Mujeres Creando (La Paz, Bolivien)

Isabella I. – eine chola auf dem Plaza Chola Globalizada?
Mujeres Creando und ihre Kämpfe für ein feministisch-dekoloniales Bolivien

Autorschaft des Beitrags: Pierre Haupt, Tobias Rodat, Victoria Klugmann und Vincent Dietz
Aktivistische Gruppe: Mujeres Creando
Statue / Monument: Statue Isabella I. Plaza de Isabel de Castilla / Plaza de la chola globalizada
Ort (Stadt, Land): La Paz, Bolivien

1. Statue der Isabel la Católica (La Paz, Bolivien) – eine Heldin der Nation?

Die Statue der Isabel la Católica steht auf dem Plaza Isabel la Católica in La Paz, Bolivien. Es handelt sich dabei um den größten Kreisverkehr der Stadt, welcher auch als öffentlicher Platz genutzt wird. Umgeben wird die Statue von angelegten Gärten und großen Bäumen. Sie wurde 1928 errichtet, als Geschenk der spanischen Gemeinschaft an Bolivien. Isabel la Católica ist das Werk des spanischen Bildhauers Jaume Otero (Anonym 2020).
Ausgewählt wurde Isabella I. durch ihre prägnante Persönlichkeit und ihre Präsenz als spanische Königin im 15. Jahrhundert. Isabella bestieg nach dem Tod ihres Bruders Heinrich IV., welcher zuvor über das Reich herrschte, 1474 den Thron Kastiliens. Diesen musste sie sich jedoch in der Schlacht von Toro am 17. März 1476 erkämpfen, da die Tochter Heinrichs IV. Anspruch auf diesen erhob. Ab 1479 regierten Isabella I. und Ferdinand II. schließlich die Königreiche Aragón und Kastilien, jedoch getrennt voneinander (Koch-Kanz o.J).
1486 wand sich der italienische Seefahrer Cristóbal Colón an die kastilische Königin und bat sie um die finanzielle Unterstützung seines Unternehmens. Ziel dessen war es, eine Handelsroute ins abgelegene Indien zu finden, welche unabhängig von Portugal und der deutschen Hanse agieren sollte. Isabella willigte diesem Vorhaben unter vorher festgelegten Bedingungen ein. Zu diesen zählte die Aussicht auf neue Territorien, welche dem spanischen Königreich zugesprochen werden sollten, sowie die Hoffnung auf neue Güter wie Lebensmittel, Gold und Rohstoffe (Beckmann 2019).
1492 entdeckte Cristóbal Colón unter der spanisch-kastilischen Flagge den amerikanischen Kontinent und schaffte damit die Grundlage für die Errichtung des spanischen Kolonialreichs (Beckmann 2019).
In diesem errichteten die Spanier anfangs Stützpunkte auf den karibischen Inseln und breiteten ihre Territorien in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts über weite Teile Mittel- und Südamerikas aus. Dieser Eroberung fielen jedoch auch viele Indigene zum Opfer. Einige steckten sich mit europäischen Krankheiten an, welche ihr Immunsystem nicht bekämpfen konnte, andere wurden im Rahmen des Requerimiento unterworfen und versklavt. Laut Gesetz dienten die Indigenen den spanischen Eroberern aus freiem Willen, in Wirklichkeit aber verhinderte es ihre Unabhängigkeit und die Möglichkeit einer Flucht.
Die Bezeichnung la Católica verdankt Isabella Papst Alexander VI. Dieser bezeichnete Ferdinand II. und Isabella I. 1494 erstmals als “katholische Könige”. Entsprungen ist dieser Titel im Rahmen der Inquisition und dem Alhambra-Edikt von 1492. Im Alhambra-Edikt legte das spanische Königspaar fest, dass alle ansässigen Juden auf dem Herrschaftsgebiet Ferdinands und Isabellas gezwungen seien, entweder dem Christentum beizutreten oder das Land zu verlassen (Koch-Kanz o.J.).

2. Demonstration vom 12.10.2020: Ein Aufruf zum Umdenken

Der 12. Oktober ist in Spanien Nationalfeiertag; Cristobal Colón „entdeckte“ an diesem Tag im Jahre 1492 Amerika. Mithin wird dieser Tag in Bolivien, der auch oftmals als Kolumbustag gerühmt wird, als Feiertag des Kampfes der indigenen Völker (el Día de la Resistencia Indígena) geehrt. In den vergangenen Jahren wurden an diesem Tag immer häufiger Protestaktionen im Inland abgehalten. Dies geschah ebenso am 12.10.2020 in La Paz (Bolívia) durch die feministisch-anarchistisch motivierte, bolivianische Gruppierung Mujeres Creando (Collado 2020).
Im Visier der geplanten Aktion stand hierbei die oben genannte Statue von Isabella I., also die Person, die Kolumbus die finanziellen Mittel bereitstellte, um seine Expeditionen zu finanzieren und um somit eine neue Route nach Indien zu finden (Beckmann 2019).
Zunächst übergoss man den Namen der Statue mit roter Farbe, als Symbol des Blutes und mithin des Schmerzes und Verlustes, um somit auf die vielen Opfer der Kolonialisierung und auf die Herrschaftsverhältnisse während der Kolonialzeit aufmerksam zu machen. Während jener wurde der schmerzvolle Tod vieler Millionen indigener Völkermitglieder durch Akte der Gewalt herbeigeführt. Anschließend bekleidete man das Monument der Isabella I. mit traditioneller, farbenfroher und typischer Kleidung der indigenen „cholas“. Außerdem wurde der Platz durch die feministischen Aktivistinnen von ehemals Plaza Isabel la Católica in Plaza de la chola globalizada umbenannt, um so auf die bis heute noch anhaltende Unterdrückung von und Ungerechtigkeit gegenüber indigenen Frauen in Bolivien aufmerksam zu machen (Beckmann 2019).
Ziel dieser Protestaktion war es, auf die Kolonialisierung sowie ihre bis heute noch andauernden Konsequenzen hinzuweisen, welche durch die Präsenz der Statue von Isabella I. unterstrichen werden.
Dieser Akt des Aufstandes wurde zugleich durch eine Demonstration begleitet, welche mit Sprechchören, wie z.B. mujer escucha une de la lucha, und Plakaten, wie z.B. luchar hoy no significa morir mañana, unterstützt und untermauert wurde.

3. La plaza chola globalizada – doch wer sind die cholas eigentlich?

Als cholas bezeichnet man indigene Frauen oder Frauen einer solchen Abstammung in Bolivien und Peru. Sie kennzeichnen sich besonders durch ihre auffallende Kleidung. Diese besteht aus bis zu 10 Unterröcken und einem Überrock, im Spanischen pollera genannt. Durch diese Stoffmengen erscheint der Körperbau einer chola rundlich und weiblich. Die Röcke selbst unterscheiden sich abhängig von der Region, in der die Frau lebt, und ihrer finanziellen Situation.
Die Inspiration für die Kleider entsprangen nicht dem annehmbaren indigenen Kult, sondern wurden von spanischen Kolonialherren eingeführt (Anonym 2019).
Die cholas “leben” zwischen den kulturellen Räumen der indigenen Bevölkerung und denen der Mestizen. Die Formulierung Mestizen beschreibt in diesem Zusammenhang die Nachfahren von Indigenen und Europäern, welche mit der spanischen Kolonisation nach Südamerika kamen. Unterschieden wird innerhalb der cholas noch einmal in chola-Frauen, welche dem traditionellen Kult angehören und diesen ausleben, und Frauen, welche sich nur dieser Bevölkerungsgruppe angehörig fühlen ohne diese Zugehörigkeit beispielsweise mittels der Kleidung zu zeigen (Rivera Casucanqui 2018, S. 100).

4. Mujeres Creando – Feministinnen einer modernen Zukunft oder bloß radikale Anarchistinnen?

Doch wer sind eigentlich diese mutigen Frauen und Aktivistinnen, die hinter diesem Protest stehen? Sie nennen sich Mujeres Creando.
Mujeres Creando sind eine feministisch-anarchistische Bewegung in Bolivien, die sich oftmals durch eher radikale Aktionen und geplante Vorhaben zeigt und ihre Wurzeln nicht nur in den theoretischen, sondern auch in den lebendigen Zügen des Feminismus einerseits und des Anarchismus andererseits trägt.
Sie gründeten sich 1992 in einem der Viertel der Vororte von La Paz in Bolivien. Ursprünglich trugen sie dabei den Namen Comunidad Creando; jedoch benannten sie sich noch im selben Jahr zu dem bis heute gültigen, hervorstechenden Namen um. Die Gründerinnen waren drei starke, emanzipierte Frauen: Julieta Paredes, María Galindo sowie (in einigen Quellen jedenfalls als weiteres Gründungsmitglied aufgezählt) Monica Mendoza. Im Laufe der Zeit traten somit immer mehr Mitglieder der Gruppierung bei und die Gruppe kann bis heute einen stetigen Zuwachs der Zahl ihrer Mitglieder verzeichnen. Nicht nur in Bolivien selbst, sondern auch in internationalen Zusammenhängen gewinnt die Gruppierung an Bekanntheit, vor allem auch durch die Online- und Medienpräsenz der Mujeres Creando seit den letzten Jahren.
Die Mujeres Creando gründeten sich mit der Absicht, einen antirassistischen Feminismus herauszubilden und diesen im Anschluss fest zu etablieren – in der Gesellschaft, im System des Staates und in den Köpfen der Menschen. Sie engagieren sich weiterhin im Kampf gegen das Patriarchat, ungleich verteilte Machtverhältnisse, das bislang etablierte und als ungerecht, unsozial, diskriminierend und korrupt angesehene Staatssystem als Ganzes und darüber hinaus auch gegen den Militarismus in Politik und Wirtschaft des Inlands. Dies muss in den Zusammenhang gesetzt werden, dass sich die Mujeres Creando in den 80er Jahren gegründet haben, einer Zeit, die von einer „arroganten, totalitären und homophoben Linken Boliviens“ geprägt war. Heterosexualität war die Normalität und galt als das vorherrschende und aufoktroyierte Rollen- und Leitbild innerhalb der Gesellschaft. Feminismus in der Theorie sowie in der Auslebung wurde als etwas verstanden, das die Gesellschaft spalten würde. Es wurde jedoch nicht als etwas verstanden, das die Chance bietet und das Potenzial besäße, die Gesellschaft zu vereinen und die Menschen untereinander gleichzustellen. Die Linke Boliviens war zu jener Zeit auch forthin von einer tiefgründig verwurzelten „unethischen„ als auch „unmoralischen Doppelmoral“ geprägt. So waren diese politischen Funktionäre, besetzt durch zahlenmäßig überwiegend männliche Personen, zwar revolutionär in ihren politischen Aktionen, aber sie waren im Gegensatz dazu im privaten Bereich, also innerhalb ihrer eigenen Familien, nicht nur Hüter, sondern auch Herrscher, nahezu „Diktatoren“ der Familie. (Paredes 2002)
Welche politischen, moralisch-ethischen Positionen vertreten dabei die Mujeres Creando konkret?
Zum einen sind allem voran erst einmal die Leitkonzepte zu erwähnen, aus denen heraus sich die Mujeres Creando gegründet haben und und deren Gültigkeit bis heute andauert. Man spricht hier von den beiden Konzepten der Kreativität und der Viel-falt/Diversität. Kreativität zeigt sich in der künstlerisch-ausdrucksstarken, nullreglementierten Ausübung politischer Aktionen durch die Form der Kunst an sich. Konkret zeigt sie sich in dem Sprühen von Graffitis, in den Straßentheaters, etc. Das Konzept Vielfalt beinhaltet, dass sich keine geschlossenen Parallelgesellschaften innerhalb der Gesellschaft bilden. Mujeres Creando richten sich an jede gesellschaftliche Schicht, unabhängig davon, ob die (zukünftigen) Mitglieder einen speziellen Bildungsstand- oder -standard aufweisen, sich einer bestimmten sexuellen Orientierung zuordnen, sich mit einem bestimmten Geschlecht identifizieren oder sich einer bestimmten Religion zugehörig fühlen. (Anonym 2017)
Zudem appellieren die Mujeres Creando grundsätzlich an die Gesellschaft und im Speziellen an die Frauen, dass es nicht ausreicht „nur eine Frau zu sein“, um somit auch feministisch zu sein. Man kämpfe hier schließlich gegen wirklich weitreichende, tiefgreifende politische Missstände an. Mujeres Creando üben zudem Kritik an Frauen, die zwar vergleichsweise selten eine hohe wirtschaftliche Position im Inland haben wie sie üblicherweise fast ausschließlich Männer haben, die aber eben in und vor allem für eine Wirtschaft arbeiten, die von Männern dominiert ist; Männer, die zumindest nach Überzeugung der Mujeres Creando überwiegend rassistisch, feminophob, faschistoid, etc. sind.
Weiterhin stellen die feministisch-anarchistischen Aktivistinnen den Regierungsapparat als solchen in Frage. So erwarte man in der bolivianischen Gesellschaft einen gesellschaftlichen, sozialen Wandel, einen Ausgleich der bestehenden und teils prekären Armutsverhältnisse, eine Unterstützung der (unterdrückten) Minderheiten sowie eine Gleichberechtigung aller in allen sozialen Ebenen. Doch es war genau dieser soziale Wandel, der wider jeglicher Versprechen seitens der Regierung ausblieb. Darüber hinaus empfindet eine Vielzahl der Aktivistinnen die bestehende politische Verfassung des Landes als herben Rückschlag angesichts eines solchen sozialen Wandels, denn keineswegs haben sich die angesprochenen Problematiken gelöst, sondern sich sogar teils verschlimmert. Julieta Paredes, eine der Gründerinnen der Mujeres Creando, beschreibt den feministischen Aktivismus der Gruppe so, als dass er sich nicht durch ein theoretisches Konzept oder durch die Definition einer Organisation oder eines Lexikons begreifen und fassen lässt. Vielmehr ist er tief verwurzelt in den familiären Geschichten jeder einzelnen bolivianischen Frau der Generationen zuvor, zu deren Ehren und Widergutmachung Feminismus seinen Ursprung und seine treibende Kraft findet. (Paredes 2002; García-Pabón 2003)
Die Hauptaktivitäten der Mujeres Creando spielen sich grundsätzlich im öffentlichen Raum ab (meist in den Straßen der Städte, die für alle zugänglich sind). Die Aktionen sind öffentlich, sodass sie für die gesamte Bevölkerung sichtbar und zugänglich sind. Die Aktivistinnen halten verschiedene Arten von Protesten ab, wie z.B. hier konkret vorgestellt, sie zeichnen beziehungsweise sprühen Graffitis an die Wände der Straßen, sie führen Performance-Aktionen aus, also künstlerische Darstellungen und Bühnenstücke auf der Straße, die dem „Publikum“ diese kritischen Botschaften darbieten und zugleich ans Herz legen sollen. (Dúran 2015)
Graffitis spielen als großes Kunst- und Kreativitätsmerkmal eine besondere Rolle. Sie sind natürlich einerseits sehr ausdrucksstark und andererseits besitzen sie auch einen Hang zur Provokation. Die Graffitis der Mujeres Creando beziehen sich meistens auf den Feminismus im Allgemeinen, unter anderem machen sie aber mit diesem Stilmittel auf weitere soziale und wirtschaftliche Missstände Boliviens als auch weltweit aufmerksam. Solche Graffitis verursachten oft auch schon Kontroversen, die mit polizeilicher und strafrechtlicher Verfolgung einhergingen. Weiterhin besitzen die Mujeres Creando eine eigene Zeitschrift, die sich Mujer Publica nennt, und veröffentlichen Bücher, beispielsweise über Poesie, verschiedene Modelle feministischer Theorie und Sexualität.
Darüber hinaus produzieren sie auch Botschaften im Videoformat, in denen sie ihre Konzepte nochmals wiederholen, begründen und ihre Aussagen bestärken. Mit diesem Medium können sie ihren Aktivismus auch einem breiteren Publikum zugänglich machen.
2016 produzierten die Mujeres Creando auch eine Fernsehsendung und seit 2007 kann man ihnen in der Radiosendung Radio Deseo zuhören. (Pou 2016)
Das Radio Deseo soll dabei einen Raum schaffen für alternative Debatten, Meinungen und Ansichten über die gegebenen sozialen und politischen Realitäten und Identitäten im heutigen Bolivien. Dabei betrachten die Mujeres creando die Kultur beziehungsweise den Kulturbegriff als ein Szenario, dass die Kräfte bündelt. Auf der einen Seite die Kräfte der ausdrucksstärksten und lebendigsten Mitglieder der Gesellschaft und auf der anderen Seite die Kräfte der unterdrückten und missverstandenen Mitglieder der Gesellschaft. Das Radio Deseo wird auf rein ehrenamtlicher Basis ohne Gewinnerzielung betrieben, sodass keinerlei wirtschaftliches Nutznießertum unterstellt werden kann. Bei den verschiedenen Programmen ist jede*r dazu aufgefordert und willkommen geheißen mitzumachen – unter bestimmten Qualitätsstandards, die vorab in Gruppentreffen besprochen werden, sowie unter den von den mujeres creando allgemein vertretenen Grundsätzen zur Abtreibung, Prostitution, Antirassismus und Antiklassismus. Dabei werden die Radioprogramme durch eine Online-Präsenz in Form eines Streaming-Angebots auch Teilnehmer*innen, Interessierten und Neugierigen zugänglich gemacht. Um dies noch einmal zu verdeutlichen: das Radio Deseo zielt nicht darauf ab, eine Stimme für unverbesserliche Ansichten zu sein, vielmehr sehen sich die Betreiber*innen als Vermittler*innen zwischen Medien, Politik, Realität und Feminismus. Überdies gibt es auch ein edukatives Angebot der Mujeres Creando: die Radioschule La voz de mi deseo, die kostenlos Informationen über die wichtigsten Grundlagen guter Kommunikation und Sprecharten, stilistische Methoden und andere Funktionen bereitstellt. Voraussetzung für die Teilnahme ist lediglich der geteilte Wunsch nach einem antirassistischen, dekolonialen und feministischen Bolivien. (Salas 2015)

5. Mujeres Creando und feministisch-dekoloniale Theorie

Die politische Motiviertheit und die als feministisch eingestuften Aktivitäten der Mujeres Creando können auch vor verschiedenen theoretischen Hintergründen klassifiziert werden. Zum einen lässt sich das aktivistische Vorgehen der Anhänger der Strömung dem dekolonialen Queer-Feminismus zuordnen. Jener eröffnet in allgemein bekannten feministischen Theorien eine klar intersektionale Perspektive auf Konzepte wie Herrschaft, Rassismus, koloniale Machtstrukturen sowie deren Auslebung. Zugleich werden hierbei Fragen nach der geografischen Verortung von Wissensproduktionen aufgeworfen. (Quija-no 2007)
Dekoloniale Theorien an sich kritisieren dabei das westliche Wissensparadigma, also ein Paradigma in dem Wissen allgemein als Produkt verstanden wird – ein Produkt aus Beziehung zwischen einem forschenden Subjekt und einem beforschten Objekt, die getrennt voneinander zu betrachten sind. Dadurch wird allemal die suggerierte Minderwertigkeit der „Anderen“ hervorgebracht.
Weiterhin lassen sich die Mujeres Creando auch dem wissenschaftlichen Gebiet des epistemischen Sexismus zuordnen, welcher den privilegierten westlichen Wissensstrukturen zugrunde liegt und neben dem kolonialen Subjekt auch die koloniale Kategorie der Frau als eine solche „Andere schafft.“ (Grosfoguel 2013)
Ganz klar im Fokus steht auch die Kontroverse gegenüber sozialethischen Theorien der Aufklärung, die zwar den Menschen als universellen Träger von verschiedenen Rechten anerkennt, dabei aber stets seine Menschen als männlich klassifiziert. Die droits de l’homme weisen diesen Rechten explizit das Subjekt Mann zu. Mithin war diese Kolonialisierung nicht nur geschlechtsabhängig, sondern die Idee der Dekolonialisierung und die Verrechtlichung der Bürger zugleich auch geprägt von der Unterordnung der Frau durch das Gesetz.
Nun stellt sich jedoch die Frage, inwiefern die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts, die Unterdrückung der Indigenen (in diesem Zusammenhang vor allem die indigene Bevölkerung Boliviens; im Konkreten, fallspezifisch: die cholas) und die Diskriminierung der Personen, die Merkmale beider Klassifikationen aufweisen, speziell die bolivianische Bevölkerung trifft.
Zwar zeigte sich bezüglich der Entwicklung der Rechtsverhältnisse für indigene, feminine Subjekte ein positives Abbild. Jedoch fand zeitgleich ab den 70er Jahre ein entgegengesetzter Entwicklungsprozess statt, bei dem indigene beziehungsweise indigen beeinflusste weibliche Bevölkerungsgruppen zunehmend die traditionellen Rollen von Mutter und „Hausfrau“ annahmen, früher als zu dem Zeitpunkt gewöhnlich heirateten und tendenziell mehr Kinder gebaren. Dies wurde maßgeblich durch den Drang nach innerparallelgesellschaftlicher, sozialer Anerkennung aus den eigenen Reihen beeinflusst. Hierdurch entstand letztendlich nichts Geringeres als die allmähliche (Wieder-)Eingliederung eines hegemonialen Modells von Ehe und Familie in den indigenen Bevölkerungsschichten und damit einhergehend auch eine rückläufige Entwicklung in vor allem bolivianischen indigenen Familien. Als Ergebnis hiervon zeigt sich ein noch weiter auseinandergehendes Verhältnis von sozialer Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern Mann und Frau bezüglich indigener Herkunft. Nicht nur, dass sich die Mujeres creando schon zu ihrer Gründungszeit gegen eine solche Entwicklung aussprachen – das Bestehen von genau diesen rückläufigen Entwicklungen macht die aktivistische Tätigkeit der Gruppe nur noch wichtiger, um die soziale Ungleichheit in Bolivien zu bekämpfen. (Rivera Casucanqui 2018)

6. Literaturverzeichnis

García-Pabón, Leonardo: Sensibilidades callejeras. El trabajo estético y político de „Mujeres Creando“, in: Revista de Crítica Literaria Latinoamericana, 2003, Año 29, No. 58, Poesía y Globalización, Centro de Estudios Literarios „Antonio Cornejo Polar“, Lima-Hanover (2003).

Grosfoguel, Ramón: The structure of knowledge in westernised universities: Epistemic racism/sexism and the four genocides/epistemicides, in: Human Architecture: Journal of the sociology of self-knowledge 1.1, o.O. (2013), S. 73-90.

Quijano, Aníbal: Coloniality and modernity/rationality, in: Cultural studies 21.2-3, Leipzig 2007, S. 168-178.

Rivera Casucanqui, Silvia: Der Begriff der “Rechte” und die Widersprüche der postkolonialen Moderne. Pueblos Indígenas und Frauen in Bolivien, in: Garbe, Sebastian/ Cárdenas, María et. al., Ch’ixinakax utxiwa. Eine Reflexion über Praktiken und Diskurse der Dekolonisierung, Münster 2018, S. 100-136.

Internetquellen

Anonym (2017): “No hay libertad polítical si no hay libertad sexual”, in: Página Siete. Diario Nacional Independiente, https://www.paginasiete.bo/ideas/2017/6/11/libertad-politica-libertad-sexual-140522.html, [Zugriff am 31.05.2021].

Anonym (2019): Cholita, in: Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Cholita, [Zugriff am 26.05.2021].

Anonym (2020):  Isabel la Católica Square (La Paz) – Plaza Isabell a Católica (La Paz), in: Second Wiki, https://second.wiki/wiki/plaza_isabel_la_catc3b3lica_la_paz, [Zugriff am 30.06.2021].

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Beckmann, Katharina (2019): “Entdeckung Amerikas”, in: planet wissen, https://www.planet-wissen.de/geschichte/neuzeit/entdeckung_amerikas/index.html, [Zugriff am 24.05.2021]

Collado, Adriana (2020):https://www.aboutespanol.com/dia-de-colon-el-segundo-lunes-de-octubre-1772265, [Zugriff am 21.06.2021].

Durán, José (2015): “Mujeres Creando, 20 años contra la autoridad”, in: El Confidencial,  https://www.elconfidencial.com/cultura/2015-02-23/mujeres-creando-20-anos-contra-la-autoridad_715427/,[ Zugriff am 20.05.2021].

Koch-Kanz, Swantje (o.J.): “Isabella von Kastilien”, in: FremBio. Frauen. Biographieforschung, https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/isabella-von-kastilien/, [Zugriff am 30.05.2021].

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NUESTROS SUEÑOS NO CABEN EN SUS URNAS – La Plaza de la Chola Globalizada > MUJERES CREANDO , [Zugriff am 21.06.2021].

Paredes, Julieta (2002.): “Interview with Julieta Paredes of Mujeres Creando”, https://mirror.anarhija.net/usa.anarchistlibraries.net/mirror/j/jp/julieta-paredes-interview-with-julieta-paredes-of-mujeres-creando.pdf, Zugriff: 24.05.2021

Pou, Arpad (2016): “Mujeres Creando, despartriarcalizar con arte”, in: Pueblos. Revista de Información y Debate, http://www.revistapueblos.org/blog/2016/09/20/mujeres-creando-despatriarcalizar-con-arte/, [Zugriff am 20.05.2021].

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