Misak (Popayán, Kolumbien)

Intervention in Popayán: Statue von Sebastián de Belalcázar

Autorschaft: Maryna Korostiienko, Natalie Girod und Maren Klembt (Vermittlerin)
Aktivistische Gruppe: Misak
Statue / Monument: Statue von Sebastián de Belalcázar
Ort (Stadt, Land): Popayán, Kolumbien

Sebastián de Belalcázar

Sebastián de Belalcázar, eigentlicher Familienname Moyano, wurde 1479 oder 1495 in Belalcázar bei Cordoba, Andalusien, geboren und starb 1551 in Cartagena, Kolumbien. Er trug einen entscheidenden Teil dazu bei, die Gebiete der heutigen Staaten Nicaragua, Ecuador und des Südwestens Kolumbiens zu erobern. Bei der 1524 durchgeführten Conquista des heutigen Nicaragua nahm er unter anderem mit dem spanischen Konquistador Francisco Hernández de Córdoba eine wichtige Position ein. Wenige Jahre später, 1532, rüstete er zwei Schiffe auf und schloss sich der Conquista des Inkareiches an. Mit einem Heer aus 150 Soldaten und der Hilfe von verschiedenen indianischen Hilfstruppen, stieß er 1534 nach Norden vor. Belalcázar gründete in der Nähe des heutigen Riobamba, eine Stadt in Ecuador, die Städte Santiago und San Francisco. Santiago bezeichnete das heutige Guayaquil, das an der Pazifikküste gelegen ist. San Francisco wurde später in die Ruinen des zerstörten Quitos, der heutigen Hauptstadt Ecuadors, verlegt. Zwei Jahre später, 1536, stieß Belalcázar weiter in Richtung Norden vor, in das heutige Südwest-Kolumbien. 1537 errichtete Belalcázar die Stadt Popayán und organisierte die Herrschaft über das Umland. Neiva, Cali und Ampudia stammen ebenfalls aus den Stadtgründungen von Sebastian Belalcázar.

Volk Misak

Die Bevölkerung in Kolumbien ist insgesamt sehr unterschiedlich und die Anteile der ethnischen Gruppen variieren stark von Region zu Region. Die Ansiedlung der indigenen ethnischen Gruppen ist ebenfalls nicht gleichmäßig über das Territorium des Landes verteilt. (Vgl. Web Seite Colombia, “Demografía”, 24.11.2020, https://www.colombia.com/colombia-info/informacion-general/demografia/, letzter Zugriff: 21.06.2021)
Die indigene Bevölkerung der Provinz Cauca wird durch mehrere Völker und ihre Organisationen repräsentiert. Einige von diesen Völkern nahmen direkt an dem Ereignis der Intervention der Statue von Sebastián de Belalcázar in Popayán am 16. September 2020 teil. Eine der wichtigsten aktivistischen Bewegungen in Bezug auf den Widerstand ist das Volk der Misak. Zusammen mit einigen anderen Völkern, die später in diesem Blogartikel Erwähnung finden, kämpfen sie für eine Rekonstruktion des historischen Gedächtnisses.
Die Misak sind Nachkommen mehrerer indigener Völker, die in dem Gebiet lebten, das von Belalcázar erobert wurde. Sie sind auch unter dem Namen Guambiano bekannt. Das Volk behielt ihre Muttersprache, mit der sie das Fundament ihrer ethnischen und kulturellen Identität schafften. Die Sprache heißt Wampimisamerawam. Die Misak sind zweisprachig, indem sie sowohl Spanisch sprechen als auch ihre Muttersprache, die mehr als die Hälfte der Einwohner beherrschen.
In traditionellen Weltanschauungen werden die Misak auch „la gente del agua“ genannt. Die Verwaltungsstruktur dieser indigenen Gruppe basiert auf ihrer Kultur und ihren Gebräuchen: Regionalvertreter und „Taitas“ werden in den „Cabildo“ Rat gewählt.
Der „Cabildo Indigena del Resguardo de Guambia“ ist der politisch und gesetzlich gewählte Vertreter der Misak. Er trägt die Verantwortung für das Volk, besitzt höchste Autorität und vertritt das Misak-Volk nach innen und außen auf politischer und administrativer Ebene. Er vertritt ebenfalls die Misak in Kolumbien, die außerhalb des Reservats leben. Ein weiteres Charakteristikum der Misak ist ihre enge Beziehung zur Landwirtschaft und lokalen Industrie. Sie sind es gewohnt, hauptsächlich von selbst angebauten und gemeinschaftlich hergestellten Gütern zu leben. Da sie selbst weben, spinnen, stricken und färben, tragen sie traditionelle lilafarbene und kornblumenblaue Kostüme.

Völker Nasa und Pijao

Nach Informationen der Webseite der „Organización Nacional Indígena de Colombia“ beteiligten sich neben dem Volk der Misak auch zwei weitere Völker an der Intervention der Statue. Berichten zufolge nahmen mehr als 5000 Gemeindemitglieder der Völker Misak, Nasa und Pijao an dem Sturz teil (Vgl. CRIC, “¡Cayó Conquistador! ¡Indígenas Misak, Nasa y Pijao derriban la estatua de Sebastián de Belalcázar!”, 16.09.2020 https://www.cric-colombia.org/portal/cayo-conquistador-indigenas-misak-nasa-y-pijao-derriban-la-estatua-de-sebastian-de-belalcazar/, letzter Zugriff: 22.06.2021). Das Volk der Nasa, auch bekannt als Paes, ist in der Nähe von Popayán im Südwesten des kolumbianischen Hochlands angesiedelt. Nasa Yuwe, die Muttersprache der Nasa und eine der meistgesprochenen Sprachen in Kolumbien, wird von ungefähr 60.000 Menschen benutzt.
Schon vor Kolumbus bewohnte das Volk der Pijao die zentralen Höhengebiete der kolumbianischen Anden. Ihre soziale Struktur war nicht durch eine strenge Hierarchie gekennzeichnet. Ihre Muttersprache Pijao gilt als ausgestorben. Übrig geblieben sind nur einige Vokabellisten des 20. Jahrhunderts. (Vgl. ONIC,“Pueblos Indígenas de Colombia ”, 06.08.2010, https://www.onic.org.co/pueblos, letzter Zugriff: 19.06.2021).

Die Organisationen zur Bewahrung von Kultur und Identität

Die verschiedenen lokale indigene Völker finden sich in unterschiedlichen Organisationen zusammen. Zunächst ist zu erwähnen, dass die Misak als Volk eine aktive bürgerliche Position einnehmen und sich aktiv am politischen, sozialen und kulturellen Leben der Region und des Landes beteiligen. Sie haben eine eigene Webseite, die „Cabildo Indigena Del Resguardo De Guambía“ heißt. Dort werden die wichtigsten Ereignisse dokumentiert und es wird über verschiedene Projekte informiert.
Der „Consejo Regional Indígena del Cauca“ (CRIC) ist eine Vereinigung von Behörden der indigenen Völker, die die Mehrheit der indigenen und kommunalen Räte des „Departements Cauca“ in Kolumbien umfasst. Er beschäftigt sich mit der Wiederherstellung von Reservatsgebieten und dem Schutz des angestammten Territoriums und des Lebensraums indigener Gemeinschaften. Zudem befasst er sich mit der Veröffentlichung von Gesetzen der indigenen Völker, der Forderung ihrer gerechten Anwendung und dem Schutz der Geschichte, der Sprache und der Bräuche indigener Völker.
Die folgende Organisation ist die „Organización Nacional Indígena de Colombia“. Es ist die Behörde der Regierung, der Justiz, des Rechts und der Vertretung der indigenen Völker Kolumbiens. Sie umfasst wichtige Instanzen wie den Nationalen Kongress (Oberste Regierungsbehörde der indigenen Völker), die Versammlung der Behörden (bestehend aus hochrangigen Beratern) und das indigene Parlament (Entwurf unabhängiger Gesetze auf der Grundlage der indigenen Autonomie).
Die „Organisation Autoridades Indigenas del Sur Occidente“ ist eine Organisation und auch eine kolumbianische politische Partei. Ihre Aktivitäten zielen auf den Schutz indigener Völker ab. Die Organisation hat sich als soziale und politische Bewegung etabliert.

Prozess von Sebastián de Belalcázar

In Rahmen der „Oraganisation Autoridades Indigenas del Sur Occidente“ wurde ein Dokument veröffentlicht, das die Motivation der indigenen Völker detailliert beschreibt, ihren Standpunkt erklärt und im Wesentlichen ihre Aussage präsentiert. Es heißt „Urteil der Nachkommen der Pubenences zu Sebastian de Belalcázar“, der die Geschichte der rassistischen und kolonialen Stimme als El Conquistador de „Popayán“ oder als Eroberer von „Popayán“ beschreibt (Vgl. Comisión de Justicia y Paz, “Comunicado de autoridades indígenas sobre el juicio popular a Sebastián de Belarcázar”, 17.09.2021, https://www.justiciaypazcolombia.com/comunicado-de-autoridades-indigenas-sobre-el-juicio-popular-a-sebastian-de-belarcazar/ letzter Zugriff: 26.06.2021). Der Originaltext ist wie folgt strukturiert: Name der verurteilten Person (der volle Name Belalcázars wird verwendet), Verbrechen, Quellen, begründete Fakten, Deklaration und schließlich das Urteil.
Somit weist das Dokument Anzeichen eines Gerichtsurteils auf, unter anderem einen ausgewogenen Schuldspruch über die festgestellten Tatsachen, die Sebastián de Belálcazar zur Verantwortung ziehen sollen.
Das Datum, an dem dieses Dokument erstellt wurde, sollte ebenfalls beachtet werden. Es war der 25. Juni 2020, genau einen Monat nach dem Tod von George Floyd und einige Monate vor der tatsächlichen Zerstörung der Statue von Sebastián de Belalcázar in Kolumbien. Dies deutet meiner Meinung nach darauf hin, dass der Sturz der Statue keine vorschnelle, emotionale oder aggressive Entscheidung war. Die Liste der Verbrechen, die ihm zugeschrieben werden, ist zu lang und seine Taten sind zu schwerwiegend, um Einzelne herauszuheben.
Der nächste Teil des Dokuments enthält eine Erklärung, in der sie heute, also nach 485 Jahren, Gerechtigkeit für die Erinnerung an den Widerstand fordern. In dem Dokument wird Belalcázar als ein Mann charakterisiert, der aus Gier nach Gold-Nationen zum höchsten demografischen Niedergang der Geschichte führte. Am Ende beschließen sie im Dokument, dass Belalcázar sich aller beschriebenen Verbrechen schuldig gemacht hat und er aus diesem Grund dazu verurteilt ist, als Genozid der Völker in die Weltgeschichte einzugehen. Seine Rolle in der Geschichte muss neu geschrieben werden, was bedeutet, dass komplett überdacht wird, wer er war und was er getan hat (Vgl. Comisión de Justicia y Paz “Comunicado de autoridades indígenas sobre el juicio popular a Sebastián de Belarcázar”, 17.09.2021, https://www.justiciaypazcolombia.com/comunicado-de-autoridades-indigenas-sobre-el-juicio-popular-a-sebastian-de-belarcazar/ letzter Zugriff: 26.06.2021). Sie fordern auch die Regierung dazu auf, Maßnahmen zu ergreifen, um sich von den Folgen zu erholen.

Sturz der Statue

Nach der Ermordung von George Floyd 2020 und den darauffolgenden Black Lives Matter Protesten, entstand eine Welle globaler Solidarisierung, die auch in Kolumbien eine kritische Auseinandersetzung mit kolonialen Denkmäler entfachte und diese in die öffentliche Wahrnehmung rückte. Das in Bronze gegossene Reiterstandbild stellt den spanischen Konquistador Sebastián de Belalcázar dar. Die Statue befand sich seit 1937 bis 2020 an der Spitze des „El Morro del Tulcán“ in Popayán. Im Zuge der spanischen Inquisition gründete Sebastian de Belalcázar im Jahr 1537 die Städte Cali, Pasto und Popayán durch gewaltsame Machtergreifung. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 400-jährigen Bestehen Popayáns, gab die Regierung unter Alfonso López Pumarejo die Belalcázar Statue im Jahr 1937 in Auftrag. Ein Jahr darauf wurde sie dann schlussendlich errichtet. Den Kommentaren aus den sozialen Netzwerken nach zu urteilen, forderte die Misak Ethnie die Schuldsprechung des spanischen Konquistadors Sebastián de Belalcázar, der auf dem Reiterstandbild zu sehen war. Sie fordern Konsequenzen für die gewaltsame Landaneignung, Plünderung und Versklavung durch Belalcázar und bezichtigen ihn des Genozids ihrer Vorfahren.
In einer öffentlichen Meldung der Bewegung AISO (Autoridades Indigenas del Sur Occidente), die sich ebenfalls am Sturz beteiligte, heißt es in der Übersetzung von Emanuele Morciano: „Dieser Sturz ist angesichts unserer kollektiven Erinnerung mit unserem Blut geschrieben, weshalb wir dazu aufgerufen sind, die Geschichte neu zu schreiben und uns von dem Erbe der Kolonialisierung zu befreien.“ (Vgl. ¿Por qué tumbaron la estatua de Sebastián de Belalcázar en Popayán? – El Espectador”, El Espectador, 17.09.2020, https://www.youtube.com/watch?v=JeO1Ah4z2lE, letzter Zugriff: 25.06.2021.). Am 16. September 2020 war es dann soweit.
Die Statue von Belalcázar in Popayán wurde infolge von Protesten indigener Demonstrant*innen der Misak gestürzt und enthauptet. (Vgl. “Colombian Indigenous Groups Topple Statue of Spanish Conqueror”,
teleSUR,17.09.2020, https://www.telesurenglish.net/news/Colombian-Indigenous-Groups-Topple-Statue-of-Spanish-Conqueror-20200917-0010.html, letzter Zugriff: 25.06.2021)
Initiiert wurde der Protest durch die Volksgruppen der Misak, Nasa und Pijao, allerdings schlossen sich die indigenen Volksgruppen der Provinz Cauca der Demonstration ebenfalls an. Der in den sozialen Medien dokumentierte Sturz zeigt, wie die Bronzestatue mit Hilfe von Seilen vom Sockel entfernt wurde.
Der Hügel, auf dem sich die Statue befand, hat für die indigenen Volksgruppen auch eine heilige Bedeutung. „El Morro del Tulcán“ wurde in der präkolumbianischen Zeit erbaut und markiert die durch Vegetation bedeckte Pyramide Popayáns. Die Errichtung lässt sich auf die Zeit zwischen 1600 und 500 v. Chr. datieren. Im Jahre 1950 fanden archäologische Ausgrabungen am Hügel statt, bei denen auch eine Grabstätte am Fuße des „El Morro del Tulcán“ entdeckt wurde. Für die indigenen Stämme der Provinz Cauca ist der Hügel ein heiliger Ort, um ihren Vorfahren zu gedenken und Götter anzubeten.Laut Professorin Myriam Jimeno Santoyo repräsentiert die Skulptur Belaclázars auf dem Hügel „El Morro del Tulcán“ ein koloniales Symbol, das eine rassistische Haltung vertritt und legitimiert (Vgl. Liliana Matos Zaidiza, “Misak Indians and the ancestral right to historic memory”, Universidad Nacional de Colombia, 09.10.2020, http://unperiodico.unal.edu.co/pages/detail/misak-indians-and-the-ancestral-right-to-historic-memory/, letzter Zugriff: 25.06.2021). Die Senatorin der indigenen MAIS-Partei, Feliciano Valencia, beschreibt den Sturz der Skulptur auch als Sturz eines kolonialen Symbols, das die 500-jährige Unterdrückung und Herrschaft über die indigenen Völker kennzeichnet (Vgl. Colombian Indigenous Groups Topple Statue of Spanish Conqueror”,
teleSUR,17.09.2020, https://www.telesurenglish.net/news/Colombian-Indigenous-Groups-Topple-Statue-of-Spanish-Conqueror-20200917-0010.html, letzter Zugriff: 25.06.2021). Nach Aussagen der Universidad Nacional de Colombia im Oktober 2020, wurde mit Vertretern der indigenen Gemeinschaft und der kolumbianischen Regierung eine Vereinbarung getroffen, die den Misak das territoriale Ahnenrecht des „El Morro del Tulcán“ zuspricht und somit den Wiederaufbau des Reiterstandbilds von Belalcázar verhindert (Vgl. Liliana Matos Zaidiza, “Misak Indians and the ancestral right to historic memory”, Universidad Nacional de Colombia, 09.10.2020, http://unperiodico.unal.edu.co/pages/detail/misak-indians-and-the-ancestral-right-to-historic-memory/, letzter Zugriff: 25.06.2021) .Der Sturz der Statue war kein „belangloser Vandalismus“, sondern ein Zeichen gegen den Rassismus und für die Rechte der indigenen Volksgruppen.

Betrachtung der Intervention als feministische Bewegung

Das Denkmal für den Gründer der Landeshauptstadt wurde in Bogotá von Misak und Frauen-Mestize aus Bakata abgerissen. Übersetzt aus dem Spanischen hat es ein Aktivist wie folgt kommentiert: „Was wir gerade zusammen mit den Mestize Frauen aus Bakata […] getan haben, ist Reinigung, spirituelle Heilung, der Sturz des Mörders und Vergewaltigers Nummer eins hier in Bogotá“. (Vgl. El Pais, “Estatua de Gonzalo Jiménez de Quesada en Bogotá fue derribada por indígenas Misak”, 07.05.2021, https://www.elpais.com.co/ultimo-minuto/estatua-de-gonzalo-jimenez-de-quesada-en-bogota-fue-derribada-por-indigenas-misak.html, letzter Zugriff: 25.06.2021)
Die Stellung der Frau in Lateinamerika wird noch heute durch den historischen Kontext bestimmt. Die Kolonialisten brachten ihre derzeitigen europäischen Traditionen der Familie und der katholischen Religion mit, die auf dem Patriarchat beruhten. In diesen wurde dem Mann die Hauptrolle zugesprochen, die Frau besaß bedeutend weniger Rechte. Nach diesem üblichen System wurden auch die Kolonien angepasst. Nun ist ein Umdenken in vielen Lebensbereichen erforderlich. Die Intervention des Denkmals korreliert auch mit dem vierten Prinzip der lateinamerikanischen Feminismustheorie nach Ofelia Schutte, nämlich der Zentralität einer transformativen, dekolonisierenden Praxis im kulturellen Bereich. Das patriarchale System beeinflusst die Verteilung des materiellen Reichtums stark und führt zu deren Konzentration. Dies wird verstärkt, wenn andere Diskriminierungsmechanismen vorhanden sind.
Nach der Theorie der Intersektionalität interagieren unterschiedliche Formen oder Systeme von Unterdrückung, Herrschaft und Diskriminierung miteinander, sie ergänzen sich. Diese Theorie betrachtet jede Form der Unterdrückung nicht einzeln, sondern in Kombination. Intersektionalität beschreibt die Idee, dass bei der Überlagerung oder Kombination verschiedener Diskriminierungsfaktoren nicht nur allein die Summe entsteht, sondern eine Art Synergieeffekt. (Vgl. Nina Degele / Gabriele Winker, “Intersektionalität als Mehrebenenanalyse”, 01.07.2007, https://gabriele-winker.de/pdf/Intersektionalitaet_Mehrebenen.pdf, letzter Zugriff: 22.06.2021).
Eine anschauliche statistische Visualisierung wurde von der Heinrich-Böll-Stiftung erstellt, in der zu erkennen ist, dass die lateinamerikanischen Frauen, die weder Schwarz noch indigen sind, einen kleineren Anteil der in Armut und extremer Armut lebenden Frauen ausmachen. Aus dem Schaubild ergibt sich, dass 17,8% der indigenen Frauen in Lateinamerika in extremer Armut und 49,3% in Armut leben.
Betrachtung der Intervention als dekoloniale und antirassistische Bewegung
Als 1940 das Denkmal Belacázars auf dem „Morro del Tulcán“ errichtet wurde, wurde damit ein Symbol der kolonialen Wirklichkeit geschaffen. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat solche Vorkommnisse mit dem Begriff der “Symbolischen Gewalt” bezeichnet (Vgl. Springer, “Symbolische Gewalt”, Stephan Moebius und Angelika Wetterer, 2021, https://link.springer.com/article/10.1007/s11614-011-0006-2, 01.12.2011 letzter Zugriff: 22.06.2021). Mit der Installation des Denkmals erschufen die örtlichen Behörden die Vision eines respektablen Kolonisten aus Europa auf einem schönen Pferd, das mit Reichtum, Wohlstand und einem vorbildlichen Bürger in Verbindung gebracht werden sollte. Sie wollten, dass jeder zu diesem Vorbild aufschaut und es mit sich selbst in Verbindung bringt. Ein weiterer wichtiger Teil der Aktivitäten der Misak ist es, einen konstruktiven Dialog mit der Regierung aufzubauen. Es gibt aber auch Personen, die solche Interventionen von Statuen als Aggression oder Vandalismus bezeichnen.
Wer die Denkmäler als reine Kunstwerke betrachtet und ihre Abschaffung nur negativ bewertet, sieht darin offensichtlich Schönheit und Wertigkeit. Die Ministerin Carmen Vásquez zum Beispiel kommentiert die Situation auf folgende Weise: „Das Kulturministerium bedauert, als Leitungsamt der öffentlichen Ordnung zum Schutz und zur Erhaltung des materiellen und immateriellen Erbes unseres Landes, die Gewaltakte gegen die Statue von Sebastián de Belalcázar in der Stadt Popayán und weist sie zurück“ (vgl. El Universal, „Ministerio de Cultura rechaza derribo de estatua de Belalcázar”, 17.09.2020,
https://www.eluniversal.com.co/colombia/ministerio-de-cultura-rechaza-derribo-de-estatua-de-belalcazar-FI3497061, letzter Zugriff: 26.06.2021). Die Ministerin besteht darauf, dass historische Denkmäler das Erbe der gesamten Gesellschaft sind. Sie rief zu friedlichen Demonstrationen auf, ohne dabei das kulturelle Erbe der Nation zu beschädigen. Bei einem solchen Beispiel könnte man vermuten, dass die wahren Gründe für die Proteste und die Motivation dahinter von den Behördenvertretern absichtlich verzerrt werden.
Um dem Abriss des Denkmals ohne Bedauern zuzustimmen, muss erst die dunkle und nicht wahrhaft dargestellte Vergangenheit, die dahintersteht und die es symbolisiert, erkannt und akzeptiert werden. Somit ist der Zweck dieses Protests viel tiefgründiger und zielt nicht nur darauf ab, dieses Denkmal abzureißen und zu vergessen. Ziel der Intervention ist die Aberkennung des unter kolonialer Perspektive entstandenen, sich in Stein widerspiegelnden und verewigten Verständnisses der Vergangenheit.
Die Interpretation der Wirklichkeit, die sich in diesem Denkmal widerspiegelt, beleuchtet nur bestimmte Seiten der Geschichte und erfreut vor allem die Menschen, die es errichtet haben. Sie gründeten neue Städte an Orten, wo bereits Städte existierten, zeichneten dafür ihre Helden aus und errichteten ihnen Denkmäler. Die Installation dieses Denkmals artikuliert eine einseitige Vision der Geschichte, eine koloniale Vision. Gleichzeitig werden dabei einige Tatsachen ignoriert, die ihnen weniger wichtig erschienen: Dazu zählen Völkermord, Invasion in das Leben anderer, Landnahme, Ausbeutung der menschlichen Arbeitskräfte und viele andere Handlungen, die nach unserem Verständnis die Menschengrundrechte brechen. Das Recht eines Volkes auf Souveranität, das Recht auf das eigene Territorium und auf sprachliche und kulturelle Selbstbestimmung wurden missachtet. Heute, hunderte von Jahren später, kämpfen die Nachfahren dieser Völker, die der Unterdrückung, der Grausamkeit und der Zerstörung ausgesetzt waren, dafür, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Neue Generationen, für die die alten Ideologien keine Rolle mehr spielen und die über viele digitale Informationsquellen verfügen, bewerten die Situation neu. Ziel ist es, die Geschichte ihrer angestammten Territorien zu rekonstruieren. Dieses Ziel verfolgen sie unter anderem mit Hilfe der Intervention solcher symbolischer Botschaften aus der Vergangenheit.
Zu diesem Fakt hat Edwar Álvarez Vacca, Mitglied des Koordinierungsteams für die Verteidigung der Rechte, einen interessanten Gedanken geäußert, aus dem Spanischen übersetzt: „[…] die neue Staatsbürgerschaft in Kolumbien, genannt Generation Z, ist bereit mit ihren Handys und ihrem jugendlichen Geist zu kämpfen, damit die Geschichte rekonstruiert wird, sie sind junge Leute ohne Ideologien […] aus allen Rassen und Kulturen des Landes.“ (Vgl. ONIC, “Descolonizando la historia”, 13.05.2021, https://www.onic.org.co/comunicados-de-otros-sectores/4265-descolonizando-la-historia, letzter Zugriff: 27.06.2021).