Solidarisches Handeln bei Kindern im Grundschulalter
Vorurteile sind eine zutiefst menschliche Eigenschaft und fest im Gehirn verankert. Sie und Stereotype prägen die Gesellschaft, sind manchmal unvermeidbar und schaden dem sozialen Zusammenleben. Wer weiß, wie sie funktionieren und wie sie unsere Eindrücke verzerren, kann verantwortungsbewusst mit ihnen umgehen und womöglich bessere Entscheidungen treffen. Mit der Frage „Können Kinder ihre unbewussten Vorurteile reflektieren und durch erfahrungsorientiertes Lernen in Form eines Workshops ein neues/tieferes Verständnis von Solidarität erlangen?“ hat sich eine Projektgruppe an Studierenden im Rahmen einer Forschung mit diesem Thema auseinandergesetzt. Der Fokus wurde dabei bewusst auf die Diversität und Gleichberechtigung unter den Kindern gelegt, um solidarisches Handeln so gezielt zu stärken. Das Problem, Menschen in Schubladen zu stecken beziehungsweise zu stereotypisieren, ist nicht neu.
Das Ziel der Projektgruppe war es, die Multiperspektivität und Begrifflichkeit von Solidarität zu erkunden. Gleichzeitig beschäftigte sie sich auch mit der Frage, wie das Interesse für Solidarität oder ein solidarisches Miteinander unter Kindern im Grundschulalter vergrößert werden kann. Wenn Kinder von ihrer Umgebung lernen, die Welt zu verstehen, ordnen sie sie in Gut und Böse. Mädchen seien lieb und kichern, Jungen hingegen wild.1 Wie genau sich Vorurteile im Gehirn festsetzen, ist unklar. Erst im Vorschulalter sind Kinder alt genug, um sie für entsprechende Forschungsfragen zu untersuchen.2
Das spielerische Wecken mit einem Hörspiel
Im Zuge der Recherche- und Forschungsarbeit kam die Projektgruppe zu dem Entschluss, das Interesse der Kinder spielerisch zu wecken. Hierfür eignen sich beispielsweise Simulations- oder Rollenspiele, die auf Konzepten aus der Lernpsychologie, Pädagogik und Didaktik beruhen. Um selbst eine für Kinder im Grundschulalter geeignete Simulation zu entwickeln, nahm ein Teil der Projektgruppe an einem Workshop von Colored Glasses3 in Hamburg teil, welcher sich mit der Planung beziehungsweise Organisation von sogenannten Toleranz-Workshops für Schulklassen beschäftigte. Von dieser Veranstaltung inspiriert, entschloss sich die Gruppe, einen eigens konzipierten Workshop mit 11 Kindern einer Chemnitzer Grundschule durchzuführen. Den Rahmen des Workshops bildete eine durch die Projektgruppe selbst geschriebene Fabel, durch welche bei den Kindern das Bewusstsein für Solidarität gestärkt werden sollte. Die Fabel wurde nicht nur schriftlich verfasst, sondern auch aufwendig in einem Tonstudio in Leipzig vertont und schließlich für den Workshop genutzt. Die Gruppe möchte an dieser Stelle ausdrücklich dem Produzenten Tom Rumberger für die geleistete Arbeit und die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten danken.
Inhalt des Hörspiels
Die von den Studierenden entwickelte Fabel handelt von verschiedenen Tieren wie beispielsweise dem launischen Löwe Leo, dem introvertierten Igel Ingo oder der brummenden Bärin Babara. Die Tiere haben unterschiedliche Eigenschaften und müssen auf ihrer Reise mit dem Flugzeug viele Hindernisse und Schwierigkeiten gemeinsam überwinden. Anfangs haben sie untereinander Vorurteile. Auf der Reise wird den Tieren jedoch bewusst, dass die Vorurteile unbegründet waren und jede Eigenschaft etwas ganz Besonderes ist und in schwierigen Situationen helfen kann, wie beispielsweise als der tollpatschige Elefant Edward mit seinem Rüssel voller Wasser ein Feuer löscht und somit die anderen Tiere rettet. Die unterschiedlichen Eigenschaften der Tiere sollen den Kindern die unterschiedlichen Eigenschaften von Menschen nahe bringen. So wird den Kindern verdeutlicht, wie wichtig verschiedene Charaktere sind. Jeder Mensch hat, wie die Tiere in der Fabel, seine eigenen Stärken und Schwächen und ist ein Individuum.
Die Projektgruppe möchte mit der Fabel auch darauf hinweisen, dass Vorurteile und Stereotypen gefährlich werden können. Während des Workshops verkörperte jedes Kind eine der Tierrollen. Es fiel auf, dass manche Kinder zwar nicht von ihren tierischen Eigenschaften begeistert waren, aber dennoch schnell wussten, wie sie im Fall einer Krise ihre „negativen“ Eigenschaften nutzen können, um solidarisch zusammenzuarbeiten und eine Lösung zu finden. Ein Kind meinte beispielsweise, dass der tollpatschige Elefant mit seinem Rüssel Wasser aus dem Wasserhahn holen könne, um so das Feuer zu löschen. Ein anderes Kind fügte hinzu, dass die brummige Bärin im Falle einer Katastrophe mit ihrem kuscheligen, weichen Fell die anderen Tiere trösten könne. In ihren Tierrollen waren sich die Kinder einig und bereit zusammenzuarbeiten, um gemeinsam eine Lösung zu finden.
Diese sofortige Bereitschaft zu Zusammenhalt hat die Projektgruppe davon überzeugt, dass die Kinder grundsätzlich über die Kompetenz verfügen, das Potenzial individueller Unterschiede und Eigenschaften zu erkennen und nutzbar zu machen. Solidarität ist ein Begriff, der für Kinder kompliziert erscheinen könnte. Jedoch sollte man sich diesbezüglich nicht täuschen, denn Kinder wissen sehr genau, was Solidarität bedeutet und was sie in ihrem Leben verändern kann.4
Kinder können das Wort Solidarität bereits auf ihre Art und Weise definieren, wie ein Teilnehmer des Workshops zeigte: „Es ist, anderen zu helfen, um ihnen und so auch sich selbst eine Freude zu bereiten und Gutes zu tun.“
Offene Fragen
Zum einen blieb die Frage nach dem Ausmaß des Reflexionsvermögens von Kindern im Grundschulalter offen. Während den Projektpräsentationen wurden Zweifel geäußert, inwieweit Kinder in diesem Alter schon in der Lage sind, so komplexe Konzepte wie Stereotype und Schubladen-Denken vollständig zu reflektieren. Vollständig ließ sich diese Frage im Rahmen des Workshops nicht beantworten. Die Kinder waren erstaunlich gut in der Lage, zwischen Problematiken in der genannten Fabel und ihrem eigenen Leben Zusammenhänge herzustellen.
Die Projektgruppe ist davon überzeugt, dass der Workshop neue Impulse für ein Verständnis von Solidarität unter den Kindern geben konnte. Der Workshop hat der Projektgruppe eine Menge Spaß bereitet und sie plant, ihn in einem ähnlichem Format zu wiederholen.
AutorInnen: Amutuhaire Joseline, Dockendorf Fabienne, Kunze Carolin, Wolf Lea, Zschoche Edgar
Redaktion: Tuncel Julia
1Vgl.: Katrin Zeug, 2013. Der Fluch der Vorurtele. In: Zeit Online, URL:https://www.zeit.de/zeitwissen/2013/03/psychologie-vorurteile-verhalten, (Abgerufen am: 25.07.2019).
2Vgl.: Susanne B., (2013 ):Wie entstehen Vorurteile?, URL: https://www.dasgehirn.info/aktuell/frage-an-dasgehirn/wieentstehen-vorurteile?language=en, (Abgerufen am: 26.06.2019).
3Colored Glasses ist ein Bildungsangebot des Deutschen Youth For Understanding Komitee e.V. Der Name „Colored Glasses“ steht dabei symbolisch für die verschieden gefärbten Brillengläser, durch welche Menschen ihre Umwelt wahrnehmen. Weitere Informationten unter: https://coloredglasses.de/.
4Vgl.: Olivier (2014): Solidarität aus der Sicht von Kindern betrachtet. In Bildung, Staatsbürgerschaft, URL: https://www.humanium.org/de/solidaritat-aus-der-sicht-von-kindern-betrachtet/, (Abgerufen am: 01.07.2019).