Red de Migración, Género y Desarrollo (Barcelona, Spanien) Neu

Dekoloniale Kämpfe in Barcelona: Red de Migración, Género y Desarrollo

Autorschaft: Lukas Manthey, Anna Hertzschuch, Monique Lippmann und Leoni Papritz
Aktivistische Gruppe: Red de Migración, Género y Desarrollo
Statue / Monument: Kolumbus-Denkmal
Ort (Stadt, Land): Barcelona, Spanien

Monumento a Colón

Das Monumento a Colón wurde 1888 in Barcelona errichtet und stellt den italienischen Seefahrer Christopher Kolumbus dar. Die Statue wurde anlässig der Weltausstellung in Barcelona erbaut und soll die erste Reise Kolumbus‘ nach Amerika ehren. Die 57 Meter hohe Säule ist in der heutigen Zeit starker Kritik ausgesetzt. Die linke Podemos-Partei und katalonische Separatisten setzen sich für die Entfernung dieser und anderer Statuen der spanischen Konquista ein, da die dargestellten Persönlichkeiten die Versklavung und Unterdrückung der Ureinwohner:innen Amerikas und den an ihnen begangenen Genozid förderten. Diese historischen Ereignisse dürften nicht geehrt werden. Bislang haben die politischen Bemühungen gegen diese Statuen in Spanien keine Erfolge verzeichnet. Die spanische Politikerin der Podemos-Partei, Jessica Albiach, unterstützte zuerst ebenfalls die Beseitigung des Monuments und konstatierte, dass Spanien genauso ein Rassismus Problem hätte wie die Vereinigten Staaten und dass das Einwanderungsgesetz den institutionellen Rassismus deutlich mache. Es hagelte Kritik. Sie revidierte daraufhin ihre Position und äußerte sich, man müsse die Statue behalten, aber kontextualisieren, ohne dies jedoch genauer auszuführen. Dies führte dazu, dass sich am 14. Juni 2020 250 Menschen unter anderem aus migrantischen und antirassistischen Gruppen in Barcelona zusammenfanden, um für die Beseitigung der Kolumbusstatue zu demonstrieren. Sie fügten dem Monument keinen Schaden zu, aber forderten die Auseinandersetzung Spaniens und Katalonies mit der kolonialen Vergangenheit und die Beschleunigung des Dekolonialisierungsprozess (El mundo, Podemos alienta ataques a la estatua de Colón en Barcelona, 15. Juni 2020). Am 22. Juni 2020 schrieben Unbekannte mit roter Farbe das Wort „Racista“ an die Kolumbusstatue im Hafen Barcelonas, um ihren Unmut über das Fortbestehen des Monuments auszudrücken und gegen Rassismus und Unterdrückung zu protestieren. Diese Aktionen von Demonstrant:innen gegen Monumente der spanischen Konquistadoren sind kein Einzelfall. Vor allem in den USA gab es viele Proteste, aber auch in Europa und anderen Teilen Spaniens, beispielsweise in Mallorca.
Diese Form der Kritik wird nicht von allen Seiten als unterstützenswert bewertet. Beispielsweise erklärt der Historiker Emilio Saenz Frances von der Pontificia Comillas Universität in Madrid es für unhaltbar, die Sklavenhändler des 19. Jahrhunderts mit den spanischen Konquistadoren aus dem 16. Jahrhundert gleichzusetzen, wenngleich auch die Eroberungen in Amerika mit Gewalt einhergingen. Weiterhin sagte er: „Natürlich war auch Spaniens Kolonialgeschichte von Licht und Schatten übersät. Man darf viele Dinge aber auch nicht aus dem historischen Kontext und mit der moralischen Brille von heute beurteilen.“ (OÖNachrichten. Anti-Rassismus: Übergriffe auf Kolumbus-Statuen in Spanien und USA. 25. Juni 2020. ) Rechtspopulistische Parteien versuchten, die Proteste als Vandalismus zu verunglimpfen und erklärten „die Geschichte verteidigen“ zu wollen (Crónica global, Vox y antifascistas, cara a cara en Colón, 23. Juni 2020).

Red de Migración, Género y Desarrollo

Migrantische und antirassistische Aktivist:innen und Kollektive sind die Hauptakteure in den Protestaktionen gegen koloniale Denkmäler und Rassismus. Eine aktive lokale Gruppe ist das Red de Migración, Género y Desarrollo, ein Netzwerk für Migration, Gender und Entwicklung. Es wurde im März 2011 in Barcelona gegründet und besteht aus unterschiedlichen FLINTA-Personen[1] und feministischen Organisationen, die weltweit beteiligt sind. Beispielsweise zählen zum Red MGD die ‚Vereinigung der Migrant:innen aus Subsahara-Afrika‘ (ADIS), die Vereinigung der Frauen E’Waiso Ipola‘ aus Äquatorialguinea sowie Vereinigungen aus Lateinamerika oder Pakistan. Somit stammen einige direkt aus Barcelona, andere wiederum aus anderen Ländern und Kontinenten der Welt. Alle diese unterschiedlichen Organisationen haben gemeinsam, dass sie sich für eine globale, feministische und dekoloniale Gemeinschaft einsetzen (Red de Migración, Género y Desarrollo, Historia).

Ziele und Ansichten

Was das bedeutet, welche Ziele sie anstreben und welche Ansichten sie vertreten, erläutert das Netzwerk auf ihrer Internetseite. Sie sind der Meinung, dass die Staatsbürgerschaft ein Teil des menschlichen Daseins ist und nicht von der Beschaffung von Papieren abhängig sein sollte. Außerdem sei die Mobilität der Menschen ein Ausdruck von Freiheit und Autonomie anstatt eines Verbrechens. Das Red MGD versucht außerdem, die Unterdrückungen von FLINTA-Personen auf vielen Ebenen anzuprangern, welche ihnen zum Beispiel durch Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus widerfahren. Weiterhin wollen sie die Mechanismen der Gewalt, der Unterwerfung sowie der Ungerechtigkeit gegenüber FLINTA-Personen aufzeigen, um dadurch Realitäten verändern und zu einer anderen möglichen Welt beizutragen. Ein weiteres Ziel ist es, die Präsenz von Migrant:innen in der Öffentlichkeit zu stärken und zudem grenzüberschreitende Verbindungen mit anderen Aktivist:innen und Feminist:innen in deren jeweiligen Herkunftsländern zu fördern. Ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit ist die Zusammenarbeit und der Dialog. Aus diesem Grund fördern sie sowohl digitale als auch persönliche Begegnungsräume, in denen Wissen geteilt, ungerechte und unterdrückende Mechanismen angeprangert sowie Widerstandsaktionen sichtbar gemacht werden können. Auf ihren sozialen Netzwerken, wie unter anderem YouTube und Instragram, veröffentlichen sie Teile ihrer Arbeit, um einen Einblick in ihr Wirken zu gewähren. Auf diesem Weg können sie eine hohe Reichweite generieren, ihre Veranstaltungen ankündigen und dafür werben (Red de Migración, Género y Desarrollo, Historia).
Das Netzwerk besteht, neben den vielen Organisationen, aus unterschiedlichen Mitgliedern, die eine unterstützende Position einnehmen und die Arbeit auf vielfältigen Weisen fördern. Zum einen zählt die ‚Revista Marea‘ dazu. Dies ist eine eigenständige digitale Plattform, die zur Verbreitung von Ideen, Analysen und Aktionen dient, um damit feministische und soziale Veränderungen anzutreiben. Beispielsweise veröffentlichte das Onlinemagazin Artikel über gesellschaftliche Missstände wie rassistische Vorkommnisse, erzwungene Sterilisation von Frauen in Peru oder sexualisierte Übergriffe auf junge Frauen in Kolumbien. Des Weiteren gibt es einen Treffpunkt in Barcelona, ‚Ca la Dona‘ genannt. Dort finden Begegnungen statt, damit Erfahrungen ausgetauscht werden, Aktionen und Reflexionen stattfinden können. Zu den diversen Angeboten zählt zum Beispiel ein Gemeinschaftsgarten auf dem Dach des Gebäudes. Dieser wurde geschaffen, um einen Raum als Alternative zum kapitalistischen Produktions- und Verbrauchssystems zu schaffen, an dem sich die Mitglieder einbringen können. Ein weiterer Stützpunkt ist die Gruppe InsurRECtas, die sich ebenfalls in Barcelona gegründet hat. Dies ist ein offenes Projekt mit dem Ziel, einen audiovisuellen Raum zu schaffen, in dem die Gegenwart unter feministischen und antikapitalistischen Gesichtspunkten beobachtet und kritisiert werden kann. Sie teilen ihre Ideen und Aktionen auf den sozialen Netzwerken, wie zum Beispiel Videos von Streiks oder den Debatten aus dem Ca la Dona. Ein anderes Standbein ist das ‚Instituto de Supporto al Movemiento Autónomo de Mujeres Campesinas‘ (IMAMAC). Dies ist eine Organisation in Peru, welche Frauen aus der Andenregion hilft, Ausgrenzung, Diskriminierung und andere Geschlechterungerechtigkeiten zu bekämpfen. Sie versuchen, zusätzlich zu der konkreten Arbeit vor Ort, auf den sozialen Netzwerken Wissen über die Umstände und Vorfälle zu verbreiten. (Red de Migración Género y Desarrollo, Aliadas).

Aktionen des Red de Migración, Género y Desarrollo

Das Red de Migración, Género y Desarrollo proklamiert für sich eine intersektionale und dekoloniale feministische Perspektive. Dabei geht es darum, die komplexen Lebenssituationen von Frauen in den Blick zu nehmen, die nicht nur als weiblich gelesene Personen Diskriminierung erfahren, sondern auch aufgrund von Rassifizierung, Klasse, sexueller Orientierung oder ihrer Körperlichkeit. In den heterogenen gesellschaftlichen Verhältnissen sind alle Unterdrückungsformen miteinander verknüpft und bilden die Grundlage für ein kapitalistisches und kolonialistisches System (Degele, 2018, 1-2). Nach dieser Ansicht und mit dem Ziel gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit anzukämpfen, arbeitet das Netzwerk und organisiert dementsprechende Aktionen und Veranstaltungen. Ein zentrales Anliegen feministischer Arbeit ist es, Frauen zu zeigen, dass ihren Erlebnissen Aufmerksamkeit zukommt, aktuelle Themen präsent werden und sie nicht alleine sind. Daher bietet das Ca la Dona Veranstaltungreihen an, um Diskussions- und Gesprächsrunden anzuregen, sich mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen und sie zu verarbeiten. Auf ihren sozialen Netzwerken lädt das Red de Migración, Género y Desarrollo zum offenen Dialog über verschiedene Themen ein, wie zum Beispiel über Frauen- und Menschenrechte in Peru oder Kämpfe und Widerstände afrikanischer Feminist:innen. Außerdem gibt es eine Veranstaltungsreihe namens ‚Diálogos periféricos‘, bei der es um die Kolonialgeschichte, widerständige Aktionen und Vorbilder sowie dekoloniale Feminismen geht. Die Aktionen werden von Gästen begleitet, die mit dem Thema vertraut sind (Red de Migración, Género y Desarrollo, Diálogos periféricos). Aufgrund der Einschränkungen in der Corona-Pandemie griff das Netzwerk auf digitale Formate zurück, um die Treffen abzuhalten.
Mit den Gesprächsveranstaltungen möchte das Red MGD Räume schaffen, in denen über Dekolonialismus und Feminismus gelernt, neue Perspektiven erarbeitet und über widerständige Praxen aufgeklärt wird. Es kann sich ausgetauscht und hinterfragt werden. Dabei ist das Ziel, mehr Sorgfalt und Bewusstsein für rassistische, koloniale Strukturen und deren Reproduktion im täglichen Leben zu schaffen. Das Red MGD macht deutlich, welcher Gewalt und Unterdrückung Menschen in Afrika, Lateinamerika und der Karibik durch die Kolonialherrschaft europäischer Nationen ausgesetzt waren und berichtet von Widerstandsbewegungen und kollektiven Kämpfen – Kämpfe, um die Emanzipation aus der kolonialen Unterdrückung und zur Verteidigung der Territorien Körper und Erde (Fil a l’agulla, Los saberes descoloniales, con la Red de Migración, Género y Desarrollo, 15. Juli 2019). Bis heute wirken die kolonialen Strukturen tief in die gesellschaftlichen Fugen. Dekoloniale Feminist:innen wie die Aktiven des Red MGD beschäftigen sich damit, wie eng Kolonialismus und Gender zusammenhängen, wie Rassismus und Eurozentrismus auch feministische und eigentlich emanzipatorische Räume durchdringen und wie das koloniale System, dass sich heute in das Gewand des neoliberalen Kapitalismus hüllt, transformiert werden kann (Fink/Leinius, 2014, 119). Essentiell ist die Verbindung verschiedener Kämpfe, die Einbeziehung von Wissensschatz, der nicht im europäischen Blick produziert wurde und vor allem die Anerkennung der eigenen Privilegien, um sie zur Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse zu nutzen (Graneß et.al, 2019, 236; Red de Migración, Género y Desarrollo, Somos Feministas Descoloniales).
Um die Aktionen und Standpunkte einzubetten, veröffentlichten unterschiedliche Autor:innen, die Mitglieder des Netzwerkes sind, Bücher zu kritischen gesellschaftlichen Themen. So wird Lektüre auf der Webseite bereitgestellt und Aufmerksamkeit generiert. Ein Beispiel dafür ist ‚Una apuesta local para el compromiso global’ von Sara Ramírez. Dies beinhaltet eine analytische Untersuchung, wie feministische Ansätze in der Bildung umgesetzt werden können und welche methodischen Verfahren es gibt, um eine kritische Gemeinschaft zu bilden. Zum anderen veröffentlichte das Red MGD ‚Guía sobre la trata de mujeres‘ von Helga Flamtermesky, in dem Frauen- bzw. Menschenhandel thematisiert und von Frauen berichtet wird, die diesem Handel entkommen konnten und nun versuchen, einen Wandel anzutreiben (Red de Migración, Género y Desarrollo, Publicaciones). Es ist ein wichtiger Bestandteil des Netzwerks, die internationale Arbeit zu fördern und Mitgliedsorganisationen vor Ort und in ihren Herkunftsländern zu unterstützen. Das geschieht nicht nur über Studien und Berichte, sondern auch indem das Red de Migración, Género y Desarrollo Initiativen unterstützt, die beispielsweise gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeiten vorgehen und Veränderungen bewirken wollen. Aktuelle Projekte, an denen das Netzwerk beteiligt ist, befinden sich in Senegal, wo gegen die Genitalverstümmelung an Frauen vorgegangen wird sowie die sexuelle Autonomie von Frauen und Mädchen gestärkt werden soll. Außerdem gibt es Projekte in Peru, um sich für die Gerechtigkeit von Frauen einzusetzen und Hilfen für Frauen anzubieten, die von der erzwungenen Sterilisation betroffen sind (Red de Migración, Género y Desarrollo, conexión internacional feminista). Die globale Perspektive wird dadurch erweitert, dass die Themen, Kämpfe und besonderen Situationen von Menschen einbezogen werden, die sich nicht nur in Barcelona aufhalten, sondern auf der ganzen Welt lokalen Widerstand gegen Gewalt und Diskriminierung leisten. Die Mechanismen der Unterdrückung finden sich weltweit wieder. Der Angriff auf die Integrität weiblich gelesener Körper, Verstümmelung, sexualisierte Gewalt, Entzug der Selbstbestimmungsrechte – das sind Praktiken, die den Körper als koloniales Gebiet erachten, das es zu erobern gilt. Sie sollen den Körper verstummen lassen, ihn in die häusliche Sphäre zurückdrängen. Dies sind keine Sexualstraftaten, es sind politische. Sie müssen als solche begriffen und behandelt werden, um das Ausmaß und die Wirkweise der Angriffe einordnen und bekämpfen zu können (Gago, 2018, 9). Es ist eine wichtige Arbeit, weltweit über sexualisierte Gewalt an FLINTA-Personen aufzuklären, Wissen zu teilen, das Patriarchat und den Kolonialismus als die Schuldigen zu erkennen.
Auch Streiks sind ein wichtiges Element aktivistischer Arbeit. Zum internationalen Frauentag am 8. März ruft beispielsweise das Mitglied InsurRECtas in Barcelona regelmäßig zu Demonstration auf und veröffentlicht anschließend Ausschnitte davon auf ihrem YouTube-Kanal. Ein anderes Mal war das Red MGD an einem Streik beteiligt, der sich dafür einsetzte, Schwangerschaftsabbrüche für Migrant:innen zu erleichtern. Personen ohne Krankenkarte müssen in Katalonien ihre Abtreibung selbst bezahlen, obwohl es für Schwangere mit Krankenkarte offiziell erlaubt und kostenlos ist. Die Ämter schicken sie von der einen zur anderen Einrichtung, bis das zeitliche Limit, in dem der Schwangerschaftsabbruch möglich ist, erreicht ist (El Periódico, Las inmigrantes sin tarjeta sanitaria no pueden abortar gratis en Catalunya, 12. Januar 2020). Migrantisierte Personen befinden sich in einer besonders prekären Situation. Auch diese Lage wurde durch Europa erschaffen, um sich selbst eine schützende Festung aufzubauen. Dabei gibt es eine klare Abgrenzung zwischen ‚innen‘ und ‚außen‘ – Diejenigen, die dazugehören und diejenigen, die die ‚Eindringlinge‘ sind. Auch hier greift die koloniale Logik. Es gibt die europäischen Bürger:innen als das Eine, das Wir, das Progressive und die „kolonialen Untertanen“ als das Andere, die vom Fortschritt ‚profitieren‘ wollen, die erst die Erlaubnis bekommen müssen, sich irgendwo aufzuhalten, die überwacht und ‚integriert‘ werden müssen (Mezzadra, 2015, 208-209). So geht die Differenzierung und Hierarchisierung voran, die die Gesellschaft in zwei Klassen einteilt. Vor allem FLINTA werden in diesem Vorgang nicht nur als rassifizierte und migrantisierte, sondern gleichzeitig als vergeschlechtlichte untergeordnete Andere von fundamentalen Rechten ausgeschlossen (Gutiérrez Rodríguez, 2011, 78). Dies betrifft nicht nur die politische Partizipation und den Zugang zu gesellschaftlichen Institutionen, sondern auch die Selbstbestimmungsrechte der Betroffenen. Die einfachsten, aber auch effektivsten Hürden, wie Sprachbarrieren oder finanzielle Aufwände werden erschaffen, um die Personen ausgeschlossen zu halten (El Periódico, Las inmigrantes sin tarjeta sanitaria no pueden abortar gratis en Catalunya, 12. Januar 2020). Aus dieser Notwendigkeit heraus kämpfen Migrant:innen gemeinsam mit dekolonialen Feminist:innen für ihre Rechte und ihre Würde.

Exkurs: Die Situation der Migrant:innen in Katalonien

In Katalonien ist die Anzahl der Migrant:innen, vor allem derer, die nur für einen Teil des Jahres zur Arbeit in die Region kommen, seit Jahrzehnten sehr hoch. Seit 2015 leben über eine halbe Million Muslim:innen in Katalonien. Dennoch wird der Bau großer Moscheen von der Regierung abgelehnt und Barcelona bleibt die einzige europäische Metropole, die über keine große Moschee verfügt.
Die Corona-Pandemie hat die Lage der Migrant:innen in Katalonien stark verschlechtert. Die beengten Wohnverhältnisse, in denen vor allem die zahlreichen Arbeitsmigrant:innen mit bis zu 50 Menschen in einem Schlafquartier wohnen, aber auch die großen Schlachtbetriebe trugen zur raschen Ausbreitung des Sars-CoV2-Virus bei. Auch auf den Obstplantagen, auf denen jede Saison seit rund 25 Jahren zahlreiche Tagelöhner aus afrikanischen Ländern arbeiten, breitete sich das Virus schnell aus und trug zur ohnehin schon prekären Situation der Arbeiter:innen bei (Barber Ferrán. Corona verstärkt Rassismus in Katalonien. 10.07.2020).
Im Juli 2020 beschloss der Regionalpräsident Kataloniens, dass insgesamt 39 Städte, die gleichnamige Hauptstadt der Provinz Lleida inbegriffen, im Landkreis Segriá, unweit von Barcelona abgeriegelt, werden müssen (Tagesschau, 04.07.2020). Diese Maßnahme sollte die Ausbreitung des Virus eindämmen und einen weiteren Anstieg der Fallzahlen verhindern (Die Zeit Online. 04.07.2020.). Dies beinhaltete, dass jede Person, die keinen festen Wohnsitz innerhalb der Region vorweisen konnte, die Stadt Lleida innerhalb von vier Stunden verlassen sollte. Nach Ablauf der Frist war es niemandem ohne gültige Arbeitspapiere, über die die meisten Migrant:innen Kataloniens nicht verfügen, erlaubt, die Stadt zu verlassen oder zu betreten. Dies führte dazu, dass viele Menschen, denen es nicht gelang, die Stadt innerhalb der vier Stunden zu verlassen, ohne festen Wohnsitz in der Region festsaßen. Die Behörden öffneten einige Hotels, um für die Unterbringung einiger Migrant:innen zu sorgen. Dennoch waren viele Tagelöhner und Arbeitsmigrant:innen dazu gezwungen, ohne Unterkunft auf der Straße oder in alten, unbenutzten Gebäuden auszuharren. Der Tagelöhner Muhammad Bennani aus Marokko beschreibt, er sei nach Lleida gereist, um dort Arbeit zu finden. Nach Verhängung des Lockdowns hätte er in der Stadt festgesessen und die Quarantänezeit auf der Straße verbringen müssen. Vor allem die hohe Zahl von Coronainfektionen bei den Migrant:innen trieb die Sorge der Einheimischen in die Höhe, die Krankheit könnte sich in der gesamten Gesellschaft verbreiten. Dies führte zu mehr Diskriminierung und verstärktem rassistischen Verhalten gegen die afrikanischen Tagelöhner in den Medien und der Öffentlichkeit. (Barber Ferrán. Corona verstärkt Rassismus in Katalonien. 10.07.2020)

Fazit

Die Tragweite historischer Geschehnisse und gesellschaftlicher Machtmechanismen bringt eine zunehmende kritische Bürger:innenschaft hervor, die gesellschaftliche Normen hinterfragt. Auf ganz unterschiedlichen Wegen teilen Menschen ihre Gedanken und Reflektionen zu verschiedenen Missständen, wodurch sich zahlreiche Gruppierungen und Organisationen herausbilden. Diese Entwicklung ist weltweit wahrnehmbar, vor allem über soziale Netzwerke und nimmt immer weiter an Bedeutung zu. Beständige Probleme wie Unterdrückungsverhältnisse und Ungerechtigkeiten sind nicht nur Überbleibsel aus der Vergangenheit, sondern werden durch die Globalisierung und die Heterogenisierung verstärkt und stellen die globale Gemeinschaft vor neue Herausforderungen.
Das Netzwerk Red MGD hat es sich auf der einen Seite zur Aufgabe gemacht, FLINTA-Personen weltweit dabei zu unterstützen, mit ihren vielfältigen Erfahrungen umzugehen. Auf der anderen Seite versuchen sie, mehr Menschen zum kritischen Denken anzuregen und sie zu mobilisieren. Durch solch ein Wirken kann die Welt auch für Minderheiten zukünftig ein gerechterer und siche-rer Ort werden.

[1]FLINTA = Frauen, Lesben, inter-, Non-Binäre, trans-, agender-Personen. Bei der Bezeichnung geht es darum, alle Menschen zu meinen, die sich nicht als cis männliche Personen identifizieren.

Bibiographie

Websiten
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Cortina, Jordi. 12. Januar 2020. Las inmigrantes sin tarjeta sanitaria no pueden abortar gratis en Catalunya. https://www.elperiodico.com/es/sociedad/20200112/las-inmigrantes-sin-tarjeta-sanitaria-no-pueden-abortar-gratis-en-catalunya-7803924 Letzter Zugriff am 30.06.2021.

Die Zeit Online. 04.07.2020. Katalonien stellt erneut Großstadt unter Quarantäne.https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-07/coronavirus-spanien-katalonien-neuinfektionen-ausgangssbeschraenkungen Letzter Zugriff am 30.06.2021.

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Jorro, Ignasi. 23.06.2020. Vox y antifascistas, cara a cara en Colón. https://cronicaglobal.elespanol.com/politica/colon-barcelona-vox_360819_102.html Letzter Zugriff am 02.07.2021.

Mondelo, Victor. 15. Juni 2020. Podemos alienta ataques a la estatua de Colón en Barcelona. https://www.elmundo.es/cataluna/2020/06/15/5ee67580fdddff54678b4617.html Letzter Zugriff am 02.07.2021.

OÖNachrichten. 25. Juni 2020. Anti-Rassismus: Übergriffe auf Kolumbus-Statuen in Spanien und USA. https://www.nachrichten.at/politik/aussenpolitik/anti-rassismus-uebergriffe-auf-kolumbus-statuen-in-spanien-und-usa;art391,3269324 Letzter Zugriff am 02.07.2020.

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Buchartikel

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Fink, Elisabeth; Leinius, Johanna. 2014. Postkolonial-feministische Theorie. In: Franke, Yvonne; Pöge, Kathleen; Ritter, Bettina; Venohr, Dagmar (Hrsg.): Feminismen heute. Bielefeld: transcript Verlag, S.115-128.

Gago, Verónica. 2018: “#Nosotras paramos“: notas hacia una teoría política de la huelga feminista. In: Gago, Verónica; Gutiérrez Aguilar, Raquel; Draper, Susana; Menéndez Díaz, Mariana; Montanelli, Marina; Rolnik, Suely (Hrsg.): 8M Constelación feminista. ¿Cuál es tu huelga? ¿Cuál es tu lucha? Ciudad Autónoma de Buenos Aires: Tinta Limón, S.7-24.

Gutiérrez Rodríguez, Encarnación. 2011. Intersektionalität oder: Wie nicht über Rassismus sprechen? In: Hess, Sabine; Langreiter, Nicola; Timm, Elisabeth (edit.) Intersektionalität revisited.: Empirische, methodische und theoretische Erkundungen, Bielefeld: transcript Verlag, S. 77-100.

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Bücher

Graneß, Anke; Kopf, Martina; Kraus, Magdalena. 2019. Feministische Theorie aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Wien: Facultas.