“Alle Leute aus der Klimabewegung waren schon einmal hier“

Interview mit eine:r Aktivist:in in Lützerath.

Till Saremba, 14.01.2022

Im Zuge unserer Arbeit zu dem Thema „Räumliche Orte als Kristallisationspunkte der Klimabewegung“ haben wir im Januar 2022 ein Interview mit Fuchs (Name geändert), eine:r Aktivist:in in Lützerath geführt. Darin geht es um das alltägliche Leben in diesem Protestort, die Motivation, die Menschen dazu treibt sich an diesem Widerstand zu beteiligen und eine Einschätzung zu unserer aufgestellten These.

Till Saremba (S): Hallo, schön, dass Du Dir Zeit für das Interview nehmen konntest. Vielleicht kannst Du Dich kurz vorstellen und sagen, warum Du Dich dazu entschieden hast, hier zu sein. Und mit was für einer Erwartungshaltung Du an diesen Ort hergekommen bist und ob sich diese erfüllt hat?

Fuchs (F): Ich weiß gar nicht wie ich mich gerade vorstellen soll (lacht), aber ich bin seit Mitte Oktober ungefähr hier und wohne in einer kleinen Hütte. Meine Erwartungshaltung, mit der ich hierhergekommen bin, war, dass Anfang November 2021 hier geräumt wird und ich eigentlich gar nicht lange hier sein werde. Also ursprünglich wollte ich gar nicht hierherkommen und dann habe ich mich geärgert, dass ich nur so zwei Wochen Zeit habe, um mich auf den Ort einzustellen. Dadurch hatte ich das Gefühl, dass ich eigentlich nur „Räumungstourismus“ betreibe. Das hat sich nun doch nicht bewahrheitet, weil ich immer noch hier bin und bis jetzt nicht geräumt wird. Es gibt auch noch keinen Termin. Am Anfang habe ich gedacht, dass ich ja nur kurz da sein werde und habe mich deswegen auch nicht darauf eingestellt großartig mit dem Ort in Verbindung zu treten. Also eine Beziehung zum Ort und auch nicht zu den Menschen großartig aufbauen zu können. Das ist jetzt alles ein bisschen anders gekommen als ich dachte und irgendwie mag ich den Ort jetzt doch richtig gerne, vor allem die Menschen hier. Das hat sich sehr verändert.

S: Glaubst Du das es anderen Menschen auch so ging? Dass sie auch dachten, sie kommen her für die Räumung und dann ist es ganz schnell vorbei oder glaubst Du, dass viele Leute auch mit der Erwartung hergekommen sind, dass wird eine Sache, wo sie langfristig bleiben werden?

F: Niemand hat das erwartet, aber inzwischen ist es anders. Wenn jetzt Leute herkommen, dann ist klar, dass nicht morgen geräumt wird. Aber ich kenne viele Leute, die mit der Intention hergekommen sind, für eine Woche oder so zu bleiben und dann irgendwie einfach hiergeblieben sind. Oder Leute, die für die Räumung gekommen sind und dann kam die Räumung nicht und sie sind geblieben.

S: Kannst Du uns vielleicht einen kurzen Einblick in Dein Leben hier geben? Wie würdest Du das Zusammenleben hier beschreiben? Gibt es einen Alltag oder ist jeder Tag anders?

F: Es gibt schon einen gewissen Alltag… Also es gibt eine gewisse Struktur, die wir alle haben, und das sind die Mahlzeiten. Es gibt eine Küche für Alle, also eine Küfa, die kocht jeden Tag für uns alle. Das sind Menschen aus dem Camp und Menschen, die irgendwann mal hergekommen sind, weil sie gesagt haben sie wollen gerne für ganz viele Menschen kochen. Die sind auch wegen der Räumung hergekommen und dann nicht wieder weggegangen. Und da gibt es morgens, mittags und abends zu festen Zeiten Essen und ich glaube das ist so die Grundstruktur, die der Ort hier hat. Mein Tag ist sehr unterschiedlich. Ich passe mich eigentlich jeden Tag an und überlege, was ich machen will. Ich habe immer entweder verschiedene konkrete Sachen im Kopf, die ich gerne machen will oder schaue, was ich tun kann bzw. wo ich helfen kann. Das ist immer sehr spontan, was ich mir vornehme. Oder Leute kommen auf mich zu und sagen „Hey, hast du gerade einen Moment da und da mitzuhelfen?“ Ich selbst bin nicht so fest organisiert, aber es gibt auch Strukturen, die es sind. Hier ist viel in Arbeitsgruppen organisiert und da gibt es zum Beispiel eine AG für Infrastruktur, eine Prozess AG, eine AG für die mediale Außenwirkung… was gibt es noch für AGs? Es gibt eine Infopunkt AG, die kümmert sich um Leute und Spenden, die ankommen. Die Küfa ist auch ein bisschen wie eine AG. Ah, es gibt auch eine Awareness AG, für Unterstützung bei zwischenmenschlichen oder psychischen Problemen. Es gibt auch noch die Antira (Anm.: Antirassismus) AG, weil antirassistische Arbeit hier auch ein Schwerpunkt ist, abgesehen von Themen wie Klimagerechtigkeit und Braunkohle. Es gibt bestimmt noch viel mehr was ich aber gerade vergessen habe. Diese AGs treffen sich alle mehr oder weniger regelmäßig und haben immer verschiedene Inputs und Themen, die sie besprechen bzw. bearbeiten. Dann haben wir dreimal in der Woche ein Großplenum, Mittwoch, Freitag und Sonntag um fünf. Da können sich alle Leute, die Interesse haben treffen und Informationen darüber austauschen, was passieren wird in den nächsten Tagen, was in den AGs passiert ist, ob Entscheidungen getroffen wurden und wo auch Fragen gestellt werden können. Die grobe Grundstruktur ist kurz gesagt: Essen und dreimal in der Woche Plenum.

S: Die Klimabewegung ist ja sehr breit aufgestellt, wie würdest Du die Rolle von Lützerath im Kontext dieser ganzen Klimagerechtigkeitsbewegung bewerten oder wofür würdest Du sagen steht Lützerath in diesem Kontext?

F: Ich habe das Gefühl, dass Lützerath gerade ein wichtiger Punkt ist. Es ist der dritte Ort in wenigen Jahren, wo sich viele Leute versammeln, um eine Räumung zu verhindern. Gut, die Räumung ist jetzt nicht gekommen, aber es geht ja viel um den Braunkohletagbau und um (Anm.: den Energiekonzern) RWE, darum ging es ja auch im Hambi (Anm.: Hambacher Forst) schon. Und Lützerath ist glaube ich der Punkt, wo RWE gestoppt werden könnte. Weil es so aufgeteilt ist, dass es Lützerath und fünf andere Dörfer hier in der Nähe gibt, die im Koalitionsvertrag erwähnt wurden, dass sie angeblich nicht abgebaggert werden sollen. Aber die liegen ziemlich am Rand von dem Gebiet, das ursprünglich abgebaggert werden sollte. Deswegen haben wir, glaube ich, alle gar nicht damit gerechnet, dass es überhaupt so weit kommt. Und Lützerath ist gerade so ein Dreh- und Angelpunkt. Wenn entschieden wird, dass Lützerath nicht abgebaggert wird, dann habe ich echt Hoffnung dafür, dass sich tatsächlich Sachen verändern können und dass die Klimakatastrophe ernst genommen wird. Und wenn es abgebaggert wird, dann ist es für mich ein starkes Zeichen dafür, dass es irgendwie immer noch nicht angekommen ist das wir uns JETZT kümmern müssen. Das wir JETZT Verantwortung übernehmen müssen und das wir JETZT einfach Dinge verändern müssen. Und dass es einfach nicht auf das Individuum abgeschoben werden kann, sondern dass auch Konzerne und Firmen wie RWE aufgrund der Klimakrise einfach zurückstecken müssen. Das es wichtigeres gibt, als Kohle abzubauen.

S: Ihr wählt hier die Aktionsform einer Besetzung über einen längeren Zeitraum und damit auch eine sehr direkte Aktionsform, um konkret gegen den Kohleabbau und die Klimakrise vorzugehen. Was würdest Du sagen ist das Besondere an dieser Aktionsform und wie würdest Du eine Besetzung im Vergleich zu anderen Aktionsformen bewerten? Also erreicht man damit viele Leute? Ist das inklusiv für Menschen?

F: Also erstmal ist das hier direkt keine Besetzung. Es gibt verschiedene Teile: in Lützerath gibt es inzwischen auch Besetzungen, aber der Großteil vom Camp ist auf einer Wiese von Eckardt Heukamp (Anm.: Einwohner Lützeraths). Das ist legal. Inzwischen gibt es auch drei besetzte Häuser und eine besetzte Wiese. Jetzt ist es glaube ich so fifty-fifty von der Verteilung. Insgesamt denke ich, dass Lützerath super anschlussfähig ist für Menschen, die vorher noch nicht so in Kontakt mit etwas radikaleren Aktionsformen gekommen sind, weil es hier so zugänglich ist. Es ist klein, man kann direkt mit den Menschen reden, es sind nicht viele Menschen vermummt und es gibt die Mahnwache direkt an der Straße. Ja, ich glaube, es wirkt nicht so autonom. Also es ist zumindest nicht so ein autonomes Klischee (lacht), sondern es ist aufgeräumt, sehr bunt und es gibt viele bürgerliche Aktionen. Da vorne auf dem Wall gab es eine Aktion von den Parents for Future, wo Kuscheltiere gesammelt wurden und auf dem Wall gesetzt wurden. Die können dann wieder abgeholt werden, wenn RWE nicht abbaggert. Und solche Sachen gibt es richtig viel. Es gibt nicht dauerhaft Streit mit den Security Leuten, sondern es gibt ein gutes Verhältnis zu denen. Natürlich muss es auch ein Entgegenkommen der Menschen von außen geben, aber eigentlich ist es, glaube ich, richtig leicht hier Anschluss zu finden.

S: Wir haben die These aufgestellt, dass in der Klimabewegung der Kampf immer mehr an zentralen räumlichen Orten – wir haben diese Kristallisationspunkte genannt – zusammenkommt. Nach dem Hambacher und dem Dannenröder Forst gibt es hier nun den Ort Lützerath. Würdest Du dem zustimmen, dass Lützerath ein solcher Ort ist? Und wie würdest Du die These allgemein bewerten?

F: Ich habe auch sehr das Gefühl, dass das gerade so ist. Also, dass es diese Kristallisationspunkte gibt. Ich finde das ist auch ein guter Ausdruck und ich bin richtig gespannt, was der nächste Kristallisationspunkt sein wird. Und ich bin sehr gespannt, was passiert, wenn Lützerath nicht geräumt wird. Also, weil ich auch das Gefühl habe, dass es immer mit einer Endlichkeit des jeweiligen Ortes zu tun hat. Auch wenn im Hambi (Anm.: Hambacher Forst) noch immer Leute leben, ist es trotzdem geräumt worden und das ist etwas Anderes. Also ja, ich würde sagen, dass Lützerath dazu zählt. Es gibt zwar gerade auch noch richtig viele andere Besetzungen, die sind jedoch alle kleiner. Und hier ist sehr viel los. Also hier sind dauerhaft etwa um die hundert Leute und ich habe das Gefühl alle Leute aus der Klimabewegung, die gerade auf diese Art aktiv sind, waren schon einmal hier. Also fast alle, es sind wirklich wenige, die noch nicht hier waren. Das ist auch ein bisschen wie Familientreffen manchmal. Dauernd kommen Leute vorbei, die sich irgendwie kennen.

S: Auf Deine Einschätzung der Zukunft würde ich später nochmal zurückkommen, aber erstmal eine andere Frage: Du hast eben schon von der Radikalisierung geredet, aber bevor Fridays for Future (FFF) durch Massenmobilisierung hunderttausende Aktivist:innen auf die Straße gebracht hat, war die Klimabewegung unserer Meinung nach eher kleiner und radikaler angelegt. Orte wie der Hambacher Forst waren die Speerspitzen dieser noch kleineren Bewegung und heute ist diese Bewegung sehr groß. Spätestens seit dem Dannenröder Forst zeigt sich eine verschärfte Radikalisierung innerhalb der größeren Bewegung. Wo siehst Du die Klimagerechtigkeitsbewegung zurzeit hinsichtlich ihrer Radikalisierung?

F: Das sind finde ich zwei Punkte, die aufeinander zulaufen. Auf der einen Seite ist der Hambi, der schon ziemlich radikal war. Auf der anderen Seite ist FFF, was am Anfang nicht so radikal war, und das trifft sich irgendwo in der Mitte. Ich habe das Gefühl, dass der Hambi sehr radikal war, der Danni war schon weniger radikal und Lützerath wirkt bis jetzt nicht wirklich radikal auf mich. Gleichzeitig gibt es FFF, was am Anfang nicht so radikal war und schon nach meiner Auffassung oder meiner Wahrnehmung nach sich immer weiter radikalisiert. Und jetzt, wo ich gerade darüber nachdenke, denke ich schon, dass Lützerath radikal ist, nur ein bisschen versteckter. Da sind noch Blumen vor der Radikalität.

S: Wo siehst Du generell die Radikalität in der Bewegung? Ist die Radikalisierung innerhalb der Bewegung eine führende Idee oder ist es eher so, dass Einige etwas radikaler unterwegs sind, aber die Mehrheit sagt etwas Anderes?

F: Ich glaube es ist eine schleichende gemeinsame Radikalisierung. Es wirkt erst einmal nicht so als würden Leute radikaler werden, aber es ist doch so. Wenn man den Leuten dann zuhört, dann hört man doch, dass die Thesen und das die Gespräche immer radikaler werden. Obwohl die Forderungen, die die Menschen haben eigentlich einfach nur konkreter werden. Und das hat für mich auch was mit radikal zu tun. Im Vergleich zum Hambi wirkt es erst einmal nicht so weil wir jetzt nicht so viele Steine schmeißen, aber in den Köpfen passiert etwas. Und, ich glaube, in den Köpfen bei Fridays for Future passiert auch eine Radikalisierung. Alles aus dem Willen, dass sich jetzt wirklich was verändern muss. Das ist auch eigentlich der Grund dafür: das Wissen, dass sich jetzt wirklich etwas verändern muss, um die Klimakatastrophe wirklich bekämpfen zu können. Und ein: wir warten nicht mehr lange, denn wir haben keine Zeit mehr.

S: Was denkst Du wie wird es hier in Lützerath weitergehen? Die Räumungs- und Rodungssituation, sowie die Rechtslage sind unklar. Was siehst Du für Perspektiven für Lützerath? Und hast Du Gedanken dazu, ob es noch weitere Kristallisationspunkte geben wird?

F: Also bei den Kristallisationspunkten bin ich richtig gespannt, weil gerade habe ich nicht so richtig was vor Augen. Es gibt verschiedene kleinere Waldbesetzungen, aber nichts, was akut räumungsbedroht ist. Also zumindest ist das mein Wissensstand gerade. Deswegen bin ich gespannt. Und Lützerath, naja, es gibt verschiedene Szenarien: entweder es wird demnächst geräumt und, naja, dann ist es weg. Oder es wird nicht geräumt, weil das Urteil bis Ende Februar nicht gefällt wurde. Dann bin ich gespannt, wie viele Menschen hierbleiben werden, denn dann wird es etwas Längerfristiges. Und dann gibt es schon auch noch das Szenario, dass gar nicht geräumt wird. Ich denke, dann wird irgendwann zurückgebaut werden. Ich weiß nicht, was mit den besetzten Häusern und der Wiese ist. Vielleicht wollen Menschen, die in den Häusern gewohnt haben, in die Häuser zurück. Oder ja, ich kann mir auch vorstellen, dass das nochmal ein Knackpunkt mit den Menschen und Bürger:inneninitiativen sein könnte. Aber dieses Grundstück gehört, wie gesagt, Eckardt und so wie ich den Menschen einschätze, möchte der nicht für immer mit hundert Aktivist:innen auf seinem Grundstück zusammenleben, sondern freut sich wenn er dann auch irgendwann wieder seine Ruhe hat.

S: Vielleicht nochmal so Deine persönliche Einschätzung. Was denkst Du was wird passieren? Wird hier geräumt werden?

F: Also, mein Gefühl ist normalerweise bis zur Räumung, dass nicht geräumt werden wird. Und jetzt gerade ist mein Gefühl auch, dass nicht geräumt wird. Zumindest habe ich gerade sehr stark das Gefühl. Bis Ende Februar 2022 ist auch echt nicht mehr viel Zeit, das sind noch sechs Wochen, das kann schon noch passieren, aber gerade gehe ich nicht davon aus. Ich habe auch gar keine Lust darauf.

S: Das wären dann auch schon meine Fragen, ich danke dir ganz herzlich.