Soziale Bewegungen und ihr Einfluss auf die katalanische Gesellschaft
Johannes Moosbühler (er), März 2021
Gesellschaftliche Krise als Perspektive? Die Organisationen Assemblea Nacional Catalana und Òmnium Cultural setzen sich für einen friedlichen sozial-gesellschaftlichen Wandel in Katalonien ein.
Òmnium Cultural (OC) ist eine Organisation, die sich in den 1960er Jahren zunächst illegal in Barcelona gegründet hat. Ziel war es die katalanische Sprache und Kultur zu fördern, da diese während der franquistischen Diktatur (1939-1975/77) verboten waren. Seit der Aufhebung des Vereinsverbots nach dem Ende der Diktatur, gewann Òmnium Cultural immer mehr Mitglieder, gesellschaftspolitischen Einfluss und auch die Themen gingen über das ursprüngliche Gründungsziel hinaus, erklärt die OC-Aktivistin Elena Jiménez Botías. Mit ihren heute 182.000 Mitgliedern gehört Òmnium Cultural zu einer der größten zivilgesellschaftlichen Organisationen in Spanien. Durch Mitgliedsbeiträge und Spenden ist OC zu 99 Prozent finanziell unabhängig, nur ein Prozent der Einnahmen für Kulturprojekte sind aus der öffentlichen Hand.[i] Gleichzeitig stellt Òmnium Cultural eine der bedeutendsten Kulturorganisationen Europas dar. Die demokratische Organisationsstruktur basiert auf Freiwilligenarbeit und Diversität, so besteht das nationale Gremium aus einer Gruppe von 24 Menschen und auf lokaler Ebene existieren weitere vierzig Sub-Gremien.
Selbstbestimmung, Demokratie und Referendum
Nach Elena Jiménez Botías ist Spanien sehr divers, u.a. aufgrund der verschiedenen Regionen und nicht zuletzt wegen seiner vielen unterschiedlichen Sprachen. Auch wegen dieser kulturellen Vielfältigkeit nimmt Òmnium Cultural inzwischen eine Rolle als Verfechterin der Werte von Selbstbestimmtheit und Demokratie ein. Um das Ziel eines freien und demokratischen Referendums für ein unabhängiges, demokratisches Katalonien zu erreichen, rufen sie seit den 2010er Jahren gemeinsam mit der Assemblea Nacional Catalana (ANC, dt. Katalanische Nationalversammlung) zu friedlichen Großdemonstrationen, an denen bis heute bis zu einer Millionen Menschen teilnahmen, auf. Für die Unabhängigkeit Kataloniens sei eine klare demokratische Mehrheit im Unabhängigkeitsreferendum wichtig, so Elena Jiménez Botías. Ein Wert von „nur“ 51 Prozent sei eher gesellschaftsspaltend, so dass sich Gruppen und Organisationen wie Òmnium Cultural für eine breitere Zustimmung zur Unabhängigkeit in der katalanischen Gesellschaft einsetzen. Die Koordination zu einer gemeinsamen Strategie verschiedener Akteure im gesellschaftlichen Raum ist somit bedeutend, um einen Großteil der Bevölkerung hin zu einer Unabhängigkeit Kataloniens zu bewegen.
Joana Pujol ist Mitglied der Assemblea Nacional Catalana[ii], die ANC arbeitet unter anderem mit Òmnium Cultural für ein unabhängiges Katalonien zusammen. Die Assemblea Nacional Catalana hat ungefähr 100.000 Mitglieder und ist eine zivilgesellschaftliche Organisation, die für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung eintritt. Dabei liegt wie bei Òmnium Cultural der Fokus auf der Mobilisierung von Menschen, die im Kollektiv einen gesellschaftlichen Wandel begünstigen können. Seit der Gründung 2012 rief die Katalanische Nationalversammlung kontinuierlich zu Demonstrationen und Kundgebungen auf, um für die Unabhängigkeit Kataloniens zu kämpfen. Die ANC ist eine durch ihre Mitglieder strukturierte Organisation (bottom-up-Ansatz) und ist sowohl mit lokalen, nationalen als auch mit internationalen Organisationen und Akteur:innen vernetzt. Dabei bringt die ANC verschiedene Menschen unabhängig von Geschlecht, Klasse, politischen Positionen, Religionen und Nationalitäten zusammen, um für das Ziel, die Unabhängigkeit Kataloniens zu kämpfen. Dabei gleicht die ANC einer Purpose Driven-Organisation[iii], d.h. der eigentliche Purpose (Zweck/Ziel): Die Unabhängigkeit Kataloniens auf friedliche und demokratische Weise zu erreichen und eine katalanische Republik zu gründen, die auf den Prinzipien und Werten von Demokratie, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit basiert – wird zur dominanten Entscheidungsprämisse. Zugleich vernetzt sich die Organisation mit anderen Akteur:innen und Stakeholdern, mit denen sie sich in einer Art „Entwicklungsgemeinschaft“ sieht. Dabei finanziert sich die ANC aus privaten Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Der Bottom-up-Ansatz ermöglicht jedem Mitglied, sich selbst in die Organisation einzubringen und gleichzeitig dürfen keine amtierende Politiker:innen Positionen innerhalb der ANC einnehmen.
Der politische Kampf um die Unabhängigkeit Kataloniens [iv]
Im Zuge der Regionalwahlen im Jahr 2003 schlugen katalanische Parteien eine Reform des Autonomiestatuts Kataloniens von 1979 vor, das seitdem immer wieder zu Konflikten zwischen den pro-katalanischen Parteien und dem spanischen nationalen Parlament geführt hatte. Dabei hielt das spanische Parlament jahrzehntelang an der Festlegung eines politischen Status Kataloniens innerhalb Spaniens fest. Im katalanischen Parlament erhielten Parteien, die das neue Autonomiestatut Kataloniens unterstützten, 88 Prozent der Sitze. Zugleich sprach der damalige zukünftige sozialdemokratische PSOE-Ministerpräsident Spaniens José Luis Rodrígues Zapatero seine Unterstützung für ein neues Statut aus, das vom katalanischen Parlament ausgearbeitet werden sollte. Mit Zustimmung von 120 von insgesamt 135 Abgeordneten verabschiedete das katalanische Parlament einen Reformvorschlag des Autonomiestatuts, dass Katalonien u.a. die volle Kontrolle über die eigene Finanzen geben sollte. Der Reformvorschlag musste jedoch noch vom spanischen Parlament und der katalanischen Bevölkerung in einem Referendum bestätigt werden. Die spanische rechtskonservative Partei Partido Popular (PP) reichte eine Verfassungsbeschwerde gegen das neue Statut ein und begründete diese u.a. mit dem Argument, dass aus verfassungsrechtlicher Sicht nur die spanische Nation als Trägerin der Souveränität existiert. Nichtsdestotrotz fand 2006 ein Referendum über das neue Autonomiestatut in Katalonien statt, dass mit ca. 74 Prozent befürwortet und mit ca. 21 Prozent abgelehnt wurde. Allerdings nahmen ca. 51 Prozent der Wahlberechtigten nicht an der Abstimmung teil.
Viele Demonstrationen u.a. in Brüssel (2009) und Barcelona (2012, 2015, 2016) zur Anerkennung und Durchsetzung des vorgeschlagenen Statuts für Katalonien sowie ein weiteres nicht-bindendes Referendum 9N (9.November 2014) mit ca. 81 Prozent Befürworter:innen, trübten die politischen Beziehungen zwischen dem katalanischen und dem spanischen Parlament. Die im darauffolgenden Jahr 2015 stattgefundenen katalanischen Regionalwahlen zeugten von einer Zustimmung der katalanischen Bevölkerung zur Unabhängigkeit Kataloniens. Mit einer Wahlbeteiligung von ca. 77 Prozent gewannen die pro-Unabhängigkeitsparteien die absolute Mehrheit (72 der 135 Sitze).
Durch den weiteren politischen Druck der Straße vor allem vorangetrieben durch die ANC und Omnium Cultural auf die katalanische Politik, fand am 01. Oktober 2017 schließlich ein Unabhängigkeitsreferendum statt. Allerdings war dies von der spanischen Generalstaatsanwaltschaft Tage zuvor als illegal erklärt worden. Mit einem massiven Polizeieinsatz wurde versucht die Durchführung des Referendums zu verhindern. Dennoch kam es zu einer Wahlbeteiligung von 43 Prozent, wovon 90 Prozent für die Unabhängigkeit Kataloniens stimmten. Auf den gesellschaftlichen und politischen Druck für die Unabhängigkeit Kataloniens reagierten die spanischen Behörden mit Repressionen: Festnahmen, Inhaftierungen und schließlich auch Verurteilungen der beiden damaligen ANC-und OC Präsidenten sowie katalanischer Politiker:innen überschatteten die politische Auseinandersetzung.
Genau ein Jahr später, am 01. Oktober 2018, demonstrierten wieder ca. 180.000 Menschen in Barcelona und weitere Tausende in anderen Städten für die endgültige Umsetzung der Unabhängigkeit Kataloniens. Unter dem Motto „1. Oktober, weder verziehen, noch vergessen“ (eigene Übersetzung) protestierten die Menschen für die Freilassung der politisch Inhaftierten und gegen die politische Repression.
Im Jahr 2020 gab es unter dem neuen spanischen Präsidenten der PSOE Pedro Sánchez und dem katalanischen Regierungschef Quim Torra weitere Annäherungen über die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens.[v] Durch erneute nationale Parlamentswahlen in Katalonien am 14. Februar 2021 bauten die Autonomieparteien ihre Mehrheit weiter aus (74 der 135 Parlamentssitze). Wie nun der Prozess der Unabhängigkeit Kataloniens weitergeht steht weiter offen.[vi]
Quellen
[i] Omnium.cat. „Was ist Òmnium Cultural?“; URL: https://www.omnium.cat/de/omnium/. Seite(n) 1. Zugriff: 14.02.21.
[ii] Assemblea. The Catalan National Assembly: Civil society is #BuildingTheCatalanRepublic. URL: https://int.assemblea.cat/de/assemblea/. Seite(n) 1. Zugriff: 02.03.21
[iii] Rey, Carlos; Bastons, Miquel und Sotok, Phil. Purpose-driven Organizations. DPMC, Barcelona, Spain. Seite(n) 3 – 15.
[iv] Assemblea. Catalan self-determination conflict timeline. URL: https://int.assemblea.cat/de/timeline/. Seite(n) 1. Zugriff 26.02.21.
[v] Dpa & Jona Spreter. Spanien und Katalonien nehmen Gespräche wieder auf. Zeit.de vom 06.02.2020. URL: https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-02/katalanische-unabhaengigkeit-spanien-katalonien-pedro-sanchez-gespraeche. Zugriff: 26.02.21.
[vi] Wanlder, Reiner. Ein Ja für die Unabhängigkeit.Taz.de vom 15.02.21. URL: https://taz.de/Wahl-in- Katalonien/!5751965/. Seite(n) 1. Zugriff: 26.02.21.
[1] Omnium.cat. „Was ist Òmnium Cultural?“; URL: https://www.omnium.cat/de/omnium/. Seite(n) 1. Zugriff: 14.02.21.
[2] Assemblea. The Catalan National Assembly: Civil society is #BuildingTheCatalanRepublic. URL: https://int.assemblea.cat/de/assemblea/. Seite(n) 1. Zugriff: 02.03.21
[3] Rey, Carlos; Bastons, Miquel und Sotok, Phil. Purpose-driven Organizations. DPMC, Barcelona, Spain. Seite(n) 3 – 15.
[4] Assemblea. Catalan self-determination conflict timeline. URL: https://int.assemblea.cat/de/timeline/. Seite(n) 1. Zugriff 26.02.21.
[5] Dpa & Jona Spreter. Spanien und Katalonien nehmen Gespräche wieder auf. Zeit.de vom 06.02.2020. URL: https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-02/katalanische-unabhaengigkeit-spanien-katalonien-pedro-sanchez-gespraeche. Zugriff: 26.02.21.
[6] Wanlder, Reiner. Ein Ja für die Unabhängigkeit.Taz.de vom 15.02.21. URL: https://taz.de/Wahl-in-Katalonien/!5751965/. Seite(n) 1. Zugriff: 26.02.21.
[7] Europapress/catalunya vom 21.05.20; „Òmnium Cultural, ECAS y Coop57 impulsan una maratón solidaria por el Covid-19“; Seite(n) 1; Zugriff: 14.02.21.
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