Beobachtungen im öffentlichen Raum

5er Chemnitzer Stadthallenpark als öffentlicher Ort von Begegnung und Konflikt

Im Spätherbst 2018 erlangte Chemnitz internationale Bekanntheit, als sich Neonazis aus ganz Deutschland vor dem Karl-Marx Monument versammelten. In der Nacht vom 26. August war der Deutsch-Kubaner Daniel H. am Rande des Chemnitzer Stadtfest von einer Person syrischer Herkunft erstochen worden. Es kam in der Folge zu rassistischen und antisemitischen Anfeindungen und Angriffen. Sowohl Passant*innen als auch Gegendemonstrant*innen waren dabei Ziele dieser Angriffe. Der Stadthallenpark stand dabei aufgrund seiner Zentralität und Ruf als „migrantischer Treffpunkt“ im Zentrum der Anfeindungen.

Der Park direkt an der Zentralhaltestelle gelegen hat dabei im Weiteren einen Ruf der Kriminalität erhalten. Der Stadthallenpark ist unserer Forschung definiert als die Große Wiese vor der Oper Chemnitz, die durch Rundweg um die Wiese abgegrenzt ist. Mit unseren Erhebungen wollten wir diesen Ruf hinterfragen und herausfinden, wie migrantische und nicht- migrantische Menschen an so einem aus vielerlei Hinsicht geprägten Ort zusammenleben und ob sich Nachwirkungen der Ereignisse 2018 erkennen lassen.

Der Öffentliche Raum

Der Stadthallenpark steht in unsere Forschung für den öffentlichen Raum. Doch wie ist öffentlicher Raum in der Forschung definiert?  Die Bestimmung des öffentlichen Raum ist nicht klar vorgegeben Es gibt keine Nutzerperspektive, die man auf jeden Raum anwenden kann um ihn daraufhin als „öffentlich“ oder „privat“ zu definieren. Viel mehr kommt es darauf an, wie ein Raum im Auge des Betrachters „gelesen“ wird (Klamt 2012). Verschiedene Faktoren spielen eine Rolle, wenn es darum geht einen Raum zu definieren. Für unsere Forschung sind dabei vor Allem die Zugänglichkeit und Nutzung entscheidende Kriterien. Im philosophischen und planerischen Sinne dient Öffentlicher Raum vor Allem dazu Meinungsaustausch zu fördern, in dem sich verschieden Menschen begegnen und so gegenseitig einen diskursiven Ort der Verschiedenheit schaffen. Es entsteht ein „gemeinsamer Versammlungsort“ (Klamt, 2012), an dem verschiedene Gruppen und Menschen aus verschiedenen Milieus aufeinander treffen. An Orten in denen es infrastrukturelle Einrichtungen wie Geschäfte und Fußgängerzonen, also Orte die Begegnungen ermöglichen, gibt, kommt es zu vermehrt zu Intergruppenkontakten, also Kontakten über die eigene Gruppe hinaus (Gesemann 2018). Besonders im Innenstadtgebiet kommt es demnach zu vielen Unterhaltungen und Bekanntschaften zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.

Forschungsmethodik

In unserer Forschungsgruppe im Rahmen des Seminares „Lokale Ankunftsräume in Chemnitz: Ein Lehrforschungsseminar zu Migration“ haben wir das Zusammenleben im SHP mit Hilfe von teilnehmenden Beobachtungen untersucht. Die teilnehmenden Beobachtungen ist dabei ausgewählt worden, da man sie sehr gut auf das Geschehen angepasst nutzen kann. Sie gibt dabei die Möglichkeit direkt ins Geschehen einzutauchen und unerwartete Ereignisse ebenfalls zu erfassen. In der klassischen teilnehmenden Beobachtungen werden im Vorfeld keine Beobachtungsschemata entwickelt, um möglichst offen und flexibel das Geschehen aufnehmen zu können. Allerdings haben wir in unserer Gruppe die Methode so angepasst, dass mit vorgefertigten Protokollzetteln gearbeitet wurde, da wir in unserer Forschung besonders auf den Unterschied im Verhalten von migrantischen und nicht-migrantischen Gruppen eingegangen sind.

Wir haben uns außerdem dazu entschieden, die Beobachtungen immer zu zweit durchzuführen, so dass die eine forschende Person einen quantitativen Teil zum Geschehens vornimmt, in der das geschätzte Alter, das gelesene Geschlecht, die gelesene Herkunft (migrantisch oder nicht-migrantisch), die gesprochene Sprache (Deutsch, nicht-Deutsch) sowie die Gruppengröße aufgenommen wurde. Ergänzend dazu wurden von der zweiten forschenden Person die Dauer des Aufenthalts, die Aktivität, die Grundstimmung, die soziale Interaktion, sowie Rahmenbedingungen und Polizeipräsenz aufgenommen. Die Ergebnisse wurden dann in einer Tabelle zusammengeführt.  In Zeitintervallen von 15-20 min. wurden acht Beobachtungen durchgeführt. Drei unter der Woche vormittags, drei unter der Woche abends, eine am Wochenende vormittags und eine am Wochenende abends.

Ergebnisse

Die folgenden Ergebnisse sind vorläufig und können aufgrund der geringen Anzahl an Erhebungen nicht als repräsentativ für die Geschehnisse im Stadthallenpark in Chemnitz genommen werden. Allerdings sind Trends abzulesen, die mit weiterer Forschung verifiziert werden könnten.

Wochentags am Vormittag

Allgemein ist festzuhalten, dass der Park vormittags und nachmittags ein völlig anderer ist. Vormittags unter der Woche dient der Stadthallenpark hauptsächlich als Durchgangsort. 38 „Gruppen“ (Einzelpersonen, Paare und Gruppen ab drei) verwendeten in diesem Zeitraum den SHP als Durchgangsort, während nur 11 „Gruppen“ diesen zum Verweilen nutzten. Im Weiteren waren besonders viele Einzelpersonen: 38 und Paare: 10 im Verhältnis zu Gruppen ab 3 Menschen: 4 anwesend. Das gelesene Geschlechterverhältnis war mit 36 männlich und 36 weiblich ausgeglichen, während der gelesene Migrationshintergund mit 15 Menschen als migrantisch gelesen und 50 Menschen als nicht migrantisch gelesen, klar in Richtung der nicht-migrantisch gelesenen tendiert. Es nutzen vor allen Dingen viele Junge Erwachsenen:27 und Erwachsene: 24 den SHP morgens, während Ältere Menschen dahinter mit 16 Personen und Kinder mit 5 und Jugendliche mit 3 Personen weniger stark vertreten waren. Es findet außerdem kaum Interaktion zwischen den Anwesenden statt.

Aus diesen vorläufigen Ergebnissen lässt sich die Funktion des Parks vormittags als Durchgangsort beschreiben, den vor Allem Einzelpersonen aber auch vereinzelt Paare nutzen. Außerdem sind die Meisten der durchlaufenden Menschen nicht-migrantisch gelesen und zum großen Teile junge Erwachsene und Erwachsene.

Wochentags am Nachmittag

Am Nachmittag unter der Woche zeichnet sich ein völlig anderes Bild des Stadthallenpark ab. Es sind im Verhältnis und im Totalen mehr Menschen unterwegs und anwesend. Dies spiegelt sich vor Allem in der Zahl der jungen Erwachsenen mit 101 ab. Außerdem sind 26 Erwachsene anwesend. Es gibt im Weiteren ein starkes Geschlechterungleichgewicht zu Gunsten männlich gelesener Menschen von 94 männlich Gelesenen zu 32 weiblich Gelesenen. Außerdem ist die Zahl der migrantisch Gelesenen mit 103 im Verhältnis zu 26 nicht-migrantisch Gelesenen, deutlich in Richtung der migrantisch Gelesenen ausschlagend. Im Vergleich zu den Beobachtungen am Vormittag ist auch eine Verschiebung der Gruppengröße zu erkennen. Nachmittags dominieren die Gruppen ab 3 Personen mit 21, gefolgt von den Einzelpersonen mit 8 und den Paaren mit 7. Es verweilen auch insgesamt deutlich mehr „Gruppen“ (Einzelpersonen, Paare und Gruppen ab drei) 30 im Vergleich zu den Durchlaufenden mit 11.

Nachmittags unter der Woche zeigt sich dementsprechend im Vergleich zu den Vormittagen ein sehr anderes Bild. Der SHP dient vor Allem zum Verweilen in Gruppen, die zumeist aus jungen Erwachsenen bestehen. Ein Großteil der Anwesenden ist dabei migrantisch und männlich gelesen.

Die Gruppen gehen dabei ähnlichen Aktivitäten nach. Aus der Beobachtung vom 15.06.2021 von 18:00-18:20 wird folgendes Beispiel einer Gruppe präsentiert:

„Die Gruppe G2 verweilt im Park auf der großen Wiese. Es sind 6 migrantisch gelesene Menschen. 3 Menschen werden als männlich gelesen, 3 als weiblich gelesen. Sie sind Erwachsen und die Grundstimmung ist positiv, gelöst. Sie trinken Alkohol, chillen und sitzen auf der Wiese. Die Gruppe interagiert mit einer anderen Gruppe G1, die auch Alkohol trinkt und im Park chillt. Es kommt eine weitere Person P2 dazu“

Generell kommt es zu viel Interaktion zwischen den beiden Gruppen. Personen rufen zu einander rüber und wechseln die Gruppen. Auffallend ist außerdem, dass der Park häufig zum Volleyball spielen genutzt wird.

Am Wochenende

Am Wochenende zeichnet sich vormittags ein ähnliches Bild ab wie unter der Woche, nur sind insgesamt deutlich weniger Leute unterwegs. Hier ist anzumerken das jeweils nur eine Erhebung am Vormittag und eine am Nachmittag durchgeführt wurde. So zeichnen sich allerdings die gleichen Tendenzen ab wie unter der Woche. So sind vormittags wieder deutlich weniger Leute unterwegs die größte Gruppe bilden hier die Erwachsenen mit 7, während am Nachmittag etwas mehr Menschen da sind. Die größte Gruppe wird hier von den jungen Erwachsenen mit 18 gebildet. Es zeigt sich erneut ein männlich-gelesen, dominantes Verhältnis am Nachmittag mit, 19 männlich gelesen und 5 weiblich gelesen. Im Vergleich dazu war das Verhältnis am Vormittag mit 8 männlich gelesen und 7 weiblich gelesen fast ausgeglichen. Am Nachmittag zeigt sich außerdem ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen migrantisch gelesenen 10 und nicht migrantisch gelesenen 11. Für den Vormittag wurde hierzu nichts erhoben. Die Zahlen für die Gruppengrößen liegen für den Vormittag nicht vor. Für die Aufenthaltsdauer lässt sich vormittags eine ähnliche Tendenz wie unter der Woche ablesen. Sechs „Gruppen“ nutzen den Park als Durchgangsort, während zwei „Gruppen“ dort verweilen. Abends verschiebt sich das Verhältnis, sodass 4 „Gruppen“ durchlaufen und 5 „Gruppen“ verweilen.

Ein Beispiel Beobachtung vom 20.06 von 18:05-18:25 soll exemplarisch, die herrschende Situation verdeutlichen.

„G2 besteht aus 3 jungen Erwachsenen. Sie werden alle als männlich und migrantisch gelesen. Sie sitzen beziehungsweis „hängen“ auf der Wiese und chillen. Die Grundstimmung ist positiv und locker. Sie treten in Interaktion mit M1, der ebenfalls auf der Wiese chillt und am Handy ist.“

Insgesamt lässt sich ein deutlich ruhigeres Geschehen am Wochenende erkennen, was sicherlich auch mit einem subjektiv generell geringeren Aufkommen von Menschen im Stadtzentrum am Wochenende zusammenhängt. Zu den allgemeinen Umständen lässt sich erwähnen, dass dauerhaft Polizeipräsenz in und um den Stadthallenpark vorhanden war. Es kam zum Teil zu Durchsuchungen von Menschen und die Polizei ist mit Gruppen in Kontakt getreten. Außerdem sind hat es zu keinem Zeitpunkt der Untersuchung geregnet und die Sonne schien im Großteil.

Zusammenfassung

Der Stadthallenpark wird seiner Funktion als Begegnungsstädte verschiedener Gruppen und Menschen zumindest nachmittags gerecht. Vormittags dient der Ort eher als Durchgangsraum, der kaum zum Verweilen sondern eher zum Durchqueren genutzt wird. Gerade nachmittags treffen hier viele migrantisch-gelesene Menschen aufeinander. Der Stadthallenpark ist deshalb auch weiterhin als „migrantischer Treffpunkt“ zu bezeichnen. Dies hat sich durch die Ereignisse im Herbst 2018 nicht geändert. Allerdings ist die hohe Polizeipräsenz, sicherlich ein Zeichen dafür, dass der SHP als konfliktreicher Ort und damit als schutz- bzw. überwachungsbedürftig eingestuft wird.

Falls die Forschung in diesem Bereich ausgeweitet wird, regen wir an, auch die Bänke etwas abseits vom Park in die Forschung miteinzubeziehen, da es dort augenscheinlich auch häufiger zu Konflikten und sozialen Interaktionen kam.

 

Literaturverzeichnis

Frank Gesemann, R. R. (2018). Handbuch Lokale Integrationspolitik. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Klamt, M. (2012). Öffentliche Räume. In M. Klamt, Handbuch Stadtsoziologie (S. 775-804). Müchen.

 

Autor: Till Saremba 

Die Beobachtung wurde im Rahmen des Lehrforschungsseminars „Lokale Ankunftsräume (Leitung Hanne Schneider) durchgeführt.