Grupo de Ação (São Paulo, Brasilien)

Bericht zum Monumento às Bandeiras – Grupo de Ação

Autorschaft: Julius Dorn, Sophie Griesbach, Lana Hellendahl, Maxie Leistner und Anna-Lea Namyslik
Aktivistische Gruppe: Grupo de Ação
Statue / Monument: Monumento às Bandeiras
Ort (Stadt, Land): São Paulo, Brasilien

1. Beschreibung der Monumente und historischer Hintergrund

1.1. El Monumento às Bandeiras

El monumento às Bandeiras befindet sich im Ibirapuera-Park São Paulos in Brasilien und wurde im Jahr 1953 inauguriert. Dieses stellt 32 Figuren dar, darunter Portugiesen, Indigene, Schwarze Menschen und Mamelucken (Receio, Monumento às Bandeiras, 2021). Zwei portugiesische Bandeirantes auf Pferden führen eine Gruppe an, die ein Kanu zieht bzw. schiebt (Taylor&Francis Online, What to do with the bandeirantes, 14.07.2020).
Die Bandeirantes, was so viel wie “Fahnenträger” / ”Bannerträger” bedeutet, waren Sklavenhändler, Entdecker und Goldsucher im frühen kolonialen Brasilien, die unter anderem durch Flussexpeditionen mittels Kanus das Innere Brasiliens entdeckten und ausbeuteten. Auch Pferde galten als wichtiges Fortbewegungsmittel durch das dichtbewaldete Brasilien. São Paulo als Stützpunkt nutzend, trugen sie dazu bei, die Macht Portugals auszuweiten zu erweitern. Zu ihren Tätigkeiten gehörten auch die Gefangennahme, Versklavung und Ermordung einheimischer Bevölkerungsgruppen, bei denen sie Methoden wie die Zerstörung ganzer Dörfer und die Täuschung der Einheimischen einsetzten. (Wikipedia, Bandeirantes, 07.05.2021) Ihnen zu Ehren wurde das Monument unter anderem mit der Inschrift “Ruhm den Helden […] ohne sie wäre Brasilien nicht so großartig, wie es ist” erschaffen (Palácio das Artes 50, O que fazer com as estátuas de Bandeirantes?, 2020, übersetzt von AutorInnen: “Glória aos Heróis que traçaram […] Sem eles o Brasil não seria grande como é”).
Das Monument wurde 1921 in Auftrag gegeben und 1953 zum 400-jährigen Bestehen São Paulos eingeweiht. Erschaffen hat es der italienisch-brasilianische Bildhauer Victor Brecheret. Für dieses Monument bediente er sich verschiedener Elemente der europäischen, modernistischen Bildhauerei, aber auch menschlicher Formen und visueller Motive der brasilianischen Volkskunst. (Equestrian Statues, Monumento Bandeirantes, N.D.)
Insgesamt setzt sich das Monument aus 240 Granitblöcken zusammen und umfasst 12 Meter Höhe, 50 Meter Länge und 15 Meter Breite (Taylor&Francis Online, What to do with the bandeirantes, 2020). Das Monument soll Kühnheit, Fortschritt und Reichtum signalisieren, aber auch der territorialen Integration und der nationalen Einheit einen Sinn geben, was durch die gemeinsame Darstellung verschiedener Bevölkerungsgruppen und Ethnien demonstriert werden soll (Palácio das Artes 50, O que fazer com as estátuas de Bandeirantes?, 2020).

1.2. As estátuas de Manuel Borba Gato e Bartolomeu Bueno da Silva

Zwei bekannte Vertreter der Bandeirantes waren Manuel Borba Gato und Bartolomeu Bueno da Silva, zu dessen Ehren auch jeweils eine Statue in Sao Paulo errichtet wurde. Manuel Borba Gato lebte von 1649 bis 1718; seine Statue wurde 1963 eingeweiht und steht bis heute im Stadtteil Santo Amaro. (Conhecimiento Científico, Borba Gato, quem foi? História, Guerra dos Emboabas e bandeirisimo, 17.08.2020) Der Künstler ist Julius War und hat diese Statue aus farbigen Basalt- und Marmorsteinen geschaffen. Er hat Manuel Borba Gato in den typischen Roben eines portugiesischen Entdeckers dargestellt und lässt ihn zusätzlich noch eine Schusswaffe in der linken Hand halten. Manuel Borba Gato gehörte zusammen mit seinem Vater und seinem Schwiegervater den Bandeirantes an. Gemeinsam haben sie unter anderem die Wälder von Sao Paulo und Mato Grosso bereist, später fand er Gold im Rio des Velhas. (Wikipedia, Estátua do Borba Gato, 22.04.2021). Bis heute wird er als Nationalheld gesehen, unter anderem ist eine U-Bahnstation nach ihm benannt. (Forum, Estátua de Borba Gato agora tem segurança 24h da GCM, 2020)
Bartolomeu Bueno da Silva lebte von 1672 bis 1740. Seine Statue findet man im Stadtteil Goiás, die von Amando Zago errichtet und 1942 eingeweiht wurde. Auch er begleitete seinen Vater auf die Erkundungstouren in Richtung des heutigen Goiás, da es viele Gerüchte um Edelsteinvorkommen gab. Anstelle von Schätzen kamen sie jedoch mit gefangenen Einheimischen zurück, die sie später als Sklaven verkauften, um der Familie ein gesichertes Einkommen zu verschaffen. Später stellte da Silva sich auch einen eigenen Verbund von Bandeirantes zusammen. Außerdem fand er 1725 Gold im Rio Vermelho. (Wikipedia, Bartolomeu Bueno da Silva, 12.02.2021)

2. Problematik und Kritik

2.1. Problematik der Verherrlichung der Bandeirantes und des Rassismus in Brasilien

Während die Statuen der Bandeirantes die Idee eines Heldentums verkörpern und sie als solche verehrt werden, entgeht dem Großteil der Bevölkerung die eigentliche Problematik, die sich hinter dem Monument und den Statuen verbirgt.
Dahinter steht nämlich eine totale Verherrlichung der Taten der Bandeirantes während der Kolonisierung Brasiliens, indem die Vergehen, die sie neben ihren „Heldentaten“ noch verübten, gänzlich außer Acht gelassen werden.
In Anbetracht des Monumentes wird es ebenfalls so dargestellt, als hätten bei diesen Expeditionen alle zusammengearbeitet, was in Teilen vermutlich stimmt. Jedoch sei zum einen zu hinterfragen, ob die Sklaven, Afrikaner und Indigenen diese Arbeiten wirklich freiwillig verrichtet haben, und zum anderen kritisch zu betrachten, dass das Image von Pfadfindern und nationaler Integration noch immer über das Leid und das Vergessen von indigenen Minderheiten gestellt wird. (Palácio das Artes 50, O que fazer com as estátuas de Bandeirantes?, 2020)
Auch bei aktuellen Recherchen im Internet stößt man weiterhin auf verherrlichende Aussagen in Bezug auf das Monument, wie das folgende Beispiel verdeutlichen soll (Equestrian Statues, Monumento Bandeirantes, K.A.).

„The monument pays tribute to the bandeirantes and reflects the diversity for which Brazil is so well known, depicting Portuguese settlers alongside black and indigenous men and women, working together to pull the canoe, a familiar scene in their ubiquitous river expeditions“. (ebd.)

Der identitätsstiftende Mythos und die „Heldentaten“ sind immer noch sehr präsent, die negativen Aspekte finden keine Erwähnung. Auch zukünftig wird vermutlich, dank der Politik des rechtsgerichteten Präsidenten Brasiliens, keine Aufklärung diesbezüglich gefördert. Jener äußerte sich einmal wie folgt:

„Wir sind ein gemischtes Volk, das ist die Essenz des Brasilianers, die uns die Sympathie der Welt eingebracht hat. Einige wollen sie aber zerstören und an ihre Stelle den Konflikt, die Ablehnung, den Hass und die Spaltung zwischen den Rassen setzen, immer getarnt als Kampf für Gleichheit oder soziale Gerechtigkeit“. (ZEIT Online, Jair Bolsonaro warnt vor Spaltung durch Antirassismusdemos, 21.11.2020).

Diese Aussage wurde nicht konkret in Zusammenhang mit den Monumenten getätigt. Dennoch kann man daraus entnehmen, dass er die Position vertritt, es gäbe keinen Rassismus in Brasilien, keine Ungleichheit oder unterschiedliche Behandlung. Dies ist einerseits nicht korrekt, andererseits unterstützt er mit dieser Position die dem Monument zugeschriebene Bedeutung des friedlichen Zusammenlebens und Arbeitens von Völkern. Und das obwohl es indigenen und Schwarzen Bevölkerungsgruppen bewiesenermaßen in Brasilien schlechter geht als Weißen. (DW, Brasiliens ganz eigener Rassismus, 11.12.2019)
Kritik kommt aus vielen Richtungen, weshalb die aufgeführten Monumente und Statuen mehrfach Teil diverser Protestaktionen waren.

2.2. Intervention im Jahr 2013

Am 9. Februar 2013 kam es erstmals zur Besprühung des Monumento às Bandeiras durch Demonstranten, welche an dem Protestzug der indigenen Bevölkerung teilnahmen. An verschiedenen Stellen war in roter Farbe der Schriftzug „Bandeirantes assasinos“ zu lesen, wobei „assasinos“ für Mörder steht. (G1.globo, Manifestantes jogam tinta e picham o Monumento às Bandeiras, 02.10.2013)
Die Demonstrationen und Proteste der indigenen Bevölkerung richteten sich gegen die Verfassungsänderung PEC 215, die sowohl von indigenen Völkern als auch von Nichtregierungsorganisationen kritisiert wird. Diese nimmt der Bundesregierung die Autonomie, Gebiete für Indigene, unter anderem Quilombolas, und Umweltschutzzonen auszuweisen.
Mehrmals wurde gegen die PEC protestiert (sogar von Umweltorganisationen): Dabei wurden unter anderem Straßen blockiert oder es fanden Proteste vor der Abgeordnetenkammer statt. Am 27.10.15 haben 21 Abgeordnete eines Ausschusses des brasilianischen Unterhauses den Verfassungsänderungsvorschlag einstimmig angenommen. (blog.wwf, PEC 215: Schwarzer Tag für die Indigenen — und die Natur Brasiliens, 28.10.2015)

2.3. Intervention im Jahr 2016

Des Weiteren wurden am 30.09.2016 das Monumento às Bandeiras und die Statue von Borba Gato (in Santo Amaro) in verschiedenen bunten Farben besprüht. Außerdem lagen Eierschalen mit Farbresten um die Statue Borba Gato herum. Die Handlungen wurden als Vandalismus deklariert, ohne dass die Regierung die Motive hinterfragte. Die Resonanz dieser Protestaktion war nicht ausschließlich positiv. Beispielsweise äußerte sich das Victor Brecheret Institut wie folgt: “Es ist ein begangener Gewaltakt gegen eines der wichtigsten künstlerischen Werke des Landes. Das Monumento às Bandeiras gehört dem Volk. Als Symbol muss es respektiert und seine Erhaltung von uns allen garantiert werden.” (Folha de S.Paulo, Estátua do Borba Gato e Monumento às Bandeiras são ’pichados’ em SP, 30.09.2016, übersetzt von AutorInnen: ”É uma violência cometida contra uma das mais importantes obras artísticas do país. O Monumento às Bandeiras pertence ao povo brasileiro. Como símbolo, deve ser respeitado e sua preservação garantida por todos nós.”)
Darüber hinaus warnt der Politikwissenschaftler Jaime Matsés davor, dass es heute im Amazonas und in Jaragua keine Bandeirantes mehr gebe, jedoch nach wie vor Menschen in den gleichen Funktionen. “Nichts hat sich geändert. Wir leben, weil wir der Rest von denen sind, die sie nicht getötet haben.”(Tab Uol, Estátua do Borba Gato: como lidar com monumentos polêmicos do passado, 10.06.2020, übersetzt von AutorInnen: Não mudou nada. Estamos vivos, pois somos o resto do que não mataram.”) Dies verdeutlicht, dass es noch immer Menschen gibt, die heute ähnliche Absichten verfolgen wie damals die Bandeirantes. Menschen, die die brasilianische Gesellschaft spalten und den Rassismus, einschließlich der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung, fördern.

3. Analyse der Aktivistengruppe Grupo de Ação

3.1. Arbeit der Aktivistengruppe Grupo de Ação

Eine Aktivistengruppe, die sich gegen diese Absichten ausspricht, nennt sich Grupo de Ação und existiert seit etwa dem Beginn der Pandemie im Mai 2020. Sie hat sich online gegründet und vereint etwa 150 Mitglieder aus São Paulo, Rio de Janeiro und Porto Alegre. (G1.globo, Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP, 27.10.2020) Bekannte Mitglieder der Gruppe sind die Künstlerin Dora Longo Bahia, der Videokünstler Junae Andreazza und der Philosoph Vladimir Safatle. Sie sehen sich nach eigenen Aussagen als “a supra-party and anti-capitalist alliance formed by activists, students, teachers, artists, workers in the law, health, communication and other areas, united in the fight against the fascist extermination of the Brazilian people and for the construction of a common future” (Dora Longo Bahia, 11.06.2021). Man kann das Agieren der Gruppe als antirassistisch einstufen, da sie die rassistischen Zustände innerhalb Brasiliens nicht “hinnehmen”, sondern gegen ebenjene rassistische Haltung der Regierenden protestiert.

„In the face of the racist, genocidal character of the ideology of so-called „racial democracy,“ it would be irresponsible to fail to expose and roundly denounce the social structure supposedly based on it. To be silent would be to give tacit approval to the exploitation and destruction of one race by another through dissimulated but systematic oppression and racial arrogance. It would be to condone genocide: a criminal act which perpetuates an unjust society totally iniquitous to Blacks and native Indians in Brazil“. (Nascimiento, 1989, 90).

Ihre Proteste verdeutlichen, dass sie sich weigern, diese Form der Unterdrückung zu dulden. Die erste Protestaktion richtete sich gegen die Bolsonaro-Regierung, vor allem in Gedenken an die 100.000 Opfer des Covid-19-Virus. Seitens der Regierung wurde zum einen kaum Anteil genommen, zum anderen wurde die Existenz und Dringlichkeit der Bekämpfung des Virus nahezu geleugnet. Wie den Social-Media-Kanälen der Gruppe und der Gruppenmitglieder zu entnehmen ist, richten sich auch sonstige von ihnen initiierte Protestaktionen gegen die Regierung Brasiliens. Zumeist handelt es sich hierbei um öffentliche Demonstrationen mit Bannern auf denen “Fora Bolsonaro”, “Estado Genocida” oder “Neoliberalismo + Facismo = Genocido”, übersetzt “Raus mit Bolsonaro”, “Völkermord-Staat” oder “Neoliberalismus + Faschismus = Völkermord”, zu lesen ist. (Instagram, Grupo de Ação, 19.06.2021).

3.2. Intervention im Oktober 2020

All dies lässt sich auch bei einer weiteren Aktion im Oktober 2020 beobachten, jedoch sticht diese Aktion aus allen anderen hervor. Es handelt sich hierbei um eine Intervention, bei der Totenschädel vor das Monumento às Bandeiras und die Statuen “Borba Gato”, “Bartolomeou Bueno da Silva”, “Pedro Álvarez Cabral” und weiteren Statuen platziert wurden. Ein Mitglied der Gruppe besorgte die Totenschädel aus dem Müll einer Sambaschule, die bereits bei vorherigen Karnevalsumzügen verwendet wurden. Junae Andreazza hatte die Idee, die Schädel vor die Statue des Militärkommandos der Armee im Stadtteil Paraíso zu legen und davon ein Foto zu machen. (G1.globo, Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP, 27.10.2020) Die Gruppe setzte die Aktion daraufhin mit weiteren Statuen und Denkmälern um, die in Zusammenhang mit dem Tod in Brasilien stehen. Die Schädel “were used to associate the Bolsonaro government’s genocide with the recurrent massacre of indigenous peoples and the black population in Brazil” (Dora Longo Bahia, 11.06.2021). An dieser Stelle wird von Völkermord gesprochen, da durch die nachlässige Bekämpfung der Pandemie, die generell starke Polizeigewalt und die noch immer stattfindenden Massakern an indigenen Bevölkerungsgruppen die indigene und schwarze Bevölkerung in Brasilien besonders stark betroffen ist. Die Idee der Gruppe war es, den Monumenten eine neue Bedeutung zu geben ohne sie zu zerstören; sie also in Frage zu stellen, da sie zuvor lediglich die Idee eines Helden verkörpert haben. (G1.globo, Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP, 27.10.2020) Junae Andreazza sagt weiterhin:

„Wir wollen keinen Verfall, wir wollen eine Neudefinition. Wir haben ein Bild gemacht und wollten ihm eine andere Bedeutung geben. […] Borba Gato war einer der größten Mörder unseres Volkes, die wir je gekannt haben. Der Schädel, selbst mit diesem allegorischen Ding, das aus dem Karneval stammt, versucht, der Geschichte eine neue Bedeutung zu geben“ (G1.globo, Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP, 27.10.2020, übersetzt von AutorInnen: „A gente não quer a deterioração, queremos a ressignificação. Fizemos uma foto e queríamos dar um outro significado. […] Borba Gato foi um dos maiores assassinos que a gente já conheceu do nosso povo. A caveira até por ter essa coisa alegórica que veio do carnaval tenta ressignificar a história“).

Die Bevölkerung reagierte positiv auf die Intervention und konnte sie verstehen. Nach Mignolo entstehe Dekolonialität dann, ”wenn die Akteur_innen, die rassisierte Sprachen und ihrer Menschlichkeit beraubte Subjektivitäten bewohnen, ein Bewusstsein der Auswirkungen der Kolonialität von Sein und Wissen erlangen”. (Mignolo, 2012, 188) Insofern kann auch die Aktion als dekolonial eingestuft werden. Sie verhalf nicht nur den Akteuren und Akteurinnen aufgrund ihrer Recherche, sondern auch der gesamten Bevölkerung zu einem neuen Bewusstsein über ihre eigene Historie. Andreazza sprach davon, dass den Passanten die Geschichte der Pioniere zum Teil bekannt war, sie nach Fotos fragten und die Aktion kommentierten. Außerdem wurden sie durch diese Intervention dazu inspiriert, ähnliche Ereignisse in anderen Städten fortzusetzen. Die Gruppe selbst beabsichtigte jedoch nicht, die Intervention auszudehnen, wenngleich sie die Auswirkungen, vor allem die massive Verbreitung der Fotos und Videos im Netz, überrascht habe. (G1.globo, Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP, 27.10.2020).
Nach eigenen Aussagen ordnet die Gruppe ihre Aktion als hauptsächlich politisch ein, was für sie auch die Überprüfung der offiziellen Geschichtsschreibung im heutigen Brasilien einschließt. Denn die Darstellung jener Pioniere als Helden sei mitverantwortlich für die Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen und rassistischen und sexistischen Vorurteilen innerhalb der Bevölkerung. (Dora Longo Bahia, 11.06.2021) Dennoch kann diese Intervention als antirassistisch und dekolonial verstanden werden. Sie ermöglicht den Menschen Zugang zu neuem Wissen durch Aufklärung und lenkt die Aufmerksamkeit auf gesellschaftliche Probleme wie Rassismus und auf die Verherrlichung der in der Vergangenheit verübten Gräueltaten. Sie wollen jeglichen Ausschluss verhindern und gehen dagegen vor, dass Weiße sich über jene Gruppen stellen, die damals bereits leiden mussten. Nach Hall entstehen rassistische Ideologien dann, “wenn die Produktion von Bedeutungen mit Machtstrategien verknüpft sind und diese dazu dienen, bestimmte Gruppen vom Zugang zu kulturellen und symbolischen Ressourcen auszuschließen” (Hall, 2000, 7). Durch die genannte Aktion und die stattfindende Aufklärung erhält die Bevölkerung einen Zugang zu korrektem historischem Wissen als kulturelle Ressource. Darüber hinaus sei Rassismus Halls Ansicht nach dort am stärksten, wo Menschen verschiedener “Rassen” innerhalb derselben Gesellschaft zusammenleben (Hall, 2000, 7). Die falsche Darstellung des Zusammenlebens in der brasilianischen Gesellschaft und der Machtausübung der Regierung, die die Monumente und ihre Bedeutung prägen, verdeutlicht den vorherrschenden und anhaltenden Rassismus in Brasilien. Dies lässt derartige Interventionen, wie ebenjene, die im Oktober 2020 von der Grupo de Ação initiiert wurde, umso bedeutender erscheinen.

4. Literaturverzeichnis

Hall, Stuart. Rassismus als ideologischer Diskurs. In: Theorien über Rassismus, hrsg. V. Räthzel, Nora, Argument Verlag Hamburg 2000, S. 7.

Interview. 11.06.2021. Dora Longo Bahia, Künstlerin und Aktivistin der Grupo de Ação.

Mignolo, Walter D. Epistemischer Ungehorsam. Rhetorik der Moderne, Logik der Kolonialität und Grammatik der Dekolonialität, Verlag Turia + Kant 2012, S. 188.

Nascimiento, Abdias. 1989. Genocide: The Social Lynching of Africans and their Descendants in Brazil. En: Brazil, Mixture or Massacre? Essays in the Genocide of a Black People, Dover: Majority Press, 57-90.

5. Internetquellen

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