Grupo de Ação (São Paulo, Brasilien)

Bericht zum Monumento às Bandeiras – Grupo de Ação

Autorschaft: Julius Dorn, Sophie Griesbach, Lana Hellendahl, Maxie Leistner und Anna-Lea Namyslik
Aktivistische Gruppe: Grupo de Ação
Statue / Monument: Monumento às Bandeiras
Ort (Stadt, Land): São Paulo, Brasilien

1. Beschreibung der Monumente und historischer Hintergrund

1.1. El Monumento às Bandeiras

El monumento às Bandeiras befindet sich im Ibirapuera-Park São Paulos in Brasilien und wurde im Jahr 1953 inauguriert. Dieses stellt 32 Figuren dar, darunter Portugiesen, Indigene, Schwarze Menschen und Mamelucken (Receio, Monumento às Bandeiras, 2021). Zwei portugiesische Bandeirantes auf Pferden führen eine Gruppe an, die ein Kanu zieht bzw. schiebt (Taylor&Francis Online, What to do with the bandeirantes, 14.07.2020).
Die Bandeirantes, was so viel wie “Fahnenträger” / ”Bannerträger” bedeutet, waren Sklavenhändler, Entdecker und Goldsucher im frühen kolonialen Brasilien, die unter anderem durch Flussexpeditionen mittels Kanus das Innere Brasiliens entdeckten und ausbeuteten. Auch Pferde galten als wichtiges Fortbewegungsmittel durch das dichtbewaldete Brasilien. São Paulo als Stützpunkt nutzend, trugen sie dazu bei, die Macht Portugals auszuweiten zu erweitern. Zu ihren Tätigkeiten gehörten auch die Gefangennahme, Versklavung und Ermordung einheimischer Bevölkerungsgruppen, bei denen sie Methoden wie die Zerstörung ganzer Dörfer und die Täuschung der Einheimischen einsetzten. (Wikipedia, Bandeirantes, 07.05.2021) Ihnen zu Ehren wurde das Monument unter anderem mit der Inschrift “Ruhm den Helden […] ohne sie wäre Brasilien nicht so großartig, wie es ist” erschaffen (Palácio das Artes 50, O que fazer com as estátuas de Bandeirantes?, 2020, übersetzt von AutorInnen: “Glória aos Heróis que traçaram […] Sem eles o Brasil não seria grande como é”).
Das Monument wurde 1921 in Auftrag gegeben und 1953 zum 400-jährigen Bestehen São Paulos eingeweiht. Erschaffen hat es der italienisch-brasilianische Bildhauer Victor Brecheret. Für dieses Monument bediente er sich verschiedener Elemente der europäischen, modernistischen Bildhauerei, aber auch menschlicher Formen und visueller Motive der brasilianischen Volkskunst. (Equestrian Statues, Monumento Bandeirantes, N.D.)
Insgesamt setzt sich das Monument aus 240 Granitblöcken zusammen und umfasst 12 Meter Höhe, 50 Meter Länge und 15 Meter Breite (Taylor&Francis Online, What to do with the bandeirantes, 2020). Das Monument soll Kühnheit, Fortschritt und Reichtum signalisieren, aber auch der territorialen Integration und der nationalen Einheit einen Sinn geben, was durch die gemeinsame Darstellung verschiedener Bevölkerungsgruppen und Ethnien demonstriert werden soll (Palácio das Artes 50, O que fazer com as estátuas de Bandeirantes?, 2020).

1.2. As estátuas de Manuel Borba Gato e Bartolomeu Bueno da Silva

Zwei bekannte Vertreter der Bandeirantes waren Manuel Borba Gato und Bartolomeu Bueno da Silva, zu dessen Ehren auch jeweils eine Statue in Sao Paulo errichtet wurde. Manuel Borba Gato lebte von 1649 bis 1718; seine Statue wurde 1963 eingeweiht und steht bis heute im Stadtteil Santo Amaro. (Conhecimiento Científico, Borba Gato, quem foi? História, Guerra dos Emboabas e bandeirisimo, 17.08.2020) Der Künstler ist Julius War und hat diese Statue aus farbigen Basalt- und Marmorsteinen geschaffen. Er hat Manuel Borba Gato in den typischen Roben eines portugiesischen Entdeckers dargestellt und lässt ihn zusätzlich noch eine Schusswaffe in der linken Hand halten. Manuel Borba Gato gehörte zusammen mit seinem Vater und seinem Schwiegervater den Bandeirantes an. Gemeinsam haben sie unter anderem die Wälder von Sao Paulo und Mato Grosso bereist, später fand er Gold im Rio des Velhas. (Wikipedia, Estátua do Borba Gato, 22.04.2021). Bis heute wird er als Nationalheld gesehen, unter anderem ist eine U-Bahnstation nach ihm benannt. (Forum, Estátua de Borba Gato agora tem segurança 24h da GCM, 2020)
Bartolomeu Bueno da Silva lebte von 1672 bis 1740. Seine Statue findet man im Stadtteil Goiás, die von Amando Zago errichtet und 1942 eingeweiht wurde. Auch er begleitete seinen Vater auf die Erkundungstouren in Richtung des heutigen Goiás, da es viele Gerüchte um Edelsteinvorkommen gab. Anstelle von Schätzen kamen sie jedoch mit gefangenen Einheimischen zurück, die sie später als Sklaven verkauften, um der Familie ein gesichertes Einkommen zu verschaffen. Später stellte da Silva sich auch einen eigenen Verbund von Bandeirantes zusammen. Außerdem fand er 1725 Gold im Rio Vermelho. (Wikipedia, Bartolomeu Bueno da Silva, 12.02.2021)

2. Problematik und Kritik

2.1. Problematik der Verherrlichung der Bandeirantes und des Rassismus in Brasilien

Während die Statuen der Bandeirantes die Idee eines Heldentums verkörpern und sie als solche verehrt werden, entgeht dem Großteil der Bevölkerung die eigentliche Problematik, die sich hinter dem Monument und den Statuen verbirgt.
Dahinter steht nämlich eine totale Verherrlichung der Taten der Bandeirantes während der Kolonisierung Brasiliens, indem die Vergehen, die sie neben ihren „Heldentaten“ noch verübten, gänzlich außer Acht gelassen werden.
In Anbetracht des Monumentes wird es ebenfalls so dargestellt, als hätten bei diesen Expeditionen alle zusammengearbeitet, was in Teilen vermutlich stimmt. Jedoch sei zum einen zu hinterfragen, ob die Sklaven, Afrikaner und Indigenen diese Arbeiten wirklich freiwillig verrichtet haben, und zum anderen kritisch zu betrachten, dass das Image von Pfadfindern und nationaler Integration noch immer über das Leid und das Vergessen von indigenen Minderheiten gestellt wird. (Palácio das Artes 50, O que fazer com as estátuas de Bandeirantes?, 2020)
Auch bei aktuellen Recherchen im Internet stößt man weiterhin auf verherrlichende Aussagen in Bezug auf das Monument, wie das folgende Beispiel verdeutlichen soll (Equestrian Statues, Monumento Bandeirantes, K.A.).

„The monument pays tribute to the bandeirantes and reflects the diversity for which Brazil is so well known, depicting Portuguese settlers alongside black and indigenous men and women, working together to pull the canoe, a familiar scene in their ubiquitous river expeditions“. (ebd.)

Der identitätsstiftende Mythos und die „Heldentaten“ sind immer noch sehr präsent, die negativen Aspekte finden keine Erwähnung. Auch zukünftig wird vermutlich, dank der Politik des rechtsgerichteten Präsidenten Brasiliens, keine Aufklärung diesbezüglich gefördert. Jener äußerte sich einmal wie folgt:

„Wir sind ein gemischtes Volk, das ist die Essenz des Brasilianers, die uns die Sympathie der Welt eingebracht hat. Einige wollen sie aber zerstören und an ihre Stelle den Konflikt, die Ablehnung, den Hass und die Spaltung zwischen den Rassen setzen, immer getarnt als Kampf für Gleichheit oder soziale Gerechtigkeit“. (ZEIT Online, Jair Bolsonaro warnt vor Spaltung durch Antirassismusdemos, 21.11.2020).

Diese Aussage wurde nicht konkret in Zusammenhang mit den Monumenten getätigt. Dennoch kann man daraus entnehmen, dass er die Position vertritt, es gäbe keinen Rassismus in Brasilien, keine Ungleichheit oder unterschiedliche Behandlung. Dies ist einerseits nicht korrekt, andererseits unterstützt er mit dieser Position die dem Monument zugeschriebene Bedeutung des friedlichen Zusammenlebens und Arbeitens von Völkern. Und das obwohl es indigenen und Schwarzen Bevölkerungsgruppen bewiesenermaßen in Brasilien schlechter geht als Weißen. (DW, Brasiliens ganz eigener Rassismus, 11.12.2019)
Kritik kommt aus vielen Richtungen, weshalb die aufgeführten Monumente und Statuen mehrfach Teil diverser Protestaktionen waren.

2.2. Intervention im Jahr 2013

Am 9. Februar 2013 kam es erstmals zur Besprühung des Monumento às Bandeiras durch Demonstranten, welche an dem Protestzug der indigenen Bevölkerung teilnahmen. An verschiedenen Stellen war in roter Farbe der Schriftzug „Bandeirantes assasinos“ zu lesen, wobei „assasinos“ für Mörder steht. (G1.globo, Manifestantes jogam tinta e picham o Monumento às Bandeiras, 02.10.2013)
Die Demonstrationen und Proteste der indigenen Bevölkerung richteten sich gegen die Verfassungsänderung PEC 215, die sowohl von indigenen Völkern als auch von Nichtregierungsorganisationen kritisiert wird. Diese nimmt der Bundesregierung die Autonomie, Gebiete für Indigene, unter anderem Quilombolas, und Umweltschutzzonen auszuweisen.
Mehrmals wurde gegen die PEC protestiert (sogar von Umweltorganisationen): Dabei wurden unter anderem Straßen blockiert oder es fanden Proteste vor der Abgeordnetenkammer statt. Am 27.10.15 haben 21 Abgeordnete eines Ausschusses des brasilianischen Unterhauses den Verfassungsänderungsvorschlag einstimmig angenommen. (blog.wwf, PEC 215: Schwarzer Tag für die Indigenen — und die Natur Brasiliens, 28.10.2015)

2.3. Intervention im Jahr 2016

Des Weiteren wurden am 30.09.2016 das Monumento às Bandeiras und die Statue von Borba Gato (in Santo Amaro) in verschiedenen bunten Farben besprüht. Außerdem lagen Eierschalen mit Farbresten um die Statue Borba Gato herum. Die Handlungen wurden als Vandalismus deklariert, ohne dass die Regierung die Motive hinterfragte. Die Resonanz dieser Protestaktion war nicht ausschließlich positiv. Beispielsweise äußerte sich das Victor Brecheret Institut wie folgt: “Es ist ein begangener Gewaltakt gegen eines der wichtigsten künstlerischen Werke des Landes. Das Monumento às Bandeiras gehört dem Volk. Als Symbol muss es respektiert und seine Erhaltung von uns allen garantiert werden.” (Folha de S.Paulo, Estátua do Borba Gato e Monumento às Bandeiras são ’pichados’ em SP, 30.09.2016, übersetzt von AutorInnen: ”É uma violência cometida contra uma das mais importantes obras artísticas do país. O Monumento às Bandeiras pertence ao povo brasileiro. Como símbolo, deve ser respeitado e sua preservação garantida por todos nós.”)
Darüber hinaus warnt der Politikwissenschaftler Jaime Matsés davor, dass es heute im Amazonas und in Jaragua keine Bandeirantes mehr gebe, jedoch nach wie vor Menschen in den gleichen Funktionen. “Nichts hat sich geändert. Wir leben, weil wir der Rest von denen sind, die sie nicht getötet haben.”(Tab Uol, Estátua do Borba Gato: como lidar com monumentos polêmicos do passado, 10.06.2020, übersetzt von AutorInnen: Não mudou nada. Estamos vivos, pois somos o resto do que não mataram.”) Dies verdeutlicht, dass es noch immer Menschen gibt, die heute ähnliche Absichten verfolgen wie damals die Bandeirantes. Menschen, die die brasilianische Gesellschaft spalten und den Rassismus, einschließlich der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung, fördern.

3. Analyse der Aktivistengruppe Grupo de Ação

3.1. Arbeit der Aktivistengruppe Grupo de Ação

Eine Aktivistengruppe, die sich gegen diese Absichten ausspricht, nennt sich Grupo de Ação und existiert seit etwa dem Beginn der Pandemie im Mai 2020. Sie hat sich online gegründet und vereint etwa 150 Mitglieder aus São Paulo, Rio de Janeiro und Porto Alegre. (G1.globo, Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP, 27.10.2020) Bekannte Mitglieder der Gruppe sind die Künstlerin Dora Longo Bahia, der Videokünstler Junae Andreazza und der Philosoph Vladimir Safatle. Sie sehen sich nach eigenen Aussagen als “a supra-party and anti-capitalist alliance formed by activists, students, teachers, artists, workers in the law, health, communication and other areas, united in the fight against the fascist extermination of the Brazilian people and for the construction of a common future” (Dora Longo Bahia, 11.06.2021). Man kann das Agieren der Gruppe als antirassistisch einstufen, da sie die rassistischen Zustände innerhalb Brasiliens nicht “hinnehmen”, sondern gegen ebenjene rassistische Haltung der Regierenden protestiert.

„In the face of the racist, genocidal character of the ideology of so-called „racial democracy,“ it would be irresponsible to fail to expose and roundly denounce the social structure supposedly based on it. To be silent would be to give tacit approval to the exploitation and destruction of one race by another through dissimulated but systematic oppression and racial arrogance. It would be to condone genocide: a criminal act which perpetuates an unjust society totally iniquitous to Blacks and native Indians in Brazil“. (Nascimiento, 1989, 90).

Ihre Proteste verdeutlichen, dass sie sich weigern, diese Form der Unterdrückung zu dulden. Die erste Protestaktion richtete sich gegen die Bolsonaro-Regierung, vor allem in Gedenken an die 100.000 Opfer des Covid-19-Virus. Seitens der Regierung wurde zum einen kaum Anteil genommen, zum anderen wurde die Existenz und Dringlichkeit der Bekämpfung des Virus nahezu geleugnet. Wie den Social-Media-Kanälen der Gruppe und der Gruppenmitglieder zu entnehmen ist, richten sich auch sonstige von ihnen initiierte Protestaktionen gegen die Regierung Brasiliens. Zumeist handelt es sich hierbei um öffentliche Demonstrationen mit Bannern auf denen “Fora Bolsonaro”, “Estado Genocida” oder “Neoliberalismo + Facismo = Genocido”, übersetzt “Raus mit Bolsonaro”, “Völkermord-Staat” oder “Neoliberalismus + Faschismus = Völkermord”, zu lesen ist. (Instagram, Grupo de Ação, 19.06.2021).

3.2. Intervention im Oktober 2020

All dies lässt sich auch bei einer weiteren Aktion im Oktober 2020 beobachten, jedoch sticht diese Aktion aus allen anderen hervor. Es handelt sich hierbei um eine Intervention, bei der Totenschädel vor das Monumento às Bandeiras und die Statuen “Borba Gato”, “Bartolomeou Bueno da Silva”, “Pedro Álvarez Cabral” und weiteren Statuen platziert wurden. Ein Mitglied der Gruppe besorgte die Totenschädel aus dem Müll einer Sambaschule, die bereits bei vorherigen Karnevalsumzügen verwendet wurden. Junae Andreazza hatte die Idee, die Schädel vor die Statue des Militärkommandos der Armee im Stadtteil Paraíso zu legen und davon ein Foto zu machen. (G1.globo, Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP, 27.10.2020) Die Gruppe setzte die Aktion daraufhin mit weiteren Statuen und Denkmälern um, die in Zusammenhang mit dem Tod in Brasilien stehen. Die Schädel “were used to associate the Bolsonaro government’s genocide with the recurrent massacre of indigenous peoples and the black population in Brazil” (Dora Longo Bahia, 11.06.2021). An dieser Stelle wird von Völkermord gesprochen, da durch die nachlässige Bekämpfung der Pandemie, die generell starke Polizeigewalt und die noch immer stattfindenden Massakern an indigenen Bevölkerungsgruppen die indigene und schwarze Bevölkerung in Brasilien besonders stark betroffen ist. Die Idee der Gruppe war es, den Monumenten eine neue Bedeutung zu geben ohne sie zu zerstören; sie also in Frage zu stellen, da sie zuvor lediglich die Idee eines Helden verkörpert haben. (G1.globo, Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP, 27.10.2020) Junae Andreazza sagt weiterhin:

„Wir wollen keinen Verfall, wir wollen eine Neudefinition. Wir haben ein Bild gemacht und wollten ihm eine andere Bedeutung geben. […] Borba Gato war einer der größten Mörder unseres Volkes, die wir je gekannt haben. Der Schädel, selbst mit diesem allegorischen Ding, das aus dem Karneval stammt, versucht, der Geschichte eine neue Bedeutung zu geben“ (G1.globo, Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP, 27.10.2020, übersetzt von AutorInnen: „A gente não quer a deterioração, queremos a ressignificação. Fizemos uma foto e queríamos dar um outro significado. […] Borba Gato foi um dos maiores assassinos que a gente já conheceu do nosso povo. A caveira até por ter essa coisa alegórica que veio do carnaval tenta ressignificar a história“).

Die Bevölkerung reagierte positiv auf die Intervention und konnte sie verstehen. Nach Mignolo entstehe Dekolonialität dann, ”wenn die Akteur_innen, die rassisierte Sprachen und ihrer Menschlichkeit beraubte Subjektivitäten bewohnen, ein Bewusstsein der Auswirkungen der Kolonialität von Sein und Wissen erlangen”. (Mignolo, 2012, 188) Insofern kann auch die Aktion als dekolonial eingestuft werden. Sie verhalf nicht nur den Akteuren und Akteurinnen aufgrund ihrer Recherche, sondern auch der gesamten Bevölkerung zu einem neuen Bewusstsein über ihre eigene Historie. Andreazza sprach davon, dass den Passanten die Geschichte der Pioniere zum Teil bekannt war, sie nach Fotos fragten und die Aktion kommentierten. Außerdem wurden sie durch diese Intervention dazu inspiriert, ähnliche Ereignisse in anderen Städten fortzusetzen. Die Gruppe selbst beabsichtigte jedoch nicht, die Intervention auszudehnen, wenngleich sie die Auswirkungen, vor allem die massive Verbreitung der Fotos und Videos im Netz, überrascht habe. (G1.globo, Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP, 27.10.2020).
Nach eigenen Aussagen ordnet die Gruppe ihre Aktion als hauptsächlich politisch ein, was für sie auch die Überprüfung der offiziellen Geschichtsschreibung im heutigen Brasilien einschließt. Denn die Darstellung jener Pioniere als Helden sei mitverantwortlich für die Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen und rassistischen und sexistischen Vorurteilen innerhalb der Bevölkerung. (Dora Longo Bahia, 11.06.2021) Dennoch kann diese Intervention als antirassistisch und dekolonial verstanden werden. Sie ermöglicht den Menschen Zugang zu neuem Wissen durch Aufklärung und lenkt die Aufmerksamkeit auf gesellschaftliche Probleme wie Rassismus und auf die Verherrlichung der in der Vergangenheit verübten Gräueltaten. Sie wollen jeglichen Ausschluss verhindern und gehen dagegen vor, dass Weiße sich über jene Gruppen stellen, die damals bereits leiden mussten. Nach Hall entstehen rassistische Ideologien dann, “wenn die Produktion von Bedeutungen mit Machtstrategien verknüpft sind und diese dazu dienen, bestimmte Gruppen vom Zugang zu kulturellen und symbolischen Ressourcen auszuschließen” (Hall, 2000, 7). Durch die genannte Aktion und die stattfindende Aufklärung erhält die Bevölkerung einen Zugang zu korrektem historischem Wissen als kulturelle Ressource. Darüber hinaus sei Rassismus Halls Ansicht nach dort am stärksten, wo Menschen verschiedener “Rassen” innerhalb derselben Gesellschaft zusammenleben (Hall, 2000, 7). Die falsche Darstellung des Zusammenlebens in der brasilianischen Gesellschaft und der Machtausübung der Regierung, die die Monumente und ihre Bedeutung prägen, verdeutlicht den vorherrschenden und anhaltenden Rassismus in Brasilien. Dies lässt derartige Interventionen, wie ebenjene, die im Oktober 2020 von der Grupo de Ação initiiert wurde, umso bedeutender erscheinen.

4. Literaturverzeichnis

Hall, Stuart. Rassismus als ideologischer Diskurs. In: Theorien über Rassismus, hrsg. V. Räthzel, Nora, Argument Verlag Hamburg 2000, S. 7.

Interview. 11.06.2021. Dora Longo Bahia, Künstlerin und Aktivistin der Grupo de Ação.

Mignolo, Walter D. Epistemischer Ungehorsam. Rhetorik der Moderne, Logik der Kolonialität und Grammatik der Dekolonialität, Verlag Turia + Kant 2012, S. 188.

Nascimiento, Abdias. 1989. Genocide: The Social Lynching of Africans and their Descendants in Brazil. En: Brazil, Mixture or Massacre? Essays in the Genocide of a Black People, Dover: Majority Press, 57-90.

5. Internetquellen

Bolsonaro, Jair. 21.11.2020. Jair Bolsonaro warnt vor Spaltung durch Antirassismusdemos. https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-11/brasilien-proteste-rassismus-jair-bolsonaro. Letzter Zugriff am 29.06.2021.

Cardoso, Bruna. 07.05.2021. Monumento às Bandeiras: Conheça o significado por tras da obra que homenageia aos bandeirantes. http://recreio.uol.com.br/mapa-mundi/monumento-as-bandeiras-homenagem-aos-bandeirantes.phtml. Letzter Zugriff am 28.06.2021.

Cymbalista, Renato. 14.07.2020. What to do with the bandeirantes. A challenged monument in São Paulo, Brazil. https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/13604813.2020.1784583. Letzter Zugriff am 28.06.2021.

Eisele, Ines. 11.12.2019. Brasiliens ganz eigener Rassismus. https://www.dw.com/de/brasiliens-ganz-eigener-rassismus/a-51604695. Letzter Zugriff am 29.06.2021.

Grupo de Ação. https://www.instagram.com/grupodeacao_/ Letzter Zugriff am 29.06.2021.

Maldonado, Roberto. 28.10.2015. PEC 215: Schwarzer Tag für die Indigenen — und die Natur Brasiliens. https://blog.wwf.de/pec-215-ein-schwarzer-tag-fuer-brasilien/. Letzter Zugriff am 03.07.2021.

Mora, Marcelo. 02.10.2013. Manifestantes jogam tinta e picham o Monumento às Bandeiras. http://g1.globo.com/sao-paulo/noticia/2013/10/manifestantes-jogam-tinta-vermelha-no-monumento-bandeiras.html. Letzter Zugriff am
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Muniz Vieira, Bárbara. 27.10.2020. Crânios são colocados ao lado de monumentos de bandeirantes para ressignificar história de SP. https://g1.globo.com/sp/sao-paulo/noticia/2020/10/27/cranios-sao-colocados-ao-lado-de-monumentos-de-bandeirantes-para-ressignificar-historia-de-sp.ghtml Letzter Zugriff am 29.06.2021.

Nunes, Brunella. 10.06.2020. Estátua do Borba Gato: como lidar com monumentos polêmicos do passado. https://tab.uol.com.br/noticias/redacao/2020/06/10/derrubar-ou-manter-como-lidar-com-os-monumentos-polemicos-do-passado.htm.Letzter Zugriff am 14.06.2021.

N.N. 12.02.2021. Bartolomeu Bueno da Silva. https://de.wikipedia.org/wiki/Bartolomeu_Bueno_da_Silva. Letzter Zugriff am 29.06.2021.

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Oliveira, Regiane. 04.09.2017. ¿Por que nos importamos com símbolos escravagistas dos EUA e ignoramos os do Brasil? https://brasil.elpais.com/brasil/2017/09/02/politica/1504310652_774711.html. Letzter Zugriff am 29.06.2021.

Siarom, Bianca Stephania. 17.08.2020. Borba Gato, quem foi? História, Guerra dos Emboabas e bandeirisimo. https://conhecimentocientifico.r7.com/borba-gato/. Letzter Zugriff am 28.06.2021.

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Ventura, Alexandre. N.D. O que fazer com as estátuas de Bandeirantes? http://fcs.mg.gov.br/o-que-fazer-com-as-estatuas-de-bandeirantes/. Letzter Zugriff am 28.06.2021.

Misak (Popayán, Kolumbien)

Intervention in Popayán: Statue von Sebastián de Belalcázar

Autorschaft: Maryna Korostiienko, Natalie Girod und Maren Klembt (Vermittlerin)
Aktivistische Gruppe: Misak
Statue / Monument: Statue von Sebastián de Belalcázar
Ort (Stadt, Land): Popayán, Kolumbien

Sebastián de Belalcázar

Sebastián de Belalcázar, eigentlicher Familienname Moyano, wurde 1479 oder 1495 in Belalcázar bei Cordoba, Andalusien, geboren und starb 1551 in Cartagena, Kolumbien. Er trug einen entscheidenden Teil dazu bei, die Gebiete der heutigen Staaten Nicaragua, Ecuador und des Südwestens Kolumbiens zu erobern. Bei der 1524 durchgeführten Conquista des heutigen Nicaragua nahm er unter anderem mit dem spanischen Konquistador Francisco Hernández de Córdoba eine wichtige Position ein. Wenige Jahre später, 1532, rüstete er zwei Schiffe auf und schloss sich der Conquista des Inkareiches an. Mit einem Heer aus 150 Soldaten und der Hilfe von verschiedenen indianischen Hilfstruppen, stieß er 1534 nach Norden vor. Belalcázar gründete in der Nähe des heutigen Riobamba, eine Stadt in Ecuador, die Städte Santiago und San Francisco. Santiago bezeichnete das heutige Guayaquil, das an der Pazifikküste gelegen ist. San Francisco wurde später in die Ruinen des zerstörten Quitos, der heutigen Hauptstadt Ecuadors, verlegt. Zwei Jahre später, 1536, stieß Belalcázar weiter in Richtung Norden vor, in das heutige Südwest-Kolumbien. 1537 errichtete Belalcázar die Stadt Popayán und organisierte die Herrschaft über das Umland. Neiva, Cali und Ampudia stammen ebenfalls aus den Stadtgründungen von Sebastian Belalcázar.

Volk Misak

Die Bevölkerung in Kolumbien ist insgesamt sehr unterschiedlich und die Anteile der ethnischen Gruppen variieren stark von Region zu Region. Die Ansiedlung der indigenen ethnischen Gruppen ist ebenfalls nicht gleichmäßig über das Territorium des Landes verteilt. (Vgl. Web Seite Colombia, “Demografía”, 24.11.2020, https://www.colombia.com/colombia-info/informacion-general/demografia/, letzter Zugriff: 21.06.2021)
Die indigene Bevölkerung der Provinz Cauca wird durch mehrere Völker und ihre Organisationen repräsentiert. Einige von diesen Völkern nahmen direkt an dem Ereignis der Intervention der Statue von Sebastián de Belalcázar in Popayán am 16. September 2020 teil. Eine der wichtigsten aktivistischen Bewegungen in Bezug auf den Widerstand ist das Volk der Misak. Zusammen mit einigen anderen Völkern, die später in diesem Blogartikel Erwähnung finden, kämpfen sie für eine Rekonstruktion des historischen Gedächtnisses.
Die Misak sind Nachkommen mehrerer indigener Völker, die in dem Gebiet lebten, das von Belalcázar erobert wurde. Sie sind auch unter dem Namen Guambiano bekannt. Das Volk behielt ihre Muttersprache, mit der sie das Fundament ihrer ethnischen und kulturellen Identität schafften. Die Sprache heißt Wampimisamerawam. Die Misak sind zweisprachig, indem sie sowohl Spanisch sprechen als auch ihre Muttersprache, die mehr als die Hälfte der Einwohner beherrschen.
In traditionellen Weltanschauungen werden die Misak auch „la gente del agua“ genannt. Die Verwaltungsstruktur dieser indigenen Gruppe basiert auf ihrer Kultur und ihren Gebräuchen: Regionalvertreter und „Taitas“ werden in den „Cabildo“ Rat gewählt.
Der „Cabildo Indigena del Resguardo de Guambia“ ist der politisch und gesetzlich gewählte Vertreter der Misak. Er trägt die Verantwortung für das Volk, besitzt höchste Autorität und vertritt das Misak-Volk nach innen und außen auf politischer und administrativer Ebene. Er vertritt ebenfalls die Misak in Kolumbien, die außerhalb des Reservats leben. Ein weiteres Charakteristikum der Misak ist ihre enge Beziehung zur Landwirtschaft und lokalen Industrie. Sie sind es gewohnt, hauptsächlich von selbst angebauten und gemeinschaftlich hergestellten Gütern zu leben. Da sie selbst weben, spinnen, stricken und färben, tragen sie traditionelle lilafarbene und kornblumenblaue Kostüme.

Völker Nasa und Pijao

Nach Informationen der Webseite der „Organización Nacional Indígena de Colombia“ beteiligten sich neben dem Volk der Misak auch zwei weitere Völker an der Intervention der Statue. Berichten zufolge nahmen mehr als 5000 Gemeindemitglieder der Völker Misak, Nasa und Pijao an dem Sturz teil (Vgl. CRIC, “¡Cayó Conquistador! ¡Indígenas Misak, Nasa y Pijao derriban la estatua de Sebastián de Belalcázar!”, 16.09.2020 https://www.cric-colombia.org/portal/cayo-conquistador-indigenas-misak-nasa-y-pijao-derriban-la-estatua-de-sebastian-de-belalcazar/, letzter Zugriff: 22.06.2021). Das Volk der Nasa, auch bekannt als Paes, ist in der Nähe von Popayán im Südwesten des kolumbianischen Hochlands angesiedelt. Nasa Yuwe, die Muttersprache der Nasa und eine der meistgesprochenen Sprachen in Kolumbien, wird von ungefähr 60.000 Menschen benutzt.
Schon vor Kolumbus bewohnte das Volk der Pijao die zentralen Höhengebiete der kolumbianischen Anden. Ihre soziale Struktur war nicht durch eine strenge Hierarchie gekennzeichnet. Ihre Muttersprache Pijao gilt als ausgestorben. Übrig geblieben sind nur einige Vokabellisten des 20. Jahrhunderts. (Vgl. ONIC,“Pueblos Indígenas de Colombia ”, 06.08.2010, https://www.onic.org.co/pueblos, letzter Zugriff: 19.06.2021).

Die Organisationen zur Bewahrung von Kultur und Identität

Die verschiedenen lokale indigene Völker finden sich in unterschiedlichen Organisationen zusammen. Zunächst ist zu erwähnen, dass die Misak als Volk eine aktive bürgerliche Position einnehmen und sich aktiv am politischen, sozialen und kulturellen Leben der Region und des Landes beteiligen. Sie haben eine eigene Webseite, die „Cabildo Indigena Del Resguardo De Guambía“ heißt. Dort werden die wichtigsten Ereignisse dokumentiert und es wird über verschiedene Projekte informiert.
Der „Consejo Regional Indígena del Cauca“ (CRIC) ist eine Vereinigung von Behörden der indigenen Völker, die die Mehrheit der indigenen und kommunalen Räte des „Departements Cauca“ in Kolumbien umfasst. Er beschäftigt sich mit der Wiederherstellung von Reservatsgebieten und dem Schutz des angestammten Territoriums und des Lebensraums indigener Gemeinschaften. Zudem befasst er sich mit der Veröffentlichung von Gesetzen der indigenen Völker, der Forderung ihrer gerechten Anwendung und dem Schutz der Geschichte, der Sprache und der Bräuche indigener Völker.
Die folgende Organisation ist die „Organización Nacional Indígena de Colombia“. Es ist die Behörde der Regierung, der Justiz, des Rechts und der Vertretung der indigenen Völker Kolumbiens. Sie umfasst wichtige Instanzen wie den Nationalen Kongress (Oberste Regierungsbehörde der indigenen Völker), die Versammlung der Behörden (bestehend aus hochrangigen Beratern) und das indigene Parlament (Entwurf unabhängiger Gesetze auf der Grundlage der indigenen Autonomie).
Die „Organisation Autoridades Indigenas del Sur Occidente“ ist eine Organisation und auch eine kolumbianische politische Partei. Ihre Aktivitäten zielen auf den Schutz indigener Völker ab. Die Organisation hat sich als soziale und politische Bewegung etabliert.

Prozess von Sebastián de Belalcázar

In Rahmen der „Oraganisation Autoridades Indigenas del Sur Occidente“ wurde ein Dokument veröffentlicht, das die Motivation der indigenen Völker detailliert beschreibt, ihren Standpunkt erklärt und im Wesentlichen ihre Aussage präsentiert. Es heißt „Urteil der Nachkommen der Pubenences zu Sebastian de Belalcázar“, der die Geschichte der rassistischen und kolonialen Stimme als El Conquistador de „Popayán“ oder als Eroberer von „Popayán“ beschreibt (Vgl. Comisión de Justicia y Paz, “Comunicado de autoridades indígenas sobre el juicio popular a Sebastián de Belarcázar”, 17.09.2021, https://www.justiciaypazcolombia.com/comunicado-de-autoridades-indigenas-sobre-el-juicio-popular-a-sebastian-de-belarcazar/ letzter Zugriff: 26.06.2021). Der Originaltext ist wie folgt strukturiert: Name der verurteilten Person (der volle Name Belalcázars wird verwendet), Verbrechen, Quellen, begründete Fakten, Deklaration und schließlich das Urteil.
Somit weist das Dokument Anzeichen eines Gerichtsurteils auf, unter anderem einen ausgewogenen Schuldspruch über die festgestellten Tatsachen, die Sebastián de Belálcazar zur Verantwortung ziehen sollen.
Das Datum, an dem dieses Dokument erstellt wurde, sollte ebenfalls beachtet werden. Es war der 25. Juni 2020, genau einen Monat nach dem Tod von George Floyd und einige Monate vor der tatsächlichen Zerstörung der Statue von Sebastián de Belalcázar in Kolumbien. Dies deutet meiner Meinung nach darauf hin, dass der Sturz der Statue keine vorschnelle, emotionale oder aggressive Entscheidung war. Die Liste der Verbrechen, die ihm zugeschrieben werden, ist zu lang und seine Taten sind zu schwerwiegend, um Einzelne herauszuheben.
Der nächste Teil des Dokuments enthält eine Erklärung, in der sie heute, also nach 485 Jahren, Gerechtigkeit für die Erinnerung an den Widerstand fordern. In dem Dokument wird Belalcázar als ein Mann charakterisiert, der aus Gier nach Gold-Nationen zum höchsten demografischen Niedergang der Geschichte führte. Am Ende beschließen sie im Dokument, dass Belalcázar sich aller beschriebenen Verbrechen schuldig gemacht hat und er aus diesem Grund dazu verurteilt ist, als Genozid der Völker in die Weltgeschichte einzugehen. Seine Rolle in der Geschichte muss neu geschrieben werden, was bedeutet, dass komplett überdacht wird, wer er war und was er getan hat (Vgl. Comisión de Justicia y Paz “Comunicado de autoridades indígenas sobre el juicio popular a Sebastián de Belarcázar”, 17.09.2021, https://www.justiciaypazcolombia.com/comunicado-de-autoridades-indigenas-sobre-el-juicio-popular-a-sebastian-de-belarcazar/ letzter Zugriff: 26.06.2021). Sie fordern auch die Regierung dazu auf, Maßnahmen zu ergreifen, um sich von den Folgen zu erholen.

Sturz der Statue

Nach der Ermordung von George Floyd 2020 und den darauffolgenden Black Lives Matter Protesten, entstand eine Welle globaler Solidarisierung, die auch in Kolumbien eine kritische Auseinandersetzung mit kolonialen Denkmäler entfachte und diese in die öffentliche Wahrnehmung rückte. Das in Bronze gegossene Reiterstandbild stellt den spanischen Konquistador Sebastián de Belalcázar dar. Die Statue befand sich seit 1937 bis 2020 an der Spitze des „El Morro del Tulcán“ in Popayán. Im Zuge der spanischen Inquisition gründete Sebastian de Belalcázar im Jahr 1537 die Städte Cali, Pasto und Popayán durch gewaltsame Machtergreifung. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 400-jährigen Bestehen Popayáns, gab die Regierung unter Alfonso López Pumarejo die Belalcázar Statue im Jahr 1937 in Auftrag. Ein Jahr darauf wurde sie dann schlussendlich errichtet. Den Kommentaren aus den sozialen Netzwerken nach zu urteilen, forderte die Misak Ethnie die Schuldsprechung des spanischen Konquistadors Sebastián de Belalcázar, der auf dem Reiterstandbild zu sehen war. Sie fordern Konsequenzen für die gewaltsame Landaneignung, Plünderung und Versklavung durch Belalcázar und bezichtigen ihn des Genozids ihrer Vorfahren.
In einer öffentlichen Meldung der Bewegung AISO (Autoridades Indigenas del Sur Occidente), die sich ebenfalls am Sturz beteiligte, heißt es in der Übersetzung von Emanuele Morciano: „Dieser Sturz ist angesichts unserer kollektiven Erinnerung mit unserem Blut geschrieben, weshalb wir dazu aufgerufen sind, die Geschichte neu zu schreiben und uns von dem Erbe der Kolonialisierung zu befreien.“ (Vgl. ¿Por qué tumbaron la estatua de Sebastián de Belalcázar en Popayán? – El Espectador”, El Espectador, 17.09.2020, https://www.youtube.com/watch?v=JeO1Ah4z2lE, letzter Zugriff: 25.06.2021.). Am 16. September 2020 war es dann soweit.
Die Statue von Belalcázar in Popayán wurde infolge von Protesten indigener Demonstrant*innen der Misak gestürzt und enthauptet. (Vgl. “Colombian Indigenous Groups Topple Statue of Spanish Conqueror”,
teleSUR,17.09.2020, https://www.telesurenglish.net/news/Colombian-Indigenous-Groups-Topple-Statue-of-Spanish-Conqueror-20200917-0010.html, letzter Zugriff: 25.06.2021)
Initiiert wurde der Protest durch die Volksgruppen der Misak, Nasa und Pijao, allerdings schlossen sich die indigenen Volksgruppen der Provinz Cauca der Demonstration ebenfalls an. Der in den sozialen Medien dokumentierte Sturz zeigt, wie die Bronzestatue mit Hilfe von Seilen vom Sockel entfernt wurde.
Der Hügel, auf dem sich die Statue befand, hat für die indigenen Volksgruppen auch eine heilige Bedeutung. „El Morro del Tulcán“ wurde in der präkolumbianischen Zeit erbaut und markiert die durch Vegetation bedeckte Pyramide Popayáns. Die Errichtung lässt sich auf die Zeit zwischen 1600 und 500 v. Chr. datieren. Im Jahre 1950 fanden archäologische Ausgrabungen am Hügel statt, bei denen auch eine Grabstätte am Fuße des „El Morro del Tulcán“ entdeckt wurde. Für die indigenen Stämme der Provinz Cauca ist der Hügel ein heiliger Ort, um ihren Vorfahren zu gedenken und Götter anzubeten.Laut Professorin Myriam Jimeno Santoyo repräsentiert die Skulptur Belaclázars auf dem Hügel „El Morro del Tulcán“ ein koloniales Symbol, das eine rassistische Haltung vertritt und legitimiert (Vgl. Liliana Matos Zaidiza, “Misak Indians and the ancestral right to historic memory”, Universidad Nacional de Colombia, 09.10.2020, http://unperiodico.unal.edu.co/pages/detail/misak-indians-and-the-ancestral-right-to-historic-memory/, letzter Zugriff: 25.06.2021). Die Senatorin der indigenen MAIS-Partei, Feliciano Valencia, beschreibt den Sturz der Skulptur auch als Sturz eines kolonialen Symbols, das die 500-jährige Unterdrückung und Herrschaft über die indigenen Völker kennzeichnet (Vgl. Colombian Indigenous Groups Topple Statue of Spanish Conqueror”,
teleSUR,17.09.2020, https://www.telesurenglish.net/news/Colombian-Indigenous-Groups-Topple-Statue-of-Spanish-Conqueror-20200917-0010.html, letzter Zugriff: 25.06.2021). Nach Aussagen der Universidad Nacional de Colombia im Oktober 2020, wurde mit Vertretern der indigenen Gemeinschaft und der kolumbianischen Regierung eine Vereinbarung getroffen, die den Misak das territoriale Ahnenrecht des „El Morro del Tulcán“ zuspricht und somit den Wiederaufbau des Reiterstandbilds von Belalcázar verhindert (Vgl. Liliana Matos Zaidiza, “Misak Indians and the ancestral right to historic memory”, Universidad Nacional de Colombia, 09.10.2020, http://unperiodico.unal.edu.co/pages/detail/misak-indians-and-the-ancestral-right-to-historic-memory/, letzter Zugriff: 25.06.2021) .Der Sturz der Statue war kein „belangloser Vandalismus“, sondern ein Zeichen gegen den Rassismus und für die Rechte der indigenen Volksgruppen.

Betrachtung der Intervention als feministische Bewegung

Das Denkmal für den Gründer der Landeshauptstadt wurde in Bogotá von Misak und Frauen-Mestize aus Bakata abgerissen. Übersetzt aus dem Spanischen hat es ein Aktivist wie folgt kommentiert: „Was wir gerade zusammen mit den Mestize Frauen aus Bakata […] getan haben, ist Reinigung, spirituelle Heilung, der Sturz des Mörders und Vergewaltigers Nummer eins hier in Bogotá“. (Vgl. El Pais, “Estatua de Gonzalo Jiménez de Quesada en Bogotá fue derribada por indígenas Misak”, 07.05.2021, https://www.elpais.com.co/ultimo-minuto/estatua-de-gonzalo-jimenez-de-quesada-en-bogota-fue-derribada-por-indigenas-misak.html, letzter Zugriff: 25.06.2021)
Die Stellung der Frau in Lateinamerika wird noch heute durch den historischen Kontext bestimmt. Die Kolonialisten brachten ihre derzeitigen europäischen Traditionen der Familie und der katholischen Religion mit, die auf dem Patriarchat beruhten. In diesen wurde dem Mann die Hauptrolle zugesprochen, die Frau besaß bedeutend weniger Rechte. Nach diesem üblichen System wurden auch die Kolonien angepasst. Nun ist ein Umdenken in vielen Lebensbereichen erforderlich. Die Intervention des Denkmals korreliert auch mit dem vierten Prinzip der lateinamerikanischen Feminismustheorie nach Ofelia Schutte, nämlich der Zentralität einer transformativen, dekolonisierenden Praxis im kulturellen Bereich. Das patriarchale System beeinflusst die Verteilung des materiellen Reichtums stark und führt zu deren Konzentration. Dies wird verstärkt, wenn andere Diskriminierungsmechanismen vorhanden sind.
Nach der Theorie der Intersektionalität interagieren unterschiedliche Formen oder Systeme von Unterdrückung, Herrschaft und Diskriminierung miteinander, sie ergänzen sich. Diese Theorie betrachtet jede Form der Unterdrückung nicht einzeln, sondern in Kombination. Intersektionalität beschreibt die Idee, dass bei der Überlagerung oder Kombination verschiedener Diskriminierungsfaktoren nicht nur allein die Summe entsteht, sondern eine Art Synergieeffekt. (Vgl. Nina Degele / Gabriele Winker, “Intersektionalität als Mehrebenenanalyse”, 01.07.2007, https://gabriele-winker.de/pdf/Intersektionalitaet_Mehrebenen.pdf, letzter Zugriff: 22.06.2021).
Eine anschauliche statistische Visualisierung wurde von der Heinrich-Böll-Stiftung erstellt, in der zu erkennen ist, dass die lateinamerikanischen Frauen, die weder Schwarz noch indigen sind, einen kleineren Anteil der in Armut und extremer Armut lebenden Frauen ausmachen. Aus dem Schaubild ergibt sich, dass 17,8% der indigenen Frauen in Lateinamerika in extremer Armut und 49,3% in Armut leben.
Betrachtung der Intervention als dekoloniale und antirassistische Bewegung
Als 1940 das Denkmal Belacázars auf dem „Morro del Tulcán“ errichtet wurde, wurde damit ein Symbol der kolonialen Wirklichkeit geschaffen. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat solche Vorkommnisse mit dem Begriff der “Symbolischen Gewalt” bezeichnet (Vgl. Springer, “Symbolische Gewalt”, Stephan Moebius und Angelika Wetterer, 2021, https://link.springer.com/article/10.1007/s11614-011-0006-2, 01.12.2011 letzter Zugriff: 22.06.2021). Mit der Installation des Denkmals erschufen die örtlichen Behörden die Vision eines respektablen Kolonisten aus Europa auf einem schönen Pferd, das mit Reichtum, Wohlstand und einem vorbildlichen Bürger in Verbindung gebracht werden sollte. Sie wollten, dass jeder zu diesem Vorbild aufschaut und es mit sich selbst in Verbindung bringt. Ein weiterer wichtiger Teil der Aktivitäten der Misak ist es, einen konstruktiven Dialog mit der Regierung aufzubauen. Es gibt aber auch Personen, die solche Interventionen von Statuen als Aggression oder Vandalismus bezeichnen.
Wer die Denkmäler als reine Kunstwerke betrachtet und ihre Abschaffung nur negativ bewertet, sieht darin offensichtlich Schönheit und Wertigkeit. Die Ministerin Carmen Vásquez zum Beispiel kommentiert die Situation auf folgende Weise: „Das Kulturministerium bedauert, als Leitungsamt der öffentlichen Ordnung zum Schutz und zur Erhaltung des materiellen und immateriellen Erbes unseres Landes, die Gewaltakte gegen die Statue von Sebastián de Belalcázar in der Stadt Popayán und weist sie zurück“ (vgl. El Universal, „Ministerio de Cultura rechaza derribo de estatua de Belalcázar”, 17.09.2020,
https://www.eluniversal.com.co/colombia/ministerio-de-cultura-rechaza-derribo-de-estatua-de-belalcazar-FI3497061, letzter Zugriff: 26.06.2021). Die Ministerin besteht darauf, dass historische Denkmäler das Erbe der gesamten Gesellschaft sind. Sie rief zu friedlichen Demonstrationen auf, ohne dabei das kulturelle Erbe der Nation zu beschädigen. Bei einem solchen Beispiel könnte man vermuten, dass die wahren Gründe für die Proteste und die Motivation dahinter von den Behördenvertretern absichtlich verzerrt werden.
Um dem Abriss des Denkmals ohne Bedauern zuzustimmen, muss erst die dunkle und nicht wahrhaft dargestellte Vergangenheit, die dahintersteht und die es symbolisiert, erkannt und akzeptiert werden. Somit ist der Zweck dieses Protests viel tiefgründiger und zielt nicht nur darauf ab, dieses Denkmal abzureißen und zu vergessen. Ziel der Intervention ist die Aberkennung des unter kolonialer Perspektive entstandenen, sich in Stein widerspiegelnden und verewigten Verständnisses der Vergangenheit.
Die Interpretation der Wirklichkeit, die sich in diesem Denkmal widerspiegelt, beleuchtet nur bestimmte Seiten der Geschichte und erfreut vor allem die Menschen, die es errichtet haben. Sie gründeten neue Städte an Orten, wo bereits Städte existierten, zeichneten dafür ihre Helden aus und errichteten ihnen Denkmäler. Die Installation dieses Denkmals artikuliert eine einseitige Vision der Geschichte, eine koloniale Vision. Gleichzeitig werden dabei einige Tatsachen ignoriert, die ihnen weniger wichtig erschienen: Dazu zählen Völkermord, Invasion in das Leben anderer, Landnahme, Ausbeutung der menschlichen Arbeitskräfte und viele andere Handlungen, die nach unserem Verständnis die Menschengrundrechte brechen. Das Recht eines Volkes auf Souveranität, das Recht auf das eigene Territorium und auf sprachliche und kulturelle Selbstbestimmung wurden missachtet. Heute, hunderte von Jahren später, kämpfen die Nachfahren dieser Völker, die der Unterdrückung, der Grausamkeit und der Zerstörung ausgesetzt waren, dafür, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Neue Generationen, für die die alten Ideologien keine Rolle mehr spielen und die über viele digitale Informationsquellen verfügen, bewerten die Situation neu. Ziel ist es, die Geschichte ihrer angestammten Territorien zu rekonstruieren. Dieses Ziel verfolgen sie unter anderem mit Hilfe der Intervention solcher symbolischer Botschaften aus der Vergangenheit.
Zu diesem Fakt hat Edwar Álvarez Vacca, Mitglied des Koordinierungsteams für die Verteidigung der Rechte, einen interessanten Gedanken geäußert, aus dem Spanischen übersetzt: „[…] die neue Staatsbürgerschaft in Kolumbien, genannt Generation Z, ist bereit mit ihren Handys und ihrem jugendlichen Geist zu kämpfen, damit die Geschichte rekonstruiert wird, sie sind junge Leute ohne Ideologien […] aus allen Rassen und Kulturen des Landes.“ (Vgl. ONIC, “Descolonizando la historia”, 13.05.2021, https://www.onic.org.co/comunicados-de-otros-sectores/4265-descolonizando-la-historia, letzter Zugriff: 27.06.2021).

Radio Kurruf (Temuco, Chile)

Mapuche in Temuco
Zur Darstellung des Lebens der Mapuche in Temuco
anhand des „Monumento a la Araucanía“ und „Radio Kurruf“

Autorschaft: Camilo Peña und Michaela Grace Gebhardt
Aktivistische Gruppe: Radio Kurruf
Statue / Monument: Statuen verschiedener “Eroberer” Chiles in Temuco (Plaza de Armas)
Ort (Stadt, Land): Temuco, Chile

In diesem Artikel soll es um die Mapuche gehen, ein indigenes Volk, beheimatet in Zentral- und Südchile, aber auch in Teilen des angrenzenden Argentiniens, das mit etwa 1,5 Mio. Mitgliedern die größte und umfangreichste Minderheit Chiles darstellt. Der Fokus liegt hier vor allem auf den Mapuche in und um Temuco. Die Stadt gilt als das Zentrum der Mapuche und hat ihren Namen dem Mapudungun, der Sprache der Mapuche, zu verdanken. Anhand der Vorstellung des „Monumento a la Araucanía“ und des „Radio Kurrufs“ sollen aktuelle Einblicke in das Leben der Mapuche gegeben werden.

Monumento a la Araucanía

Das Monument, um das es sich im Folgenden handelt, befindet sich inmitten des Plaza Aníbal Pinto in der Stadt Temuco, umgangssprachlich auch Plaza de Armas genannt, also übersetzt „Platz der Waffen“. Es ist eine gemeinsame Kreation des Bildhauers und Malers Guillermo Merino Pedrero und José Troncoso Cuevas, ebenfalls Bildhauer. Am 3. November 1987 wurde es auf Antrag der Stadt Temuco und auf Anordnung des Stadtrats geschaffen. Es handelt sich hierbei um ein Ensemble an Skulpturen; fünf verschiedene Bestandteile, die zusammengesetzt
ein Ganzes ergeben. Alle Bestandteile bzw. Figuren stellen einen wichtigen Vertreter unverwechselbaren Charakters aus verschiedenen Momenten der Besiedlung der Region Araucanía, dessen Hauptstadt Temuco ist, dar. Die ästhetische Aufteilung des Werks basiert auf der kosmogonischen Ordnung der Mapuche-Kultur, also ihren Vorstellungen von der Entstehung und Entwicklung der Welt. Die Bezeichnung „Mapuche“ selbst bedeutet auf Mapudungun „Menschen der Erde.“ (Mapu = Mensch, Che = Erde) Sie sehen in allem Natürlichen göttliches Leben. Diese Eigenbezeichnung impliziert zudem die Einheit und enge Verbindung zum Land, als wichtige Komponente der kollektiven Identität des Mapuche-Volkes. Einerseits dient es dem Lebensunterhalt, andererseits wird es als Land der Ahnen geschätzt, zu denen sie auch beten und Opfergaben bringen. Die Mapuche achten besonders soziale Bindungen und Verwandtschaft (vgl. Gesellschaft für bedrohte Völker. Mapuche. https://www.gfbv.de/de/informieren/laender-regionen-und-voelker/voelker/mapuche/. Stand: 30.06.2021.) Die besagte kosmogonische Auffassung umfasst die fünf Kardinalzentren, die die strukturelle Ordnung und Bedeutung jedes einzelnen Elements bestimmen, aus denen das Werk besteht. Jedes Element wurde in spiralförmiger Bewegung angeordnet und durch einen geometrischen Schnitt vollendet. Sie befinden sich alle auf einem stufenförmigen Stein. Alle Figuren stehen dabei auf verschiedenen Ebenen. Auf der obersten Stufe und im Zentrum des gesamten Monuments, erhebt sich die „Machi“ trommelschlagend. (vgl. Schaub, Corinna. Amerika21. Friedliches Zusammenleben in der Araucanía? Nur ein Mythos der Sieger. https://amerika21.de/analyse/121078/erinnerung-kultur-chile.06.06.2015.) Sie ist in der Mapuche-Kultur eine traditionelle Heilerin und religiöse Führerin. Durch ihre Position auf der fünften Steinstufe ist sie Hauptverbindungsglied zwischen der menschlichen (auf Mapudungun anka wenu) und der übernatürlichen Welt (wenu mapu). Der toqui „Kallfúlikan“, also Caupolicán, ist eine weitere vertretene Persönlichkeiten. Er steht auf einem Podest, das dem Sonnenaufgang zugewendet ist. Zu Kriegszeiten wurden die Führer von den Mapuche Toqui genannt. Caupolicán war der Mapuche-Führer des Arauco-Krieges. Aus dem Grund ist er in Angriffsposition abgebildet und schwingt mit grimmigem Blick seinen Speer. Diese Position verbildlicht, wie furchtlos, tapfer und mutig er sein Volk verteidigte. Gen Norden schauend wird der Poet „Alonzo de Ercilla“ dargestellt. Er trägt ein Kreuz und ein Pergament, was die Christianisierung Lateinamerikas sowie die Romantisierung der Eroberung und Ausbeutung in der Lyrik dieser Epoche verdeutlichen soll. In Richtung Süden positioniert, befindet sich ein chilenischer Soldat, der auf die militärische Eroberung des Gebiets zum Ende des 19. Jahrhunderts verweist, der „Soldat der Befriedung“ in Ruhestellung. (vgl. Consejo de Monumentos Nacionales de Chile. Monumento a la Araucanía. Ministerio de las Culturas, los Artes y el Patrimonio. Gobierno de Chile https://www.monumentos.gob.cl/monumentos/monumentos-publicos/monumento-araucania. Stand: 30.06.2021). Die fünfte Figur verkörpert den europäischen Siedler, in Richtung der untergehenden Sonne. Er repräsentiert die chilenischen und europäischen Siedler aus Deutschland, England, Frankreich und der Schweiz, die seit 1883 dieses Gebiet besiedelten.
Das Monument ist insofern fragwürdig und umstritten, weil es zum einen vorgibt, mit der Absicht errichtet worden zu sein, für Frieden innerhalb der verschiedenen vertretenen Völker zu stehen und zum anderen den Anschein eines gegenseitigen Bereicherns erweckt, als seien sie verschmolzen. (vgl. Schaub, Corinna. Amerika21. Friedliches Zusammenleben in der Araucanía? Nur ein Mythos der Sieger. https://amerika21.de/analyse/121078/erinnerung-kultur-chile. Stand: 06.06.2015.) Sowohl Spanier als auch Mapuche werden im Monument ausschließlich positiv dargestellt. Sie erscheinen als die Vorfahren aus deren hier friedlich dargestellten Verschmelzung das chilenische Volk entstanden ist. Es erweckt den Eindruck, als hätten die Chilenen nur die besten Eigenschaften beider Völkern abbekommen und wären jetzt die starke „Rasse“. So zumindest deutet es der organisierte Mapuche und Philosoph Vicente Painel. Auch die Position, die so harmonisch und in sich selbst vollkommen scheint, sofern man der oben beschriebenen Deutung glaubt, sieht er wiederum als Zeichen dafür, dass sich die dargestellten Personen lediglich den Rücken zukehren und einander nicht beachten. Painel meint zu erkennen, dass die Künstler des Monuments selbst auch nicht an diesen vorgegebenen Frieden glaubten und die Region Araucanía keinesfalls als Ort eines gleichwertigen, ausgewogenen und interkulturellen Zusammenlebens betrachteten (vgl. Schaub, Corinna. Amerika21. Friedliches Zusammenleben in der Araucanía? Nur ein Mythos der Sieger. https://amerika21.de/analyse/121078/erinnerung-kultur-chile.06.06.2015. Stand: 30.06.2021). Immerhin war der Diktator Augusto Pinochet bei der Einweihung des „Monumento a la Araucanía“ 1990 vertreten. Dieser ist nicht als friedliebender Mensch in Erinnerung geblieben, sondern vielmehr als Tyrann, unter dessen Regime unzählige Andersdenkende ermordet wurden oder spurlos verschwanden. So sorgt dieses Monument, was scheinbar die Mapuche emporhebt und ihnen eine besondere Rolle zuschreibt, dennoch für kontroverse Diskussionen und kann in verschiedene Richtungen gedeutet und interpretiert werden.

Radio Kurruf

Radio Kurruf ist ein Radiosender, der hauptsächlich über das Internet Informationen jeglicher Art verbreitet. Es gibt eine Internetseite, auf der das Programm live mitgehört werden kann, eine App und das Radio ist in den sozialen Netzwerken wie Instagram, Twitter, Facebook und YouTube vertreten. Darüber hinaus teilt der Sender über den Nachrichtendienst Telegramm Informationen. Kurruf ist ein Begriff aus dem Mapudungun, der Sprache der Mapuche, und steht für Wind. Auch der Slogan des Radiosenders „Radio Kurruf“ heißt „la señal del viento“, also wörtlich übersetzt „das Signal des Windes“. Mit dieser bildhaften Sprache laden sie förmlich dazu ein, die benutzte Metapher zu deuten. Aus poetischer Sicht steht Wind oftmals für Stärke, Freiheit, Unaufhaltsamkeit und Beständigkeit; Attribute, mit denen sie sich zu identifizieren scheinen und assoziiert werden wollen (vgl. Dirks 2005, S. 23ff). Die Real Academia definiert Wind als „Corriente de aire producida en la atmósfera por causas naturales, como diferencias de presión o temperatura“. Viele der genannten Wörter lassen weitere Deutungen in Bezug auf die Institution zu. „Corriente“, also Strom, ist stark und kräftig; „aire“, die Luft, ist überlebensnotwendig; „natural“, natürlich und vor allem naturverbunden, sind auch die betroffenen Menschen und „presión“, Druck, ist eine Ursache für die Entstehung von Wind. Druck wurde ebenfalls zu einem Motiv für sie, den Radiosender zu gründen. Gemeint ist der Druck, der durch die Geschehnisse und die Ungerechtigkeit entstand, Transparenz zu schaffen und die Bevölkerung aufzuklären. (vgl. Radio Kurruf. Editorial. https://radiokurruf.org/editorial/.2020. Stand: 30.06.2021) Der Radiosender gilt als alternativ und wird daher vordergründig von interessierten oder betroffenen Menschen gehört und zählt damit nicht zu den traditionellen Kommunikationsmedien in Chile. Wer exakt die Person war, die 2015 den Sender ins Leben rief, ist ungewiss. Sie selbst erklären es so, dass verschiedene Einzelpersonen, die bereits vorher in diversen Bewegungen in Ngülumapu eingebunden waren, die Initiative ergriffen und den Radiosender als Möglichkeit der Kommunikation gründeten. (vgl. Radio Kurruf. Editorial. https://radiokurruf.org/editorial/.2020. Stand: 30.06.2021) Als Ngülumapu wird auf Mapudungun die Region bezeichnet, in der westlich der Anden Mapuche leben. Dies betrifft die neunte Region Chiles, also Araukanien, die ein Zentrum der Mapuche darstellt. (vgl. Zavala Cepeda, José Manuel. Diálogo andino. Economía aurífera, caminos y fuentes en la Araucanía (Ngülimapu) del Siglo XVI: en torno a la informacíon de Martínez Ruíz de Gamboa de 1579. https://www.scielo.cl/scielo.php?script=sci_arttext&pid=S0719-26812020000100027&lang=pt. 13.01.2020.) Unter anderem waren es Dorfbewohner:innen, Arbeiter:innen, Mapuche und Studierende, die an der Gründung beteiligt waren. In den Programmen des Radiosenders berichten sie über verschiedene Ereignisse, bereits vorgefallene oder noch bevorstehende, über aktuelle Situationen im Zusammenhang mit sozialen Forderungen und Beschwerden sowie über die Verteidigung ihrer Territorien. Weiterhin werden unterstützende Worte geteilt, um in Ngülumapu ein aus ihrer Sicht gutes und würdevolles Leben führen zu können. (vgl. Radio Kurruf. Editorial. https://radiokurruf.org/editorial/.2020. Stand: 30.06.2021) Denn tagtäglich ereignen sich in diesen Gebieten Vorfälle von Missbrauch, Unterdrückung, Ausbeutung und Ungerechtigkeit, die von verschiedenen dort ansässigen Gemeinschaften ertragen werden müssen. Da die etablierten bzw. traditionellen Medien Chiles den Aktivist:innen zufolge diese Tatsachen entweder verschweigen oder oftmals falsch darstellen, kommt es zu einer fehlerhaften Auffassung und Fehlinterpretation der dort vorgefallenen Ereignisse durch die breite Bevölkerung. Um die Gesellschaft darüber aufzuklären, wurde der Radiosender geschaffen. Die populären Medien seien in Chile eng mit großen Unternehmen, politischen Parteien, Milliardären und dem Staat verbunden, in denen sie ihre Interessen, Überzeugungen, Ideologien und Macht demonstrieren und für Minderheiten wie die Mapuche keine Unterstützung sind (vgl. Radio Kurruf. Editorial. https://radiokurruf.org/editorial/.2020. Stand: 30.06.2021). Den Aktivist:innen ist allerdings die Bedeutsamkeit von Kommunikation in Bezug auf gesellschaftliche Dynamiken und neue Herrschaftsformen bewusst. Aus diesem Grund gründeten sie dieses Projekt, um für die Probleme, Erfahrungen, Beschwerden und Kampfprozesse der Betroffen in Ngülumapu Raum zu schaffen, um sich auszutauschen, neuen Mut zu fassen und zu Aktivitäten aufzurufen. (vgl. Radio Kurruf. Editorial. https://radiokurruf.org/editorial/.2020. Stand: 30.06.2021)

Beispiele ihrer Arbeit

Ein Beispiel dieser Aufklärungsarbeit zeigt sich im Fall der Ermordung von Macarena Valdés im Jahr 2016. Sie war ebenfalls Aktivistin und Umweltschützerin. Zu Beginn erhielt sie von Beamten der Firma RP Global Drohungen, da sie sich gegen die Installation eines Wasserkraftwerks und der damit verbundenen Infrastruktur widersetzte. Später wurde die junge Frau tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Gutachter und die Polizei kamen zu dem Schluss, dass es sich um Selbstmord gehandelt habe. Als jedoch ein unabhängiges Gutachten erstellt wurde, konnte man diesem entnehmen, dass Dritte an dem Vorfall beteiligt waren. Fälle wie der von Macarena und viele andere wurden lediglich dadurch bekannt, dass Aktivist:innen eine solch starke Haltung bewahrten und Fakten über Webplattformen wie Radio Kurruf verbreiteten. Audio-, Foto- und audiovisuelle Aufzeichnungen sendeten sie an verschiedene Medien der sozialen Kommunikation. Radio Kurruf steht dafür, dass alle dazu beitragen können, die Probleme und Kämpfe der Bewohnenden dieses Territoriums publik zu machen. Somit kann die Gruppe der dahinterstehenden Aktivist:innen nicht genau definiert werden. Jeder Mensch, ob Journalist:in oder nicht, hat die Möglichkeit, Material und Nachrichten zu schicken, um auf weitere Missstände aufmerksam zu machen. Sie plädieren für die Aufrechterhaltung eines Verbreitungsnetzwerks, von dem aus Informationen organisiert und geschrieben werden. Dazu zählen beispielsweise Newsletter, Radioprogramme, Presse- und audiovisuelle Veröffentlichungen, Fotos und Live-Übertragungen. Radio Kurruf ist sich sicher, dass ihre Arbeit gemeinsam mit den Gemeinschaften, die ihre Unterstützung angefordert haben, das Erreichen wichtiger kommunikativer Fortschritte ermöglicht hat. (vgl. Radio Kurruf. Editorial. https://radiokurruf.org/editorial/.2020. Stand: 30.06.2021) Mittlerweile haben sie Verbindungen zu anderen sozialen Kommunikationsmedien hergestellt, die in Wallmapu ansässig sind, also in heutigen chilenischen und argentinischen Gebieten, in denen Mapuche leben und lebten. Auch in Abya Yala, also ganz Lateinamerika, haben sie Verbindungen aufgebaut. Damit sind sie in der „Red de medios de los pueblos“, der „Red de medios libres, autónomos, comunitarios o como se llamen” („Netzwerks freier, autonomer Gemeinschaftsmedien oder wie auch immer sie heißen“) und auf interkontinentaler Ebene im „Anarchy Radio Network“ vertreten. Durch die entstandenen Verknüpfungen mit den genannten organisatorischen Instanzen ist eine Welle der Solidarität aus verschiedenen Teilen der Welt entstanden. Die Informationen aus Ngülumapu werden von verschiedenen Gebieten Lateinamerikas weiter verbreitet und das Radio Kurruf erhält damit Kenntnisse über Kämpfe in verschiedenen Teilen des Kontinents, über die sie dann berichten können. (vgl. Radio Kurruf. Editorial. https://radiokurruf.org/editorial/.2020. Stand: 30.06.2021)
Die Fokussierung auf das „Monumento a la Araucanía“ war insofern wichtig, weil es eins der berühmtesten und kontroversesten Monumente in Bezug auf die Mapuche in Temuco ist. Da aber hinsichtlich des Monuments noch keine Berichte von Aktivist:innen bei Radio Kurruf aufzufinden sind, erfolgt nun die Ausführung einer Reportage des Senders, in der es sich um einen Vorfall an einer anderen Statue handelt.
Am 12. März 2021 meldet Radio Kurruf einen aktuellen Vorfall. Die folgenden Erläuterungen beziehen sich auf die Aussagen ihrer Berichterstattung. Erst am Tag zuvor war die Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin Paulina Acevedo festgenommen worden. Sie berichtete gerade über die Entfernung einer Statue auf der Plaza Dignidad. Ihr Sohn Simón Basilio war in dem Moment bei ihr und fotografierte die Geschehnisse. Auch er wurde festgenommen, aber später wieder frei gelassen. Bei der Statue handelte es sich um eine Abbildung von General Baquedano (Radio Kurruf. Noticias. https://radiokurruf.org/2021/03/12/periodista-y-defensora-de-derechos-humanos-paulina-acevedo-es-detenida-mientras-reporteaba-el-retiro-de-estatua-en-plaza-dignidad/ Stand: 04.07.2021). Baquedano war ein einflussreicher General, der im Salpeterkrieg von 1879 bis 1884 zwischen Chile, Peru und Bolivien, eine tragende Rolle spielte. Unzählige Menschen verloren dabei ihr Leben, unter anderem viele Kindersoldaten, die nie wieder aus dem Krieg nach Hause kamen. Auch am Kampf gegen die indigen Mapuche war Baquedano stets beteiligt und unterstützte zahlreiche Kampagnen dagegen. Er war Teil der „Befriedung Araukanines“ (Goldschmidt, Dafna. Kultur Austausch. Statue des Generals Baquedano. Institut für Auslandsbeziehungen. https://www.zeitschrift-kulturaustausch.de/de/archiv/exclusiv-online/standard-titel/statue-des-generals-baquedano. Stand: 04.07.2021). Als 2019 die Proteste in Chile immer mehr zunahmen und damit die Plaza Italia in Santiago zu einem Treffpunkt vieler Protestbewegungen wurde, wurde sie in „Plaza Dignidad“ umbenannt. Zwar bezogen sich die Aufstände auf unterschiedliche Forderungen, aber neben dem generellen Verlangen nach besseren Lebensbedingungen, ging es grundlegend auch um das Ende der Ungleichheit gegen die Mapuche. Dabei wurde das Monument immer wieder zur Zielscheibe von aktivistischem Vandalismus. Baquedanos wurde dabei wiederholt mit Mapucheflaggen bedeckt oder komplett rot angemalt.
Die ständigen Reinigungen und Wiederinstandsetzungen der Regierung blieben erfolglos.(Goldschmidt, Dafna. Kultur Austausch. Statue des Generals Baquedano. Institut für Auslandsbeziehungen. https://www.zeitschrift-kulturaustausch.de/de/archiv/exclusiv-online/standard-titel/statue-des-generals-baquedano. Stand: 04.07.2021). Immer wieder klagte die Bevölkerung und forderte ein Entfernen der Statue, wogegen sich die Regierung aber vehement wehrte. Als die Statue am 11. März tatsächlich entfernt wurde, war die Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin Paulina Acevedo vor Ort und berichtete in Begleitung ihres Sohnes über das Geschehen. Beide verfügten über einen Presseausweis, um ihrer Arbeit nachzugehen. Paulina Acevedo berichtete über die Pressestelle der Behörden nach der Entfernung der Statue, als sie die Festnahme ihres Sohnes sah, der zu dem Zeitpunkt die Vorkommnisse auf dem Platz fotografierte. Als sie zu dem Polizeiwagen ging, in dem die Festnahme stattfand und nach den Gründen dafür fragte, wurde die Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin ebenfalls festgenommen und ihr professionelles Arbeitsequipment vorenthalten. Artikel 261, „Angriff auf Behörden“, und Artikel 318, „Gefährdung der öffentlichen Gesundheit“, wurden der Journalistin vorgeworfen. Damit kam sie vorerst in Untersuchungshaft (Radio Kurruf. Noticias. https://radiokurruf.org/2021/03/12/periodista-y-defensora-de-derechos-humanos-paulina-acevedo-es-detenida-mientras-reporteaba-el-retiro-de-estatua-en-plaza-dignidad/ Stand: 04.07.2021). Radio Kurruf äußerte sich sofort im Namen des Bürgerobservatorium und des chilenischen Verbands der Nichtregierungsorganisationen Acción AG zu den Ereignissen, indem sie den Angriff aufs Schärfste verurteilen. Gleich am Folgetag berichteten sie über alle Details. Sie argumentieren ebenfalls mit Beweisfotos, die zum einen die Sammelerlaubnis der Journalistin nachweisen und zugleich belegen, dass sie die gesamte Zeit über eine Maske trug. Aus dem Grund empfinden sie die Vorwürfe als unberechtigt und verurteilen den vorgefallenen Verstoß gegen die freie Ausübung des Journalismus und die Meinungsfreiheit zutiefst. Sie hielten es für unmöglich, dass in einem Land, welches doch als demokratisch gilt, Menschenrechtsverteidiger und Journalisten nicht ihr Recht auf Berichterstattung wahrnehmen können. Und das obwohl es sich um ein aktuelles Thema handelt, was für die gesamte Gesellschaft von großem öffentlichem Interesse ist. Abschließend startete Radio Kurruf noch einen Aufruf an die Ordnungs- und Sicherheitskräfte, derartige Missbräuche der Meinungsfreiheit nicht zu wiederholen. Sie erachten es für absolut notwendig diese aufzuhalten und neu zu belehren, damit in Zukunft neue und an die Menschenrechte angepasste Standards herrschen, die befolgt werden. 24 Stunden nach dem Vorfall wurde auch Paulina Acevedo wieder entlassen. (Radio Kurruf. Noticias. https://radiokurruf.org/2021/03/12/periodista-y-defensora-de-derechos-humanos-paulina-acevedo-es-detenida-mientras-reporteaba-el-retiro-de-estatua-en-plaza-dignidad/ Stand: 04.07.2021)

Analyse

Der Radiosender arbeitet mit diversen Informationsmaterialen und rechtlichen Grundlagen. Darauf gründen auch die Aussagen des Senders. Das schafft Transparenz und Glaubwürdigkeit. Dies ist für alle Zuhörer von äußerster Wichtigkeit. Das Nennenswerte an Radio Kurruf ist zudem, dass ihre Art der Demonstration und des Aktivwerdens einer sehr friedliche Aufklärungsarbeit entspricht. Gerade im letzten Beispiel wird deutlich, dass mit ihrer Arbeit vor allem versuchen, gewisse Grundsätze in Frage zu stellen. Gemeint sind damit gesellschaftlich anerkannten Normen und Standards sowie Aktionen der Regierung und des Militärs, bzw. hier z.B. auch des Sicherheitspersonals (vgl. Mignolo 2012, S. 7). Das Verbreiten der Inhalte regt Zuhörer:innen an, aktiv nachzudenken und Dinge in Frage zu stellen. Damit verfolgen und erledigen Sie aufgrund solcher Beispiele gleich mehrere Ziele auf einmal. Sie appellieren zum einen an wichtige Instanzen, machen sich stark und laut und stellen Forderungen. Gleichzeitig erweisen sie sich als offenes Ohr und Identifikationspunkt für weitere Bürger:innen und als Kommunikationsraum für Betroffene. Von daher halte ich die Methode des Senders für sehr gelungen. Wichtig ist zudem, dass sie bei ihrer Arbeit nicht die Würde anderer Menschen missachten oder Sachbeschädigungen vornehmen, wie es in manchen Formen von Protest vorkommt, aber damit den Prinzipien des eigenen antirassistischen Gedankenguts widersprechen würde. (vgl. Rätzhel 2000, S. 7)

Bibliografie
Dirks, Jan. 2005. Das Konzept „Wind“ und seine metaphorische Extension im Koreanischen. Wissenschaftliche Hausarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magister Artium der Universität Hamburg. S. 23ff

Mignolo, Walter D. 2012. Epistemischer Ungehorsam. Rhetorik der Moderne, Logik der Kolonialität und Grammatik der Dekolonialität. turia und Kant. Wien. S. 7

Rätzhel, Nora. 2000. Theorien über Rassismus. Hall, Stuart. Rassismus als ideologischer Diskurs. Argument Verlag. SUB Göttingen. S. 7

Mujeres Creando (La Paz, Bolivien)

Isabella I. – eine chola auf dem Plaza Chola Globalizada?
Mujeres Creando und ihre Kämpfe für ein feministisch-dekoloniales Bolivien

Autorschaft des Beitrags: Pierre Haupt, Tobias Rodat, Victoria Klugmann und Vincent Dietz
Aktivistische Gruppe: Mujeres Creando
Statue / Monument: Statue Isabella I. Plaza de Isabel de Castilla / Plaza de la chola globalizada
Ort (Stadt, Land): La Paz, Bolivien

1. Statue der Isabel la Católica (La Paz, Bolivien) – eine Heldin der Nation?

Die Statue der Isabel la Católica steht auf dem Plaza Isabel la Católica in La Paz, Bolivien. Es handelt sich dabei um den größten Kreisverkehr der Stadt, welcher auch als öffentlicher Platz genutzt wird. Umgeben wird die Statue von angelegten Gärten und großen Bäumen. Sie wurde 1928 errichtet, als Geschenk der spanischen Gemeinschaft an Bolivien. Isabel la Católica ist das Werk des spanischen Bildhauers Jaume Otero (Anonym 2020).
Ausgewählt wurde Isabella I. durch ihre prägnante Persönlichkeit und ihre Präsenz als spanische Königin im 15. Jahrhundert. Isabella bestieg nach dem Tod ihres Bruders Heinrich IV., welcher zuvor über das Reich herrschte, 1474 den Thron Kastiliens. Diesen musste sie sich jedoch in der Schlacht von Toro am 17. März 1476 erkämpfen, da die Tochter Heinrichs IV. Anspruch auf diesen erhob. Ab 1479 regierten Isabella I. und Ferdinand II. schließlich die Königreiche Aragón und Kastilien, jedoch getrennt voneinander (Koch-Kanz o.J).
1486 wand sich der italienische Seefahrer Cristóbal Colón an die kastilische Königin und bat sie um die finanzielle Unterstützung seines Unternehmens. Ziel dessen war es, eine Handelsroute ins abgelegene Indien zu finden, welche unabhängig von Portugal und der deutschen Hanse agieren sollte. Isabella willigte diesem Vorhaben unter vorher festgelegten Bedingungen ein. Zu diesen zählte die Aussicht auf neue Territorien, welche dem spanischen Königreich zugesprochen werden sollten, sowie die Hoffnung auf neue Güter wie Lebensmittel, Gold und Rohstoffe (Beckmann 2019).
1492 entdeckte Cristóbal Colón unter der spanisch-kastilischen Flagge den amerikanischen Kontinent und schaffte damit die Grundlage für die Errichtung des spanischen Kolonialreichs (Beckmann 2019).
In diesem errichteten die Spanier anfangs Stützpunkte auf den karibischen Inseln und breiteten ihre Territorien in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts über weite Teile Mittel- und Südamerikas aus. Dieser Eroberung fielen jedoch auch viele Indigene zum Opfer. Einige steckten sich mit europäischen Krankheiten an, welche ihr Immunsystem nicht bekämpfen konnte, andere wurden im Rahmen des Requerimiento unterworfen und versklavt. Laut Gesetz dienten die Indigenen den spanischen Eroberern aus freiem Willen, in Wirklichkeit aber verhinderte es ihre Unabhängigkeit und die Möglichkeit einer Flucht.
Die Bezeichnung la Católica verdankt Isabella Papst Alexander VI. Dieser bezeichnete Ferdinand II. und Isabella I. 1494 erstmals als “katholische Könige”. Entsprungen ist dieser Titel im Rahmen der Inquisition und dem Alhambra-Edikt von 1492. Im Alhambra-Edikt legte das spanische Königspaar fest, dass alle ansässigen Juden auf dem Herrschaftsgebiet Ferdinands und Isabellas gezwungen seien, entweder dem Christentum beizutreten oder das Land zu verlassen (Koch-Kanz o.J.).

2. Demonstration vom 12.10.2020: Ein Aufruf zum Umdenken

Der 12. Oktober ist in Spanien Nationalfeiertag; Cristobal Colón „entdeckte“ an diesem Tag im Jahre 1492 Amerika. Mithin wird dieser Tag in Bolivien, der auch oftmals als Kolumbustag gerühmt wird, als Feiertag des Kampfes der indigenen Völker (el Día de la Resistencia Indígena) geehrt. In den vergangenen Jahren wurden an diesem Tag immer häufiger Protestaktionen im Inland abgehalten. Dies geschah ebenso am 12.10.2020 in La Paz (Bolívia) durch die feministisch-anarchistisch motivierte, bolivianische Gruppierung Mujeres Creando (Collado 2020).
Im Visier der geplanten Aktion stand hierbei die oben genannte Statue von Isabella I., also die Person, die Kolumbus die finanziellen Mittel bereitstellte, um seine Expeditionen zu finanzieren und um somit eine neue Route nach Indien zu finden (Beckmann 2019).
Zunächst übergoss man den Namen der Statue mit roter Farbe, als Symbol des Blutes und mithin des Schmerzes und Verlustes, um somit auf die vielen Opfer der Kolonialisierung und auf die Herrschaftsverhältnisse während der Kolonialzeit aufmerksam zu machen. Während jener wurde der schmerzvolle Tod vieler Millionen indigener Völkermitglieder durch Akte der Gewalt herbeigeführt. Anschließend bekleidete man das Monument der Isabella I. mit traditioneller, farbenfroher und typischer Kleidung der indigenen „cholas“. Außerdem wurde der Platz durch die feministischen Aktivistinnen von ehemals Plaza Isabel la Católica in Plaza de la chola globalizada umbenannt, um so auf die bis heute noch anhaltende Unterdrückung von und Ungerechtigkeit gegenüber indigenen Frauen in Bolivien aufmerksam zu machen (Beckmann 2019).
Ziel dieser Protestaktion war es, auf die Kolonialisierung sowie ihre bis heute noch andauernden Konsequenzen hinzuweisen, welche durch die Präsenz der Statue von Isabella I. unterstrichen werden.
Dieser Akt des Aufstandes wurde zugleich durch eine Demonstration begleitet, welche mit Sprechchören, wie z.B. mujer escucha une de la lucha, und Plakaten, wie z.B. luchar hoy no significa morir mañana, unterstützt und untermauert wurde.

3. La plaza chola globalizada – doch wer sind die cholas eigentlich?

Als cholas bezeichnet man indigene Frauen oder Frauen einer solchen Abstammung in Bolivien und Peru. Sie kennzeichnen sich besonders durch ihre auffallende Kleidung. Diese besteht aus bis zu 10 Unterröcken und einem Überrock, im Spanischen pollera genannt. Durch diese Stoffmengen erscheint der Körperbau einer chola rundlich und weiblich. Die Röcke selbst unterscheiden sich abhängig von der Region, in der die Frau lebt, und ihrer finanziellen Situation.
Die Inspiration für die Kleider entsprangen nicht dem annehmbaren indigenen Kult, sondern wurden von spanischen Kolonialherren eingeführt (Anonym 2019).
Die cholas “leben” zwischen den kulturellen Räumen der indigenen Bevölkerung und denen der Mestizen. Die Formulierung Mestizen beschreibt in diesem Zusammenhang die Nachfahren von Indigenen und Europäern, welche mit der spanischen Kolonisation nach Südamerika kamen. Unterschieden wird innerhalb der cholas noch einmal in chola-Frauen, welche dem traditionellen Kult angehören und diesen ausleben, und Frauen, welche sich nur dieser Bevölkerungsgruppe angehörig fühlen ohne diese Zugehörigkeit beispielsweise mittels der Kleidung zu zeigen (Rivera Casucanqui 2018, S. 100).

4. Mujeres Creando – Feministinnen einer modernen Zukunft oder bloß radikale Anarchistinnen?

Doch wer sind eigentlich diese mutigen Frauen und Aktivistinnen, die hinter diesem Protest stehen? Sie nennen sich Mujeres Creando.
Mujeres Creando sind eine feministisch-anarchistische Bewegung in Bolivien, die sich oftmals durch eher radikale Aktionen und geplante Vorhaben zeigt und ihre Wurzeln nicht nur in den theoretischen, sondern auch in den lebendigen Zügen des Feminismus einerseits und des Anarchismus andererseits trägt.
Sie gründeten sich 1992 in einem der Viertel der Vororte von La Paz in Bolivien. Ursprünglich trugen sie dabei den Namen Comunidad Creando; jedoch benannten sie sich noch im selben Jahr zu dem bis heute gültigen, hervorstechenden Namen um. Die Gründerinnen waren drei starke, emanzipierte Frauen: Julieta Paredes, María Galindo sowie (in einigen Quellen jedenfalls als weiteres Gründungsmitglied aufgezählt) Monica Mendoza. Im Laufe der Zeit traten somit immer mehr Mitglieder der Gruppierung bei und die Gruppe kann bis heute einen stetigen Zuwachs der Zahl ihrer Mitglieder verzeichnen. Nicht nur in Bolivien selbst, sondern auch in internationalen Zusammenhängen gewinnt die Gruppierung an Bekanntheit, vor allem auch durch die Online- und Medienpräsenz der Mujeres Creando seit den letzten Jahren.
Die Mujeres Creando gründeten sich mit der Absicht, einen antirassistischen Feminismus herauszubilden und diesen im Anschluss fest zu etablieren – in der Gesellschaft, im System des Staates und in den Köpfen der Menschen. Sie engagieren sich weiterhin im Kampf gegen das Patriarchat, ungleich verteilte Machtverhältnisse, das bislang etablierte und als ungerecht, unsozial, diskriminierend und korrupt angesehene Staatssystem als Ganzes und darüber hinaus auch gegen den Militarismus in Politik und Wirtschaft des Inlands. Dies muss in den Zusammenhang gesetzt werden, dass sich die Mujeres Creando in den 80er Jahren gegründet haben, einer Zeit, die von einer „arroganten, totalitären und homophoben Linken Boliviens“ geprägt war. Heterosexualität war die Normalität und galt als das vorherrschende und aufoktroyierte Rollen- und Leitbild innerhalb der Gesellschaft. Feminismus in der Theorie sowie in der Auslebung wurde als etwas verstanden, das die Gesellschaft spalten würde. Es wurde jedoch nicht als etwas verstanden, das die Chance bietet und das Potenzial besäße, die Gesellschaft zu vereinen und die Menschen untereinander gleichzustellen. Die Linke Boliviens war zu jener Zeit auch forthin von einer tiefgründig verwurzelten „unethischen„ als auch „unmoralischen Doppelmoral“ geprägt. So waren diese politischen Funktionäre, besetzt durch zahlenmäßig überwiegend männliche Personen, zwar revolutionär in ihren politischen Aktionen, aber sie waren im Gegensatz dazu im privaten Bereich, also innerhalb ihrer eigenen Familien, nicht nur Hüter, sondern auch Herrscher, nahezu „Diktatoren“ der Familie. (Paredes 2002)
Welche politischen, moralisch-ethischen Positionen vertreten dabei die Mujeres Creando konkret?
Zum einen sind allem voran erst einmal die Leitkonzepte zu erwähnen, aus denen heraus sich die Mujeres Creando gegründet haben und und deren Gültigkeit bis heute andauert. Man spricht hier von den beiden Konzepten der Kreativität und der Viel-falt/Diversität. Kreativität zeigt sich in der künstlerisch-ausdrucksstarken, nullreglementierten Ausübung politischer Aktionen durch die Form der Kunst an sich. Konkret zeigt sie sich in dem Sprühen von Graffitis, in den Straßentheaters, etc. Das Konzept Vielfalt beinhaltet, dass sich keine geschlossenen Parallelgesellschaften innerhalb der Gesellschaft bilden. Mujeres Creando richten sich an jede gesellschaftliche Schicht, unabhängig davon, ob die (zukünftigen) Mitglieder einen speziellen Bildungsstand- oder -standard aufweisen, sich einer bestimmten sexuellen Orientierung zuordnen, sich mit einem bestimmten Geschlecht identifizieren oder sich einer bestimmten Religion zugehörig fühlen. (Anonym 2017)
Zudem appellieren die Mujeres Creando grundsätzlich an die Gesellschaft und im Speziellen an die Frauen, dass es nicht ausreicht „nur eine Frau zu sein“, um somit auch feministisch zu sein. Man kämpfe hier schließlich gegen wirklich weitreichende, tiefgreifende politische Missstände an. Mujeres Creando üben zudem Kritik an Frauen, die zwar vergleichsweise selten eine hohe wirtschaftliche Position im Inland haben wie sie üblicherweise fast ausschließlich Männer haben, die aber eben in und vor allem für eine Wirtschaft arbeiten, die von Männern dominiert ist; Männer, die zumindest nach Überzeugung der Mujeres Creando überwiegend rassistisch, feminophob, faschistoid, etc. sind.
Weiterhin stellen die feministisch-anarchistischen Aktivistinnen den Regierungsapparat als solchen in Frage. So erwarte man in der bolivianischen Gesellschaft einen gesellschaftlichen, sozialen Wandel, einen Ausgleich der bestehenden und teils prekären Armutsverhältnisse, eine Unterstützung der (unterdrückten) Minderheiten sowie eine Gleichberechtigung aller in allen sozialen Ebenen. Doch es war genau dieser soziale Wandel, der wider jeglicher Versprechen seitens der Regierung ausblieb. Darüber hinaus empfindet eine Vielzahl der Aktivistinnen die bestehende politische Verfassung des Landes als herben Rückschlag angesichts eines solchen sozialen Wandels, denn keineswegs haben sich die angesprochenen Problematiken gelöst, sondern sich sogar teils verschlimmert. Julieta Paredes, eine der Gründerinnen der Mujeres Creando, beschreibt den feministischen Aktivismus der Gruppe so, als dass er sich nicht durch ein theoretisches Konzept oder durch die Definition einer Organisation oder eines Lexikons begreifen und fassen lässt. Vielmehr ist er tief verwurzelt in den familiären Geschichten jeder einzelnen bolivianischen Frau der Generationen zuvor, zu deren Ehren und Widergutmachung Feminismus seinen Ursprung und seine treibende Kraft findet. (Paredes 2002; García-Pabón 2003)
Die Hauptaktivitäten der Mujeres Creando spielen sich grundsätzlich im öffentlichen Raum ab (meist in den Straßen der Städte, die für alle zugänglich sind). Die Aktionen sind öffentlich, sodass sie für die gesamte Bevölkerung sichtbar und zugänglich sind. Die Aktivistinnen halten verschiedene Arten von Protesten ab, wie z.B. hier konkret vorgestellt, sie zeichnen beziehungsweise sprühen Graffitis an die Wände der Straßen, sie führen Performance-Aktionen aus, also künstlerische Darstellungen und Bühnenstücke auf der Straße, die dem „Publikum“ diese kritischen Botschaften darbieten und zugleich ans Herz legen sollen. (Dúran 2015)
Graffitis spielen als großes Kunst- und Kreativitätsmerkmal eine besondere Rolle. Sie sind natürlich einerseits sehr ausdrucksstark und andererseits besitzen sie auch einen Hang zur Provokation. Die Graffitis der Mujeres Creando beziehen sich meistens auf den Feminismus im Allgemeinen, unter anderem machen sie aber mit diesem Stilmittel auf weitere soziale und wirtschaftliche Missstände Boliviens als auch weltweit aufmerksam. Solche Graffitis verursachten oft auch schon Kontroversen, die mit polizeilicher und strafrechtlicher Verfolgung einhergingen. Weiterhin besitzen die Mujeres Creando eine eigene Zeitschrift, die sich Mujer Publica nennt, und veröffentlichen Bücher, beispielsweise über Poesie, verschiedene Modelle feministischer Theorie und Sexualität.
Darüber hinaus produzieren sie auch Botschaften im Videoformat, in denen sie ihre Konzepte nochmals wiederholen, begründen und ihre Aussagen bestärken. Mit diesem Medium können sie ihren Aktivismus auch einem breiteren Publikum zugänglich machen.
2016 produzierten die Mujeres Creando auch eine Fernsehsendung und seit 2007 kann man ihnen in der Radiosendung Radio Deseo zuhören. (Pou 2016)
Das Radio Deseo soll dabei einen Raum schaffen für alternative Debatten, Meinungen und Ansichten über die gegebenen sozialen und politischen Realitäten und Identitäten im heutigen Bolivien. Dabei betrachten die Mujeres creando die Kultur beziehungsweise den Kulturbegriff als ein Szenario, dass die Kräfte bündelt. Auf der einen Seite die Kräfte der ausdrucksstärksten und lebendigsten Mitglieder der Gesellschaft und auf der anderen Seite die Kräfte der unterdrückten und missverstandenen Mitglieder der Gesellschaft. Das Radio Deseo wird auf rein ehrenamtlicher Basis ohne Gewinnerzielung betrieben, sodass keinerlei wirtschaftliches Nutznießertum unterstellt werden kann. Bei den verschiedenen Programmen ist jede*r dazu aufgefordert und willkommen geheißen mitzumachen – unter bestimmten Qualitätsstandards, die vorab in Gruppentreffen besprochen werden, sowie unter den von den mujeres creando allgemein vertretenen Grundsätzen zur Abtreibung, Prostitution, Antirassismus und Antiklassismus. Dabei werden die Radioprogramme durch eine Online-Präsenz in Form eines Streaming-Angebots auch Teilnehmer*innen, Interessierten und Neugierigen zugänglich gemacht. Um dies noch einmal zu verdeutlichen: das Radio Deseo zielt nicht darauf ab, eine Stimme für unverbesserliche Ansichten zu sein, vielmehr sehen sich die Betreiber*innen als Vermittler*innen zwischen Medien, Politik, Realität und Feminismus. Überdies gibt es auch ein edukatives Angebot der Mujeres Creando: die Radioschule La voz de mi deseo, die kostenlos Informationen über die wichtigsten Grundlagen guter Kommunikation und Sprecharten, stilistische Methoden und andere Funktionen bereitstellt. Voraussetzung für die Teilnahme ist lediglich der geteilte Wunsch nach einem antirassistischen, dekolonialen und feministischen Bolivien. (Salas 2015)

5. Mujeres Creando und feministisch-dekoloniale Theorie

Die politische Motiviertheit und die als feministisch eingestuften Aktivitäten der Mujeres Creando können auch vor verschiedenen theoretischen Hintergründen klassifiziert werden. Zum einen lässt sich das aktivistische Vorgehen der Anhänger der Strömung dem dekolonialen Queer-Feminismus zuordnen. Jener eröffnet in allgemein bekannten feministischen Theorien eine klar intersektionale Perspektive auf Konzepte wie Herrschaft, Rassismus, koloniale Machtstrukturen sowie deren Auslebung. Zugleich werden hierbei Fragen nach der geografischen Verortung von Wissensproduktionen aufgeworfen. (Quija-no 2007)
Dekoloniale Theorien an sich kritisieren dabei das westliche Wissensparadigma, also ein Paradigma in dem Wissen allgemein als Produkt verstanden wird – ein Produkt aus Beziehung zwischen einem forschenden Subjekt und einem beforschten Objekt, die getrennt voneinander zu betrachten sind. Dadurch wird allemal die suggerierte Minderwertigkeit der „Anderen“ hervorgebracht.
Weiterhin lassen sich die Mujeres Creando auch dem wissenschaftlichen Gebiet des epistemischen Sexismus zuordnen, welcher den privilegierten westlichen Wissensstrukturen zugrunde liegt und neben dem kolonialen Subjekt auch die koloniale Kategorie der Frau als eine solche „Andere schafft.“ (Grosfoguel 2013)
Ganz klar im Fokus steht auch die Kontroverse gegenüber sozialethischen Theorien der Aufklärung, die zwar den Menschen als universellen Träger von verschiedenen Rechten anerkennt, dabei aber stets seine Menschen als männlich klassifiziert. Die droits de l’homme weisen diesen Rechten explizit das Subjekt Mann zu. Mithin war diese Kolonialisierung nicht nur geschlechtsabhängig, sondern die Idee der Dekolonialisierung und die Verrechtlichung der Bürger zugleich auch geprägt von der Unterordnung der Frau durch das Gesetz.
Nun stellt sich jedoch die Frage, inwiefern die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts, die Unterdrückung der Indigenen (in diesem Zusammenhang vor allem die indigene Bevölkerung Boliviens; im Konkreten, fallspezifisch: die cholas) und die Diskriminierung der Personen, die Merkmale beider Klassifikationen aufweisen, speziell die bolivianische Bevölkerung trifft.
Zwar zeigte sich bezüglich der Entwicklung der Rechtsverhältnisse für indigene, feminine Subjekte ein positives Abbild. Jedoch fand zeitgleich ab den 70er Jahre ein entgegengesetzter Entwicklungsprozess statt, bei dem indigene beziehungsweise indigen beeinflusste weibliche Bevölkerungsgruppen zunehmend die traditionellen Rollen von Mutter und „Hausfrau“ annahmen, früher als zu dem Zeitpunkt gewöhnlich heirateten und tendenziell mehr Kinder gebaren. Dies wurde maßgeblich durch den Drang nach innerparallelgesellschaftlicher, sozialer Anerkennung aus den eigenen Reihen beeinflusst. Hierdurch entstand letztendlich nichts Geringeres als die allmähliche (Wieder-)Eingliederung eines hegemonialen Modells von Ehe und Familie in den indigenen Bevölkerungsschichten und damit einhergehend auch eine rückläufige Entwicklung in vor allem bolivianischen indigenen Familien. Als Ergebnis hiervon zeigt sich ein noch weiter auseinandergehendes Verhältnis von sozialer Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern Mann und Frau bezüglich indigener Herkunft. Nicht nur, dass sich die Mujeres creando schon zu ihrer Gründungszeit gegen eine solche Entwicklung aussprachen – das Bestehen von genau diesen rückläufigen Entwicklungen macht die aktivistische Tätigkeit der Gruppe nur noch wichtiger, um die soziale Ungleichheit in Bolivien zu bekämpfen. (Rivera Casucanqui 2018)

6. Literaturverzeichnis

García-Pabón, Leonardo: Sensibilidades callejeras. El trabajo estético y político de „Mujeres Creando“, in: Revista de Crítica Literaria Latinoamericana, 2003, Año 29, No. 58, Poesía y Globalización, Centro de Estudios Literarios „Antonio Cornejo Polar“, Lima-Hanover (2003).

Grosfoguel, Ramón: The structure of knowledge in westernised universities: Epistemic racism/sexism and the four genocides/epistemicides, in: Human Architecture: Journal of the sociology of self-knowledge 1.1, o.O. (2013), S. 73-90.

Quijano, Aníbal: Coloniality and modernity/rationality, in: Cultural studies 21.2-3, Leipzig 2007, S. 168-178.

Rivera Casucanqui, Silvia: Der Begriff der “Rechte” und die Widersprüche der postkolonialen Moderne. Pueblos Indígenas und Frauen in Bolivien, in: Garbe, Sebastian/ Cárdenas, María et. al., Ch’ixinakax utxiwa. Eine Reflexion über Praktiken und Diskurse der Dekolonisierung, Münster 2018, S. 100-136.

Internetquellen

Anonym (2017): “No hay libertad polítical si no hay libertad sexual”, in: Página Siete. Diario Nacional Independiente, https://www.paginasiete.bo/ideas/2017/6/11/libertad-politica-libertad-sexual-140522.html, [Zugriff am 31.05.2021].

Anonym (2019): Cholita, in: Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Cholita, [Zugriff am 26.05.2021].

Anonym (2020):  Isabel la Católica Square (La Paz) – Plaza Isabell a Católica (La Paz), in: Second Wiki, https://second.wiki/wiki/plaza_isabel_la_catc3b3lica_la_paz, [Zugriff am 30.06.2021].

Anonym (o.J.): “Spanische Eroberung in Amerika. Beraubt – entvölkert – verwüstet”, in: SeGu. Selbstgesteuert entwickelnder Geschichtsunterricht, https://segu-geschichte.de/spanische-eroberung-amerika/, [Zugriff am 24.05.2021].

Beckmann, Katharina (2019): “Entdeckung Amerikas”, in: planet wissen, https://www.planet-wissen.de/geschichte/neuzeit/entdeckung_amerikas/index.html, [Zugriff am 24.05.2021]

Collado, Adriana (2020):https://www.aboutespanol.com/dia-de-colon-el-segundo-lunes-de-octubre-1772265, [Zugriff am 21.06.2021].

Durán, José (2015): “Mujeres Creando, 20 años contra la autoridad”, in: El Confidencial,  https://www.elconfidencial.com/cultura/2015-02-23/mujeres-creando-20-anos-contra-la-autoridad_715427/,[ Zugriff am 20.05.2021].

Koch-Kanz, Swantje (o.J.): “Isabella von Kastilien”, in: FremBio. Frauen. Biographieforschung, https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/isabella-von-kastilien/, [Zugriff am 30.05.2021].

Mujeres Creando (2015): “No hay Libertad Política sin Libertad Sexual”, No hay Libertad Política sin Libertad Sexual, [Zugriff am 21.05.2021].

NUESTROS SUEÑOS NO CABEN EN SUS URNAS – La Plaza de la Chola Globalizada > MUJERES CREANDO , [Zugriff am 21.06.2021].

Paredes, Julieta (2002.): “Interview with Julieta Paredes of Mujeres Creando”, https://mirror.anarhija.net/usa.anarchistlibraries.net/mirror/j/jp/julieta-paredes-interview-with-julieta-paredes-of-mujeres-creando.pdf, Zugriff: 24.05.2021

Pou, Arpad (2016): “Mujeres Creando, despartriarcalizar con arte”, in: Pueblos. Revista de Información y Debate, http://www.revistapueblos.org/blog/2016/09/20/mujeres-creando-despatriarcalizar-con-arte/, [Zugriff am 20.05.2021].

Salas, Irene (2015): „Radio Deseo, the voice of freedom desire in Bolivia”, in: ICT4D & Participatory Media Approaches to Development, https://wpmu.mah.se/nmict151group1/2015/03/16/radio-deseo-the-voice-of-freedom-desire-in-bolivia/, [Zugriff am 21.06.2021].

Consejo Todas las Tierras/Mapuche (Santiago, Chile)

Die Mapuche, Pedro de Valdivia und Consejo Todas de Todas las Tierras
Was haben die eben Genannten gemeinsam? Eine Geschichte.

Autorschaft: Lea Bürger, Linda Fischer, Jonas Reek und Laura Weise
Aktivistische Gruppe: Consejo Todas las Tierras (Mapuche)
Statue / Monument: Statue des Pedro de Valdivia
Ort (Stadt, Land): Santiago, Chile

Die Eroberung Iberoamerikas durch die Spanier und Portugiesen im 15. und 16. Jahrhundert ist ein wichtiger Punkt in der Menschheitsgeschichte, denn sie prägte auf unwiderrufliche Weise das Schicksal der westlichen Welt und hat das Leben von Millionen von Menschen maßgeblich beeinflusst. Denn sie weckte einen ehrgeizigen, rücksichtslosen Forschergeist, der Ruhm und Reichtum in der neuen Welt witterte – das Verlangen, sich diese Welt untertan zu machen –, in den Herzen der Kolonialmächte, die sich bereits den afrikanischen Kontinent einverleibt hatten.
Zu häufig wird diese Geschichte jedoch aus der Eroberer-Perspektive betrachtet. Man spricht von Pionieren, lobt deren Verhandlungsgeschick und bewundert ihre Eroberungen. Doch ein anderes Bild ergibt sich, wenn man den Kolonialisierungsprozess Amerikas vom Blickwinkel der eingeborenen Bevölkerung betrachtet.

Wer sind die Mapuche?

Das Volk der Mapuche ist das größte indigene Volk Chiles und lebte ursprünglich in Araukanien, Süden von Chile und im Aconcagua-Tal, West-Patagonien. Übersetzt aus ihrer Sprache Mapudungun bedeutet „mapuche“ so viel wie „gente de la tierra“ – also „Menschen der Erde“ (Rotter, Patrick. 2011. Mapuche Kultur. The Big Myth. http://www.bigmyth.com/download/MAPUCHE_CULTURE_DE.pdf). Traditionell lebten sie im Einklang mit der Natur, was unter anderem ein Grund für ihren Kampf gegen die Errichtung von Wasserkraftwerken etc. auf ihren darstellen könnte. Verwandtschaftsbeziehungen und Familie spielten eine große Rolle und trugen maßgeblich zur kollektiven Identität bei. Sie waren kriegerisch versiert genug, um sich langfristig gegen die Inka zur Wehr zu setzen und verteidigten ihre Gebiete auch im 16. Jahrhundert tapfer gegen die Spanier. (Gesellschaft für bedrohte Völker. Mapuche.
https://www.gfbv.de/de/informieren/laender-regionen-und-voelker/voelker/mapuche/)
Eine wichtige Rolle spielte dabei Lautaro, geboren 1535 bei Tirúa, der im Jahr 1546 von den Spaniern gefangen genommen wurde und im Dienst vom Conquistador Pedro de Valdivia stand. Aufwachsend in diesem Umfeld lernte er viele Militärstrategien der Spanier kennen. Im Jahr 1551 gelang ihm die Flucht auf einem Pferd und er kehrte zu seinem Volk zurück. Im Jahr 1553 spitzte sich die Lage für die Mapuche drastisch zu, da die Spanier – geführt von Pedro de Valdivia – immer tiefer in ihre Gebiete vordrangen. Daraufhin bildeten die Mapuche-Krieger die Konföderation „Vutanmapu“, mit dem Ziel sich gemeinsam gegen die Spanier zu verteidigen. Lautaro wurde aufgrund seiner Erfahrung mit den Spaniern zum Toqui, Kriegshäuptling und Anführer dieses Bündnisses, ernannt. Am 25. Dezember 1553 griffen die Mapuche unter der Führung von Lautaro, unterstützt von Caupolicán, gesammelt die spanische Festung Tucapel an. Es gelang ihnen die Spanier zu besiegen, Pedro de Valdivia gefangen zu nehmen und anschließend zu töten. Sie eroberten schnell viele weitere kleinere Städte auf ihrem Weg nach Santiago. Dabei gerieten sie am 01. April 1557 in einen Hinterhalt der Spanier am Fluss Mataquito, bei dem unter anderem Lautaro getötet wurde. Caupolicán wurde vom Vutanmapu zum Nachfolger Lautaros gewählt. (Biblioteca Nacional de Chile. El toqui Lautaro (ca.1534-1557). Memoria Chilena BND. http://www.memoriachilena.gob.cl/602/w3-article-721.html)
Mit der fortschreitenden Kolonialisierung Lateinamerikas büßten auch die Mapuche große Teile ihrer Gebiete ein und erlitten große Verluste. Doch sie zu besiegen, gelang den Spaniern nicht. Aus diesem Grund überließen die Spanier ihnen im Jahr 1641 nach Verhandlung ein unabhängiges Territorium von etwa zehn Millionen Hektar im Süden Chiles. Der Chilenische Unabhängigkeitskrieg von 1810 bis 1826 markierte offiziell das Ende der Herrschaft der spanischen Krone in Chile, jedoch erkannte die Regierung des neu gegründeten chilenischen Staates den Landvertrag der Spanier mit den Mapuche nicht an und startete eine „Befriedung“, bei der es sich in Wirklichkeit um eine brutale Militärintervention handelte. Die Hälfte des Territoriums der Mapuche wurde beschlagnahmt und die indigene Bevölkerung zu Tausenden getötet und vertrieben. Jene beschlagnahmten fünfhunderttausend Hektar wurden vom chilenischen Staat überwiegend an deutsche und schweizerische Siedler übergeben, deren Nachfahren teilweise bis heute dort leben. (Boddenberg, Sophia. 2019. Ihr Kampf geht weiter. Fluter. Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.fluter.de/indigene-mapuche-im-widerstand-gegen-chile)
Die Mapuche kämpfen heute seit Jahrhunderten um ihre Gebiete. Sie sind das Volk in Iberoamerika, das sich am längsten gegen die spanischen Eroberer gewehrt hat.
Obwohl sie etwa zehn Prozent der chilenischen Gesamtbevölkerung ausmachen, erkennt die chilenische Verfassung bis heute die Mapuche nicht als eigenständiges Volk an. Deswegen leben viele Mapuche in Armut, ohne ausreichende Bildung – weil ihre Sprache an chilenischen Schulen nicht gelehrt wird und Bildung in Chile vergleichsweise teuer ist – und entfremden sich von ihrer Kultur und Religion, während die neoliberale Wirtschaftspolitik Chiles dafür sorgt, dass sich der Konflikt immer weiter zuspitzt und radikalisiert. Zuerst verdrängten die spanischen Eroberer die Mapuche, dann nahm man ihnen ihre Gebiete zugunsten europäischer Siedler weg, anschließend für Forstwirtschaft, Wasserkraftwerke und heute für Solaranlagen und Windparks, von denen die Mapuche (territorial) nicht profitieren. (Díaz, Jóse (Übersetzung von Poonal, Servindi). (2019. Mapuche in Chile wehren sich gegen geplantes Wasserkraftwerk. Amerika21. https://amerika21.de/2019/08/230610/mapuche-chile-gegen-wasserkraftwerk)
Der Unabhängigkeitskampf der Mapuche gegen den chilenischen Staat und die chilenische Verfassung ist noch nicht beendet.

Wer ist Pedro de Valdivia?

Pedro de Valdivia wurde 1497 in Castuera, Spanien, geboren und stammte aus einer adligen Familie mit militärischer Tradition. Bereits in seiner Jugend bewies er sich als Soldat der spanischen Krone und wurde 1534 als Militärführer nach Südamerika geschickt, wo er zuerst die Kolonialisierung Venezuelas vorantrieb, sich an der Suche nach dem sagenumwobenen Goldland Eldorado beteiligte und 1538 im peruanischen Bürgerkrieg an der Seite vom Conquistador Francisco Pizarro gegen Diego de Almagro kämpfte.
Im Jahr 1540 gelang es ihm trotz harter Kämpfe mit der indigenen Bevölkerung Chiles, mehrere Siedlungen zu gründen und erfolgreich zu verteidigen. Am 12. Februar 1541 gründete er die Stadt Santiago, die zukünftige Hauptstadt Chiles und baute in den folgenden Jahren die spanische Vorherrschaft in Chile bis zum Fluss Biobío aus. Nachdem er zwei Jahre erneut in Peru gekämpft hatte, wurde er offiziell von Franzisco Pizarro, der nun Vizekönig von Peru war, zum ersten Gouverneur Chiles ernannt und kehrte nach Santiago zurück. Er begann im Jahr 1550 in die Gebiete Chiles südlich vom Fluss Biobío vorzudringen und gründete die Stadt Concepción (gesamter Name: „La Concepción de María Purísima del Nuevo Extremo“) im heutigen Zentral-Chile. Dabei drang er nach Araukanien in die Gebiete der Mapuche vor, die ihm zum Verhängnis wurden. Im Jahr 1553 wurde Pedro de Valdivia in der Schlacht von Tucapel von den Mapuche unter der Führung von Lautaro unterstützt von Caupolicán gefangen genommen und am 25. Dezember 1553 exekutiert (Pinto, Sergio. 2014 [2020]. Pedro de Valdivia, el Conquistador de Chile. National Geographic. https://historia.nationalgeographic.com.es/a/pedro-valdivia-conquistador-chile_8676). Letztendlich ist Pedro de Valdivia aufgrund seines großen Beitrags zur Eroberung Lateinamerikas im Namen der spanischen Krone zur Legende im spanischen Conquistadoren-Kollektiv geworden. Über die Art seines Todes gibt es viele verschiedene Überlieferungen, welche – genau wie die zu seinen Ehren von den Spaniern errichteten Statuen in beispielsweise Santiago und Temuco, Chile – maßgeblich dazu beigetragen haben, dass er bisher unvergessen geblieben ist.
Doch die Verherrlichung der spanischen Eroberer wird heute hinterfragt und auch Pedro de Valdivia erscheint nun in einem anderen Licht. Obwohl die Eroberung Lateinamerikas viele positive Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft in den folgenden Jahrhunderten hatte, so hatten die europäischen Eroberer einen eher negativen Einfluss auf die damalige wirtschaftliche Situation der indigenen Bevölkerung. Sie brachten Kriege und Zerstörung, neue Krankheiten, neue Religionen und neue Herrschaftsverhältnisse. Während die Ausbeutung der población indígena noch als erzieherische Maßnahme deklariert und von der katholischen Kirche im Sinne der Missionierung unterstützt wurde, wurden die schwarzen Sklaven und Sklavinnen, die die Eroberer aus Afrika mitgebracht hatten, zu bloßen Arbeitstieren ohne jegliche Chance auf Rechte, Privilegien und sozialen oder wirtschaftlichen Aufstieg degradiert, auf die man ungehemmten Zugriff ausüben konnte. So etablierten die Eroberer in ganz Amerika ein auf der Hautfarbe der Menschen basierendes hierarchisches System, das die einzelnen Kulturkreise voneinander isolieren sollte – Stichwort: Rassentrennung – und ihnen die Vorherrschaft sicherte. Aus diesem Grund sind auch die Statuen von Pedro de Valdivia in Kritik geraten. Wem ist bewusst, wie sehr die Menschen in Chile heute noch unter der vor Jahrhunderten etablierten Rassendiskriminierung leiden?
Die existierenden Statuen von Pedro de Valdivia stellen unserer Meinung nach einerseits ein Symbol für Eroberung dar, andererseits stehen sie für Massenmord, Rassismus und Unterdrückung. Sie stehen für den Kolonialismus in einem Land, das sich von seiner Kolonialmacht Spanien angeblich schon vor mehr als zweihundert Jahren emanzipiert hat. Wie unzufrieden die Menschen Chiles mit der den Kolonialismus verherrlichenden Einstellung der chilenischen Regierung sind, beweist beispielsweise die Intervention, die an einer Statue von Pedro de Valdivia in Temuco stadtfand. Am 30. Oktober 2019 beschmierten AktivistInnen die bronzene Statue zuerst mit roter Farbe, trennten sie anschließend von ihrem Sockel ab und schlugen ihren Kopf ab. (Castaño Camacho, Alberto. 2019. Even the monuments are revealed in Chile, Valdivia beheaded for the second time. Latinamerican Post. https://latinamericanpost.com/30732-eventhe-monuments-are-revealed-in-chile-valdivia-beheaded-for-the-second-time)
Nach historischer Überlieferung ist es möglich, dass Pedro de Valdivia von den Mapuche-Kriegern 1553 geköpft wurde, auch wenn sich diese Theorie nicht einwandfrei bestätigen lässt. (Verfasser unbekannt.2012. Pedro de Valdivia in epic world history. Epic World History: Pedro de Valdivia)
Den Kopf der Statue befestigten die AktivistInnen mit einem Seil an der Hand einer Statue, die den Toqui Caupolicán, ein Symbol für Widerstand, Stärke, Tapferkeit und unbeugsamen Stolz, darstellt. Die Intervention der Statue in Temuco kann darum als symbolhafte „zweite Enthauptung“ Pedro de Valdivias interpretiert werden. (Castaño Camacho, Alberto. 2019. Even the monuments are revealed in Chile, Valdivia beheaded for the second time. Latinamerican Post.https://latinamericanpost.com/30732-eventhe-monuments-are-revealed-in-chile-valdivia-beheaded-for-the-second-time)
Des Weiteren befestigte man an der zweiten Hand der Statue von Caupolicán die offizielle Flagge der Mapuche und schrieb auf den Sockel die unmissverständliche Botschaft „Nueva constitución o nada“ (Übersetzung durch Autorenteam: „Neue Verfassung oder nichts“).
Eine bronzene Reiterstatue zu Ehren von Pedro de Valdivia steht noch immer auf der Plaza de Armas in Santiago, der Hauptstadt Chiles. Die Statue wurde zwischen 1963 und 1972 von Enrique Peréz Comenador angefertigt und hat eine Höhe von etwa fünf Metern. Wie ein Mahnmal thront sie über allen Menschen, die den Platz überqueren und ist unübersehbar. Bisher wurde diese Statue nicht interveniert. (Ebert, Dick. 2015. Pedro de Valdivia Equestrian Statue in Santiago, Chile. Encircle Photos. https://www.encirclephotos.com/image/pedro-de-valdivia-equestrian-statue-in-santiago-chile/)
Eine bronzene Reiterstatue zu Ehren von Pedro de Valdivia steht noch immer auf der Plaza de Armas in Santiago, der Hauptstadt Chiles. Die Statue wurde zwischen 1963 und 1972 von Enrique Peréz Comenador angefertigt und hat eine Höhe von etwa fünf Metern. Wie ein Mahnmal thront sie über allen Menschen, die den Platz überqueren und ist unübersehbar. Bisher wurde diese Statue nicht interveniert.
Obwohl Pedro de Valdivia eine wichtige Rolle in der Geschichte Chiles spielte, kann man mit der Geschichte nicht abschließen, solange seine Statuen alte Wunden im Herzen des Mapuche-Kollektivs und damit in der Gegenwart wieder aufreißen. Solange die Dekolonialisierung Chiles noch nicht abgeschlossen ist, befindet sich das Land noch immer im Postkolonialismus.

Was ist der Consejo de Todas las Tierras?

Der „Consejo de Todas las Tierras“ ist eine dekolonialistische Organisation, die sich für die Rechte der Mapuche in Chile einsetzt. Ihr Name bedeutet übersetzt so viel wie „Rat aller Länder“ und in gewisser Weise sind sie die gegenwärtigen Mapuche-Krieger, die mit Papier und Tinte, Worten und Gesetzesvorschlägen für ihre Rechte kämpfen. (Pairican, Fernando. 2019. La bandera Mapuche y la batalla por los símbolos. Ciper Académico. https://www.ciperchile.cl/2019/11/04/la-bandera-mapuche-y-la-batalla-por-los-simbolos/)
Führendes Mitglied der Organisation ist Aucán Huilcanán, der auch ein Vertreter des Prozesses der „Verfassungsgebenden Versammlung der Mapuche“ war, welche im Jahr 1992 die offizielle Flagge Wenüfoye der Mapuche entworfen hat. Huilcanán erhielt für die Präsentation der Flagge in der Öffentlichkeit damals eine Haftstrafe von 6 Monaten. Die Flagge der Mapuche ist ein Symbol für ihre Präsenz in der chilenischen Gesellschaft. Mitglieder dieser Organisation begehen keine Gewalt- oder Straftaten für ihren Kampf und zeichnen sich nicht durch radikalen Aktivismus aus. Sie vertreten das Mapuche-Kollektiv im Rechtsstreit mit Großgrundbesitzern, Wasserkraftwerken, Bergbau- und Forstunternehmen, die ihr Land auf illegalem Weg erlangt haben, oder mit ihren giftigen Abfallprodukten, die sie nicht ordnungsgemäß entsorgen, die Umwelt verschmutzen, die den Mapuche eigentlich als Lebensraum dienen soll.
Der Consejo de Todas las Tierras will die chilenische Regierung auf rechtlicher Grundlage dazu zwingen, sich für die vergangenen und aktuellen Verbrechen gegen die Mapuche zu verantworten und entsprechend Entschädigungen zu leisten. Als Schwerpunkte betrachtet er dabei vor allem, dass der an den Mapuche verübte Genozid nach dem chilenischen Unabhängigkeitskrieg und die Landenteignung der Mapuche im 19. und 20. Jahrhundert bis heute straflos geblieben sind.
Weiter setzt er sich gegen die Chilenisierung der Mapuche-Kultur und das Antiterrorgesetz – ein Relikt der Pinochet-Diktatur in Chile – ein, welches Polizeigewalt, Durchsuchung und Inhaftierung terrorverdächtiger Zivilpersonen gestattet. Außerdem setzt sich der Consejo de Todas las Tierras für die Erhaltung der kulturellen Werte der Mapuche ein und strebt die Förderung der Sprache Mapudungun in chilenischen Schulen und die sprachliche Etablierung von Mapudungun in Krankenhäuser, Behörden und anderen wichtigen Institutionen an.
Die „Verfassungsgebende Versammlung der Mapuche“ hat am 14. Oktober 2020 eine außerordentliche Sitzung einberufen, die es sich zum Ziel erklärt hat, die territorialen Grenzen der Mapuche-Gebiete mit der chilenischen Regierung erneut zu verhandeln, die Kooperation von chilenischen Institutionen und Institutionen der Mapuche und damit die Selbstbestimmung, Autonomie und Anerkennung der Mapuche in Chile auszubauen. Der Consejo de Todas las Tierras fordert die Abschaffung des Antiterrorgesetzes, die Anerkennung der Rechte und Kultur der Mapuche, sowie die Gründung einer Wahrheitskommission, die den Genozid im 19. Jahrhundert aufklärt und die Rechte und Kultur der Mapuche beschützt. (Interview und Übersetzung. Schäfer, Martin. 2020. Alles für die indigenen Gemeinschaften,
aber ohne sie. Mapuche-Anführer Aucán Huilcamán über den Verfassungsprozess. Nummer 558. Lateinamerika Nachrichten. https://lateinamerika-nachrichten.de/artikel/alles-fuer-dieindigenen-gemeinschaften-aber-ohne-sie/)
Chile ist eines der Länder mit der größten sozialen Ungleichheit in Iberoamerika. Doch es existiert nach wie vor kaum eine Kooperation zwischen der Regierung und der indigenen Bevölkerung. Dies hat bisher zur Folge, dass die Mapuche immer weiter zum Rand der Gesellschaft – in die Analphabetisierung, die Armut, die Verzweiflung – gedrängt werden und ihre Religion, ihre Bräuche und Traditionen verlieren.
Die „Verfassungsgebende Versammlung der Mapuche“ will dem nun entgegenwirken, indem sie bis zum November 2021 eine eigene Verfassung erarbeitet und eventuell eine eigene Mapuche-Regierung bildet. Inwieweit diese Aktion politisch erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch: Die Mapuche haben eine Geschichte, die älter als der Kolonialismus in Lateinamerika ist. Sie sind noch da und sie werden nicht aufgeben, denn sie wollen eine Zukunft haben.

Literaturverzeichnis

Biblioteca Nacional de Chile. El toqui Lautaro (ca.1534-1557). Memoria Chilena BND.
http://www.memoriachilena.gob.cl/602/w3-article-721.html
Letzter Zugriff am 07.10.2021

Boddenberg, Sophia. 2019. Ihr Kampf geht weiter. Fluter. Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.fluter.de/indigene-mapuche-im-widerstand-gegen-chile
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Castaño Camacho, Alberto. 2019. Even the monuments are revealed in Chile, Valdivia beheaded for the second time. Latinamerican Post. https://latinamericanpost.com/30732-eventhe-monuments-are-revealed-in-chile-valdivia-beheaded-for-the-second-time
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Díaz, Jóse (Übersetzung von Poonal, Servindi). 2019. Mapuche in Chile wehren sich gegen
geplantes Wasserkraftwerk. Amerika21.
https://amerika21.de/2019/08/230610/mapuche-chile-gegen-wasserkraftwerk
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Ebert, Dick. 2015. Pedro de Valdivia Equestrian Statue in Santiago, Chile. Encircle Photos.
https://www.encirclephotos.com/image/pedro-de-valdivia-equestrian-statue-in-santiago-chile/
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Pairican, Fernando. 2019. La bandera Mapuche y la batalla por los símbolos. Ciper Académico. https://www.ciperchile.cl/2019/11/04/la-bandera-mapuche-y-la-batalla-por-los-simbolos/
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Interview und Übersetzung. Schäfer, Martin. 2020. Alles für die indigenen Gemeinschaften,
aber ohne sie. Mapuche-Anführer Aucán Huilcamán über den Verfassungsprozess. Nummer
558. Lateinamerika Nachrichten. https://lateinamerika-nachrichten.de/artikel/alles-fuer-dieindigenen-gemeinschaften-aber-ohne-sie/
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Rojas-Kienzle, David. 2019. Mapuche in Chile protestieren gegen Militarisierung und Landraub. Amerika21.
https://amerika21.de/2019/01/219897/chile-proteste-mapuche-militarisierung
Letzter Zugriff am 07.10.2021

Pinto, Sergio. 2014 [2020]. Pedro de Valdivia, el Conquistador de Chile. National Geographic. https://historia.nationalgeographic.com.es/a/pedro-valdivia-conquistador-chile_8676
Letzter Zugriff am 07.10.2021

Verfasser unbekannt.2012. Pedro de Valdivia in epic world history. Epic World History: Pedro de Valdivia Letzter Zugriff am 07.10.2021

Rotter, Patrick. 2011. Mapuche Kultur. The Big Myth. http://www.bigmyth.com/download/MAPUCHE_CULTURE_DE.pdf
Letzter Zugriff am 07.10.2021

Gesellschaft für bedrohte Völker. Mapuche.
https://www.gfbv.de/de/informieren/laender-regionen-und-voelker/voelker/mapuche/
Letzter Zugriff am 07.10.2021