Leben ohne zu leben. Raul Zelik stellt in unverschönter Weise unser Leben als Untote in einem automatisierten kapitalistischen System dar und führt als Lösung – Achtung Trigger – einen grünen Sozialismus an¹ . Dieser ermögliche uns die eigene Wiederbelebung…
Johannes Moosbühler (er), März 2021
Der Weg der Untoten zurück ins Leben
Seine Aspekte einer modernen und linken Politik sind altbekannt. Raul Zelik setzt sich für Solidarität, Demokratisierung, Geschlechtergerechtigkeit, Antidiskriminierung und für ein gutes Leben für alle ein. Zugleich unterstreicht er, dass Politik nicht simpel ist und verweigert eine unterkomplexe Darstellung dieser. Durch Beispiele wie dem Schutz des Wiener Wohnungsmarktes vor Finanzspekulation oder der Lohngleichheit aller Geschlechter per Gesetz in Island, liefert er Ansätze, die über eine bloße Wachstumskritik hinausgehen. Auch hinterfragt er, „inwiefern Naturverhältnisse, Konsummodelle und Lebensweisen mit den Klassen- und Herrschaftsverhältnissen verschränkt sind“[13]. Zelik ist sich bewusst, dass die sozialdemokratische Reformpolitik des 20. Jahrhunderts gescheitert ist und plädiert dafür Reformen und Revolutionen als wechselseitig wirksam zu begreifen. Demokratische und soziale Fortschritte in der Vergangenheit habe es vor allem dann gegeben, wenn es ein Wechselspiel zwischen beidem gab, so etwa Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland, als das Sozialversicherungssystem eingeführt wurde[14].
„So oder so: Wir stehen vor einem Epochenbruch. Unser
Leben wird sich extrem verändern – by design or by disaster.”[15]
Nur eine Notbremse, d.h. ein radikaler Paradigmenwechsel von Ökonomie und Gesellschaft kann eine ökologische und folglich globale Krise noch verhindern [16]. Eine Lösung ist die gerechte Aufteilung des Energie- und Ressourcenverbrauchs und dass die Wirtschaft ökologisch nachhaltiger werden muss. Die Überwindung des Kapitalismus als Prozess kann nur in Verbindung mit ökonomischen, politischen, sozialen, kulturellen und philosophischen Prozessen geschehen[17].
Die Untoten in der Maschinerie
Raul Zelik verwendet das Motiv des Untoten/Zombies aufgrund seiner passenden popkulturellen Erscheinung. Vor allem in Serien, Kinofilmen oder Games findet der Zombie anklang und drückt nach Georg Seeßler und Markus Metz folgendes aus:
Ein „Da-Sein und doch nicht Da-Sein; Dasein und doch kein Dasein. Man denkt an Gespenster, Retortenwesen oder radikale Entwürdigte, an Menschen jenseits ihrer Geschichte und jenseits ihrer, nun ja, Menschlichkeit, an RoboCops und Pillenwerfer, […] an Bürokraten und Fließbandarbeiter, Soldatenmaschinen und Maschinensoldaten […], Leute, die sich halb zu Tode schuften, und Leute, die sich halb zu Tode amüsieren“[2].
Dabei reizt Zelik das Motiv des Zombies in der Faszination des Drastischen, d.h. „Gestalten, die wie Menschen aussehen, […] nur noch von einem restanimalischen Instinkt getrieben werden, überschreitet alle Grenzen […]“[3].
Dass Raul Zelik „uns alle“ – also diejenigen, die dem kapitalistischen System unterliegen – als Zombies beschreibt[4], begründet er am Beispiel der wirtschaftlichen und politischen Willensäußerungen die Treibhausgase zu senken: Seit dem Bericht des Club of Rome[s] im Jahr 1972 mit „Die Grenzen des Wachstums“, dem UN-Gipfel 1992 in Rio de Janeiro, dem Kyoto-Protokoll von 1997 mit verbindlichen Zielwerten für Treibhausgas-Emissionen, die Ankündigung im Jahr 2009 der OECD-Staaten eines grünen Wachstums sowie die Europäische Verpflichtungserklärung im Jahr 2018 zur Klimaneutralität – ist wenig bezüglich der Treibhausgassenkung passiert, obwohl die meisten Forschenden seit fast drei Jahrzehnten sich einig sind, dass sich bezüglich der Umwelt „unsere“ Handlungsmuster verändern müssen[5].
Dass Handlungsmuster zu Gunsten der Umwelt (z.B. CO2-Senkung) nicht verändert wurden bzw. werden, begründet Raul Zelik in der zwanghaften Vermehrung des zur Verfügung stehenden Kapitals. Dabei findet der Zwang auch Zutritt in „unser aller“ Alltag, wie die gefüllten Shopping-Malls, das Produkt Beziehung/Liebe oder als Anhängsel einer Maschine als Supermarktverkäufer:in [6]. Der Kontrollverlust über „unser“ eigenes Lebens und dem willenlosen Folgen des Handlungsmusters der ständigen Wertschöpfung, prangert er dem Kapitalismus an.
Wiederbelebung, ein Prozess …
Als Gegenmodell schlägt er den grünen Sozialismus vor, genauer gesagt, einen demokratisch- egalitären Sozialismus. Zelik fordert zum Ablegen alter Paradigmen auf, wie die Entwicklung von Handel und Produktion als Erfolg von Regierungen und ihrer Politik zu bewerten oder den gesellschaftlichen Fortschritt anhand des BIPs zu bemessen[7]. So taucht z.B. die überwiegend von Frauen geleistete Sorgearbeit in den Familien als auch das Engagement von Menschen in ihrer Nachbarschaft nicht im BIP auf, obwohl diese Arbeiten überhaupt erst die Voraussetzungen für gutes Leben herstellen[8].
Dass die seit zwei Jahrhunderten propagierte Wachstumsdynamik und Produktivitätsentwicklung in den OECD-Ländern trotz Digitalisierung verlangsamt bzw. sogar stagniert, weil Rationalisierungspotenziale endlich sind, konstatieren viele neuere Untersuchungen[9].
Dass „uns“ Automatisierungsprozesse von der monotonen Arbeit befreien könnten, jedoch die Menschen ins Elend stößt, beschreibt schon Marx im Widerspruch zwischen Produktivkraft und Produktionsverhältnissen[10].
„Die technische Entwicklung der Produktivkräfte schafft die Voraussetzungen für ein gutes Leben, aber die Eigentumsverhältnisse machen diesen Fortschritt für viele zur Tragödie, denn wer keinen Job mehr hat, profitiert nicht vom wachsenden gesellschaftlichen Reichtum“[11]
Raul Zelik hält deswegen am historischen Erfahrungswissen des Sozialismus fest und ist ein kritischer Weiterdenker[12].
Über kapitalistische Prozesse hinaus …
Die Transformationsmodelle von Erik Olin Wrigth[18], die den Aufbau solidarischer Arbeits- und Lebensprojekte als Ziel verfolgen, könnten ein Ausweg sein [19]. Auch die Vorschläge Wright´s, den Sozialismusbegriff durch die Kategorisierung politischer Systeme zu entstaatlichen und die Formung eines partizipatorischen Sozialismus, worin Gesellschaft direkt über ökonomische Prozesse entscheidet und die Wirtschaft überhaupt nicht mehr als eigenständiger von der Gesellschaft getrennter Handlungsakteur auftaucht, unterstützten die Transformationsprozesse[20]. Erst wenn sich viele Menschen organisieren und gemeinsam handeln, wirkt sich die emanzipatorische Bewegung auf die öffentliche Meinung, staatliche Strukturen und auf die Alltagskultur aus[21].
„Die egalitär-demokratische Macht der Vielen entsteht erst dann, wenn viele auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern Gegenposition etablieren, die sich als gemeinsame Bewegung verstehen und einer verbindenden transformatorischen Erzählung bedienen“[22].
Zeliks These ist nun, dass Transformationsmacht vor allem dann entsteht, wenn der Staat mit seinen Gesetzen, Verwaltungsprozeduren und Apparaten die Eigentums- und Machtordnungen sichert, aber zugleich auch Widerstände und Proteste mitberücksichtigt. Zugleich beeinflusst ein außerinstitutioneller „radikaler“[23] Reformismus aus der Gesellschaft staatliche Aktivitäten[24]. Um die transformatorische Durchsetzungskraft dann auch zu verwirklichen, braucht es die Kraft von Emanzipationsbewegungen, die konkrete Ziele formulieren.
Die Chance, sich wiederzubeleben.
Mit der Verknüpfung der Transformationsmodelle von Erik Olin Wrigth und dem Verweis auf mögliche Zusammenschlüssen verschiedenster emanzipierter Bewegungen schafft Raul Zelik neue Perspektiven: So werden Brücken zwischen Theorie und Praxis konstruiert, um aus dem Strom der Untoten zurück ins Leben zu gelangen. Durch die Bearbeitung gesellschaftlicher Räume und Sphären kann es schließlich gelingen, kapitalistische Prozesse zu überwinden und solidarischere Gesellschaften zu gestalten.
01. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 163-286)
02. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 16)
03. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 16f)
04. aus: Youtube – Video ab 03:45 über: Raul Zelik: „Wir Untoten des Kapitals“ (Buch-Premiere), URL: www.youtube.com/watch?v=L924vaEdqt0 veröffentlicht am 24.06.20; Zugriff 30.01.2021.
05. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S.177f)
06. aus: Youtube – Video ab 06:20 über: Raul Zelik: „Wir Untoten des Kapitals“ (Buch-Premiere), URL: www.youtube.com/watch?v=L924vaEdqt0 veröffentlicht am 24.06.20; Zugriff 30.01.2021.
07. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 163ff)
08. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 163ff)
09. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 168ff)
10. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 170f)
11. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 170)
12. aus SWR – Autor: Kampert; „Raul Zelik: Wir Untoten des Kapitals. Über politische Monster und einen grünen Sozialismus“; URL: Raul Zelik – Wir Untoten des Kapitals. Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. – SWR2 vom 18.08.2020; Seite 4; Zugriff: 30.01.2021.
13. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 199)
14. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 119)
15. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 176)
16. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 176)
17. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 291)
18. siehe Panel 3: unter Stephan Liebscher.
19. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 291ff)
20. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 294ff)
21. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 302f)
22. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 302)
23. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 306)
24. Zelik, Raul. Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2020 (S. 306)