Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Auswertung einer Gruppendiskussion

– Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit  –  Auswertung einer Gruppendiskussion zu dem Thema Sicherheit in der Chemnitzer Innenstadt“

Am 06. Oktober 2018 führte die Chemnitzer Lokalzeitung „Freie Presse“ eine „Round Table Discussion“ zum Thema „Sicherheit in der Chemnitzer Innenstadt“ durch. Die transkribierte Diskussion wurde am 6. Oktober 2018 von ebendieser Zeitung veröffentlicht. Aufhänger für die Diskussion waren die Ereignisse vom Sommer 2018. Es gab seitens der politisch rechtsextremen Szene große Proteste gegen das Thema Migration, nachdem zuvor ein junger Mann durch einen Geflüchteten in Folge einer Auseinandersetzung ums Leben kam.

Eingeladen waren 25 Personen aus Chemnitz, welche zu fünf Tischgruppen eingeteilt wurden. An Tischgruppe zwei befanden sich neben fünf LeserInnen der Freien Presse eine Moderatorin, ein Chemnitzer Restaurantbesitzer mit Migrationshintergrund und ein ehemaliger Polizeichef.

Das Gespräch der Tischgruppe zwei dient als Grundlage für diesen Bericht. Ziel der Auswertung soll sein, herauszufinden, wie es um das Sicherheitsgefühl der ChemnitzerInnen bestellt ist und durch welche Empfindungen, Erlebnisse oder Einstellungen Gefühle von Sicherheit oder Unsicherheit entstehen.

Oberkategorien zur Interpretation

In der ersten Oberkategorie, die mit „Wer?“ betitelt ist, wurden die Namen der TeilnehmerInnen sowie deren Alter, Beruf und Stadtteil aufgezeichnet. Am Tisch saß beispielsweise eine Ruheständlerin, ein Restaurantleiter, ein Vertriebsleiter oder ein Gewerkschafter. Nur eine Person mit Migrationshintergrund saß an Tischgruppe zwei.

Als zweite Oberkategorie wurden die Ängste festgelegt. Bei der Frage, in Bezug auf was die Personen Angst haben, lässt sich erkennen, dass keine der Personen direkt angab, vor AusländerInnen Angst zu haben. Einerseits wurden Ansammlungen von Menschen und andererseits Alkohol-konsumierende Personen in der Innenstadt genannt. Zudem gaben die meisten der Befragten an, Angst um Familienmitglieder zu haben.

Bei der Frage nach persönlichen Erfahrungen mit Menschen mit Migrationshintergrund machten nur drei der Personen eine Aussage. Eine Frau gab an, schon häufiger Opfer von Straftaten geworden zu sein, die laut ihrer Aussage AusländerInnen verübt haben sollen. Ein Mann, der in dieser Situation emotional sehr aufgewühlt zu sein schien, meinte, froh über Migrierte zu sein. Dass ihn erst kurz vor dem Tischgespräch ein ausländischer Arzt behandelt hat, schien der Gewerkschafter angesichts des Fachkräftedefizits im Bereich Pflege und Medizin nicht für selbstverständlich zu nehmen. So seien viele Stellen in der Klinik, in welche er sich in Behandlung gab, von Fachkräften mit Migrationshintergrund besetzt.

Ein anderer Herr mit Migrationshintergrund hingegen berichtete, dass er und seine Familie regelmäßig respektlosem Verhalten von Einheimischen ausgesetzt seien. Er sei sogar einmal fast Opfer einer Gewalttat geworden. Die daraus folgenden Maßnahmen zum Schutz der Familie sind, dass vor allem die Kinder der Betroffenen nur noch tagsüber und nicht mehr alleine in die Stadt gelassen werden.

Anhand der bisherigen Ergebnissen kann festgestellt werden, dass sich bei fast allen Beteiligten eine gewisse Angst ausgebreitet hat. Die Fronten scheinen verhärtet und die TeilnehmerInnen fühlen sich aus unterschiedlichen Gründen bedroht. Laut den Aussagen scheint aber nicht die Anwesenheit von Menschen fremden Aussehens der primäre Grund für die Angst bei den ChemnitzerInnen zu sein. Es wirkt eher, als wäre die Stadtbevölkerung insgesamt unruhiger als früher, was wiederum die Angst vor Eskalationen wie die im Sommer 2018 bei den befragten Personen hervorruft. Formulierungen wie „Angst vor Zusammenrottung“ beziehungsweise „Menschenansammlungen“ unterstützen diese Vermutung.

Chemnitzer Innenstadt bei Nacht – Foto von Natalie Bleyl/ Instagram: @nidalee_photo –

In der dritten Oberkategorie ist zusammengefasst, welche konkrete Kritik von den teilnehmenden Personen an der Gesellschaft und an den Medien geübt wird. Immer wieder fiel unter den Diskutierenden der Begriff Mitte. Liest man diese Teile des Gesprächs, fällt auf, dass die Vorstellungen darüber, wie dieser Begriff zu definieren ist, weit auseinander gehen. Klar ist jedoch, dass der Begriff zwei Dimensionen hat. Einerseits wird angeführt, dass „die meisten AusländerInnen Teil der Chemnitzer Mitte der Gesellschaft sind“. Das heißt, dass die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe einerseits dadurch bestimmt wird, ob man in das alltägliche gesellschaftliche Leben der Chemnitzer Bevölkerung integriert ist. Es geht also um eine soziale Komponente. Andererseits wird im Rahmen der Reaktion der Chemnitzer Bevölkerung auf die Ereignisse vom Sommer 2018 von einer politischen Mitte gesprochen. Wo sich diese allerdings genau befindet, ist unklar.

Die Medien wurden im Rahmen der Tischdiskussion ebenfalls kritisiert. Ihnen wird vorgeworfen, Hass und Angst der Bevölkerung weiter zu schüren und die Verbreitung von Falschmeldungen nach den Ereignissen im Sommer erleichtert zu haben.

Am Ende dieses Abschnittes ist also klar, dass eine politische Polarisierung stattgefunden hat. Die politische Mitte scheint zerrissen. Offensichtlich treiben die Medien diesen Prozess weiter voran. Diese Polarisierung scheint bei den Befragten ein Gefühl der Orientierungslosigkeit ausgelöst zu haben. Das zumindest unterstreicht die Tatsache, dass es den Personen schwer fällt, den Begriff der Mitte zu definieren.

Als vierte Oberkategorie lässt sich Kritik über das Handeln der Polizei abgrenzen. In Bezug auf die Ereignisse vom Sommer 2018 wurde bei dem Tischgespräch erwähnt, dass die Polizei nach den Verbreitungen von Falschmeldungen in den sozialen Medien hätte klarstellen müssen, dass diese Meldungen nicht dem aktuellen und tatsächlichen Ermittlungsstand entsprechen. Nach der Erklärung des Polizeichefs a.D., warum der Informationsfluss seitens der Polizei prinzipiell etwas stockend ist, meinte einer der Teilnehmenden, dass für eine schnellere Informationsbereitstellung „Strukturen geschaffen werden müssen“. Weiterhin wurde deutlich, dass einige ChemnitzerInnen allgemein unzufrieden mit der Arbeit der Polizei sind. Sie scheinen sich von dieser alleine gelassen zu fühlen. Auch das treibt den Unmut und das Gefühl von Verlust von Sicherheit seitens der BürgerInnen weiter voran.

Der fünften Oberkategorie lassen sich Ideen für verschiedene Integrationsansätze zuordnen. Zu diesem Thema wurden von den Beteiligten auffällig viele Vorschläge eingebracht. Ein Herr sieht als Kern aller sinnvollen Maßnahmen, dass auf Randgruppen wie Migrierte und die Menschen, „die im Stadthallenpark stehen“ zugegangen werden muss, um weitere Eskalationen zu vermeiden. Weiterhin wurde auch der Vorschlag, für AsylbewerberInnen Ein-Euro-Jobs zu schaffen, um diese zu beschäftigen, bei allen TeilnehmerInnen der Gesprächsrunde als gut befunden. Die BürgerInnen schienen sehr bemüht, die Integration von Migrierten zu beschleunigen.

Abbildung 1: Blick auf den Stadthallenpark, Foto von: Pixel der ersten Klasse

Fazit

Der Grund für die Teilnahme an dem Tischgespräch war bei den Teilnehmenden weitgehend übereinstimmend. Alle Personen schienen mit den Entwicklungen in der Stadt Chemnitz und auch allgemein in Deutschland unzufrieden zu sein. Der Wunsch der Teilnehmenden ist es, den vorherigen Zustand der Normalität wiederherzustellen. Einige der Teilnehmenden führten an, sich durch den Dialog gehört zu fühlen.

Weiterhin kann festgestellt werden, dass der Kern der Probleme in Chemnitz die Angst der Personen voreinander ist. Teile der Bevölkerung scheinen Angst vor Kriminalität durch AusländerInnen zu haben. Diese Angst schlägt wiederum in Aggression gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund um, was zur Folge hat, dass Menschen mit Migrationshintergrund vermehrt respektlosem Verhalten und sogar verbalen Beleidigungen ausgesetzt sind. Schlussendlich sind die Fronten auf den Seiten verhärtet und es herrscht bei vielen BewohnerInnen der Stadt Unsicherheit. Vor allem diejenigen Personen, die bereits negative Erfahrungen mit Menschen mit Migrationshintergrund gesammelt haben, fühlen sich unsicher und betrachten das Thema der Migration kritisch.

Das Interview hat auch gezeigt, dass die Medien eine große und nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Durch das Verbreiten von Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken wird das Konfliktpotential weiter verstärkt. In diesem Zusammenhang ist auch die Bedeutung der Polizei zu beachten. Einige BürgerInnen sind enttäuscht, dass Straftaten nicht konsequenter verfolgt werden und dass die Polizei das Problem der Falschmeldungen nicht wirklich lösen kann.

Der Teil des Gespräches, in dem es um die Mitte ging, zeigt, wie zersplittert die Gesellschaft ist. Scheinbar alle fühlen sich dieser Mitte zugehörig, niemand kann sie jedoch genau definieren. Grund dafür ist sicherlich, dass seit der Verwaltungskrise, die durch die enormen Zuströme an Geflüchteten im Jahr 2015 ausgelöst wurde, besonders im politischen Sinne eine Polarisierung stattgefunden hat.

Abschließend lässt sich jedoch ein positives Bild zukünftiger Entwicklungen zeichnen. In dieser Diskussion sind die Teilnehmenden gemeinsam zu Vorschlägen gekommen, welche Maßnahmen für eine gelungene Integration getroffen werden können. Es ist also doch möglich, die Aufgabe der Integration gemeinsam durch einen Dialog zu lösen. Das Gespräch hat gezeigt, dass die Bevölkerung dazu bereit ist, diese Aufgabe gemeinsam anzugehen. Letztendlich hat die Aktion der Freien Presse zur Folge, dass den LeserInnen ein gutes Gefühl vermittelt wird. Nicht zuletzt, weil alle zusammen Ideen und Vorschläge hervorgebracht haben, wie die Aufgabe der Integration von Migrierten gelöst werden kann.


Autor: Kilian Krämer

Redaktion: Julia Tuncel