Gato herum. Die Handlungen wurden als Vandalismus deklariert, ohne dass die Regierung die Motive hinterfragte. Die Resonanz dieser Protestaktion war nicht ausschließlich positiv. Beispielsweise äußerte sich das Victor Brecheret Institut wie folgt: “Es ist ein begangener Gewaltakt gegen eines der wichtigsten künstlerischen Werke des Landes. Das Monumento às Bandeiras gehört dem Volk. Als Symbol muss es respektiert und seine Erhaltung von uns allen garantiert werden.” (Folha de S.Paulo, Estátua do Borba Gato e Monumento às Bandeiras são ’pichados’ em SP, 30.09.2016, übersetzt von AutorInnen: ”É uma violência cometida contra uma das mais importantes obras artísticas do país. O Monumento às Bandeiras pertence ao povo brasileiro. Como símbolo, deve ser respeitado e sua preservação garantida por todos nós.”)
Darüber hinaus warnt der Politikwissenschaftler Jaime Matsés davor, dass es heute im Amazonas und in Jaragua keine Bandeirantes mehr gebe, jedoch nach wie vor Menschen in den gleichen Funktionen. “Nichts hat sich geändert. Wir leben, weil wir der Rest von denen sind, die sie nicht getötet haben.”(Tab Uol, Estátua do Borba Gato: como lidar com monumentos polêmicos do passado, 10.06.2020, übersetzt von AutorInnen: Não mudou nada. Estamos vivos, pois somos o resto do que não mataram.”) Dies verdeutlicht, dass es noch immer Menschen gibt, die heute ähnliche Absichten verfolgen wie damals die Bandeirantes. Menschen, die die brasilianische Gesellschaft spalten und den Rassismus, einschließlich der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung, fördern.

3. Analyse der Aktivistengruppe Grupo de Ação

3.1. Arbeit der Aktivistengruppe Grupo de Ação

Eine Aktivistengruppe, die sich gegen diese Absichten ausspricht, nennt sich Grupo de Ação und existiert seit etwa dem Beginn der Pandemie im Mai 2020. Sie hat sich online gegründet und vereint etwa 150 Mitglieder aus São Paulo, Rio de Janeiro und Porto Alegre. (G1.globo, Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP, 27.10.2020) Bekannte Mitglieder der Gruppe sind die Künstlerin Dora Longo Bahia, der Videokünstler Junae Andreazza und der Philosoph Vladimir Safatle. Sie sehen sich nach eigenen Aussagen als “a supra-party and anti-capitalist alliance formed by activists, students, teachers, artists, workers in the law, health, communication and other areas, united in the fight against the fascist extermination of the Brazilian people and for the construction of a common future” (Dora Longo Bahia, 11.06.2021). Man kann das Agieren der Gruppe als antirassistisch einstufen, da sie die rassistischen Zustände innerhalb Brasiliens nicht “hinnehmen”, sondern gegen ebenjene rassistische Haltung der Regierenden protestiert.

„In the face of the racist, genocidal character of the ideology of so-called „racial democracy,“ it would be irresponsible to fail to expose and roundly denounce the social structure supposedly based on it. To be silent would be to give tacit approval to the exploitation and destruction of one race by another through dissimulated but systematic oppression and racial arrogance. It would be to condone genocide: a criminal act which perpetuates an unjust society totally iniquitous to Blacks and native Indians in Brazil“. (Nascimiento, 1989, 90).

Ihre Proteste verdeutlichen, dass sie sich weigern, diese Form der Unterdrückung zu dulden. Die erste Protestaktion richtete sich gegen die Bolsonaro-Regierung, vor allem in Gedenken an die 100.000 Opfer des Covid-19-Virus. Seitens der Regierung wurde zum einen kaum Anteil genommen, zum anderen wurde die Existenz und Dringlichkeit der Bekämpfung des Virus nahezu geleugnet. Wie den Social-Media-Kanälen der Gruppe und der Gruppenmitglieder zu entnehmen ist, richten sich auch sonstige von ihnen initiierte Protestaktionen gegen die Regierung Brasiliens. Zumeist handelt es sich hierbei um öffentliche Demonstrationen mit Bannern auf denen “Fora Bolsonaro”, “Estado Genocida” oder “Neoliberalismo + Facismo = Genocido”, übersetzt “Raus mit Bolsonaro”, “Völkermord-Staat” oder “Neoliberalismus + Faschismus = Völkermord”, zu lesen ist. (Instagram, Grupo de Ação, 19.06.2021).

3.2. Intervention im Oktober 2020

All dies lässt sich auch bei einer weiteren Aktion im Oktober 2020 beobachten, jedoch sticht diese Aktion aus allen anderen hervor. Es handelt sich hierbei um eine Intervention, bei der Totenschädel vor das Monumento às Bandeiras und die Statuen “Borba Gato”, “Bartolomeou Bueno da Silva”, “Pedro Álvarez Cabral” und weiteren Statuen platziert wurden. Ein Mitglied der Gruppe besorgte die Totenschädel aus dem Müll einer Sambaschule, die bereits bei vorherigen Karnevalsumzügen verwendet wurden. Junae Andreazza hatte die Idee, die Schädel vor die Statue des Militärkommandos der Armee im Stadtteil Paraíso zu legen und davon ein Foto zu machen. (G1.globo, Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP, 27.10.2020) Die Gruppe setzte die Aktion daraufhin mit weiteren Statuen und Denkmälern um, die in Zusammenhang mit dem Tod in Brasilien stehen. Die Schädel “were used to associate the Bolsonaro government’s genocide with the recurrent massacre of indigenous peoples and the black population in Brazil” (Dora Longo Bahia, 11.06.2021). An dieser Stelle wird von Völkermord gesprochen, da durch die nachlässige Bekämpfung der Pandemie, die generell starke Polizeigewalt und die noch immer stattfindenden Massakern an indigenen Bevölkerungsgruppen die indigene und schwarze Bevölkerung in Brasilien besonders stark betroffen ist. Die Idee der Gruppe war es, den Monumenten eine neue Bedeutung zu geben ohne sie zu zerstören; sie also in Frage zu stellen, da sie zuvor lediglich die Idee eines Helden verkörpert haben. (G1.globo, Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP, 27.10.2020) Junae Andreazza sagt weiterhin:

„Wir wollen keinen Verfall, wir wollen eine Neudefinition. Wir haben ein Bild gemacht und wollten ihm eine andere Bedeutung geben. […] Borba Gato war einer der größten Mörder unseres Volkes, die wir je gekannt haben. Der Schädel, selbst mit diesem allegorischen Ding, das aus dem Karneval stammt, versucht, der Geschichte eine neue Bedeutung zu geben“ (G1.globo, Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP, 27.10.2020, übersetzt von AutorInnen: „A gente não quer a deterioração, queremos a ressignificação. Fizemos uma foto e queríamos dar um outro significado. […] Borba Gato foi um dos maiores assassinos que a gente já conheceu do nosso povo. A caveira até por ter essa coisa alegórica que veio do carnaval tenta ressignificar a história“).

Die Bevölkerung reagierte positiv auf die Intervention und konnte sie verstehen. Nach Mignolo entstehe Dekolonialität dann, ”wenn die Akteur_innen, die rassisierte Sprachen und ihrer Menschlichkeit beraubte Subjektivitäten bewohnen, ein Bewusstsein der Auswirkungen der Kolonialität von Sein und Wissen erlangen”. (Mignolo, 2012, 188) Insofern kann auch die Aktion als dekolonial eingestuft werden. Sie verhalf nicht nur den Akteuren und Akteurinnen aufgrund ihrer Recherche, sondern auch der gesamten Bevölkerung zu einem neuen Bewusstsein über ihre eigene Historie. Andreazza sprach davon, dass den Passanten die Geschichte der Pioniere zum Teil bekannt war, sie nach Fotos fragten und die Aktion kommentierten. Außerdem wurden sie durch diese Intervention dazu inspiriert, ähnliche Ereignisse in anderen Städten fortzusetzen. Die Gruppe selbst beabsichtigte jedoch nicht, die Intervention auszudehnen, wenngleich sie die Auswirkungen, vor allem die massive Verbreitung der Fotos und Videos im Netz, überrascht habe. (G1.globo, Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP, 27.10.2020).
Nach eigenen Aussagen ordnet die Gruppe ihre Aktion als hauptsächlich politisch ein, was für sie auch die Überprüfung der offiziellen Geschichtsschreibung im heutigen Brasilien einschließt. Denn die Darstellung jener Pioniere als Helden sei mitverantwortlich für die Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen und rassistischen und sexistischen Vorurteilen innerhalb der Bevölkerung. (Dora Longo Bahia, 11.06.2021) Dennoch kann diese Intervention als antirassistisch und dekolonial verstanden werden. Sie ermöglicht den Menschen Zugang zu neuem Wissen durch Aufklärung und lenkt die Aufmerksamkeit auf gesellschaftliche Probleme wie Rassismus und auf die Verherrlichung der in der Vergangenheit verübten Gräueltaten. Sie wollen jeglichen Ausschluss verhindern und gehen dagegen vor, dass Weiße sich über jene Gruppen stellen, die damals bereits leiden mussten. Nach Hall entstehen rassistische Ideologien dann, “wenn die Produktion von Bedeutungen mit Machtstrategien verknüpft sind und diese dazu dienen, bestimmte Gruppen vom Zugang zu kulturellen und symbolischen Ressourcen auszuschließen” (Hall, 2000, 7). Durch die genannte Aktion und die stattfindende Aufklärung erhält die Bevölkerung einen Zugang zu korrektem historischem Wissen als kulturelle Ressource. Darüber hinaus sei Rassismus Halls Ansicht nach dort am stärksten, wo Menschen verschiedener “Rassen” innerhalb derselben Gesellschaft zusammenleben (Hall, 2000, 7). Die falsche Darstellung des Zusammenlebens in der brasilianischen Gesellschaft und der Machtausübung der Regierung, die die Monumente und ihre Bedeutung prägen, verdeutlicht den vorherrschenden und anhaltenden Rassismus in Brasilien. Dies lässt derartige Interventionen, wie ebenjene, die im Oktober 2020 von der Grupo de Ação initiiert wurde, umso bedeutender erscheinen.

4. Literaturverzeichnis

Hall, Stuart. Rassismus als ideologischer Diskurs. In: Theorien über Rassismus, hrsg. V. Räthzel, Nora, Argument Verlag Hamburg 2000, S. 7.

Interview. 11.06.2021. Dora Longo Bahia, Künstlerin und Aktivistin der Grupo de Ação.

Mignolo, Walter D. Epistemischer Ungehorsam. Rhetorik der Moderne, Logik der Kolonialität und Grammatik der Dekolonialität, Verlag Turia + Kant 2012, S. 188.

Nascimiento, Abdias. 1989. Genocide: The Social Lynching of Africans and their Descendants in Brazil. En: Brazil, Mixture or Massacre? Essays in the Genocide of a Black People, Dover: Majority Press, 57-90.

5. Internetquellen

Bolsonaro, Jair. 21.11.2020. Jair Bolsonaro warnt vor Spaltung durch Antirassismusdemos. https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-11/brasilien-proteste-rassismus-jair-bolsonaro. Letzter Zugriff am 29.06.2021.

Cardoso, Bruna. 07.05.2021. Monumento às Bandeiras: Conheça o significado por tras da obra que homenageia aos bandeirantes. http://recreio.uol.com.br/mapa-mundi/monumento-as-bandeiras-homenagem-aos-bandeirantes.phtml. Letzter Zugriff am 28.06.2021.

Cymbalista, Renato. 14.07.2020. What to do with the bandeirantes. A challenged monument in São Paulo, Brazil. https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/13604813.2020.1784583. Letzter Zugriff am 28.06.2021.

Eisele, Ines. 11.12.2019. Brasiliens ganz eigener Rassismus. https://www.dw.com/de/brasiliens-ganz-eigener-rassismus/a-51604695. Letzter Zugriff am 29.06.2021.

Grupo de Ação. https://www.instagram.com/grupodeacao_/ Letzter Zugriff am 29.06.2021.

Maldonado, Roberto. 28.10.2015. PEC 215: Schwarzer Tag für die Indigenen — und die Natur Brasiliens. https://blog.wwf.de/pec-215-ein-schwarzer-tag-fuer-brasilien/. Letzter Zugriff am 03.07.2021.

Mora, Marcelo. 02.10.2013. Manifestantes jogam tinta e picham o Monumento às Bandeiras. http://g1.globo.com/sao-paulo/noticia/2013/10/manifestantes-jogam-tinta-vermelha-no-monumento-bandeiras.html. Letzter Zugriff am
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Misak (Popayán, Kolumbien)

Intervention in Popayán: Statue von Sebastián de Belalcázar

Autorschaft: Maryna Korostiienko, Natalie Girod und Maren Klembt (Vermittlerin)
Aktivistische Gruppe: Misak
Statue / Monument: Statue von Sebastián de Belalcázar
Ort (Stadt, Land): Popayán, Kolumbien

Sebastián de Belalcázar

Sebastián de Belalcázar, eigentlicher Familienname Moyano, wurde 1479 oder 1495 in Belalcázar bei Cordoba, Andalusien, geboren und starb 1551 in Cartagena, Kolumbien. Er trug einen entscheidenden Teil dazu bei, die Gebiete der heutigen Staaten Nicaragua, Ecuador und des Südwestens Kolumbiens zu erobern. Bei der 1524 durchgeführten Conquista des heutigen Nicaragua nahm er unter anderem mit dem spanischen Konquistador Francisco Hernández de Córdoba eine wichtige Position ein. Wenige Jahre später, 1532, rüstete er zwei Schiffe auf und schloss sich der Conquista des Inkareiches an. Mit einem Heer aus 150 Soldaten und der Hilfe von verschiedenen indianischen Hilfstruppen, stieß er 1534 nach Norden vor. Belalcázar gründete in der Nähe des heutigen Riobamba, eine Stadt in Ecuador, die Städte Santiago und San Francisco. Santiago bezeichnete das heutige Guayaquil, das an der Pazifikküste gelegen ist. San Francisco wurde später in die Ruinen des zerstörten Quitos, der heutigen Hauptstadt Ecuadors, verlegt. Zwei Jahre später, 1536, stieß Belalcázar weiter in Richtung Norden vor, in das heutige Südwest-Kolumbien. 1537 errichtete Belalcázar die Stadt Popayán und organisierte die Herrschaft über das Umland. Neiva, Cali und Ampudia stammen ebenfalls aus den Stadtgründungen von Sebastian Belalcázar.

Volk Misak

Die Bevölkerung in Kolumbien ist insgesamt sehr unterschiedlich und die Anteile der ethnischen Gruppen variieren stark von Region zu Region. Die Ansiedlung der indigenen ethnischen Gruppen ist ebenfalls nicht gleichmäßig über das Territorium des Landes verteilt. (Vgl. Web Seite Colombia, “Demografía”, 24.11.2020, https://www.colombia.com/colombia-info/informacion-general/demografia/, letzter Zugriff: 21.06.2021)
Die indigene Bevölkerung der Provinz Cauca wird durch mehrere Völker und ihre Organisationen repräsentiert. Einige von diesen Völkern nahmen direkt an dem Ereignis der Intervention der Statue von Sebastián de Belalcázar in Popayán am 16. September 2020 teil. Eine der wichtigsten aktivistischen Bewegungen in Bezug auf den Widerstand ist das Volk der Misak. Zusammen mit einigen anderen Völkern, die später in diesem Blogartikel Erwähnung finden, kämpfen sie für eine Rekonstruktion des historischen Gedächtnisses.
Die Misak sind Nachkommen mehrerer indigener Völker, die in dem Gebiet lebten, das von Belalcázar erobert wurde. Sie sind auch unter dem Namen Guambiano bekannt. Das Volk behielt ihre Muttersprache, mit der sie das Fundament ihrer ethnischen und kulturellen Identität schafften. Die Sprache heißt Wampimisamerawam. Die Misak sind zweisprachig, indem sie sowohl Spanisch sprechen als auch ihre Muttersprache, die mehr als die Hälfte der Einwohner beherrschen.
In traditionellen Weltanschauungen werden die Misak auch „la gente del agua“ genannt. Die Verwaltungsstruktur dieser indigenen Gruppe basiert auf ihrer Kultur und ihren Gebräuchen: Regionalvertreter und „Taitas“ werden in den „Cabildo“ Rat gewählt.
Der „Cabildo Indigena del Resguardo de Guambia“ ist der politisch und gesetzlich gewählte Vertreter der Misak. Er trägt die Verantwortung für das Volk, besitzt höchste Autorität und vertritt das Misak-Volk nach innen und außen auf politischer und administrativer Ebene. Er vertritt ebenfalls die Misak in Kolumbien, die außerhalb des Reservats leben. Ein weiteres Charakteristikum der Misak ist ihre enge Beziehung zur Landwirtschaft und lokalen Industrie. Sie sind es gewohnt, hauptsächlich von selbst angebauten und gemeinschaftlich hergestellten Gütern zu leben. Da sie selbst weben, spinnen, stricken und färben, tragen sie traditionelle lilafarbene und kornblumenblaue Kostüme.

Völker Nasa und Pijao

Nach Informationen der Webseite der „Organización Nacional Indígena de Colombia“ beteiligten sich neben dem Volk der Misak auch zwei weitere Völker an der Intervention der Statue. Berichten zufolge nahmen mehr als 5000 Gemeindemitglieder der Völker Misak, Nasa und Pijao an dem Sturz teil (Vgl. CRIC, “¡Cayó Conquistador! ¡Indígenas Misak, Nasa y Pijao derriban la estatua de Sebastián de Belalcázar!”, 16.09.2020 https://www.cric-colombia.org/portal/cayo-conquistador-indigenas-misak-nasa-y-pijao-derriban-la-estatua-de-sebastian-de-belalcazar/, letzter Zugriff: 22.06.2021). Das Volk der Nasa, auch bekannt als Paes, ist in der Nähe von Popayán im Südwesten des kolumbianischen Hochlands angesiedelt. Nasa Yuwe, die Muttersprache der Nasa und eine der meistgesprochenen Sprachen in Kolumbien, wird von ungefähr 60.000 Menschen benutzt.
Schon vor Kolumbus bewohnte das Volk der Pijao die zentralen Höhengebiete der kolumbianischen Anden. Ihre soziale Struktur war nicht durch eine strenge Hierarchie gekennzeichnet. Ihre Muttersprache Pijao gilt als ausgestorben. Übrig geblieben sind nur einige Vokabellisten des 20. Jahrhunderts. (Vgl. ONIC,“Pueblos Indígenas de Colombia ”, 06.08.2010, https://www.onic.org.co/pueblos, letzter Zugriff: 19.06.2021).

Die Organisationen zur Bewahrung von Kultur und Identität

Die verschiedenen lokale indigene Völker finden sich in unterschiedlichen Organisationen zusammen. Zunächst ist zu erwähnen, dass die Misak als Volk eine aktive bürgerliche Position einnehmen und sich aktiv am politischen, sozialen und kulturellen Leben der Region und des Landes beteiligen. Sie haben eine eigene Webseite, die „Cabildo Indigena Del Resguardo De Guambía“ heißt. Dort werden die wichtigsten Ereignisse dokumentiert und es wird über verschiedene Projekte informiert.
Der „Consejo Regional Indígena del Cauca“ (CRIC) ist eine Vereinigung von Behörden der indigenen Völker, die die Mehrheit der indigenen und kommunalen Räte des „Departements Cauca“ in Kolumbien umfasst. Er beschäftigt sich mit der Wiederherstellung von Reservatsgebieten und dem Schutz des angestammten Territoriums und des Lebensraums indigener Gemeinschaften. Zudem befasst er sich mit der Veröffentlichung von Gesetzen der indigenen Völker, der Forderung ihrer gerechten Anwendung und dem Schutz der Geschichte, der Sprache und der Bräuche indigener Völker.
Die folgende Organisation ist die „Organización Nacional Indígena de Colombia“. Es ist die Behörde der Regierung, der Justiz, des Rechts und der Vertretung der indigenen Völker Kolumbiens. Sie umfasst wichtige Instanzen wie den Nationalen Kongress (Oberste Regierungsbehörde der indigenen Völker), die Versammlung der Behörden (bestehend aus hochrangigen Beratern) und das indigene Parlament (Entwurf unabhängiger Gesetze auf der Grundlage der indigenen Autonomie).
Die „Organisation Autoridades Indigenas del Sur Occidente“ ist eine Organisation und auch eine kolumbianische politische Partei. Ihre Aktivitäten zielen auf den Schutz indigener Völker ab. Die Organisation hat sich als soziale und politische Bewegung etabliert.

Prozess von Sebastián de Belalcázar

In Rahmen der „Oraganisation Autoridades Indigenas del Sur Occidente“ wurde ein Dokument veröffentlicht, das die Motivation der indigenen Völker detailliert beschreibt, ihren Standpunkt erklärt und im Wesentlichen ihre Aussage präsentiert. Es heißt „Urteil der Nachkommen der Pubenences zu Sebastian de Belalcázar“, der die Geschichte der rassistischen und kolonialen Stimme als El Conquistador de „Popayán“ oder als Eroberer von „Popayán“ beschreibt (Vgl. Comisión de Justicia y Paz, “Comunicado de autoridades indígenas sobre el juicio popular a Sebastián de Belarcázar”, 17.09.2021, https://www.justiciaypazcolombia.com/comunicado-de-autoridades-indigenas-sobre-el-juicio-popular-a-sebastian-de-belarcazar/ letzter Zugriff: 26.06.2021). Der Originaltext ist wie folgt strukturiert: Name der verurteilten Person (der volle Name Belalcázars wird verwendet), Verbrechen, Quellen, begründete Fakten, Deklaration und schließlich das Urteil.
Somit weist das Dokument Anzeichen eines Gerichtsurteils auf, unter anderem einen ausgewogenen Schuldspruch über die festgestellten Tatsachen, die Sebastián de Belálcazar zur Verantwortung ziehen sollen.
Das Datum, an dem dieses Dokument erstellt wurde, sollte ebenfalls beachtet werden. Es war der 25. Juni 2020, genau einen Monat nach dem Tod von George Floyd und einige Monate vor der tatsächlichen Zerstörung der Statue von Sebastián de Belalcázar in Kolumbien. Dies deutet meiner Meinung nach darauf hin, dass der Sturz der Statue keine vorschnelle, emotionale oder aggressive Entscheidung war. Die Liste der Verbrechen, die ihm zugeschrieben werden, ist zu lang und seine Taten sind zu schwerwiegend, um Einzelne herauszuheben.
Der nächste Teil des Dokuments enthält eine Erklärung, in der sie heute, also nach 485 Jahren, Gerechtigkeit für die Erinnerung an den Widerstand fordern. In dem Dokument wird Belalcázar als ein Mann charakterisiert, der aus Gier nach Gold-Nationen zum höchsten demografischen Niedergang der Geschichte führte. Am Ende beschließen sie im Dokument, dass Belalcázar sich aller beschriebenen Verbrechen schuldig gemacht hat und er aus diesem Grund dazu verurteilt ist, als Genozid der Völker in die Weltgeschichte einzugehen. Seine Rolle in der Geschichte muss neu geschrieben werden, was bedeutet, dass komplett überdacht wird, wer er war und was er getan hat (Vgl. Comisión de Justicia y Paz “Comunicado de autoridades indígenas sobre el juicio popular a Sebastián de Belarcázar”, 17.09.2021, https://www.justiciaypazcolombia.com/comunicado-de-autoridades-indigenas-sobre-el-juicio-popular-a-sebastian-de-belarcazar/ letzter Zugriff: 26.06.2021). Sie fordern auch die Regierung dazu auf, Maßnahmen zu ergreifen, um sich von den Folgen zu erholen.

Sturz der Statue

Nach der Ermordung von George Floyd 2020 und den darauffolgenden Black Lives Matter Protesten, entstand eine Welle globaler Solidarisierung, die auch in Kolumbien eine kritische Auseinandersetzung mit kolonialen Denkmäler entfachte und diese in die öffentliche Wahrnehmung rückte. Das in Bronze gegossene Reiterstandbild stellt den spanischen Konquistador Sebastián de Belalcázar dar. Die Statue befand sich seit 1937 bis 2020 an der Spitze des „El Morro del Tulcán“ in Popayán. Im Zuge der spanischen Inquisition gründete Sebastian de Belalcázar im Jahr 1537 die Städte Cali, Pasto und Popayán durch gewaltsame Machtergreifung. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 400-jährigen Bestehen Popayáns, gab die Regierung unter Alfonso López Pumarejo die Belalcázar Statue im Jahr 1937 in Auftrag. Ein Jahr darauf wurde sie dann schlussendlich errichtet. Den Kommentaren aus den sozialen Netzwerken nach zu urteilen, forderte die Misak Ethnie die Schuldsprechung des spanischen Konquistadors Sebastián de Belalcázar, der auf dem Reiterstandbild zu sehen war. Sie fordern Konsequenzen für die gewaltsame Landaneignung, Plünderung und Versklavung durch Belalcázar und bezichtigen ihn des Genozids ihrer Vorfahren.
In einer öffentlichen Meldung der Bewegung AISO (Autoridades Indigenas del Sur Occidente), die sich ebenfalls am Sturz beteiligte, heißt es in der Übersetzung von Emanuele Morciano: „Dieser Sturz ist angesichts unserer kollektiven Erinnerung mit unserem Blut geschrieben, weshalb wir dazu aufgerufen sind, die Geschichte neu zu schreiben und uns von dem Erbe der Kolonialisierung zu befreien.“ (Vgl. ¿Por qué tumbaron la estatua de Sebastián de Belalcázar en Popayán? – El Espectador”, El Espectador, 17.09.2020, https://www.youtube.com/watch?v=JeO1Ah4z2lE, letzter Zugriff: 25.06.2021.). Am 16. September 2020 war es dann soweit.
Die Statue von Belalcázar in Popayán wurde infolge von Protesten indigener Demonstrant*innen der Misak gestürzt und enthauptet. (Vgl. “Colombian Indigenous Groups Topple Statue of Spanish Conqueror”,
teleSUR,17.09.2020, https://www.telesurenglish.net/news/Colombian-Indigenous-Groups-Topple-Statue-of-Spanish-Conqueror-20200917-0010.html, letzter Zugriff: 25.06.2021)
Initiiert wurde der Protest durch die Volksgruppen der Misak, Nasa und Pijao, allerdings schlossen sich die indigenen Volksgruppen der Provinz Cauca der Demonstration ebenfalls an. Der in den sozialen Medien dokumentierte Sturz zeigt, wie die Bronzestatue mit Hilfe von Seilen vom Sockel entfernt wurde.
Der Hügel, auf dem sich die Statue befand, hat für die indigenen Volksgruppen auch eine heilige Bedeutung. „El Morro del Tulcán“ wurde in der präkolumbianischen Zeit erbaut und markiert die durch Vegetation bedeckte Pyramide Popayáns. Die Errichtung lässt sich auf die Zeit zwischen 1600 und 500 v. Chr. datieren. Im Jahre 1950 fanden archäologische Ausgrabungen am Hügel statt, bei denen auch eine Grabstätte am Fuße des „El Morro del Tulcán“ entdeckt wurde. Für die indigenen Stämme der Provinz Cauca ist der Hügel ein heiliger Ort, um ihren Vorfahren zu gedenken und Götter anzubeten.Laut Professorin Myriam Jimeno Santoyo repräsentiert die Skulptur Belaclázars auf dem Hügel „El Morro del Tulcán“ ein koloniales Symbol, das eine rassistische Haltung vertritt und legitimiert (Vgl. Liliana Matos Zaidiza, “Misak Indians and the ancestral right to historic memory”, Universidad Nacional de Colombia, 09.10.2020, http://unperiodico.unal.edu.co/pages/detail/misak-indians-and-the-ancestral-right-to-historic-memory/, letzter Zugriff: 25.06.2021). Die Senatorin der indigenen MAIS-Partei, Feliciano Valencia, beschreibt den Sturz der Skulptur auch als Sturz eines kolonialen Symbols, das die 500-jährige Unterdrückung und Herrschaft über die indigenen Völker kennzeichnet (Vgl. Colombian Indigenous Groups Topple Statue of Spanish Conqueror”,
teleSUR,17.09.2020, https://www.telesurenglish.net/news/Colombian-Indigenous-Groups-Topple-Statue-of-Spanish-Conqueror-20200917-0010.html, letzter Zugriff: 25.06.2021). Nach Aussagen der Universidad Nacional de Colombia im Oktober 2020, wurde mit Vertretern der indigenen Gemeinschaft und der kolumbianischen Regierung eine Vereinbarung getroffen, die den Misak das territoriale Ahnenrecht des „El Morro del Tulcán“ zuspricht und somit den Wiederaufbau des Reiterstandbilds von Belalcázar verhindert (Vgl. Liliana Matos Zaidiza, “Misak Indians and the ancestral right to historic memory”, Universidad Nacional de Colombia, 09.10.2020, http://unperiodico.unal.edu.co/pages/detail/misak-indians-and-the-ancestral-right-to-historic-memory/, letzter Zugriff: 25.06.2021) .Der Sturz der Statue war kein „belangloser Vandalismus“, sondern ein Zeichen gegen den Rassismus und für die Rechte der indigenen Volksgruppen.

Betrachtung der Intervention als feministische Bewegung

Das Denkmal für den Gründer der Landeshauptstadt wurde in Bogotá von Misak und Frauen-Mestize aus Bakata abgerissen. Übersetzt aus dem Spanischen hat es ein Aktivist wie folgt kommentiert: „Was wir gerade zusammen mit den Mestize Frauen aus Bakata […] getan haben, ist Reinigung, spirituelle Heilung, der Sturz des Mörders und Vergewaltigers Nummer eins hier in Bogotá“. (Vgl. El Pais, “Estatua de Gonzalo Jiménez de Quesada en Bogotá fue derribada por indígenas Misak”, 07.05.2021, https://www.elpais.com.co/ultimo-minuto/estatua-de-gonzalo-jimenez-de-quesada-en-bogota-fue-derribada-por-indigenas-misak.html, letzter Zugriff: 25.06.2021)
Die Stellung der Frau in Lateinamerika wird noch heute durch den historischen Kontext bestimmt. Die Kolonialisten brachten ihre derzeitigen europäischen Traditionen der Familie und der katholischen Religion mit, die auf dem Patriarchat beruhten. In diesen wurde dem Mann die Hauptrolle zugesprochen, die Frau besaß bedeutend weniger Rechte. Nach diesem üblichen System wurden auch die Kolonien angepasst. Nun ist ein Umdenken in vielen Lebensbereichen erforderlich. Die Intervention des Denkmals korreliert auch mit dem vierten Prinzip der lateinamerikanischen Feminismustheorie nach Ofelia Schutte, nämlich der Zentralität einer transformativen, dekolonisierenden Praxis im kulturellen Bereich. Das patriarchale System beeinflusst die Verteilung des materiellen Reichtums stark und führt zu deren Konzentration. Dies wird verstärkt, wenn andere Diskriminierungsmechanismen vorhanden sind.
Nach der Theorie der Intersektionalität interagieren unterschiedliche Formen oder Systeme von Unterdrückung, Herrschaft und Diskriminierung miteinander, sie ergänzen sich. Diese Theorie betrachtet jede Form der Unterdrückung nicht einzeln, sondern in Kombination. Intersektionalität beschreibt die Idee, dass bei der Überlagerung oder Kombination verschiedener Diskriminierungsfaktoren nicht nur allein die Summe entsteht, sondern eine Art Synergieeffekt. (Vgl. Nina Degele / Gabriele Winker, “Intersektionalität als Mehrebenenanalyse”, 01.07.2007, https://gabriele-winker.de/pdf/Intersektionalitaet_Mehrebenen.pdf, letzter Zugriff: 22.06.2021).
Eine anschauliche statistische Visualisierung wurde von der Heinrich-Böll-Stiftung erstellt, in der zu erkennen ist, dass die lateinamerikanischen Frauen, die weder Schwarz noch indigen sind, einen kleineren Anteil der in Armut und extremer Armut lebenden Frauen ausmachen. Aus dem Schaubild ergibt sich, dass 17,8% der indigenen Frauen in Lateinamerika in extremer Armut und 49,3% in Armut leben.
Betrachtung der Intervention als dekoloniale und antirassistische Bewegung
Als 1940 das Denkmal Belacázars auf dem „Morro del Tulcán“ errichtet wurde, wurde damit ein Symbol der kolonialen Wirklichkeit geschaffen. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat solche Vorkommnisse mit dem Begriff der “Symbolischen Gewalt” bezeichnet (Vgl. Springer, “Symbolische Gewalt”, Stephan Moebius und Angelika Wetterer, 2021, https://link.springer.com/article/10.1007/s11614-011-0006-2, 01.12.2011 letzter Zugriff: 22.06.2021). Mit der Installation des Denkmals erschufen die örtlichen Behörden die Vision eines respektablen Kolonisten aus Europa auf einem schönen Pferd, das mit Reichtum, Wohlstand und einem vorbildlichen Bürger in Verbindung gebracht werden sollte. Sie wollten, dass jeder zu diesem Vorbild aufschaut und es mit sich selbst in Verbindung bringt. Ein weiterer wichtiger Teil der Aktivitäten der Misak ist es, einen konstruktiven Dialog mit der Regierung aufzubauen. Es gibt aber auch Personen, die solche Interventionen von Statuen als Aggression oder Vandalismus bezeichnen.
Wer die Denkmäler als reine Kunstwerke betrachtet und ihre Abschaffung nur negativ bewertet, sieht darin offensichtlich Schönheit und Wertigkeit. Die Ministerin Carmen Vásquez zum Beispiel kommentiert die Situation auf folgende Weise: „Das Kulturministerium bedauert, als Leitungsamt der öffentlichen Ordnung zum Schutz und zur Erhaltung des materiellen und immateriellen Erbes unseres Landes, die Gewaltakte gegen die Statue von Sebastián de Belalcázar in der Stadt Popayán und weist sie zurück“ (vgl. El Universal, „Ministerio de Cultura rechaza derribo de estatua de Belalcázar”, 17.09.2020,
https://www.eluniversal.com.co/colombia/ministerio-de-cultura-rechaza-derribo-de-estatua-de-belalcazar-FI3497061, letzter Zugriff: 26.06.2021). Die Ministerin besteht darauf, dass historische Denkmäler das Erbe der gesamten Gesellschaft sind. Sie rief zu friedlichen Demonstrationen auf, ohne dabei das kulturelle Erbe der Nation zu beschädigen. Bei einem solchen Beispiel könnte man vermuten, dass die wahren Gründe für die Proteste und die Motivation dahinter von den Behördenvertretern absichtlich verzerrt werden.
Um dem Abriss des Denkmals ohne Bedauern zuzustimmen, muss erst die dunkle und nicht wahrhaft dargestellte Vergangenheit, die dahintersteht und die es symbolisiert, erkannt und akzeptiert werden. Somit ist der Zweck dieses Protests viel tiefgründiger und zielt nicht nur darauf ab, dieses Denkmal abzureißen und zu vergessen. Ziel der Intervention ist die Aberkennung des unter kolonialer Perspektive entstandenen, sich in Stein widerspiegelnden und verewigten Verständnisses der Vergangenheit.
Die Interpretation der Wirklichkeit, die sich in diesem Denkmal widerspiegelt, beleuchtet nur bestimmte Seiten der Geschichte und erfreut vor allem die Menschen, die es errichtet haben. Sie gründeten neue Städte an Orten, wo bereits Städte existierten, zeichneten dafür ihre Helden aus und errichteten ihnen Denkmäler. Die Installation dieses Denkmals artikuliert eine einseitige Vision der Geschichte, eine koloniale Vision. Gleichzeitig werden dabei einige Tatsachen ignoriert, die ihnen weniger wichtig erschienen: Dazu zählen Völkermord, Invasion in das Leben anderer, Landnahme, Ausbeutung der menschlichen Arbeitskräfte und viele andere Handlungen, die nach unserem Verständnis die Menschengrundrechte brechen. Das Recht eines Volkes auf Souveranität, das Recht auf das eigene Territorium und auf sprachliche und kulturelle Selbstbestimmung wurden missachtet. Heute, hunderte von Jahren später, kämpfen die Nachfahren dieser Völker, die der Unterdrückung, der Grausamkeit und der Zerstörung ausgesetzt waren, dafür, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Neue Generationen, für die die alten Ideologien keine Rolle mehr spielen und die über viele digitale Informationsquellen verfügen, bewerten die Situation neu. Ziel ist es, die Geschichte ihrer angestammten Territorien zu rekonstruieren. Dieses Ziel verfolgen sie unter anderem mit Hilfe der Intervention solcher symbolischer Botschaften aus der Vergangenheit.
Zu diesem Fakt hat Edwar Álvarez Vacca, Mitglied des Koordinierungsteams für die Verteidigung der Rechte, einen interessanten Gedanken geäußert, aus dem Spanischen übersetzt: „[…] die neue Staatsbürgerschaft in Kolumbien, genannt Generation Z, ist bereit mit ihren Handys und ihrem jugendlichen Geist zu kämpfen, damit die Geschichte rekonstruiert wird, sie sind junge Leute ohne Ideologien […] aus allen Rassen und Kulturen des Landes.“ (Vgl. ONIC, “Descolonizando la historia”, 13.05.2021, https://www.onic.org.co/comunicados-de-otros-sectores/4265-descolonizando-la-historia, letzter Zugriff: 27.06.2021).

Bloque Negro und Restauradoras con Glitter (Mexiko-Stadt)

Die Unabhängigkeitsstatue und die feministischen Bewegungen in Mexiko

Autorschaft: Franzisca Wienke, Friederike Karl, Florentine Frühauf, Ina-Sophie Deckert, Lea Schott, Lucienne Pitschel, Susanne Zikulnig
Aktivistische Gruppe: Bloque Negro und Restauradoras con Glitter
Statue / Monument: Ángel de la Independencia (Paseo de la Reforma)
Ort (Stadt, Land): (Mexiko-Stadt, Mexiko)

Mexiko und die Gewalt gegen Frauen

Sich als Frau in Mexiko sicher fühlen? Nicht wirklich.
Rund zehn Frauen werden hier am Tag umgebracht – 99 Prozent dieser Fälle werden nicht einmal aufgeklärt (vgl. Demmer 2021). 14 der 25 Länder mit den meisten Femiziden weltweit liegen in Lateinamerika und der Karibik (vgl. Awarie 2019). Ein Femizid ist dabei ein „Mord, dessen Hauptmotiv darin besteht, dass das Opfer eine Frau ist“ (Awarie 2019). Man stirbt also nur, weil man weiblich ist. Das Wort „Femizid“ nimmt Bezug auf die Bezeichnung „femicide“ der amerikanischen Soziologin und Aktivistin Diana E. H. Russell und stellt eine Verbindung aus femina (lat. Frau) und homicidium (lat. Mord) dar (vgl. Ver.di Jugend 2020). Nimmt man sich Deutschland zum Vergleich, merkt man wie drastisch das Problem ist: Hier wird jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Expartner umgebracht (vgl. Führer 2021). Das ist zwar wesentlich weniger als in Mexiko, dennoch ist diese Zahl erschreckend und zeigt, dass selbst in einem weit entwickelten Land wie Deutschland, die patriarchale Vorstellung herrscht, Frauen würden den Männern gehören und hätten sich ihnen unterzuordnen. Es stellt ein globales Problem dar.
Die Ursachen hierfür stecken tief verankert in den gesellschaftlichen Strukturen in Mexiko – in einem strukturellen Sexismus: Dieser Sexismus spiegelt sich oft auch in dem Wort „Machismo“ wieder. Duden deklariert Machismo als „übersteigertes Gefühl männlicher Überlegenheit und Vitalität“. Mexiko wird hierbei oft als das „Land des Machismo“ bezeichnet (z.B. Gerth 2020). Der starke katholische Glaube in Mexiko – fast 90% sind Katholiken (vgl. Planet Mexiko) – sowie der große Einfluss der katholischen Kirche sind auch Teil davon: Die Kirche wirkt oft als verklemmt und findet keine Worte zum Thema Sexualität. Die Bibel wird häufig so ausgelegt, dass der Mann der Entscheidungstreffer ist und die Frau diejenige, die sich fügen muss. Frauen wachsen hier mit dem Gedanken auf, dass Männer darüber entscheiden können, was sie zu tun und zu lassen haben und, was sie mit ihren Körpern machen dürfen. Sie sehen sich selbst als verpflichtet, die aufopferungsbereite, allumsorgende Frau sowie Mutter zu sein.
Der Machismo wird vor allem auch durch das Bild des Alpha-Mannes geprägt, welches in den Köpfen der Männer steckt. Begehrte Männer mit vielen Frauen werden bestaunt, was andersherum bei Frauen verachtet. Sexuelle Belästigungen, wie auch Hinterherpfeifen, Blicke oder dumme Sprüche gehören für mexikanische Frauen zum Alltag. Wenn sich dann also eine Frau widersetzt oder ihre Meinung vertreten will, ist es für den Mann, der diese als Objekt in seinem Besitz sieht, sogleich, als würde er seine Macht und Kontrolle verlieren: Es entstehen Gewalt und sogar Mord (vgl. Boueke 2020).
Machismo zeigt sich auch bei der Polizei. So haben bspw. Ende März diesen Jahres vier Polizeibeamte eine Frau, die als Geflüchtete in Mexiko lebte, bei der Festnahme zwei Halswirbel gebrochen, wodurch sie schließlich starb (vgl. ZEIT Online 2021). 2019 kam an die Öffentlichkeit, dass eine Gruppe von Polizisten ein 17-jähriges Mädchen aus Mexiko-Stadt im Polizeiwagen vergewaltigt haben soll (vgl. Watson 2019). Dies verdeutlicht, dass selbst die Polizei keinen Sicherheitsfaktor für Frauen aus Mexiko darstellt.
Ein weiterer wichtiger Problemfaktor ist der Staat selbst, bzw. sein höchster Repräsentant: Präsident Andrés Manuel López Obrador. Dieser zeigt sich oft als blind und ignorant gegenüber der täglichen Gewalt gegen die mexikanischen Frauen. López Obrador regiert seit 2018 – erst durch sein Versprechen, etwas gegen die starke Korruption, soziale Ungleichheit und den Drogenkrieg zu unternehmen. Diese Anliegen sind ebenso, aber nicht weniger wichtig als die feministischen Anliegen, denen er kaum Aufmerksamkeit schenkt. Er hat eher konservative Ansichten gegenüber Frauen: So bezeichnete er sie als geeignetere Pflegekräfte als Männer und als „Krankenschwestern“ der Familien. Auch in Bezug auf die häusliche Gewalt gegen Frauen, hinsichtlich der Lockdown-Entscheidung der Regierung während Corona, hatte er „ein reines Gewissen“. Er vermeidet eine genaue Positionierung zum Thema Abtreibung und dessen Legalisierung. Die protestierenden Frauen verwechselt er oft mit seinen politischen Gegnern, den rechtsgerichteten Konservativen, und meint z.B., dass diese das feministische Anliegen gekapert hätten, um ihm zu schaden (vgl. Ríos Treviño 2020). Obwohl diese Frauen mit keiner politischen Partei zusammengehen, behauptete er: “Neben den Frauen, die aus Überzeugung und freier Entscheidung heraus protestieren, gibt es auch Opportunisten” (Ríos Treviño 2020). Das sind viele Punkte, die zeigen, dass López Obrador Anliegen und Wünsche der Feministinnen nicht ernst nimmt. Dass die Regierung und sein Oberhaupt diese als wichtig erachten, ist jedoch Voraussetzung für eine Veränderung und Besserung.
Dabei sind die aktuellen mexikanischen Frauenproteste nicht die Ersten. Schon 1910 gab es eine erste Frauenbewegung, die während der Diktatur von Porfirio Díaz entstand, woraufhin dann Frauenwahlrechts Forderungen im Mittelpunkt standen. 1971 entstand die „neue Frauenbewegung“, die anfangs eher urbaner Art war, aber schließlich die Frauen auf dem Land aus indianischen Kulturen und Ethnien, ab dem Aufstand in Chiapas 1994, mit einbezog. Sie stellt Gewalt gegen Frauen und sexistische Gewalt im Kontext des Anspruchs auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper in den Mittelpunkt (vgl. Lang 1999).
Die zunehmenden Femizide, das existierende Frauenbild, der große Einfluss der katholischen Kirche, die Ignoranz des Präsidenten, des Staates sowie der Polizei, sind einige der vielen Gründe dafür, wieso mexikanische Frauen auf die Straßen gehen und für ihre Rechte kämpfen wollen. Sie fordern mit ihren Protesten wahrhaftige Gerechtigkeit und Veränderung – Proteste, die auch gewalttätig sein können und vor geschichtsträchtigen Bauwerken keine Rücksicht nehmen.

Ángel de la Independencia

Die Unabhängigkeitsstatue, auch Ángel de la Independencia genannt, befindet sich auf einem Kreisverkehr auf dem Paseo de la Reforma, einer Hauptverkehrsader Mexiko-Stadts. Kaiser Maximilian ließ die Prachtstraße nach europäischem Vorbild bauen, um schnell und bequem von seinem Wohnsitz im Schloss Chapultepec zum Regierungssitz im Stadtzentrum zu gelangen. Auf den riesigen Verkehrs Rondellen der Kreuzungen befinden sich Grünflächen und Denkmäler, sodass eine Fahrt entlang dem Paseo de la Reforma zu einer kurzen Reise durch die mexikanische Geschichte wird (vgl. Planet Mexiko, „Paseo de la Reforma“).
Die Statue selbst wurde 1910 zum 100. Jahrestag der Unabhängigkeit Mexikos vom damaligen Präsidenten Porfirio Díaz eröffnet. Später wurde daraus ein Mausoleum. Der Sockel der Statue beherbergt die sterblichen Überreste von den bedeutendsten Kriegshelden des Unabhängigkeitskriegs, unter anderem Ignacio Allende, Miguel Hidalgo, Juan Aldama, und Don Nicolas Bravo. Außerdem ist es die Ruhestätte von “Leona Vicario, eine von Mexikos ersten Journalistinnen, Aktivistin und Begründerin der Unabhängigkeitsbewegung“ (Carey 2017 [eigene Übersetzung]). Die Unterseite der Säule ist quadratisch, wobei jede Seite mit einer Bronzeskulptur besetzt ist, die Gesetz, Krieg, Gerechtigkeit und Frieden symbolisieren. Auf dem Vorderteil der Unterseite, die in Richtung des Stadtzentrums blickt, befindet sich die Inschrift „La Nación a los Héroes de la Independencia“ (Gaxiola 2015, „die Nation zu den Helden der Unabhängigkeit“ [eigene Übersetzung]). Vor dieser Inschrift steht die Bronzestatue eines riesigen Löwen, der von einem Kind geführt wird. Diese Konstellation wird in ihrer Bedeutung unterschiedlich interpretiert: zum Beispiel steht sie für Stärke und Intelligenz (vgl. Gaxiola 2015), oder für „die Wildheit der Seele“ (CDMX 2021 [eigene Übersetzung]).
Auf der Spitze der Säule steht die Skulptur, die dem Denkmal seinen Namen gibt. Die 6,70 Meter hohe Statue aus vergoldeter Bronze stellt die geflügelte Siegesgöttin Victoria dar. In ihrer rechten Hand hält sie eine Lorbeerkrone, die den Sieg symbolisiert, während sie in ihrer linken Hand eine gesprengte dreigliedrige Kette hält, welche für die Freiheit nach 300 Jahren spanischer Unterdrückung steht (vgl. Carey 2017).
Für manchen Menschen ist die Unabhängigkeitsstatue vielleicht nur ein dekoratives Denkmal oder ein Touristen-Hotspot; für andere ist es ein alltäglicher Begegnungsort, an dem man sich mit Freunden und Bekannten trifft, um zu entspannen oder zu einer Party zu gehen. Indessen ist das Monument sehr viel bedeutungstragender, als es zuerst den Anschein hat. Es ist ein Kulturdenkmal und Mahnmal, dass an die Anstrengungen derer erinnern soll, die für Mexikos Freiheit kämpften. Als Symbol dessen ist es ein Wahrzeichen von Mexiko-Stadt und dem ganzen Land. Zum einen werden hier die Siege der mexikanischen Nationalmannschaft oder die Meistertitel des beliebten lokalen Fußballclub América gefeiert (vgl. Planet Mexiko,
„Paseo de la Reforma“), zum anderen ist es eine beliebte Kulisse für die Fotoshootings zur Quinceañera, dem wichtigen 15. Geburtstag (vgl. Carey 2017). Aufgrund seiner vielfältigen Bedeutung und seinem hohen Ansehen, ist der Ángel de la Independencia ein beliebter Standort für Demonstrationen und Proteste (ibid.), so auch für die feministischen Proteste am 16. August 2019.

Proteste am 16. August 2019

Bereits seit vielen Jahren demonstrieren immer wieder tausende mexikanische Frauen für ihre Rechte. Häufig gelten grausame Gewaltverbrechen an Frauen als Ausgangspunkt für Proteste gegen Femizide und Gewalt. Sowie 2019. Am 03. August 2019 wurde ein junges Mädchen von vier mexikanischen Polizisten vergewaltigt (vgl. Philips 2020). Diese Tat wurde ebenfalls zum Anlass eines Protestes genommen, welcher am 16. August 2019 stattfand. Der Protestzug begann in der Glorieta de Insurgentes und führte durch den Paseo de la Reforma, vorbei an der Polizeistation in der Calle de Florencia und dem Busbahnhof Insurgentes Metrobús, beide Stationen wurden beschädigt. Die Demonstration endete schließlich am Ángel de la Independencia und mit dem Vandalismus am Wahrzeichen der Stadt (vgl. Diario de Yucatán 2019). Die Mobilisierung der Frauen zielte darauf ab mediale Aufmerksamkeit zu erregen, um besonders auf die dramatische Situation der mexikanischen Frauen aufmerksam zu machen und somit die Regierung Mexiko-Stadts zu erreichen. Die organisierenden Gruppen der Demonstration forderten für die Proteste, dass nur Frauen teilnehmen dürfen, um so eine konflikt- und angstfreie Zone zu errichten (vgl. Lira Ortiz 2019). Die Demonstrantinnen versuchten mit Hilfe von Graffitis am Sockel der Figur mit Sätzen wie „Sie kümmern sich nicht um uns“ und „Vergewaltigungsstaat“ auf ihre Situation aufmerksam zu machen (vgl. Guthrie 2019). Die Teilnehmerinnen der Demonstration rechtfertigten den Vandalismus am Unabhängigkeitsengel damit, dass die Statue für Freiheit stünde, welche ihnen, den mexikanischen Frauen, nicht zuteil wird. Auf diese Weise versuchten sie zu legitimieren, dass das Denkmal als Aushängeschild für die Missstände der Frauen genutzt wurde. Viele der Aktivistinnen teilen die Meinung, dass sie nur noch mit extremen Aktionen auf sich aufmerksam machen können (vgl. Lira Ortiz 2019). Das eigentliche Ziel, mithilfe medialer Aufmerksamkeit die Regierung zu neuen Beschlüssen und Gesetzen zu bewegen, wurde verfehlt. Denn die spanischen Medien konzentrierten sich in ihrer Berichterstattung überwiegend auf den Vandalismus an dem Ángel de la Independencia (vgl. Lira Ortiz 2019). Von Seiten offizieller Stellen Mexiko-Stadts wurde die Aktion auf das Schärfste verurteilt, da die Statue nicht dem Staat gehöre, sondern dem mexikanischen Volk. Ebenso erklärte die Bürgermeisterin Mexiko-Stadts Claudia Sheinbaum, dass die Demonstrantinnen die Behörden der Stadt durch ihre Aktion zur Anwendung von Gewalt provozierten. Anschließend forderten die Aktivistinnen den Rücktritt Sheinbaums. Diese Forderung begründete sich mit der Feststellung der Demonstrantinnen, dass die Bürgermeisterin sich eher um das Wohl öffentlichen Eigentums sorge als um die Sicherheit der Frauen. Weiterhin stellten sie fest, dass einige Ausdrücke der Bürgermeisterin widerspiegelten, dass die Vergewaltigungsopfer für ihre eigenen Angriffe selbst verantwortlich seien (vgl. Guthrie 2019). Nach dem Protest traf sich Claudia Sheinbaum dennoch mit mehreren Gruppen, um eine Lösung zu finden, um die zunehmende Rate geschlechtsspezifischer Gewalt in Mexiko-Stadt zu bekämpfen (vgl. La Verdad 2019). Bisher jedoch ohne Erfolg und die Proteste, die sich gegen Gewalt an Frauen richten, dauern immer noch an (vgl. Demmer 2021).

Restauradoras con Glitter

Durch mehrfache Kritik an den vergangenen Protesten und den ‘Beschädigungen’ an der Unabhängigkeitsstaue wurden einige Gelehrte in Mexiko-Stadt auf die Intervention aufmerksam. Es handelt sich hierbei um eine Gruppe von Expertinnen, die im Bereich der Erhaltung und Konservierung des nationalen Kulturerbes forschen und sich kurzerhand nach den Ausschreitungen zusammengeschlossen haben, um die tieferliegende Problematik der Proteste zwischen Zivilgesellschaft und Regierung zu vermitteln. Das Kollektiv Restauradoras con Glitter, wie es sich selbst nennt, setzt sich aus einer Vielzahl an Spezialistinnen unterschiedlichster Bereiche zusammen. Darunter befinden sich Akademikerinnen mit profunden Kenntnissen in Disziplinen wie Geschichte, Anthropologie, Archäologie und Soziologie. Das Kollektiv bezeichnet sich auf ihrer offiziellen Website selbst als eine unparteiische, unabhängige Gruppe, welche sich überwiegend für die Frauenrechte in Mexiko-Stadt einsetzt. Sie sehen ihre Rolle in der Vermittlung zwischen der Regierung und der Bürgergesellschaft, aber auch der Medien, die in Berichten über geschlechtsbezogene Gewalt in Mexiko oftmals mit irrelevanten oder sogar fälschlichen Informationen arbeiten (vgl. @rcglitter 2019). Obwohl sich die Restauradoras con Glitter selbst für die Erhaltung von Monumenten des Kulturerbes und gegen jegliche Art von Vandalismus an eben diesen aussprechen, sehen sie die „Pintas“ an der Unabhängigkeitsstatue als legitime und sogar notwendige Intervention an. Sie seien ein Anreiz zur Reflexion über das stattgefundene Ereignis und müssen sowohl seitens der Regierung als auch der Zivilgesellschaft diskutiert werden. Das Graffiti sei das Resultat eines exzessiven Gewaltprozesses, so ein Mitglied der Gruppe in einem Video (Centro Nacional de Comunicación Social A.C. 2019) und trüge eine symbolische Bedeutung: Es ist ein Zeichen für einen sozialen Umbruch in der Gesellschaft. Die aktivistische Gruppe erklärt hier den männlichen Chauvinismus zum Hauptgrund der vergangenen Ausschreitungen. Dieser würde Gewaltverbrechen an Frauen im Alltag legitimieren und auch dazu führen, dass es keine weiteren Anreize dazu gäbe sie in irgendeiner Form zu ahnden. Deshalb fordert das Kollektiv die Beseitigung von konkreter Gewalt an Frauen. Es soll öfter auf diese aufmerksam gemacht werden, und zwar so, dass Täter auch angemessene Strafen entgegentreten müssen. Dies kann nur gelingen, so die Restauradoras con Glitter, sobald ein Dialog zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft entsteht, um notwendige Lösungsansätze und dazugehörige Strategien entwickeln zu können (vgl. @rcglitter 2019). Dazu erstellte das Kollektiv nach den Protesten am 21. August 2019 ein Manifest, welches in den sozialen Medien veröffentlicht wurde. Es deklariert die professionelle Meinung der Aktivistinnen bezüglich der Intervention und richtet sich an die Zivilgesellschaft, feministische Organisationen und an die Autoritäten des Landes. Unter anderem wurde hierbei auch an den mexikanischen Präsidenten López Obrador und an die Bürgermeisterin Claudia Sheinbaum adressiert, um die Konservierung der „Pintas“ für einen gewissen Zeitraum zu fordern. In diesem Manifest wurden Argumente präsentiert, die für die einstweilige Erhaltung der „Pintas“ an der Säule der Unabhängigkeitsstatue sprechen. Noch dazu wird darauf bestanden, dass das hinterbliebene Kulturerbe durch Expertinnen der Restauradoras analysiert werden darf, um die Legitimation der Proteste zu bestätigen oder widerlegen zu können. Angeführt wurde als erster Punkt, dass die Proteste insofern als legitim angesehen werden sollten, da sie einen verzweifelten Schrei nach Hilfe gegen die systematische und normalisierte Gewalt gegen Frauen ausdrücken, welche als Problem im alltäglichen Leben ignoriert und aberkannt wird (vgl. @rcglitter 2019). Die Dokumentation der „Pintas“ sei für das Kollektiv unabdingbar, da ein verfrühtes Entfernen dazu führen könnte, dass die Hilferufe der Gewaltopfer wieder einmal frühzeitig zum Schweigen gebracht würden. Ihre in diesem Zusammenhang stehende Forderungen lassen sich sowohl als dekolonial, wie auch feministisch einstufen, da sie sich deutlich für die Abschaffung der Legitimation von Gewalt an Frauen aussprechen. Gewaltverbrechen sollen ihren Forderungen nach, nicht mehr verleugnet werden und müssen angemessene Strafen erhalten. Historische Bedingungen aus der Kolonialzeit und daraus resultierende soziale Praktiken sind auch heute weiterhin in Mexiko präsent und erlauben eine Rechtfertigung von Gewalt und Misshandlung an Frauen. Die Restauradoras setzen sich demzufolge aktiv für „das Überleben lateinamerikanischer Frauen in einem gewalttätigen modernen/kolonialen Umfeld und Nationalstaat […], der in das moderne/kolonialen Weltsystem eingebunden ist” ein (Graneß. 2019: 231f.). Des Weiteren appelliert die Gruppe sowohl an die Autoritäten als auch Zivilgesellschaft, dass die Sicherheit der Frauen zu einem sozialen Wert werden und damit auch die Eliminierung der geschlechtsbezogenen Gewalt einhergehen sollte. Durch diesen Aufruf bezieht sich das Kollektiv vor allem auf die ungleichen Machtverhältnisse in Mexiko zwischen Mann und Frau, die eine Erneuerung der gesellschaftlichen Ordnung notwendig machen. Damalige rassistische Kolonialstrukturen wandelten sich im Laufe der Zeit zu sexistischen Strukturen um und finden sich im heutigen mexikanischen Patriarchat wieder, welches nach den Restauradoras con Glitter, abgeschafft gehört. Durch die Abschaffung des Patriarchats und die damit einhergehende Dekolonialisierung von Gender, welche die Gruppe als notwendig ansieht, käme es letztendlich auch zu einer „gesamtgesellschaftlichen Dekolonialisierung“ (ibid.). Der letzte Teil des Manifests macht darauf aufmerksam, dass es nicht möglich ist, die Leben der unzähligen Opfer von geschlechtsbezogenem Missbrauch, Gewalt und Mord wiederherstellen zu können, jedoch das soziale Gefüge. Weshalb es die Verantwortung aller ist, sich um ein Zusammenleben zu bemühen, in dem der unterdrückte soziale Teil der Gesamtheit wieder neu und vollkommen in die Gesellschaft einbezogen wird und dieselben Rechte zugesprochen bekommt. Das Kollektiv nimmt zudem in einem weiteren Interview Kritik an der Unabhängigkeitsstatue vor: „An dem Tag, an dem ein Denkmal aufhört, etwas zu bedeuten, wird es vergessen. Es hört auf zu suchen, sich zu sorgen, sich zu aktualisieren. […] Das Denkmal wurde von einem Teil der Gesellschaft resigniert, der systematisch ignoriert, verunglimpft oder gedemütigt wurde.“ (Sanchez 2019). Die verloren gegangene Bedeutsamkeit des nationalen Kulturerbes und der Teil der Gesellschaft, welcher nun unter diesen Verlust zu leiden hat, sind zwei wichtige Punkte an denen die Restauradoras anknüpfen. Auf ihrer Website schreibt der Zusammenschluss, dass das Auslöschen eines Teils der Gesamtheit durch die geschlechtsspezifische Gewalt einen erheblichen Schaden für das “soziale Gefüge” darstelle und zerfalle dieses, so würde auch das Kulturerbe aus der Gesamtheit herausgelöst” (@rcglitter 2019). Sie sehen demzufolge das Kulturerbe als etwas an, welches durch die Gesellschaft Mexikos repräsentiert wird. Dabei stellen die unterdrückten Frauen in Mexiko genau den Teil dar, der das nationale Kulturerbe bedroht, gerade weil sie auch ein zerbrechender Teil des Erbes sind. Die Restauradoras con Glitter versuchen durch ihre Arbeit darauf aufmerksam zu machen, dass Kritiken an den Ausschreitungen und die Besorgnis um das Kulturerbe an sich widersprüchlich sind. Denn die Symbolik der Unabhängigkeitsstatue von Freiheit und Unabhängigkeit steht der Tatsache von täglichen Missbräuchen und Morden von Frauen gegenüber. Die Gruppe fordert Lösungen für das soziale Problem in Mexiko, erst danach kann sich der „Säuberung“ der Statue des nationalen Kulturerbes gewidmet werden. Wie es die Gruppe bereits auf ihrer Website veröffentlichte: „Primero las mujeres, luego las paredes“ (ibid.).

Bloque Negro

Der Bloque Negro ist ein Kollektiv radikaler feministischer Aktivistinnen, zwischen 18 und 30 Jahren, die ihre Stimme für die Anerkennung der Frauenrechte erheben. Die jungen Frauen sind von Kopf bis Fuß in schwarz vermummt, um jedes Detail ihrer Identität zu verdecken (vgl. Heurtel et al. 2021). „In Mexiko soll eine Frau ihr Aussehen und ihre Kurven zeigen“, die Feministinnen jedoch wollen weder als Frau noch als Mexikanerin identifiziert werden (Heurtel et al. 2021). Sie wehren sich gegen die Naturalisierung biologischer Merkmale als Rechtfertigung für eine Hierarchisierung der Gesellschaft. Die Feministinnen wollen weder wegen ihres Geschlechts noch ihrer Hautfarbe diskriminiert werden und fordern die Anerkennung der Frau als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft (vgl. Ganeß et al. o.J.: S. 229, 238, 256, 259; Hall 2000: S. 7-8; Henke 2020). Sie tragen „das Schwarz der Kämpferinnen“ „als Ausdruck für [ihre] Wut und [ihren] Nonkonformismus“ (Heurtel et al. 2021). Während die vorherige Generation der Frauen still protestierte, stellt sich der Bloque Negro seinen potenziellen Peinigern laut, gewaltbereit und destruktiv entgegen (vgl. Heurtel et al. 2021). Patricia Olamendi Torres, eine Anwältin, die sich seit über 30 Jahren für die Anerkennung der Frauenrechte einsetzt, rechtfertigt die Gewaltbereitschaft des Bloque Negros wie folgt:

„Vor 30/40 Jahren haben wir dafür gekämpft, dass Frauen endlich ihre Rechte erhalten. Heute hat diese Generation zwar Rechte, aber nur in der Theorie. In Wirklichkeit können wir sie nicht ausüben. Die Lage hat sich mit der Zeit verschlimmert. Ich denke, wenn ich zu ihrer Generation gehörte und so jung wäre wie sie, dann sähe ich in diese Art des Protests vielleicht auch die einzige Möglichkeit gehört zu werden“ (Heurtel et al. 2021).

Die Handlungsmaxime des feministischen Kollektivs lautet: „Der Mann [und die Polizei sind] eine Bedrohung und gehör[en] mit Waffen bekämpft“ (Heurtel et al. 2021). Die jungen Aktivistinnen haben nicht nur von Männern, sondern auch von der Polizei massive psychische und physische Gewalt erfahren. Sie vertrauen weder den Behörden, noch dem Staat und sehen einen gewaltvollen Konflikt als unumgänglich (vgl. Henke 2020; Theißl 2021). Ihr Ziel ist es, das Patriarchat zu stürzen und Angst bei der männlichen Bevölkerung Mexikos zu verbreiten. Die neue feministische Welle will „weder vergeben noch vergessen“ und „kämpf[t] heute, [um] morgen [nicht zu] sterben“ (Heurtel et al. 2021; Theißl 2021).
Mit der Besetzung der Nationalen Menschenrechtskommission in Mexiko, sorgte der Bloque Negro weltweit für großes Aufsehen. Am 2. September 2020 forderten Familien aus dem Bundesstaat San Luis Potosí, die Nationale Menschenrechtskommission dazu auf, zahlreiche Fälle von Gewalt und Verschwindenlassen von Frauen und Kindern aufzuklären. Eine von ihnen war Marcela Alemán. Die Mutter eines vierjährigen Mädchens, das 2017 Opfer sexueller Gewalt wurde. Obwohl das Mädchen ihre Vergewaltiger identifizieren konnte, wurden diese nicht zur Rechenschaft gezogen. Als die Nationale Menschenrechtskommission die Aufarbeitung ihres Falles verweigerte, fesselte sich die Mutter des jungen Mädchens an einem Stuhl fest und verkündete, dass sie erst den Sitzungssaal verlasse, wenn ihr Fall geklärt sei (vgl. Henke 2020; Hillenbrand 2020). „Das gesellschaftlich verbreitete Empfinden und Erleben von Straffreiheit führt zu einer Naturalisierung und Normalisierung von Gewalt an Frauen“ (Ganeß et al. o.J.: S. 232). Diese „social silence“ wollen die Frauen Lateinamerikas gemäß des dekolonialen Feminismus bzw. der von ihnen angestrebten gesamtgesellschaftlichen Dekolonialisierung brechen (Ganeß et al. o.J.: S.232). Der Protest von Marcela Alemán fand schnell Zuspruch, sodass sich immer mehr Frauen mit ihr verbündeten, um gemeinsam für Gerechtigkeit zu kämpfen. Als das Kollektiv am 6. September 2020 noch immer keine Reaktion auf ihre Forderung erhielt, beschloss es die Nationale Menschenrechtskommission Mexikos zu besetzen (vgl. Henke 2020; Hillenbrand 2020). Die Besetzung ist als Protest gegen die Passivität der öffentlichen Ämter bei sexualisierter Gewalt, Femiziden und Verschwindenlassen zu verstehen (vgl. Hillenbrand 2020; Peteranderl 2020). Sie ist eine Kritik an dem patriarchalen System Mexikos, in dem Frauen noch immer nicht als Menschen wahrgenommen werden, deren Rechte es zu schützen gilt (vgl. Henke 2020; Wienerin 2020). Die Besetzerinnen änderten den Namen des Gebäudes in Ocupa Casa Refugio Ni Una Menos México. Sie besprühten Wände des Gebäudes mit feministischen Parolen und übermalten historische Porträts nationaler Helden mit sarkastischen und politischen Symbolen (vgl. Henke 2020; Peteranderl 2020). Des Weiteren versahen sie die Fassade der Menschenrechtskommission mit Plakaten und Informationen über Opfer und Vermisste (vgl. Peteranderl 2020).
Nachdem es Mitte September zu Differenzen zwischen den einzelnen Gruppen kam, führt nun der Bloque Negro die Besetzung der Nationalen Menschenrechtskommission fort (vgl. Henke 2020). Männern ist der Zutritt zum Ocupa Bloque Negro strengstens verboten, da es ausschließlich als Zufluchtsort für weibliche Opfer von Männergewalt dient. Das Hauptquartier der Feministinnen ermöglicht Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten ein sicheres, freies, wie auch eigenständiges Leben. Die Gemeinschaft des Hauses gibt den Frauen Hoffnung auf eine gerechtere Zukunft. In Selbstverteidigungskursen lernen Betroffene sich zu wehren und gewinnen zudem neues Selbstvertrauen (vgl. Heurtel et al. 2021). Des Weiteren bietet der Bloque Negro Rechtsberatungen, wie auch die Begleitung zu Gerichtsverhandlungen an und hat die Kommission somit zu einer dezentralen Beratungsstelle umfunktioniert (vgl. Red 2020).

Fazit

All die Erkenntnisse über die Gewalt an Frauen in Mexiko, die in diesem Blogeintrag festgehalten sind beweisen, dass feministische Bewegungen, Aufstände und Menschen, die vor Ort medienwirksam auf das Problem aufmerksam machen, wie zum Beispiel durch die Beschmutzung der von uns beschriebenen Unabhängigkeitsstatue: El Ángel de la Independencia, leider immer noch von wichtiger Bedeutung sind. Bewegungen wie Restauradoras con Glitter oder der Bloque Negro bilden Kollektive, in denen Frauen Hoffnung finden können und auch Aussicht auf eine Veränderung darstellen. Die politischen Reaktionen gegenüber den Frauenaufständen in Mexiko sind frustrierend und man möchte meinen, dass die Möglichkeiten zur Änderung des Systems immer geringer werden, da so wenig ernst genommen wird. Jedoch mit jedem Präsidentenwechsel, mit jedem Bürgermeisterwechsel, kommen Menschen an die Macht, die eventuell durch die feministischen Bewegungen für das Thema sensibilisiert wurden, und die dadurch eine Änderung der Wertestruktur Mexikos schaffen könnten.
Sexismus gibt es überall auf der Welt. Die feministischen Bewegungen in Mexiko stehen vor allem für eine grundlegende Veränderung vor Ort, doch eigentlich kämpfen diese Frauen, für die Rechte und Gleichberechtigung auf der ganzen Welt, auch hier bei uns in Deutschland. Durch ihren medienwirksamen Aktivismus werden Menschen gezwungen, sich mit diesen wichtigen Themen auseinanderzusetzen. Manche Aktionen der feministischen Bewegungen, die zum Beispiel mit Gewalt einhergehen, muss man sicherlich als kritisch erachten. Allerdings sollte mit berücksichtigt werden, vor welchem Hintergrund diese Frauen protestieren, welche Schicksale hinter ihrem Aktivismus stecken und vor allem wie viele friedliche Versuche auf das Thema aufmerksam zu machen und eine Änderung zu bewirken, gescheitert sind.
Weiterführend stellt sich zu diesem Thema die Frage, wie denn die Situation der Männer in Mexiko aussieht. Auch sie sind in dem System, dass eine toxische Männlichkeit voraussetzt, gefangen. Sie selber sind auch Opfer ihrer eigenen sexistischen Denkstrukturen.
Welche Konsequenzen hat das auch für sie? Wie steht die Gesellschaft in Mexiko zum Beispiel zu Homosexualität? Was lässt sich hierbei über die sexistischen Strukturen, die auch die Frauenunterdrückung prägen, aussagen?
Man sieht, unser Thema: “Die Unabhängigkeitsstatue und die feministischen Bewegungen in Mexiko”, spiegelt ein unglaublich komplexes Konstrukt alter Wertvorstellungen und Denkstrukturen wieder, das sich nicht nur auf die Frauen in Mexiko beschränken lässt.
Das Thema ist global und aktuell.

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Radio Kurruf (Temuco, Chile)

Mapuche in Temuco
Zur Darstellung des Lebens der Mapuche in Temuco
anhand des „Monumento a la Araucanía“ und „Radio Kurruf“

Autorschaft: Camilo Peña und Michaela Grace Gebhardt
Aktivistische Gruppe: Radio Kurruf
Statue / Monument: Statuen verschiedener “Eroberer” Chiles in Temuco (Plaza de Armas)
Ort (Stadt, Land): Temuco, Chile

In diesem Artikel soll es um die Mapuche gehen, ein indigenes Volk, beheimatet in Zentral- und Südchile, aber auch in Teilen des angrenzenden Argentiniens, das mit etwa 1,5 Mio. Mitgliedern die größte und umfangreichste Minderheit Chiles darstellt. Der Fokus liegt hier vor allem auf den Mapuche in und um Temuco. Die Stadt gilt als das Zentrum der Mapuche und hat ihren Namen dem Mapudungun, der Sprache der Mapuche, zu verdanken. Anhand der Vorstellung des „Monumento a la Araucanía“ und des „Radio Kurrufs“ sollen aktuelle Einblicke in das Leben der Mapuche gegeben werden.

Monumento a la Araucanía

Das Monument, um das es sich im Folgenden handelt, befindet sich inmitten des Plaza Aníbal Pinto in der Stadt Temuco, umgangssprachlich auch Plaza de Armas genannt, also übersetzt „Platz der Waffen“. Es ist eine gemeinsame Kreation des Bildhauers und Malers Guillermo Merino Pedrero und José Troncoso Cuevas, ebenfalls Bildhauer. Am 3. November 1987 wurde es auf Antrag der Stadt Temuco und auf Anordnung des Stadtrats geschaffen. Es handelt sich hierbei um ein Ensemble an Skulpturen; fünf verschiedene Bestandteile, die zusammengesetzt
ein Ganzes ergeben. Alle Bestandteile bzw. Figuren stellen einen wichtigen Vertreter unverwechselbaren Charakters aus verschiedenen Momenten der Besiedlung der Region Araucanía, dessen Hauptstadt Temuco ist, dar. Die ästhetische Aufteilung des Werks basiert auf der kosmogonischen Ordnung der Mapuche-Kultur, also ihren Vorstellungen von der Entstehung und Entwicklung der Welt. Die Bezeichnung „Mapuche“ selbst bedeutet auf Mapudungun „Menschen der Erde.“ (Mapu = Mensch, Che = Erde) Sie sehen in allem Natürlichen göttliches Leben. Diese Eigenbezeichnung impliziert zudem die Einheit und enge Verbindung zum Land, als wichtige Komponente der kollektiven Identität des Mapuche-Volkes. Einerseits dient es dem Lebensunterhalt, andererseits wird es als Land der Ahnen geschätzt, zu denen sie auch beten und Opfergaben bringen. Die Mapuche achten besonders soziale Bindungen und Verwandtschaft (vgl. Gesellschaft für bedrohte Völker. Mapuche. https://www.gfbv.de/de/informieren/laender-regionen-und-voelker/voelker/mapuche/. Stand: 30.06.2021.) Die besagte kosmogonische Auffassung umfasst die fünf Kardinalzentren, die die strukturelle Ordnung und Bedeutung jedes einzelnen Elements bestimmen, aus denen das Werk besteht. Jedes Element wurde in spiralförmiger Bewegung angeordnet und durch einen geometrischen Schnitt vollendet. Sie befinden sich alle auf einem stufenförmigen Stein. Alle Figuren stehen dabei auf verschiedenen Ebenen. Auf der obersten Stufe und im Zentrum des gesamten Monuments, erhebt sich die „Machi“ trommelschlagend. (vgl. Schaub, Corinna. Amerika21. Friedliches Zusammenleben in der Araucanía? Nur ein Mythos der Sieger. https://amerika21.de/analyse/121078/erinnerung-kultur-chile.06.06.2015.) Sie ist in der Mapuche-Kultur eine traditionelle Heilerin und religiöse Führerin. Durch ihre Position auf der fünften Steinstufe ist sie Hauptverbindungsglied zwischen der menschlichen (auf Mapudungun anka wenu) und der übernatürlichen Welt (wenu mapu). Der toqui „Kallfúlikan“, also Caupolicán, ist eine weitere vertretene Persönlichkeiten. Er steht auf einem Podest, das dem Sonnenaufgang zugewendet ist. Zu Kriegszeiten wurden die Führer von den Mapuche Toqui genannt. Caupolicán war der Mapuche-Führer des Arauco-Krieges. Aus dem Grund ist er in Angriffsposition abgebildet und schwingt mit grimmigem Blick seinen Speer. Diese Position verbildlicht, wie furchtlos, tapfer und mutig er sein Volk verteidigte. Gen Norden schauend wird der Poet „Alonzo de Ercilla“ dargestellt. Er trägt ein Kreuz und ein Pergament, was die Christianisierung Lateinamerikas sowie die Romantisierung der Eroberung und Ausbeutung in der Lyrik dieser Epoche verdeutlichen soll. In Richtung Süden positioniert, befindet sich ein chilenischer Soldat, der auf die militärische Eroberung des Gebiets zum Ende des 19. Jahrhunderts verweist, der „Soldat der Befriedung“ in Ruhestellung. (vgl. Consejo de Monumentos Nacionales de Chile. Monumento a la Araucanía. Ministerio de las Culturas, los Artes y el Patrimonio. Gobierno de Chile https://www.monumentos.gob.cl/monumentos/monumentos-publicos/monumento-araucania. Stand: 30.06.2021). Die fünfte Figur verkörpert den europäischen Siedler, in Richtung der untergehenden Sonne. Er repräsentiert die chilenischen und europäischen Siedler aus Deutschland, England, Frankreich und der Schweiz, die seit 1883 dieses Gebiet besiedelten.
Das Monument ist insofern fragwürdig und umstritten, weil es zum einen vorgibt, mit der Absicht errichtet worden zu sein, für Frieden innerhalb der verschiedenen vertretenen Völker zu stehen und zum anderen den Anschein eines gegenseitigen Bereicherns erweckt, als seien sie verschmolzen. (vgl. Schaub, Corinna. Amerika21. Friedliches Zusammenleben in der Araucanía? Nur ein Mythos der Sieger. https://amerika21.de/analyse/121078/erinnerung-kultur-chile. Stand: 06.06.2015.) Sowohl Spanier als auch Mapuche werden im Monument ausschließlich positiv dargestellt. Sie erscheinen als die Vorfahren aus deren hier friedlich dargestellten Verschmelzung das chilenische Volk entstanden ist. Es erweckt den Eindruck, als hätten die Chilenen nur die besten Eigenschaften beider Völkern abbekommen und wären jetzt die starke „Rasse“. So zumindest deutet es der organisierte Mapuche und Philosoph Vicente Painel. Auch die Position, die so harmonisch und in sich selbst vollkommen scheint, sofern man der oben beschriebenen Deutung glaubt, sieht er wiederum als Zeichen dafür, dass sich die dargestellten Personen lediglich den Rücken zukehren und einander nicht beachten. Painel meint zu erkennen, dass die Künstler des Monuments selbst auch nicht an diesen vorgegebenen Frieden glaubten und die Region Araucanía keinesfalls als Ort eines gleichwertigen, ausgewogenen und interkulturellen Zusammenlebens betrachteten (vgl. Schaub, Corinna. Amerika21. Friedliches Zusammenleben in der Araucanía? Nur ein Mythos der Sieger. https://amerika21.de/analyse/121078/erinnerung-kultur-chile.06.06.2015. Stand: 30.06.2021). Immerhin war der Diktator Augusto Pinochet bei der Einweihung des „Monumento a la Araucanía“ 1990 vertreten. Dieser ist nicht als friedliebender Mensch in Erinnerung geblieben, sondern vielmehr als Tyrann, unter dessen Regime unzählige Andersdenkende ermordet wurden oder spurlos verschwanden. So sorgt dieses Monument, was scheinbar die Mapuche emporhebt und ihnen eine besondere Rolle zuschreibt, dennoch für kontroverse Diskussionen und kann in verschiedene Richtungen gedeutet und interpretiert werden.

Radio Kurruf

Radio Kurruf ist ein Radiosender, der hauptsächlich über das Internet Informationen jeglicher Art verbreitet. Es gibt eine Internetseite, auf der das Programm live mitgehört werden kann, eine App und das Radio ist in den sozialen Netzwerken wie Instagram, Twitter, Facebook und YouTube vertreten. Darüber hinaus teilt der Sender über den Nachrichtendienst Telegramm Informationen. Kurruf ist ein Begriff aus dem Mapudungun, der Sprache der Mapuche, und steht für Wind. Auch der Slogan des Radiosenders „Radio Kurruf“ heißt „la señal del viento“, also wörtlich übersetzt „das Signal des Windes“. Mit dieser bildhaften Sprache laden sie förmlich dazu ein, die benutzte Metapher zu deuten. Aus poetischer Sicht steht Wind oftmals für Stärke, Freiheit, Unaufhaltsamkeit und Beständigkeit; Attribute, mit denen sie sich zu identifizieren scheinen und assoziiert werden wollen (vgl. Dirks 2005, S. 23ff). Die Real Academia definiert Wind als „Corriente de aire producida en la atmósfera por causas naturales, como diferencias de presión o temperatura“. Viele der genannten Wörter lassen weitere Deutungen in Bezug auf die Institution zu. „Corriente“, also Strom, ist stark und kräftig; „aire“, die Luft, ist überlebensnotwendig; „natural“, natürlich und vor allem naturverbunden, sind auch die betroffenen Menschen und „presión“, Druck, ist eine Ursache für die Entstehung von Wind. Druck wurde ebenfalls zu einem Motiv für sie, den Radiosender zu gründen. Gemeint ist der Druck, der durch die Geschehnisse und die Ungerechtigkeit entstand, Transparenz zu schaffen und die Bevölkerung aufzuklären. (vgl. Radio Kurruf. Editorial. https://radiokurruf.org/editorial/.2020. Stand: 30.06.2021) Der Radiosender gilt als alternativ und wird daher vordergründig von interessierten oder betroffenen Menschen gehört und zählt damit nicht zu den traditionellen Kommunikationsmedien in Chile. Wer exakt die Person war, die 2015 den Sender ins Leben rief, ist ungewiss. Sie selbst erklären es so, dass verschiedene Einzelpersonen, die bereits vorher in diversen Bewegungen in Ngülumapu eingebunden waren, die Initiative ergriffen und den Radiosender als Möglichkeit der Kommunikation gründeten. (vgl. Radio Kurruf. Editorial. https://radiokurruf.org/editorial/.2020. Stand: 30.06.2021) Als Ngülumapu wird auf Mapudungun die Region bezeichnet, in der westlich der Anden Mapuche leben. Dies betrifft die neunte Region Chiles, also Araukanien, die ein Zentrum der Mapuche darstellt. (vgl. Zavala Cepeda, José Manuel. Diálogo andino. Economía aurífera, caminos y fuentes en la Araucanía (Ngülimapu) del Siglo XVI: en torno a la informacíon de Martínez Ruíz de Gamboa de 1579. https://www.scielo.cl/scielo.php?script=sci_arttext&pid=S0719-26812020000100027&lang=pt. 13.01.2020.) Unter anderem waren es Dorfbewohner:innen, Arbeiter:innen, Mapuche und Studierende, die an der Gründung beteiligt waren. In den Programmen des Radiosenders berichten sie über verschiedene Ereignisse, bereits vorgefallene oder noch bevorstehende, über aktuelle Situationen im Zusammenhang mit sozialen Forderungen und Beschwerden sowie über die Verteidigung ihrer Territorien. Weiterhin werden unterstützende Worte geteilt, um in Ngülumapu ein aus ihrer Sicht gutes und würdevolles Leben führen zu können. (vgl. Radio Kurruf. Editorial. https://radiokurruf.org/editorial/.2020. Stand: 30.06.2021) Denn tagtäglich ereignen sich in diesen Gebieten Vorfälle von Missbrauch, Unterdrückung, Ausbeutung und Ungerechtigkeit, die von verschiedenen dort ansässigen Gemeinschaften ertragen werden müssen. Da die etablierten bzw. traditionellen Medien Chiles den Aktivist:innen zufolge diese Tatsachen entweder verschweigen oder oftmals falsch darstellen, kommt es zu einer fehlerhaften Auffassung und Fehlinterpretation der dort vorgefallenen Ereignisse durch die breite Bevölkerung. Um die Gesellschaft darüber aufzuklären, wurde der Radiosender geschaffen. Die populären Medien seien in Chile eng mit großen Unternehmen, politischen Parteien, Milliardären und dem Staat verbunden, in denen sie ihre Interessen, Überzeugungen, Ideologien und Macht demonstrieren und für Minderheiten wie die Mapuche keine Unterstützung sind (vgl. Radio Kurruf. Editorial. https://radiokurruf.org/editorial/.2020. Stand: 30.06.2021). Den Aktivist:innen ist allerdings die Bedeutsamkeit von Kommunikation in Bezug auf gesellschaftliche Dynamiken und neue Herrschaftsformen bewusst. Aus diesem Grund gründeten sie dieses Projekt, um für die Probleme, Erfahrungen, Beschwerden und Kampfprozesse der Betroffen in Ngülumapu Raum zu schaffen, um sich auszutauschen, neuen Mut zu fassen und zu Aktivitäten aufzurufen. (vgl. Radio Kurruf. Editorial. https://radiokurruf.org/editorial/.2020. Stand: 30.06.2021)

Beispiele ihrer Arbeit

Ein Beispiel dieser Aufklärungsarbeit zeigt sich im Fall der Ermordung von Macarena Valdés im Jahr 2016. Sie war ebenfalls Aktivistin und Umweltschützerin. Zu Beginn erhielt sie von Beamten der Firma RP Global Drohungen, da sie sich gegen die Installation eines Wasserkraftwerks und der damit verbundenen Infrastruktur widersetzte. Später wurde die junge Frau tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Gutachter und die Polizei kamen zu dem Schluss, dass es sich um Selbstmord gehandelt habe. Als jedoch ein unabhängiges Gutachten erstellt wurde, konnte man diesem entnehmen, dass Dritte an dem Vorfall beteiligt waren. Fälle wie der von Macarena und viele andere wurden lediglich dadurch bekannt, dass Aktivist:innen eine solch starke Haltung bewahrten und Fakten über Webplattformen wie Radio Kurruf verbreiteten. Audio-, Foto- und audiovisuelle Aufzeichnungen sendeten sie an verschiedene Medien der sozialen Kommunikation. Radio Kurruf steht dafür, dass alle dazu beitragen können, die Probleme und Kämpfe der Bewohnenden dieses Territoriums publik zu machen. Somit kann die Gruppe der dahinterstehenden Aktivist:innen nicht genau definiert werden. Jeder Mensch, ob Journalist:in oder nicht, hat die Möglichkeit, Material und Nachrichten zu schicken, um auf weitere Missstände aufmerksam zu machen. Sie plädieren für die Aufrechterhaltung eines Verbreitungsnetzwerks, von dem aus Informationen organisiert und geschrieben werden. Dazu zählen beispielsweise Newsletter, Radioprogramme, Presse- und audiovisuelle Veröffentlichungen, Fotos und Live-Übertragungen. Radio Kurruf ist sich sicher, dass ihre Arbeit gemeinsam mit den Gemeinschaften, die ihre Unterstützung angefordert haben, das Erreichen wichtiger kommunikativer Fortschritte ermöglicht hat. (vgl. Radio Kurruf. Editorial. https://radiokurruf.org/editorial/.2020. Stand: 30.06.2021) Mittlerweile haben sie Verbindungen zu anderen sozialen Kommunikationsmedien hergestellt, die in Wallmapu ansässig sind, also in heutigen chilenischen und argentinischen Gebieten, in denen Mapuche leben und lebten. Auch in Abya Yala, also ganz Lateinamerika, haben sie Verbindungen aufgebaut. Damit sind sie in der „Red de medios de los pueblos“, der „Red de medios libres, autónomos, comunitarios o como se llamen” („Netzwerks freier, autonomer Gemeinschaftsmedien oder wie auch immer sie heißen“) und auf interkontinentaler Ebene im „Anarchy Radio Network“ vertreten. Durch die entstandenen Verknüpfungen mit den genannten organisatorischen Instanzen ist eine Welle der Solidarität aus verschiedenen Teilen der Welt entstanden. Die Informationen aus Ngülumapu werden von verschiedenen Gebieten Lateinamerikas weiter verbreitet und das Radio Kurruf erhält damit Kenntnisse über Kämpfe in verschiedenen Teilen des Kontinents, über die sie dann berichten können. (vgl. Radio Kurruf. Editorial. https://radiokurruf.org/editorial/.2020. Stand: 30.06.2021)
Die Fokussierung auf das „Monumento a la Araucanía“ war insofern wichtig, weil es eins der berühmtesten und kontroversesten Monumente in Bezug auf die Mapuche in Temuco ist. Da aber hinsichtlich des Monuments noch keine Berichte von Aktivist:innen bei Radio Kurruf aufzufinden sind, erfolgt nun die Ausführung einer Reportage des Senders, in der es sich um einen Vorfall an einer anderen Statue handelt.
Am 12. März 2021 meldet Radio Kurruf einen aktuellen Vorfall. Die folgenden Erläuterungen beziehen sich auf die Aussagen ihrer Berichterstattung. Erst am Tag zuvor war die Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin Paulina Acevedo festgenommen worden. Sie berichtete gerade über die Entfernung einer Statue auf der Plaza Dignidad. Ihr Sohn Simón Basilio war in dem Moment bei ihr und fotografierte die Geschehnisse. Auch er wurde festgenommen, aber später wieder frei gelassen. Bei der Statue handelte es sich um eine Abbildung von General Baquedano (Radio Kurruf. Noticias. https://radiokurruf.org/2021/03/12/periodista-y-defensora-de-derechos-humanos-paulina-acevedo-es-detenida-mientras-reporteaba-el-retiro-de-estatua-en-plaza-dignidad/ Stand: 04.07.2021). Baquedano war ein einflussreicher General, der im Salpeterkrieg von 1879 bis 1884 zwischen Chile, Peru und Bolivien, eine tragende Rolle spielte. Unzählige Menschen verloren dabei ihr Leben, unter anderem viele Kindersoldaten, die nie wieder aus dem Krieg nach Hause kamen. Auch am Kampf gegen die indigen Mapuche war Baquedano stets beteiligt und unterstützte zahlreiche Kampagnen dagegen. Er war Teil der „Befriedung Araukanines“ (Goldschmidt, Dafna. Kultur Austausch. Statue des Generals Baquedano. Institut für Auslandsbeziehungen. https://www.zeitschrift-kulturaustausch.de/de/archiv/exclusiv-online/standard-titel/statue-des-generals-baquedano. Stand: 04.07.2021). Als 2019 die Proteste in Chile immer mehr zunahmen und damit die Plaza Italia in Santiago zu einem Treffpunkt vieler Protestbewegungen wurde, wurde sie in „Plaza Dignidad“ umbenannt. Zwar bezogen sich die Aufstände auf unterschiedliche Forderungen, aber neben dem generellen Verlangen nach besseren Lebensbedingungen, ging es grundlegend auch um das Ende der Ungleichheit gegen die Mapuche. Dabei wurde das Monument immer wieder zur Zielscheibe von aktivistischem Vandalismus. Baquedanos wurde dabei wiederholt mit Mapucheflaggen bedeckt oder komplett rot angemalt.
Die ständigen Reinigungen und Wiederinstandsetzungen der Regierung blieben erfolglos.(Goldschmidt, Dafna. Kultur Austausch. Statue des Generals Baquedano. Institut für Auslandsbeziehungen. https://www.zeitschrift-kulturaustausch.de/de/archiv/exclusiv-online/standard-titel/statue-des-generals-baquedano. Stand: 04.07.2021). Immer wieder klagte die Bevölkerung und forderte ein Entfernen der Statue, wogegen sich die Regierung aber vehement wehrte. Als die Statue am 11. März tatsächlich entfernt wurde, war die Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin Paulina Acevedo vor Ort und berichtete in Begleitung ihres Sohnes über das Geschehen. Beide verfügten über einen Presseausweis, um ihrer Arbeit nachzugehen. Paulina Acevedo berichtete über die Pressestelle der Behörden nach der Entfernung der Statue, als sie die Festnahme ihres Sohnes sah, der zu dem Zeitpunkt die Vorkommnisse auf dem Platz fotografierte. Als sie zu dem Polizeiwagen ging, in dem die Festnahme stattfand und nach den Gründen dafür fragte, wurde die Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin ebenfalls festgenommen und ihr professionelles Arbeitsequipment vorenthalten. Artikel 261, „Angriff auf Behörden“, und Artikel 318, „Gefährdung der öffentlichen Gesundheit“, wurden der Journalistin vorgeworfen. Damit kam sie vorerst in Untersuchungshaft (Radio Kurruf. Noticias. https://radiokurruf.org/2021/03/12/periodista-y-defensora-de-derechos-humanos-paulina-acevedo-es-detenida-mientras-reporteaba-el-retiro-de-estatua-en-plaza-dignidad/ Stand: 04.07.2021). Radio Kurruf äußerte sich sofort im Namen des Bürgerobservatorium und des chilenischen Verbands der Nichtregierungsorganisationen Acción AG zu den Ereignissen, indem sie den Angriff aufs Schärfste verurteilen. Gleich am Folgetag berichteten sie über alle Details. Sie argumentieren ebenfalls mit Beweisfotos, die zum einen die Sammelerlaubnis der Journalistin nachweisen und zugleich belegen, dass sie die gesamte Zeit über eine Maske trug. Aus dem Grund empfinden sie die Vorwürfe als unberechtigt und verurteilen den vorgefallenen Verstoß gegen die freie Ausübung des Journalismus und die Meinungsfreiheit zutiefst. Sie hielten es für unmöglich, dass in einem Land, welches doch als demokratisch gilt, Menschenrechtsverteidiger und Journalisten nicht ihr Recht auf Berichterstattung wahrnehmen können. Und das obwohl es sich um ein aktuelles Thema handelt, was für die gesamte Gesellschaft von großem öffentlichem Interesse ist. Abschließend startete Radio Kurruf noch einen Aufruf an die Ordnungs- und Sicherheitskräfte, derartige Missbräuche der Meinungsfreiheit nicht zu wiederholen. Sie erachten es für absolut notwendig diese aufzuhalten und neu zu belehren, damit in Zukunft neue und an die Menschenrechte angepasste Standards herrschen, die befolgt werden. 24 Stunden nach dem Vorfall wurde auch Paulina Acevedo wieder entlassen. (Radio Kurruf. Noticias. https://radiokurruf.org/2021/03/12/periodista-y-defensora-de-derechos-humanos-paulina-acevedo-es-detenida-mientras-reporteaba-el-retiro-de-estatua-en-plaza-dignidad/ Stand: 04.07.2021)

Analyse

Der Radiosender arbeitet mit diversen Informationsmaterialen und rechtlichen Grundlagen. Darauf gründen auch die Aussagen des Senders. Das schafft Transparenz und Glaubwürdigkeit. Dies ist für alle Zuhörer von äußerster Wichtigkeit. Das Nennenswerte an Radio Kurruf ist zudem, dass ihre Art der Demonstration und des Aktivwerdens einer sehr friedliche Aufklärungsarbeit entspricht. Gerade im letzten Beispiel wird deutlich, dass mit ihrer Arbeit vor allem versuchen, gewisse Grundsätze in Frage zu stellen. Gemeint sind damit gesellschaftlich anerkannten Normen und Standards sowie Aktionen der Regierung und des Militärs, bzw. hier z.B. auch des Sicherheitspersonals (vgl. Mignolo 2012, S. 7). Das Verbreiten der Inhalte regt Zuhörer:innen an, aktiv nachzudenken und Dinge in Frage zu stellen. Damit verfolgen und erledigen Sie aufgrund solcher Beispiele gleich mehrere Ziele auf einmal. Sie appellieren zum einen an wichtige Instanzen, machen sich stark und laut und stellen Forderungen. Gleichzeitig erweisen sie sich als offenes Ohr und Identifikationspunkt für weitere Bürger:innen und als Kommunikationsraum für Betroffene. Von daher halte ich die Methode des Senders für sehr gelungen. Wichtig ist zudem, dass sie bei ihrer Arbeit nicht die Würde anderer Menschen missachten oder Sachbeschädigungen vornehmen, wie es in manchen Formen von Protest vorkommt, aber damit den Prinzipien des eigenen antirassistischen Gedankenguts widersprechen würde. (vgl. Rätzhel 2000, S. 7)

Bibliografie
Dirks, Jan. 2005. Das Konzept „Wind“ und seine metaphorische Extension im Koreanischen. Wissenschaftliche Hausarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magister Artium der Universität Hamburg. S. 23ff

Mignolo, Walter D. 2012. Epistemischer Ungehorsam. Rhetorik der Moderne, Logik der Kolonialität und Grammatik der Dekolonialität. turia und Kant. Wien. S. 7

Rätzhel, Nora. 2000. Theorien über Rassismus. Hall, Stuart. Rassismus als ideologischer Diskurs. Argument Verlag. SUB Göttingen. S. 7

Mujeres Creando (La Paz, Bolivien)

Isabella I. – eine chola auf dem Plaza Chola Globalizada?
Mujeres Creando und ihre Kämpfe für ein feministisch-dekoloniales Bolivien

Autorschaft des Beitrags: Pierre Haupt, Tobias Rodat, Victoria Klugmann und Vincent Dietz
Aktivistische Gruppe: Mujeres Creando
Statue / Monument: Statue Isabella I. Plaza de Isabel de Castilla / Plaza de la chola globalizada
Ort (Stadt, Land): La Paz, Bolivien

1. Statue der Isabel la Católica (La Paz, Bolivien) – eine Heldin der Nation?

Die Statue der Isabel la Católica steht auf dem Plaza Isabel la Católica in La Paz, Bolivien. Es handelt sich dabei um den größten Kreisverkehr der Stadt, welcher auch als öffentlicher Platz genutzt wird. Umgeben wird die Statue von angelegten Gärten und großen Bäumen. Sie wurde 1928 errichtet, als Geschenk der spanischen Gemeinschaft an Bolivien. Isabel la Católica ist das Werk des spanischen Bildhauers Jaume Otero (Anonym 2020).
Ausgewählt wurde Isabella I. durch ihre prägnante Persönlichkeit und ihre Präsenz als spanische Königin im 15. Jahrhundert. Isabella bestieg nach dem Tod ihres Bruders Heinrich IV., welcher zuvor über das Reich herrschte, 1474 den Thron Kastiliens. Diesen musste sie sich jedoch in der Schlacht von Toro am 17. März 1476 erkämpfen, da die Tochter Heinrichs IV. Anspruch auf diesen erhob. Ab 1479 regierten Isabella I. und Ferdinand II. schließlich die Königreiche Aragón und Kastilien, jedoch getrennt voneinander (Koch-Kanz o.J).
1486 wand sich der italienische Seefahrer Cristóbal Colón an die kastilische Königin und bat sie um die finanzielle Unterstützung seines Unternehmens. Ziel dessen war es, eine Handelsroute ins abgelegene Indien zu finden, welche unabhängig von Portugal und der deutschen Hanse agieren sollte. Isabella willigte diesem Vorhaben unter vorher festgelegten Bedingungen ein. Zu diesen zählte die Aussicht auf neue Territorien, welche dem spanischen Königreich zugesprochen werden sollten, sowie die Hoffnung auf neue Güter wie Lebensmittel, Gold und Rohstoffe (Beckmann 2019).
1492 entdeckte Cristóbal Colón unter der spanisch-kastilischen Flagge den amerikanischen Kontinent und schaffte damit die Grundlage für die Errichtung des spanischen Kolonialreichs (Beckmann 2019).
In diesem errichteten die Spanier anfangs Stützpunkte auf den karibischen Inseln und breiteten ihre Territorien in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts über weite Teile Mittel- und Südamerikas aus. Dieser Eroberung fielen jedoch auch viele Indigene zum Opfer. Einige steckten sich mit europäischen Krankheiten an, welche ihr Immunsystem nicht bekämpfen konnte, andere wurden im Rahmen des Requerimiento unterworfen und versklavt. Laut Gesetz dienten die Indigenen den spanischen Eroberern aus freiem Willen, in Wirklichkeit aber verhinderte es ihre Unabhängigkeit und die Möglichkeit einer Flucht.
Die Bezeichnung la Católica verdankt Isabella Papst Alexander VI. Dieser bezeichnete Ferdinand II. und Isabella I. 1494 erstmals als “katholische Könige”. Entsprungen ist dieser Titel im Rahmen der Inquisition und dem Alhambra-Edikt von 1492. Im Alhambra-Edikt legte das spanische Königspaar fest, dass alle ansässigen Juden auf dem Herrschaftsgebiet Ferdinands und Isabellas gezwungen seien, entweder dem Christentum beizutreten oder das Land zu verlassen (Koch-Kanz o.J.).

2. Demonstration vom 12.10.2020: Ein Aufruf zum Umdenken

Der 12. Oktober ist in Spanien Nationalfeiertag; Cristobal Colón „entdeckte“ an diesem Tag im Jahre 1492 Amerika. Mithin wird dieser Tag in Bolivien, der auch oftmals als Kolumbustag gerühmt wird, als Feiertag des Kampfes der indigenen Völker (el Día de la Resistencia Indígena) geehrt. In den vergangenen Jahren wurden an diesem Tag immer häufiger Protestaktionen im Inland abgehalten. Dies geschah ebenso am 12.10.2020 in La Paz (Bolívia) durch die feministisch-anarchistisch motivierte, bolivianische Gruppierung Mujeres Creando (Collado 2020).
Im Visier der geplanten Aktion stand hierbei die oben genannte Statue von Isabella I., also die Person, die Kolumbus die finanziellen Mittel bereitstellte, um seine Expeditionen zu finanzieren und um somit eine neue Route nach Indien zu finden (Beckmann 2019).
Zunächst übergoss man den Namen der Statue mit roter Farbe, als Symbol des Blutes und mithin des Schmerzes und Verlustes, um somit auf die vielen Opfer der Kolonialisierung und auf die Herrschaftsverhältnisse während der Kolonialzeit aufmerksam zu machen. Während jener wurde der schmerzvolle Tod vieler Millionen indigener Völkermitglieder durch Akte der Gewalt herbeigeführt. Anschließend bekleidete man das Monument der Isabella I. mit traditioneller, farbenfroher und typischer Kleidung der indigenen „cholas“. Außerdem wurde der Platz durch die feministischen Aktivistinnen von ehemals Plaza Isabel la Católica in Plaza de la chola globalizada umbenannt, um so auf die bis heute noch anhaltende Unterdrückung von und Ungerechtigkeit gegenüber indigenen Frauen in Bolivien aufmerksam zu machen (Beckmann 2019).
Ziel dieser Protestaktion war es, auf die Kolonialisierung sowie ihre bis heute noch andauernden Konsequenzen hinzuweisen, welche durch die Präsenz der Statue von Isabella I. unterstrichen werden.
Dieser Akt des Aufstandes wurde zugleich durch eine Demonstration begleitet, welche mit Sprechchören, wie z.B. mujer escucha une de la lucha, und Plakaten, wie z.B. luchar hoy no significa morir mañana, unterstützt und untermauert wurde.

3. La plaza chola globalizada – doch wer sind die cholas eigentlich?

Als cholas bezeichnet man indigene Frauen oder Frauen einer solchen Abstammung in Bolivien und Peru. Sie kennzeichnen sich besonders durch ihre auffallende Kleidung. Diese besteht aus bis zu 10 Unterröcken und einem Überrock, im Spanischen pollera genannt. Durch diese Stoffmengen erscheint der Körperbau einer chola rundlich und weiblich. Die Röcke selbst unterscheiden sich abhängig von der Region, in der die Frau lebt, und ihrer finanziellen Situation.
Die Inspiration für die Kleider entsprangen nicht dem annehmbaren indigenen Kult, sondern wurden von spanischen Kolonialherren eingeführt (Anonym 2019).
Die cholas “leben” zwischen den kulturellen Räumen der indigenen Bevölkerung und denen der Mestizen. Die Formulierung Mestizen beschreibt in diesem Zusammenhang die Nachfahren von Indigenen und Europäern, welche mit der spanischen Kolonisation nach Südamerika kamen. Unterschieden wird innerhalb der cholas noch einmal in chola-Frauen, welche dem traditionellen Kult angehören und diesen ausleben, und Frauen, welche sich nur dieser Bevölkerungsgruppe angehörig fühlen ohne diese Zugehörigkeit beispielsweise mittels der Kleidung zu zeigen (Rivera Casucanqui 2018, S. 100).

4. Mujeres Creando – Feministinnen einer modernen Zukunft oder bloß radikale Anarchistinnen?

Doch wer sind eigentlich diese mutigen Frauen und Aktivistinnen, die hinter diesem Protest stehen? Sie nennen sich Mujeres Creando.
Mujeres Creando sind eine feministisch-anarchistische Bewegung in Bolivien, die sich oftmals durch eher radikale Aktionen und geplante Vorhaben zeigt und ihre Wurzeln nicht nur in den theoretischen, sondern auch in den lebendigen Zügen des Feminismus einerseits und des Anarchismus andererseits trägt.
Sie gründeten sich 1992 in einem der Viertel der Vororte von La Paz in Bolivien. Ursprünglich trugen sie dabei den Namen Comunidad Creando; jedoch benannten sie sich noch im selben Jahr zu dem bis heute gültigen, hervorstechenden Namen um. Die Gründerinnen waren drei starke, emanzipierte Frauen: Julieta Paredes, María Galindo sowie (in einigen Quellen jedenfalls als weiteres Gründungsmitglied aufgezählt) Monica Mendoza. Im Laufe der Zeit traten somit immer mehr Mitglieder der Gruppierung bei und die Gruppe kann bis heute einen stetigen Zuwachs der Zahl ihrer Mitglieder verzeichnen. Nicht nur in Bolivien selbst, sondern auch in internationalen Zusammenhängen gewinnt die Gruppierung an Bekanntheit, vor allem auch durch die Online- und Medienpräsenz der Mujeres Creando seit den letzten Jahren.
Die Mujeres Creando gründeten sich mit der Absicht, einen antirassistischen Feminismus herauszubilden und diesen im Anschluss fest zu etablieren – in der Gesellschaft, im System des Staates und in den Köpfen der Menschen. Sie engagieren sich weiterhin im Kampf gegen das Patriarchat, ungleich verteilte Machtverhältnisse, das bislang etablierte und als ungerecht, unsozial, diskriminierend und korrupt angesehene Staatssystem als Ganzes und darüber hinaus auch gegen den Militarismus in Politik und Wirtschaft des Inlands. Dies muss in den Zusammenhang gesetzt werden, dass sich die Mujeres Creando in den 80er Jahren gegründet haben, einer Zeit, die von einer „arroganten, totalitären und homophoben Linken Boliviens“ geprägt war. Heterosexualität war die Normalität und galt als das vorherrschende und aufoktroyierte Rollen- und Leitbild innerhalb der Gesellschaft. Feminismus in der Theorie sowie in der Auslebung wurde als etwas verstanden, das die Gesellschaft spalten würde. Es wurde jedoch nicht als etwas verstanden, das die Chance bietet und das Potenzial besäße, die Gesellschaft zu vereinen und die Menschen untereinander gleichzustellen. Die Linke Boliviens war zu jener Zeit auch forthin von einer tiefgründig verwurzelten „unethischen„ als auch „unmoralischen Doppelmoral“ geprägt. So waren diese politischen Funktionäre, besetzt durch zahlenmäßig überwiegend männliche Personen, zwar revolutionär in ihren politischen Aktionen, aber sie waren im Gegensatz dazu im privaten Bereich, also innerhalb ihrer eigenen Familien, nicht nur Hüter, sondern auch Herrscher, nahezu „Diktatoren“ der Familie. (Paredes 2002)
Welche politischen, moralisch-ethischen Positionen vertreten dabei die Mujeres Creando konkret?
Zum einen sind allem voran erst einmal die Leitkonzepte zu erwähnen, aus denen heraus sich die Mujeres Creando gegründet haben und und deren Gültigkeit bis heute andauert. Man spricht hier von den beiden Konzepten der Kreativität und der Viel-falt/Diversität. Kreativität zeigt sich in der künstlerisch-ausdrucksstarken, nullreglementierten Ausübung politischer Aktionen durch die Form der Kunst an sich. Konkret zeigt sie sich in dem Sprühen von Graffitis, in den Straßentheaters, etc. Das Konzept Vielfalt beinhaltet, dass sich keine geschlossenen Parallelgesellschaften innerhalb der Gesellschaft bilden. Mujeres Creando richten sich an jede gesellschaftliche Schicht, unabhängig davon, ob die (zukünftigen) Mitglieder einen speziellen Bildungsstand- oder -standard aufweisen, sich einer bestimmten sexuellen Orientierung zuordnen, sich mit einem bestimmten Geschlecht identifizieren oder sich einer bestimmten Religion zugehörig fühlen. (Anonym 2017)
Zudem appellieren die Mujeres Creando grundsätzlich an die Gesellschaft und im Speziellen an die Frauen, dass es nicht ausreicht „nur eine Frau zu sein“, um somit auch feministisch zu sein. Man kämpfe hier schließlich gegen wirklich weitreichende, tiefgreifende politische Missstände an. Mujeres Creando üben zudem Kritik an Frauen, die zwar vergleichsweise selten eine hohe wirtschaftliche Position im Inland haben wie sie üblicherweise fast ausschließlich Männer haben, die aber eben in und vor allem für eine Wirtschaft arbeiten, die von Männern dominiert ist; Männer, die zumindest nach Überzeugung der Mujeres Creando überwiegend rassistisch, feminophob, faschistoid, etc. sind.
Weiterhin stellen die feministisch-anarchistischen Aktivistinnen den Regierungsapparat als solchen in Frage. So erwarte man in der bolivianischen Gesellschaft einen gesellschaftlichen, sozialen Wandel, einen Ausgleich der bestehenden und teils prekären Armutsverhältnisse, eine Unterstützung der (unterdrückten) Minderheiten sowie eine Gleichberechtigung aller in allen sozialen Ebenen. Doch es war genau dieser soziale Wandel, der wider jeglicher Versprechen seitens der Regierung ausblieb. Darüber hinaus empfindet eine Vielzahl der Aktivistinnen die bestehende politische Verfassung des Landes als herben Rückschlag angesichts eines solchen sozialen Wandels, denn keineswegs haben sich die angesprochenen Problematiken gelöst, sondern sich sogar teils verschlimmert. Julieta Paredes, eine der Gründerinnen der Mujeres Creando, beschreibt den feministischen Aktivismus der Gruppe so, als dass er sich nicht durch ein theoretisches Konzept oder durch die Definition einer Organisation oder eines Lexikons begreifen und fassen lässt. Vielmehr ist er tief verwurzelt in den familiären Geschichten jeder einzelnen bolivianischen Frau der Generationen zuvor, zu deren Ehren und Widergutmachung Feminismus seinen Ursprung und seine treibende Kraft findet. (Paredes 2002; García-Pabón 2003)
Die Hauptaktivitäten der Mujeres Creando spielen sich grundsätzlich im öffentlichen Raum ab (meist in den Straßen der Städte, die für alle zugänglich sind). Die Aktionen sind öffentlich, sodass sie für die gesamte Bevölkerung sichtbar und zugänglich sind. Die Aktivistinnen halten verschiedene Arten von Protesten ab, wie z.B. hier konkret vorgestellt, sie zeichnen beziehungsweise sprühen Graffitis an die Wände der Straßen, sie führen Performance-Aktionen aus, also künstlerische Darstellungen und Bühnenstücke auf der Straße, die dem „Publikum“ diese kritischen Botschaften darbieten und zugleich ans Herz legen sollen. (Dúran 2015)
Graffitis spielen als großes Kunst- und Kreativitätsmerkmal eine besondere Rolle. Sie sind natürlich einerseits sehr ausdrucksstark und andererseits besitzen sie auch einen Hang zur Provokation. Die Graffitis der Mujeres Creando beziehen sich meistens auf den Feminismus im Allgemeinen, unter anderem machen sie aber mit diesem Stilmittel auf weitere soziale und wirtschaftliche Missstände Boliviens als auch weltweit aufmerksam. Solche Graffitis verursachten oft auch schon Kontroversen, die mit polizeilicher und strafrechtlicher Verfolgung einhergingen. Weiterhin besitzen die Mujeres Creando eine eigene Zeitschrift, die sich Mujer Publica nennt, und veröffentlichen Bücher, beispielsweise über Poesie, verschiedene Modelle feministischer Theorie und Sexualität.
Darüber hinaus produzieren sie auch Botschaften im Videoformat, in denen sie ihre Konzepte nochmals wiederholen, begründen und ihre Aussagen bestärken. Mit diesem Medium können sie ihren Aktivismus auch einem breiteren Publikum zugänglich machen.
2016 produzierten die Mujeres Creando auch eine Fernsehsendung und seit 2007 kann man ihnen in der Radiosendung Radio Deseo zuhören. (Pou 2016)
Das Radio Deseo soll dabei einen Raum schaffen für alternative Debatten, Meinungen und Ansichten über die gegebenen sozialen und politischen Realitäten und Identitäten im heutigen Bolivien. Dabei betrachten die Mujeres creando die Kultur beziehungsweise den Kulturbegriff als ein Szenario, dass die Kräfte bündelt. Auf der einen Seite die Kräfte der ausdrucksstärksten und lebendigsten Mitglieder der Gesellschaft und auf der anderen Seite die Kräfte der unterdrückten und missverstandenen Mitglieder der Gesellschaft. Das Radio Deseo wird auf rein ehrenamtlicher Basis ohne Gewinnerzielung betrieben, sodass keinerlei wirtschaftliches Nutznießertum unterstellt werden kann. Bei den verschiedenen Programmen ist jede*r dazu aufgefordert und willkommen geheißen mitzumachen – unter bestimmten Qualitätsstandards, die vorab in Gruppentreffen besprochen werden, sowie unter den von den mujeres creando allgemein vertretenen Grundsätzen zur Abtreibung, Prostitution, Antirassismus und Antiklassismus. Dabei werden die Radioprogramme durch eine Online-Präsenz in Form eines Streaming-Angebots auch Teilnehmer*innen, Interessierten und Neugierigen zugänglich gemacht. Um dies noch einmal zu verdeutlichen: das Radio Deseo zielt nicht darauf ab, eine Stimme für unverbesserliche Ansichten zu sein, vielmehr sehen sich die Betreiber*innen als Vermittler*innen zwischen Medien, Politik, Realität und Feminismus. Überdies gibt es auch ein edukatives Angebot der Mujeres Creando: die Radioschule La voz de mi deseo, die kostenlos Informationen über die wichtigsten Grundlagen guter Kommunikation und Sprecharten, stilistische Methoden und andere Funktionen bereitstellt. Voraussetzung für die Teilnahme ist lediglich der geteilte Wunsch nach einem antirassistischen, dekolonialen und feministischen Bolivien. (Salas 2015)

5. Mujeres Creando und feministisch-dekoloniale Theorie

Die politische Motiviertheit und die als feministisch eingestuften Aktivitäten der Mujeres Creando können auch vor verschiedenen theoretischen Hintergründen klassifiziert werden. Zum einen lässt sich das aktivistische Vorgehen der Anhänger der Strömung dem dekolonialen Queer-Feminismus zuordnen. Jener eröffnet in allgemein bekannten feministischen Theorien eine klar intersektionale Perspektive auf Konzepte wie Herrschaft, Rassismus, koloniale Machtstrukturen sowie deren Auslebung. Zugleich werden hierbei Fragen nach der geografischen Verortung von Wissensproduktionen aufgeworfen. (Quija-no 2007)
Dekoloniale Theorien an sich kritisieren dabei das westliche Wissensparadigma, also ein Paradigma in dem Wissen allgemein als Produkt verstanden wird – ein Produkt aus Beziehung zwischen einem forschenden Subjekt und einem beforschten Objekt, die getrennt voneinander zu betrachten sind. Dadurch wird allemal die suggerierte Minderwertigkeit der „Anderen“ hervorgebracht.
Weiterhin lassen sich die Mujeres Creando auch dem wissenschaftlichen Gebiet des epistemischen Sexismus zuordnen, welcher den privilegierten westlichen Wissensstrukturen zugrunde liegt und neben dem kolonialen Subjekt auch die koloniale Kategorie der Frau als eine solche „Andere schafft.“ (Grosfoguel 2013)
Ganz klar im Fokus steht auch die Kontroverse gegenüber sozialethischen Theorien der Aufklärung, die zwar den Menschen als universellen Träger von verschiedenen Rechten anerkennt, dabei aber stets seine Menschen als männlich klassifiziert. Die droits de l’homme weisen diesen Rechten explizit das Subjekt Mann zu. Mithin war diese Kolonialisierung nicht nur geschlechtsabhängig, sondern die Idee der Dekolonialisierung und die Verrechtlichung der Bürger zugleich auch geprägt von der Unterordnung der Frau durch das Gesetz.
Nun stellt sich jedoch die Frage, inwiefern die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts, die Unterdrückung der Indigenen (in diesem Zusammenhang vor allem die indigene Bevölkerung Boliviens; im Konkreten, fallspezifisch: die cholas) und die Diskriminierung der Personen, die Merkmale beider Klassifikationen aufweisen, speziell die bolivianische Bevölkerung trifft.
Zwar zeigte sich bezüglich der Entwicklung der Rechtsverhältnisse für indigene, feminine Subjekte ein positives Abbild. Jedoch fand zeitgleich ab den 70er Jahre ein entgegengesetzter Entwicklungsprozess statt, bei dem indigene beziehungsweise indigen beeinflusste weibliche Bevölkerungsgruppen zunehmend die traditionellen Rollen von Mutter und „Hausfrau“ annahmen, früher als zu dem Zeitpunkt gewöhnlich heirateten und tendenziell mehr Kinder gebaren. Dies wurde maßgeblich durch den Drang nach innerparallelgesellschaftlicher, sozialer Anerkennung aus den eigenen Reihen beeinflusst. Hierdurch entstand letztendlich nichts Geringeres als die allmähliche (Wieder-)Eingliederung eines hegemonialen Modells von Ehe und Familie in den indigenen Bevölkerungsschichten und damit einhergehend auch eine rückläufige Entwicklung in vor allem bolivianischen indigenen Familien. Als Ergebnis hiervon zeigt sich ein noch weiter auseinandergehendes Verhältnis von sozialer Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern Mann und Frau bezüglich indigener Herkunft. Nicht nur, dass sich die Mujeres creando schon zu ihrer Gründungszeit gegen eine solche Entwicklung aussprachen – das Bestehen von genau diesen rückläufigen Entwicklungen macht die aktivistische Tätigkeit der Gruppe nur noch wichtiger, um die soziale Ungleichheit in Bolivien zu bekämpfen. (Rivera Casucanqui 2018)

6. Literaturverzeichnis

García-Pabón, Leonardo: Sensibilidades callejeras. El trabajo estético y político de „Mujeres Creando“, in: Revista de Crítica Literaria Latinoamericana, 2003, Año 29, No. 58, Poesía y Globalización, Centro de Estudios Literarios „Antonio Cornejo Polar“, Lima-Hanover (2003).

Grosfoguel, Ramón: The structure of knowledge in westernised universities: Epistemic racism/sexism and the four genocides/epistemicides, in: Human Architecture: Journal of the sociology of self-knowledge 1.1, o.O. (2013), S. 73-90.

Quijano, Aníbal: Coloniality and modernity/rationality, in: Cultural studies 21.2-3, Leipzig 2007, S. 168-178.

Rivera Casucanqui, Silvia: Der Begriff der “Rechte” und die Widersprüche der postkolonialen Moderne. Pueblos Indígenas und Frauen in Bolivien, in: Garbe, Sebastian/ Cárdenas, María et. al., Ch’ixinakax utxiwa. Eine Reflexion über Praktiken und Diskurse der Dekolonisierung, Münster 2018, S. 100-136.

Internetquellen

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Anonym (2019): Cholita, in: Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Cholita, [Zugriff am 26.05.2021].

Anonym (2020):  Isabel la Católica Square (La Paz) – Plaza Isabell a Católica (La Paz), in: Second Wiki, https://second.wiki/wiki/plaza_isabel_la_catc3b3lica_la_paz, [Zugriff am 30.06.2021].

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Beckmann, Katharina (2019): “Entdeckung Amerikas”, in: planet wissen, https://www.planet-wissen.de/geschichte/neuzeit/entdeckung_amerikas/index.html, [Zugriff am 24.05.2021]

Collado, Adriana (2020):https://www.aboutespanol.com/dia-de-colon-el-segundo-lunes-de-octubre-1772265, [Zugriff am 21.06.2021].

Durán, José (2015): “Mujeres Creando, 20 años contra la autoridad”, in: El Confidencial,  https://www.elconfidencial.com/cultura/2015-02-23/mujeres-creando-20-anos-contra-la-autoridad_715427/,[ Zugriff am 20.05.2021].

Koch-Kanz, Swantje (o.J.): “Isabella von Kastilien”, in: FremBio. Frauen. Biographieforschung, https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/isabella-von-kastilien/, [Zugriff am 30.05.2021].

Mujeres Creando (2015): “No hay Libertad Política sin Libertad Sexual”, No hay Libertad Política sin Libertad Sexual, [Zugriff am 21.05.2021].

NUESTROS SUEÑOS NO CABEN EN SUS URNAS – La Plaza de la Chola Globalizada > MUJERES CREANDO , [Zugriff am 21.06.2021].

Paredes, Julieta (2002.): “Interview with Julieta Paredes of Mujeres Creando”, https://mirror.anarhija.net/usa.anarchistlibraries.net/mirror/j/jp/julieta-paredes-interview-with-julieta-paredes-of-mujeres-creando.pdf, Zugriff: 24.05.2021

Pou, Arpad (2016): “Mujeres Creando, despartriarcalizar con arte”, in: Pueblos. Revista de Información y Debate, http://www.revistapueblos.org/blog/2016/09/20/mujeres-creando-despatriarcalizar-con-arte/, [Zugriff am 20.05.2021].

Salas, Irene (2015): „Radio Deseo, the voice of freedom desire in Bolivia”, in: ICT4D & Participatory Media Approaches to Development, https://wpmu.mah.se/nmict151group1/2015/03/16/radio-deseo-the-voice-of-freedom-desire-in-bolivia/, [Zugriff am 21.06.2021].

Consejo Todas las Tierras/Mapuche (Santiago, Chile)

Die Mapuche, Pedro de Valdivia und Consejo Todas de Todas las Tierras
Was haben die eben Genannten gemeinsam? Eine Geschichte.

Autorschaft: Lea Bürger, Linda Fischer, Jonas Reek und Laura Weise
Aktivistische Gruppe: Consejo Todas las Tierras (Mapuche)
Statue / Monument: Statue des Pedro de Valdivia
Ort (Stadt, Land): Santiago, Chile

Die Eroberung Iberoamerikas durch die Spanier und Portugiesen im 15. und 16. Jahrhundert ist ein wichtiger Punkt in der Menschheitsgeschichte, denn sie prägte auf unwiderrufliche Weise das Schicksal der westlichen Welt und hat das Leben von Millionen von Menschen maßgeblich beeinflusst. Denn sie weckte einen ehrgeizigen, rücksichtslosen Forschergeist, der Ruhm und Reichtum in der neuen Welt witterte – das Verlangen, sich diese Welt untertan zu machen –, in den Herzen der Kolonialmächte, die sich bereits den afrikanischen Kontinent einverleibt hatten.
Zu häufig wird diese Geschichte jedoch aus der Eroberer-Perspektive betrachtet. Man spricht von Pionieren, lobt deren Verhandlungsgeschick und bewundert ihre Eroberungen. Doch ein anderes Bild ergibt sich, wenn man den Kolonialisierungsprozess Amerikas vom Blickwinkel der eingeborenen Bevölkerung betrachtet.

Wer sind die Mapuche?

Das Volk der Mapuche ist das größte indigene Volk Chiles und lebte ursprünglich in Araukanien, Süden von Chile und im Aconcagua-Tal, West-Patagonien. Übersetzt aus ihrer Sprache Mapudungun bedeutet „mapuche“ so viel wie „gente de la tierra“ – also „Menschen der Erde“ (Rotter, Patrick. 2011. Mapuche Kultur. The Big Myth. http://www.bigmyth.com/download/MAPUCHE_CULTURE_DE.pdf). Traditionell lebten sie im Einklang mit der Natur, was unter anderem ein Grund für ihren Kampf gegen die Errichtung von Wasserkraftwerken etc. auf ihren darstellen könnte. Verwandtschaftsbeziehungen und Familie spielten eine große Rolle und trugen maßgeblich zur kollektiven Identität bei. Sie waren kriegerisch versiert genug, um sich langfristig gegen die Inka zur Wehr zu setzen und verteidigten ihre Gebiete auch im 16. Jahrhundert tapfer gegen die Spanier. (Gesellschaft für bedrohte Völker. Mapuche.
https://www.gfbv.de/de/informieren/laender-regionen-und-voelker/voelker/mapuche/)
Eine wichtige Rolle spielte dabei Lautaro, geboren 1535 bei Tirúa, der im Jahr 1546 von den Spaniern gefangen genommen wurde und im Dienst vom Conquistador Pedro de Valdivia stand. Aufwachsend in diesem Umfeld lernte er viele Militärstrategien der Spanier kennen. Im Jahr 1551 gelang ihm die Flucht auf einem Pferd und er kehrte zu seinem Volk zurück. Im Jahr 1553 spitzte sich die Lage für die Mapuche drastisch zu, da die Spanier – geführt von Pedro de Valdivia – immer tiefer in ihre Gebiete vordrangen. Daraufhin bildeten die Mapuche-Krieger die Konföderation „Vutanmapu“, mit dem Ziel sich gemeinsam gegen die Spanier zu verteidigen. Lautaro wurde aufgrund seiner Erfahrung mit den Spaniern zum Toqui, Kriegshäuptling und Anführer dieses Bündnisses, ernannt. Am 25. Dezember 1553 griffen die Mapuche unter der Führung von Lautaro, unterstützt von Caupolicán, gesammelt die spanische Festung Tucapel an. Es gelang ihnen die Spanier zu besiegen, Pedro de Valdivia gefangen zu nehmen und anschließend zu töten. Sie eroberten schnell viele weitere kleinere Städte auf ihrem Weg nach Santiago. Dabei gerieten sie am 01. April 1557 in einen Hinterhalt der Spanier am Fluss Mataquito, bei dem unter anderem Lautaro getötet wurde. Caupolicán wurde vom Vutanmapu zum Nachfolger Lautaros gewählt. (Biblioteca Nacional de Chile. El toqui Lautaro (ca.1534-1557). Memoria Chilena BND. http://www.memoriachilena.gob.cl/602/w3-article-721.html)
Mit der fortschreitenden Kolonialisierung Lateinamerikas büßten auch die Mapuche große Teile ihrer Gebiete ein und erlitten große Verluste. Doch sie zu besiegen, gelang den Spaniern nicht. Aus diesem Grund überließen die Spanier ihnen im Jahr 1641 nach Verhandlung ein unabhängiges Territorium von etwa zehn Millionen Hektar im Süden Chiles. Der Chilenische Unabhängigkeitskrieg von 1810 bis 1826 markierte offiziell das Ende der Herrschaft der spanischen Krone in Chile, jedoch erkannte die Regierung des neu gegründeten chilenischen Staates den Landvertrag der Spanier mit den Mapuche nicht an und startete eine „Befriedung“, bei der es sich in Wirklichkeit um eine brutale Militärintervention handelte. Die Hälfte des Territoriums der Mapuche wurde beschlagnahmt und die indigene Bevölkerung zu Tausenden getötet und vertrieben. Jene beschlagnahmten fünfhunderttausend Hektar wurden vom chilenischen Staat überwiegend an deutsche und schweizerische Siedler übergeben, deren Nachfahren teilweise bis heute dort leben. (Boddenberg, Sophia. 2019. Ihr Kampf geht weiter. Fluter. Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.fluter.de/indigene-mapuche-im-widerstand-gegen-chile)
Die Mapuche kämpfen heute seit Jahrhunderten um ihre Gebiete. Sie sind das Volk in Iberoamerika, das sich am längsten gegen die spanischen Eroberer gewehrt hat.
Obwohl sie etwa zehn Prozent der chilenischen Gesamtbevölkerung ausmachen, erkennt die chilenische Verfassung bis heute die Mapuche nicht als eigenständiges Volk an. Deswegen leben viele Mapuche in Armut, ohne ausreichende Bildung – weil ihre Sprache an chilenischen Schulen nicht gelehrt wird und Bildung in Chile vergleichsweise teuer ist – und entfremden sich von ihrer Kultur und Religion, während die neoliberale Wirtschaftspolitik Chiles dafür sorgt, dass sich der Konflikt immer weiter zuspitzt und radikalisiert. Zuerst verdrängten die spanischen Eroberer die Mapuche, dann nahm man ihnen ihre Gebiete zugunsten europäischer Siedler weg, anschließend für Forstwirtschaft, Wasserkraftwerke und heute für Solaranlagen und Windparks, von denen die Mapuche (territorial) nicht profitieren. (Díaz, Jóse (Übersetzung von Poonal, Servindi). (2019. Mapuche in Chile wehren sich gegen geplantes Wasserkraftwerk. Amerika21. https://amerika21.de/2019/08/230610/mapuche-chile-gegen-wasserkraftwerk)
Der Unabhängigkeitskampf der Mapuche gegen den chilenischen Staat und die chilenische Verfassung ist noch nicht beendet.

Wer ist Pedro de Valdivia?

Pedro de Valdivia wurde 1497 in Castuera, Spanien, geboren und stammte aus einer adligen Familie mit militärischer Tradition. Bereits in seiner Jugend bewies er sich als Soldat der spanischen Krone und wurde 1534 als Militärführer nach Südamerika geschickt, wo er zuerst die Kolonialisierung Venezuelas vorantrieb, sich an der Suche nach dem sagenumwobenen Goldland Eldorado beteiligte und 1538 im peruanischen Bürgerkrieg an der Seite vom Conquistador Francisco Pizarro gegen Diego de Almagro kämpfte.
Im Jahr 1540 gelang es ihm trotz harter Kämpfe mit der indigenen Bevölkerung Chiles, mehrere Siedlungen zu gründen und erfolgreich zu verteidigen. Am 12. Februar 1541 gründete er die Stadt Santiago, die zukünftige Hauptstadt Chiles und baute in den folgenden Jahren die spanische Vorherrschaft in Chile bis zum Fluss Biobío aus. Nachdem er zwei Jahre erneut in Peru gekämpft hatte, wurde er offiziell von Franzisco Pizarro, der nun Vizekönig von Peru war, zum ersten Gouverneur Chiles ernannt und kehrte nach Santiago zurück. Er begann im Jahr 1550 in die Gebiete Chiles südlich vom Fluss Biobío vorzudringen und gründete die Stadt Concepción (gesamter Name: „La Concepción de María Purísima del Nuevo Extremo“) im heutigen Zentral-Chile. Dabei drang er nach Araukanien in die Gebiete der Mapuche vor, die ihm zum Verhängnis wurden. Im Jahr 1553 wurde Pedro de Valdivia in der Schlacht von Tucapel von den Mapuche unter der Führung von Lautaro unterstützt von Caupolicán gefangen genommen und am 25. Dezember 1553 exekutiert (Pinto, Sergio. 2014 [2020]. Pedro de Valdivia, el Conquistador de Chile. National Geographic. https://historia.nationalgeographic.com.es/a/pedro-valdivia-conquistador-chile_8676). Letztendlich ist Pedro de Valdivia aufgrund seines großen Beitrags zur Eroberung Lateinamerikas im Namen der spanischen Krone zur Legende im spanischen Conquistadoren-Kollektiv geworden. Über die Art seines Todes gibt es viele verschiedene Überlieferungen, welche – genau wie die zu seinen Ehren von den Spaniern errichteten Statuen in beispielsweise Santiago und Temuco, Chile – maßgeblich dazu beigetragen haben, dass er bisher unvergessen geblieben ist.
Doch die Verherrlichung der spanischen Eroberer wird heute hinterfragt und auch Pedro de Valdivia erscheint nun in einem anderen Licht. Obwohl die Eroberung Lateinamerikas viele positive Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft in den folgenden Jahrhunderten hatte, so hatten die europäischen Eroberer einen eher negativen Einfluss auf die damalige wirtschaftliche Situation der indigenen Bevölkerung. Sie brachten Kriege und Zerstörung, neue Krankheiten, neue Religionen und neue Herrschaftsverhältnisse. Während die Ausbeutung der población indígena noch als erzieherische Maßnahme deklariert und von der katholischen Kirche im Sinne der Missionierung unterstützt wurde, wurden die schwarzen Sklaven und Sklavinnen, die die Eroberer aus Afrika mitgebracht hatten, zu bloßen Arbeitstieren ohne jegliche Chance auf Rechte, Privilegien und sozialen oder wirtschaftlichen Aufstieg degradiert, auf die man ungehemmten Zugriff ausüben konnte. So etablierten die Eroberer in ganz Amerika ein auf der Hautfarbe der Menschen basierendes hierarchisches System, das die einzelnen Kulturkreise voneinander isolieren sollte – Stichwort: Rassentrennung – und ihnen die Vorherrschaft sicherte. Aus diesem Grund sind auch die Statuen von Pedro de Valdivia in Kritik geraten. Wem ist bewusst, wie sehr die Menschen in Chile heute noch unter der vor Jahrhunderten etablierten Rassendiskriminierung leiden?
Die existierenden Statuen von Pedro de Valdivia stellen unserer Meinung nach einerseits ein Symbol für Eroberung dar, andererseits stehen sie für Massenmord, Rassismus und Unterdrückung. Sie stehen für den Kolonialismus in einem Land, das sich von seiner Kolonialmacht Spanien angeblich schon vor mehr als zweihundert Jahren emanzipiert hat. Wie unzufrieden die Menschen Chiles mit der den Kolonialismus verherrlichenden Einstellung der chilenischen Regierung sind, beweist beispielsweise die Intervention, die an einer Statue von Pedro de Valdivia in Temuco stadtfand. Am 30. Oktober 2019 beschmierten AktivistInnen die bronzene Statue zuerst mit roter Farbe, trennten sie anschließend von ihrem Sockel ab und schlugen ihren Kopf ab. (Castaño Camacho, Alberto. 2019. Even the monuments are revealed in Chile, Valdivia beheaded for the second time. Latinamerican Post. https://latinamericanpost.com/30732-eventhe-monuments-are-revealed-in-chile-valdivia-beheaded-for-the-second-time)
Nach historischer Überlieferung ist es möglich, dass Pedro de Valdivia von den Mapuche-Kriegern 1553 geköpft wurde, auch wenn sich diese Theorie nicht einwandfrei bestätigen lässt. (Verfasser unbekannt.2012. Pedro de Valdivia in epic world history. Epic World History: Pedro de Valdivia)
Den Kopf der Statue befestigten die AktivistInnen mit einem Seil an der Hand einer Statue, die den Toqui Caupolicán, ein Symbol für Widerstand, Stärke, Tapferkeit und unbeugsamen Stolz, darstellt. Die Intervention der Statue in Temuco kann darum als symbolhafte „zweite Enthauptung“ Pedro de Valdivias interpretiert werden. (Castaño Camacho, Alberto. 2019. Even the monuments are revealed in Chile, Valdivia beheaded for the second time. Latinamerican Post.https://latinamericanpost.com/30732-eventhe-monuments-are-revealed-in-chile-valdivia-beheaded-for-the-second-time)
Des Weiteren befestigte man an der zweiten Hand der Statue von Caupolicán die offizielle Flagge der Mapuche und schrieb auf den Sockel die unmissverständliche Botschaft „Nueva constitución o nada“ (Übersetzung durch Autorenteam: „Neue Verfassung oder nichts“).
Eine bronzene Reiterstatue zu Ehren von Pedro de Valdivia steht noch immer auf der Plaza de Armas in Santiago, der Hauptstadt Chiles. Die Statue wurde zwischen 1963 und 1972 von Enrique Peréz Comenador angefertigt und hat eine Höhe von etwa fünf Metern. Wie ein Mahnmal thront sie über allen Menschen, die den Platz überqueren und ist unübersehbar. Bisher wurde diese Statue nicht interveniert. (Ebert, Dick. 2015. Pedro de Valdivia Equestrian Statue in Santiago, Chile. Encircle Photos. https://www.encirclephotos.com/image/pedro-de-valdivia-equestrian-statue-in-santiago-chile/)
Eine bronzene Reiterstatue zu Ehren von Pedro de Valdivia steht noch immer auf der Plaza de Armas in Santiago, der Hauptstadt Chiles. Die Statue wurde zwischen 1963 und 1972 von Enrique Peréz Comenador angefertigt und hat eine Höhe von etwa fünf Metern. Wie ein Mahnmal thront sie über allen Menschen, die den Platz überqueren und ist unübersehbar. Bisher wurde diese Statue nicht interveniert.
Obwohl Pedro de Valdivia eine wichtige Rolle in der Geschichte Chiles spielte, kann man mit der Geschichte nicht abschließen, solange seine Statuen alte Wunden im Herzen des Mapuche-Kollektivs und damit in der Gegenwart wieder aufreißen. Solange die Dekolonialisierung Chiles noch nicht abgeschlossen ist, befindet sich das Land noch immer im Postkolonialismus.

Was ist der Consejo de Todas las Tierras?

Der „Consejo de Todas las Tierras“ ist eine dekolonialistische Organisation, die sich für die Rechte der Mapuche in Chile einsetzt. Ihr Name bedeutet übersetzt so viel wie „Rat aller Länder“ und in gewisser Weise sind sie die gegenwärtigen Mapuche-Krieger, die mit Papier und Tinte, Worten und Gesetzesvorschlägen für ihre Rechte kämpfen. (Pairican, Fernando. 2019. La bandera Mapuche y la batalla por los símbolos. Ciper Académico. https://www.ciperchile.cl/2019/11/04/la-bandera-mapuche-y-la-batalla-por-los-simbolos/)
Führendes Mitglied der Organisation ist Aucán Huilcanán, der auch ein Vertreter des Prozesses der „Verfassungsgebenden Versammlung der Mapuche“ war, welche im Jahr 1992 die offizielle Flagge Wenüfoye der Mapuche entworfen hat. Huilcanán erhielt für die Präsentation der Flagge in der Öffentlichkeit damals eine Haftstrafe von 6 Monaten. Die Flagge der Mapuche ist ein Symbol für ihre Präsenz in der chilenischen Gesellschaft. Mitglieder dieser Organisation begehen keine Gewalt- oder Straftaten für ihren Kampf und zeichnen sich nicht durch radikalen Aktivismus aus. Sie vertreten das Mapuche-Kollektiv im Rechtsstreit mit Großgrundbesitzern, Wasserkraftwerken, Bergbau- und Forstunternehmen, die ihr Land auf illegalem Weg erlangt haben, oder mit ihren giftigen Abfallprodukten, die sie nicht ordnungsgemäß entsorgen, die Umwelt verschmutzen, die den Mapuche eigentlich als Lebensraum dienen soll.
Der Consejo de Todas las Tierras will die chilenische Regierung auf rechtlicher Grundlage dazu zwingen, sich für die vergangenen und aktuellen Verbrechen gegen die Mapuche zu verantworten und entsprechend Entschädigungen zu leisten. Als Schwerpunkte betrachtet er dabei vor allem, dass der an den Mapuche verübte Genozid nach dem chilenischen Unabhängigkeitskrieg und die Landenteignung der Mapuche im 19. und 20. Jahrhundert bis heute straflos geblieben sind.
Weiter setzt er sich gegen die Chilenisierung der Mapuche-Kultur und das Antiterrorgesetz – ein Relikt der Pinochet-Diktatur in Chile – ein, welches Polizeigewalt, Durchsuchung und Inhaftierung terrorverdächtiger Zivilpersonen gestattet. Außerdem setzt sich der Consejo de Todas las Tierras für die Erhaltung der kulturellen Werte der Mapuche ein und strebt die Förderung der Sprache Mapudungun in chilenischen Schulen und die sprachliche Etablierung von Mapudungun in Krankenhäuser, Behörden und anderen wichtigen Institutionen an.
Die „Verfassungsgebende Versammlung der Mapuche“ hat am 14. Oktober 2020 eine außerordentliche Sitzung einberufen, die es sich zum Ziel erklärt hat, die territorialen Grenzen der Mapuche-Gebiete mit der chilenischen Regierung erneut zu verhandeln, die Kooperation von chilenischen Institutionen und Institutionen der Mapuche und damit die Selbstbestimmung, Autonomie und Anerkennung der Mapuche in Chile auszubauen. Der Consejo de Todas las Tierras fordert die Abschaffung des Antiterrorgesetzes, die Anerkennung der Rechte und Kultur der Mapuche, sowie die Gründung einer Wahrheitskommission, die den Genozid im 19. Jahrhundert aufklärt und die Rechte und Kultur der Mapuche beschützt. (Interview und Übersetzung. Schäfer, Martin. 2020. Alles für die indigenen Gemeinschaften,
aber ohne sie. Mapuche-Anführer Aucán Huilcamán über den Verfassungsprozess. Nummer 558. Lateinamerika Nachrichten. https://lateinamerika-nachrichten.de/artikel/alles-fuer-dieindigenen-gemeinschaften-aber-ohne-sie/)
Chile ist eines der Länder mit der größten sozialen Ungleichheit in Iberoamerika. Doch es existiert nach wie vor kaum eine Kooperation zwischen der Regierung und der indigenen Bevölkerung. Dies hat bisher zur Folge, dass die Mapuche immer weiter zum Rand der Gesellschaft – in die Analphabetisierung, die Armut, die Verzweiflung – gedrängt werden und ihre Religion, ihre Bräuche und Traditionen verlieren.
Die „Verfassungsgebende Versammlung der Mapuche“ will dem nun entgegenwirken, indem sie bis zum November 2021 eine eigene Verfassung erarbeitet und eventuell eine eigene Mapuche-Regierung bildet. Inwieweit diese Aktion politisch erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch: Die Mapuche haben eine Geschichte, die älter als der Kolonialismus in Lateinamerika ist. Sie sind noch da und sie werden nicht aufgeben, denn sie wollen eine Zukunft haben.

Literaturverzeichnis

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http://www.memoriachilena.gob.cl/602/w3-article-721.html
Letzter Zugriff am 07.10.2021

Boddenberg, Sophia. 2019. Ihr Kampf geht weiter. Fluter. Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.fluter.de/indigene-mapuche-im-widerstand-gegen-chile
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Castaño Camacho, Alberto. 2019. Even the monuments are revealed in Chile, Valdivia beheaded for the second time. Latinamerican Post. https://latinamericanpost.com/30732-eventhe-monuments-are-revealed-in-chile-valdivia-beheaded-for-the-second-time
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geplantes Wasserkraftwerk. Amerika21.
https://amerika21.de/2019/08/230610/mapuche-chile-gegen-wasserkraftwerk
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https://www.encirclephotos.com/image/pedro-de-valdivia-equestrian-statue-in-santiago-chile/
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Pairican, Fernando. 2019. La bandera Mapuche y la batalla por los símbolos. Ciper Académico. https://www.ciperchile.cl/2019/11/04/la-bandera-mapuche-y-la-batalla-por-los-simbolos/
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Interview und Übersetzung. Schäfer, Martin. 2020. Alles für die indigenen Gemeinschaften,
aber ohne sie. Mapuche-Anführer Aucán Huilcamán über den Verfassungsprozess. Nummer
558. Lateinamerika Nachrichten. https://lateinamerika-nachrichten.de/artikel/alles-fuer-dieindigenen-gemeinschaften-aber-ohne-sie/
Letzter Zugriff am 07.10.2021

Rojas-Kienzle, David. 2019. Mapuche in Chile protestieren gegen Militarisierung und Landraub. Amerika21.
https://amerika21.de/2019/01/219897/chile-proteste-mapuche-militarisierung
Letzter Zugriff am 07.10.2021

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Letzter Zugriff am 07.10.2021

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